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Mauer im Kopf

"Wir sagen mal Danke", so titelte die Tageszeitung "junge Welt" zum 50.Jahrestag des Mauerbaus. Illustriert wurde die Schlagzeile mit dem Foto einer DDR-Betriebskampfgruppe zur Sicherung des Mauerbaus. Geschmacklos sagen die einen, ist doch nur Satire die anderen.

Von Christoph Richter |
    "Als ich am 13. August das Titelblatt, aber nicht nur das Titelblatt, sondern auch die Sonderseiten der "jungen Welt" gelesen habe, ist mir doch richtig übel geworden."

    Frank Willmann, Kolumnist bei der "jungen Welt", schüttelt den Kopf.

    "Die drei wundervollen Macher des Titelblattes verstehen das als gelungene Provokation, das man sich für 28 Jahre Hohenschönhausen bedanken kann. Ist für mich nicht nachvollziehbar. Also ich hab in einem Leserbrief darauf reagiert, dass ich nicht viel zu danken habe."

    Was auch damit zu tun hatte, dass seine Freundin monatelang im Stasigefängnis Hohenschönhausen inhaftiert war. Frank Willmann selbst musste die DDR 1984 verlassen – zuvor hatte ihn die Staatssicherheit permanent drangsaliert. Für den 47-Jährigen ist die Mauer der Ausdruck des Repressionsapparates DDR – ein brutales Werk, dessen Stacheldraht, Minen und Selbstschussanlagen nur dazu dienten, Menschen daran zu hindern, in Freiheit und Selbstbestimmung zu leben.

    Der stellvertretende Chefredakteur der "jungen Welt" Rüdiger Göbel sieht das anders.

    "Es war eine Provokation, 'ne bewusste Provokation angesichts der parteipolitisch gewollten Instrumentalisierung des Tages, des 13. Augustes 1961. Dieses historische Ereignis, der Beginn der Grenzschließung, des Mauerbaus, wird vollkommen aus dem historischen Kontext gerissen. Entpolitisiert, emotional aufgeladen. Und das 22 Jahre nachdem die DDR tot ist, nicht mehr existiert, wird noch mal nachträglich auf ihr herumgetrampelt."

    Wenn es um die Toten an der innerdeutschen Grenze geht, taucht bei Göbel kein Wort des Bedauerns auf. Eine kleine Kostprobe der weiteren Artikelüberschriften: "Eppelmanns Doktrin - Westliche Historiker schreiben vorwiegend Spukgeschichten." Oder: "Zwingende Notwendigkeit - Thesen zum 50. Jahrestag der "Berliner Mauer", die hier in Anführungszeichen gesetzt wird. Artikel, die ein Lehrstück bester SED-Propaganda sind.

    Einer der Autoren: Chefredakteur Arnold Schölzel. 1967 übersiedelte er von Bremen nach Ost-Berlin, studierte an der Humboldt-Uni. Und wurde Spitzel der Staatssicherheit. Der Historiker Jochen Staadt erläutert:

    "Das diente dem Schutz des Sozialismus, und das, was in dem Blatt zelebriert wird, zum 13. August, ist ja dieses Denken: Man hat mit der Mauer den Sozialismus geschützt. Das ist Presse für Leute, die in der DDR eine hohe Position, entweder in der Partei, in Regierungsämtern oder im Ministerium für Staatssicherheit hatten. Und die alles verloren haben 1989. Für die war die schönste Welt die DDR. Und das, was danach gekommen ist, ist der Horror, den sie immer verhindern wollten."

    Daher sind gerade auch unter den Autoren der "jungen Welt" viele frühere DDR-Eliten, ehemalige SED-Hardliner. Zum Beispiel: Klaus Huhn. Stasispitzel und Chefideologe des "Neuen Deutschlands". Oder Hans Modrow, langjähriger Leiter für Agitation im ZK der SED.

    Gegründet wurde die "junge Welt" 1947 in Ostberlin – als ein Blatt der Freien Deutschen Jugend (FDJ), dessen Aufgabe es war, die Jugend propagandistisch auf Linie zu bringen. In den 80er-Jahren hatte man eine Auflage von 1,3 Millionen Exemplaren. Nach dem Mauerfall brach sie ein. Und die Zeitung stand mehrmals vor dem Aus. Jetzt hat die "junge Welt" eine Auflage von 17.000 gedruckten Exemplaren und erscheint im eigenständigen Verlag, der "8. Mai GmbH" mit Sitz in Berlin.

    Die "junge Welt" propagiert die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft – und wird nicht müde, die sogenannten Errungenschaften der DDR hervorzuheben. Im selben Atemzug werden die Institutionen der Bundesrepublik politisch wie moralisch aufs Schärfste kritisiert. Vorgegeben wird diese Linie von den Chefredakteuren und der Geschäftsführung: Neben dem früheren inoffiziellen Stasimitarbeiter Arnold Schölzel ist das der frühere Hausbesetzer Rüdiger Göbel und das DKP-Mitglied Dietmar Koschmieder. Sie sind auch die Urheber der "Wir sagen mal Danke" - Schlagzeile. Auf die reagiert der Berliner Grünenabgeordnete Volker Ratzmann fassungslos: Auf Kosten der Opfer des SED-Unrechtsstaates mache man schlicht keine Scherze, sagt er.

    "Niemals! Satire muss man können, selbst wenn sie es so gemeint haben, kann ich nur sagen, damit macht man keine Satire."

    Und Ratzmann ergänzt, dass man jetzt mal schauen müsse, ob man der "jungen Welt" nicht mit rechtlichen Konsequenzen drohen könne.

    Doch gerade davor warnt der renommierte Presseanwalt Simon Bergmann. So unschön die Kampagne der "jungen Welt" ist, wie er sagt, so nüchtern muss man sich aber auch die Sachlage anschauen. Da die Verherrlichung kommunistischer Verbrechen nicht verboten ist, sei der umstrittene Titel der "jungen Welt" letztlich eine reine Meinungsäußerung, eine bizarre Form von Satire. Und die sei gedeckt durch die Meinungsfreiheit, die im Artikel 5 des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt. Und hierzulande hohen Verfassungsrang genießt.

    "Aber in einer Demokratie muss man es aushalten, in gewissen Maßen verunglimpft zu werden. Ich kann jeden verstehen, der sich dadurch gestört fühlt."

    Auch wenn das Stilmittel der Provokation durchaus zum Repertoire der "jungen Welt" gehört, so könnte doch diesmal die Grenze überzogen worden sein: So haben bereits mehrere Autoren ihre Zusammenarbeit aufgekündigt.