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Matthias Dell
Der Unterschied zwischen "New Yorker" und "Spiegel"

Wegen Gerhard Richters Kritik an Florian Henckel von Donnersmarcks Film "Werk Ohne Autor" ging ein Porträt des "New Yorker" über den Regisseur viral - dabei lohnt sich der Artikel wegen des gesamten Texts, findet unser Kolumnist. Der sei nämlich ein Beispiel für guten Journalismus.

Von Matthias Dell | 24.01.2019
Florian Henckel von Donnersmarck präsentiert seinen Film "Werk ohne Autor" bei den Filmfestspielen in Venedig.
Florian Henckel von Donnersmarck präsentiert seinen Film "Werk ohne Autor" bei den Filmfestspielen in Venedig. (dpa / picture alliance / Ekaterina Chesnokova)
Letzte Woche erfreute sich hierzulande ein Text aus dem Magazin "New Yorker" einiger Beliebtheit. Er handelte von Florian Henckel von Donnersmarck und dessen letztem Film "Werk ohne Autor", der gerade für den Auslands-Oscar nominiert wurde. Der Film ist grauenhaft, aber Donnersmarck mit über zwei Metern trotzdem einer der größten deutschen Filmemacher. Wenn nicht der größte.
Solche schlechten Witze wie ich hat sich der Text nicht erlaubt. Er erwähnt Donnersmarcks Größe eher indirekt, in zwei Anekdoten aus der Jugendzeit, die etwas über Donnersmarcks Aufwachsen in den USA erzählen. Das wäre ein Detail, in dem sich der "New Yorker" unterscheidet von einem Journalismus, wie ihn der "Spiegel" pflegt.
Dort hieß es in einem Text über den Regisseur von 2007, also nach dem Erfolg von Donnersmarcks Debütfilm "Das Leben der Anderen": "Gleich ist dieser 2,06 Meter große Turm von Mann vereist." Die Körpergröße tut an der Stelle nichts zur Sache, sie ist reines Ornament. Der Autor will eine Szene, die er beobachtet, möglichst zupackend beschreiben. Die Bewunderung steht dabei vorher fest.
Der New-Yorker-Text als Beispiel für guten Journalismus
Das Portrait aus dem "New Yorker" hat Aufmerksamkeit bekommen, weil darin harsche Worte des Malers Gerhard Richters zitiert werden. Donnersmarcks Film versteht sich als Künstlergeschichte, die auf der Biografie des weltberühmten Malers fußt.
Interessanter ist der "New Yorker"-Text aber als Beispiel für das, was guter Journalismus vermag. Gerade weil es um etwas so Streitbares, Diskutables, Weiches wie Kunst geht, kann man in dem Artikel studieren, was seriöses Handwerk ist. Man kann den Text als Gegenbeispiel zum Fall Claas Relotius lesen - der konnte auch deshalb über Jahre Reportagen erfinden, weil diese Texte den "Spiegel"-Stil so perfekt bedienten - die kurzatmige, szenisch-kitschige Herbeidichtung von scheinbarer Wirklichkeit.
Das erste, was an dem "New Yorker"-Text von Dana Goodyear auffällt, ist die Länge. Fast 50.000 Zeichen hat die Autorin, um sich ihrem Gegenstand zu widmen. Dreimal trifft sie Donnersmarck, zweimal in den USA, einmal in Berlin. Goodyear hat sich also frühzeitig für Donnersmarck und seinen Film interessiert. Ihrem Text liegt die Ahnung zugrunde, dass es aufschlussreich sein könnte, den deutschen Regisseur zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere zu portraitieren. Von den Auskünften, die Gerhard Richter ihr geschickt hat, konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nichts wissen. Dass sich daraus Meldungen generieren lassen würden, die Nachrichtenwert haben, war nicht abzusehen.
Kein Ausschlachtung von Drama
Dabei sind Richters ungehaltene Worte über die Zusammenarbeit mit Donnersmarck nicht das Ziel des "New Yorker"-Artikels. Sie sind bloß ein Teil des Bildes, das der Text zeichnet. Der berühmte Maler erscheint nicht als der heimliche Held des Artikels von Dana Goodyear; seine Reaktion wird ebenfalls eingebettet in einen größeren Zusammenhang. So erklärt der Leiter des Gerhard-Richter-Archivs, dass Richter genauso ungehalten wie jetzt auf die Biografie reagiert habe, die der Journalist Jürgen Schreiber über ihn vor Jahren verfasst hat. Richter habe den gleichen Fehler zweimal gemacht, heißt es, er sei erst erfreut gewesen über die Aufmerksamkeit und am Ende unzufrieden mit dem Ergebnis.
Auf diese Weise entschlägt sich der "New Yorker"-Text dem Drama, das man aus der Zusammenarbeit destillieren könnte - wenn man es denn auf eine so süffig-groschenhefthafte Darstellung von Wirklichkeit anlegt. Aber Dana Goodyear geht es um die Sache: um die Darlegung von verschiedenen Sichtweisen, um die Abbildung eines Schaffensprozesses zwischen zwei schwierigen Personen. Donnersmarcks Sendungsbewusstsein registriert der Text mit einer kleinen Bemerkung nebenher: Die ungebremste Mitteilsamkeit des Regisseurs markiert die Journalistin über zwei Knöllchen, die sie während des ersten, nicht enden wollenden Treffens, bekommen hat. Auf diese nüchterne Weise bekommt man einen Eindruck von dem, was Donnersmarck von seiner Arbeit hält.
Noch deutlicher tritt die Qualität des "New Yorker"-Texts hervor, wenn man ihn an der Berichterstattung des "Spiegel" zu "Werk ohne Autor" misst. Auch weil das deutsche Nachrichtenmagazin von seinen Arbeitsbedingungen her wohl am ehesten mit dem "New Yorker" vergleichbar wäre. Der "Spiegel" hat zu "Werk ohne Autor" ein Interview mit dem Regisseur gemacht. Als erstes deutsches Medium, mehr als einen Monat vor dem Start des Films. Die Wichtigkeit des Projekts wird dabei unterstrichen durch gleich drei "Spiegel"-Angestellte, die als Interviewer vermerkt sind.
Genauigkeit statt freundliche Fragen
Dabei konnte man sich schon nach der Lektüre des Gesprächs fragen, wozu so viel personeller Aufwand nötig gewesen sein soll. Der Text stellt lauter freundliche Fragen, die Donnersmarck erst die Möglichkeit geben, das Bild von sich und seiner total exklusiven Zusammenarbeit mit Gerhard Richter zu entwerfen, das der "New Yorker"-Text nun durch Genauigkeit der Beschreibung in Zweifel zieht.
Wenn man es genau nimmt, ist das "Spiegel"-Interview gar kein Journalismus, sondern PR für den langerwarteten Film. Man bekommt, ungefiltert, die Erzählungen eines sendungsbewussten Mannes aufgetischt. Der "New Yorker"-Text hält dagegen Abstand und spricht mit mehreren Personen. Weshalb man sich nach Lektüre von Goodyears Artikel auch fragt, wieso diese Form von Journalismus sich hierzulande sich so geringer Beliebtheit erfreut.