Liminski: Herr Böge, Maul- und Klauenseuche, BSE, Rindertuberkulose - ist das nicht ein bisschen viel Seuche im Moment? Der Eindruck entsteht, dass die Politik ihrer Vorsorgefunktion für die Verbraucher nicht nachkommt.
Böge: Also in der Tat entsteht der Eindruck: Jetzt kommt alles auf einmal. Ich glaube, man muss vorweg sagen, dass natürlich Tierzucht und Tierhaltung immer - über Jahrhunderte hinweg - auch von einem ständigen Kampf gegen Tiererkrankungen und gegen Tierseuchen begleitet wurde, und dass es auf der anderen Seite auch gelungen ist, durch ganz radikale Bekämpfungsmaßnahmen in der Vergangenheit eine Vielzahl von Erkrankungen und Seuchen zu bekämpfen, die beispielsweise gefährlich für den Menschen waren und die heute quasi ausgemerzt sind. Aber dass es immer wieder mal Fälle von Erkrankungen und Seuchen gibt, ist eine Tatsache, die uns auch in Zukunft begleiten wird.
Liminski: Die deutsche Regierung, Herr Böge, fordert eine neue Agrarpolitik, ein Umdenken. ‚Mehr Klasse statt Masse' lautet die Devise. Das geht vermutlich nicht von heute auf morgen, aber für Seuchenprävention müsste es doch eigentlich ad hoc - Maßnahmen geben, nicht nur für den Exportstopp.
Böge: Also unabhängig davon, wo die Reise in der Agrarpolitik hingeht: Tierkrankheiten und Tierseuchen finden auch in Zukunft statt - genau so wie bei Kindern oder überhaupt bei Menschen Erkrankungen auf der Tagesordnung sein können. Aber wichtig ist in der Tat, dass wir hier eine ganz strikte Bekämpfungs-strategie haben, wo die Europäische Union und die Mitgliedsstaaten gefordert sind, bei einem Ausbruch einer Seuche - wie Maul- und Klauenseuche - dann alles zu tun, dass der Erreger lokalisiert wird und dass es nicht zu einer Ausbreitung kommt. Käme es bei Maul- und Klauenseuche zu einem Transport auf den Kontinent, dann ist in der Tat ein Riesenproblem vorhanden.
Liminski: Gibt es denn eine Strategie, von der Sie eben sprachen?
Böge: Also, man hat zu Beginn des Binnenmarktes es zu tun gehabt mit zwei unterschiedlichen Strategien. Es gab Länder, die haben prophylaktisch gegen bestimmte Seuchen - eben wie Maul und Klauenseuche - geimpft. Und es gab Länder, die haben auf die sogenannte ‚Nichtimpfungsstrategie' gesetzt und gesagt: Es wird auch von den Kosten her günstiger, wenn wir in einem Seuchenfalle den betroffenen Bestand und möglicherweise auch um den betroffenen Bestand herum die Bestände sanieren und herausnehmen. Ich halte es generell für erforderlich, dass wir die Grundlagen im internationalen Handel einmal auf den Prüfstand stellen. Im internationalen Handel gilt der Grundsatz: ‚Wer impft, hat die Seuche'. Und dies ist einer der Gründe, warum man sich auch von prophylaktischer Impfstrategie in der Europäischen Union verabschiedet hat.
Liminski: Warum kann man denn in der EU Impfungen nicht generell durchsetzen, mal abgesehen davon, dass es für BSE noch keinen Impfstoff gibt?
Böge: Also, genau, man muss sicherlich zwischen Tiererkrankung und Tierseuche unterscheiden. BSE ist eine Einzeltiererkrankung, während wir es bei Maul- und Klauenseuche in der Tat mit einer übertragbaren Seuche - das ist vorhin geschildert worden - zu tun haben. Und insofern gibt es sicherlich kein Allheilmittel, das für alle Krankheiten und Seuchen gilt. Ich würde einfach sagen, es ist - wie gesagt - wie bei Erkrankung bei Menschen wie bei Kinderkrankheiten. Man muss ganz genau unterscheiden. Es gibt Erkrankungen und Seuchen, da ist eine Impfstrategie erforderlich. Impfen darf auch nicht dazu führen, dass beispielsweise Hygiene, die mangelhaft sein könnte, überdeckt und überlagert wird - also eine gemeinsame Strategie, aber differenziert im Vorgehen je nach Krankheit und Seuche.
Liminski: Kann denn das Parlament eine solche Impfstrategie nicht durchsetzen?
Böge: Also, ich habe gerade vor mir liegen einen Bericht, den wir Anfang der 90er Jahre verabschiedet haben. Ich habe damals gegen die grundsätzliche Abschaffung der Impfpolitik gestimmt, weil ich einfach auch als Rinderzüchter gesehen habe, welche Probleme durchaus entstehen könnten bei einer zunehmenden Liberalisierung auch nach Mittel- und Osteuropa, und dass wir es auch immer wieder nicht nur mit Seuchen, sondern mit emotionalen Ausbrüchen zu tun haben, weil die Problematik, die dahinter steht, in unserer Gesellschaft schwer zu vermitteln ist. Ich glaube, wir müssen ganz einfach als Parlament fordern, dass die Kommission klarstellt, wie eine Strategie der Zukunft aussieht. Wir müssen uns fragen, ob die bisherigen sogenannten ‚Kosten-Nutzen-Analysen' tatsächlich noch stichhaltig sind. Und wir müssen auch darüber nachdenken, ob auf internationaler Ebene nicht neue Ansätze gefahren werden können, beispielsweise - wenn die Entwicklung sogenannter ‚markierter' Impfstoffe da ist, kann man auch sehr viel besser unterscheiden nach einer Impfung, ob das Tier erkrankt ist oder ob es schlichtweg geimpft worden ist und insofern kein Infektionspotential darstellt.
Liminski: Eine Lernfrage, Herr Böge: Gibt es eine Seuchenliste, vielleicht sogar abgestuft nach Gefährlichkeit für den Menschen?
Böge: Also die gibt es zweifelsohne. Es ist immer wichtig, darauf hinzuweisen, dass Maul- und Klauenseuche beispielsweise für den Menschen nicht gefährlich ist. Wenn wir über die Tuberkulose sprechen, dann kann Tuberkulose unter dem Aspekt ein Problem sein, dass es über Rohmilch - aber ausschließlich über Rohmilch - für den Menschen ein Problem sein könnte. Und nehmen Sie mal als Beispiel das sogenannte seuchenhafte Verkalben bei Rindern - Abortus Bang -: In der Vergangenheit war zum Beispiel für Frauen, die schwanger waren und in einem Stall gearbeitet haben, das durchaus ein Problem. Diese Seuche hat man bekämpft, erfolgreich bekämpft und sie ist heute in Deutschland ausgemerzt.
Liminski: Lässt sich denn eine Einteilung treffen zwischen klassischen Seuchen und Seuchen, die sozusagen von Menschenhand geschaffen wurden?
Böge: Also, von Menschenhand geschaffen, das kann ich so nicht . . .
Liminski: . . . BSE zum Beispiel . . .
Böge: . . . also in der Tat, Sie haben recht: BSE ist ein Sonderfall, weil BSE in hohem Maße auch zu tun hat mit staatlichem Versagen und mit fahrlässiger und krimineller Handlungsweise, und hier im Grunde genommen gegen artgerechte Fütterung schlichtweg verstoßen wurde. Insofern ist dieses ein Sonderfall, den wir in der Form in der Vergangenheit bei Tiererkrankungen oder Seuchen noch nicht gehabt haben.
Liminski: Die Bekämpfung von BSE geht in die Milliarden, die der jetzigen Maul- und Klauenseuche auch schon in die Millionen. Wer zahlt eigentlich die Zeche für die Eindämmung bzw. die mangelnde Vorsorge?
Böge: Also, bei BSE gibt es ja, wie Sie sicher gehört haben, aktuelle Überlegungen, auch Schadensersatzklagen anzustrengen, weil hier in der Tat staatliche Institutionen in einem hohen Maß Verantwortung dafür tragen, dass es so weit gekommen ist. In der klassischen Tierseuchenpolitik ist es so, dass die Europäische Union und die Mitgliedsstaaten die Maßnahmen gemeinschaftlich tragen - zur Hälfte aus dem Gemeinschaftshaushalt und zur anderen Hälfte ist dies Aufgabe des Bundes und der Länder; aber genau so auch zahlen die Landwirte ihre Beiträge in die sogenannten Tierseuchenkassen, die natürlich jetzt auch in einer sehr angestrengten Haushaltslage sich befinden und man jetzt noch nicht abschätzen kann, welche Beiträge in den nächsten Jahren die Landwirte zahlen müssen, damit die Kassen bei einem solchen Ausbruch auch noch die Entschädigungen leisten können.
Liminski: Das war der CDU-Politiker Reimer Böge, Mitglied des Europaparlaments, dort im Agrarausschuss und Vorsitzender des ehemaligen BSE-Untersuchungsaus-schusses. Besten Dank für das Gespräch Herr Böge.
Böge: Ja, gerne.