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Matthias Dell
Appetite for Political Correctness

Nach dem aktuellen Satz der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel zur "Politischen Korrektheit" und der Replik des Satiremagazins Extra3 wirft Matthias Dell einen Blick auf diesen "Müllhaufen der Geschichte". Hat sich Weidel von anderen Parteien inspirieren lassen? Oder doch von Guns'n'Roses?

Von Matthias Dell | 18.05.2017
    Plakat mit dem Hinweis auf eine Veranstaltung mit Sally Kohn, politische CNN-Kommentatorin und Daily Biest-Kolumnistin, zur Verteidigung von Politischer Korrektheit im September 2016 in Hempstead, New York
    Gegen die sogenannte Politische Korrektheit würde doch seit 25 Jahren gewettert - analysiert Matthias Dell in seiner Kolumne (imago/ZUMA Press)
    "Denn die Politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte" - "Jawoll, Schluss mit der politischen Korrektheit! Lasst uns alle unkorrekt sein, da hat die Nazischlampe doch recht. War das unkorrekt genug? Ich hoffe!"
    Das ist Satire, wie das Landgericht Hamburg gestern bestätigt hat. Zu Recht. Keine schillernde Satire, kein aufwendiger Clip, und am Ende vielleicht auch etwas zu verzagt, wenn der eigentliche Gag noch mal markiert werden muss durch die Hoffnung, dass das jetzt unkorrekt genug war. Als ob man nicht schon verstanden hätte, worin der Witz der Extra3-Nummer besteht: Sie nimmt Weidel beim Wort. Vermutlich weiß das sogar die AfD, und geklagt wird nur, um sich einmal mehr als verfolgte Unschuld inszenieren zu können: Guckt her, wie gemein die anderen zu uns sind.
    Der Extra3-Clip ist einfach, aber klug. Natürlich geht es zuerst darum zu zeigen, wie plump die Rhetorik von Alice Weidel ist. Das Tolle an dem Gag ist aber: Er hinterfragt dafür etwas, was als selbstverständlich erscheint. Das Satire-Potential des Weidel-Satzes muss man erstmal erkennen. Und ich würde sagen, dass vielen das schwerfällt, weil das Schimpfen über die sogenannte Politische Korrektheit an jeder Straßenecke, in jeder Kommentarspalte des Internets zu haben ist.
    Winfried Kretschmann: "...mit der Political Correctness nicht übertreiben"
    Das führt so weit, dass man sich fragen kann, wieso Weidel für ihren Satz auf dem Parteitag so viel Jubel geerntet hat - wo gegen die sogenannte Politische Korrektheit doch seit 25 Jahren gewettert wird. In einer Tour, quer durch alle Parteien und Milieus, wie ein kleiner Gang ins Archiv zeigt. Erst letztes Jahr sagte der Grüne Winfried Kretschmann: "Wir dürfen es mit der Political Correctness nicht übertreiben." Die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen stellte fest: "Ja, die Political Correctness ist überzogen worden." Und FDP-Chef Christian Lindner forderte in einem Zeitungsbeitrag: "Es ist Zeit für ein Plädoyer gegen die politische Korrektheit auf der Straße."
    Da drängt sich ein schlimmer Verdacht auf: Hat Alice Weidel ihre Forderung nur geklaut - und zwar bei den Parteien, von denen sich die AfD doch angeblich so stark unterscheidet? Oder, noch schlimmerer Verdacht, hat sich die AfD-Spitzenfrau beim ehemals obersten Repräsentanten dieses Staates bedient, über den es 2012 in der "Welt" hieß: "Politische Korrektheit ist nicht die Sache von Joachim Gauck"?
    Oder ist Alice Weidel Fan des Musikers Steve Reich, der einmal sagte, "zu viel politische Korrektheit könne auch im Selbstmord enden." Mag sie die Musik der mittlerweile aufgelösten Band Blumfeld, deren Sänger Jochen Distelmeyer vor Jahren in einem Zeitungsinterview befand: "Aber die politische Korrektheit wird allmählich zur Manie." Oder sieht sie sich als Rockröhre und geht ab zu der Musik von Guns'n'Roses – über deren Sänger Axl Rose konnte man aus einem Zeitungsartikel erfahren konnte: "Er bemühte sich, ... gegen die politische Korrektheit ... zu verstoßen."
    Hannelore Elsner: "... totlachen über so viel politische Korrektheit"
    Vielleicht entnimmt Frau Weidel ihre politischen Inspirationen aber auch der weiten Welt des Bewegtbilds. Keine geringere als die große Hannelore Elsner bekannte schließlich einst in einem Portrait: "Ich könnte mich totlachen über so viel politische Korrektheit." Simon Verhoeven, der Regisseurs des letztjährigen Kinohits "Willkommen bei den Hartmanns" erklärte dem "Playboy": "Der Film ist politisch inkorrekt, aber eine gute Komödie muss das auch sein." Ob er es ins Kulturprogramm auf dem nächsten AfD-Parteitag schafft? Oder wird dort die Serie "Jerks." von Christian Ulmen gezeigt, über die in der SZ zu lesen war: "Es ist also sensationell politisch inkorrekt."
    Ja, ja, Sie finden das nicht lustig. Und fragen sich, was soll der Quatsch – AfD, Axl Rose, Hannelore Elsner, da passt doch nichts zusammen. Aber dieser Quatsch ereignet sich seit über einem Vierteljahrhundert, seit es die vermaledeiten Worthülsen Politische Korrektheit und Politische Inkorrektheit gibt – alle sagen das gleiche, aber jede meint etwas anderes. Was aber niemanden stört. An diese Absurdität im medialen Miteinander erinnert zu haben - das ist das Verdienst von Extra3.