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Maulbronn
Auch ein Ort der Literatur

Das Kloster Maulbronn ist heute Weltkulturerbe und eine der schönsten und besterhaltenen Klosteranlagen des Mittelalters. Nun eröffnet dort eine neue Dauerausstellung, der Titel: „Besuchen – Bilden – Schreiben. Das Kloster Maulbronn und die Literatur“.

Von Christian Gampert |
    Mathematik und Französisch mittelmäßig, Poesie dagegen vorzüglich: der Zögling Hölderlin, 1786 im Alter von 16 Jahren nach Maulbronn gekommen, wird zwei Jahre später im „Testimonienbuch“ ausführlich begutachtet. Die Ausbildung des württembergischen Pfarrerstands zu absolutem Gehorsam glich einer Gehirnwäsche; während der Freund und Mitschüler Rudolf Magenau, später Pfarrer in Hermaringen, sich „dankbar“ zeigte für Schläge, wollte der Kandidat Hölderlin „die Galeere der Theologie“ alsbald verlassen.
    Das im 12.Jahrhundert gegründete Kloster Maulbronn, dessen weiträumige Anlage wir heute bewundern, ist auch ein Ort der Knechtung gewesen. Während der Reformation 1556 in eine evangelische Schule umgewandelt, zog es eine württembergische Elite heran, die Gott und dem Herzog dienen sollte; die sensibleren Geister aber nutzten den gnadenlosen Drill in den Fächern Griechisch, Latein, Hebräisch und den neueren Sprachen, um sich in der Poesie ein Ventil zu verschaffen.
    Erziehungsanstalt
    Hölderlin, der als Schüler noch Kutte tragen musste, schrieb hier seine Jugendgedichte, unter anderem an die erste erotische Attraktion Luise Nast, die Tochter des Klosterverwalters – während seine Mutter über die Ausgaben für den „lieben Fritz“ minutiös Buch führte. Kurator Thomas Schmidt von der Arbeitsstelle „Literarische Museen in Baden-Württemberg“ sieht Maulbronn in der Hauptsache als Erziehungsanstalt.
    "Also man muss sich klarmachen, dass das Curriculum der Klosterschulen natürlich ganz wesentlich ein sprachliches Curriculum gewesen ist – oder ein sprachlich-rhetorisches Curriculum. Jemand, der Theologe werden sollte, der hatte rhetorisch so geschult zu sein, dass er predigen kann. Dass er rhetorische Figuren, sagen wir mal, erfolgbringend einsetzen konnte, argumentativ. Und deshalb ist es ja auch relativ naheliegend zu sagen, dass man da zu allererst nicht durch die Musik oder die Malerei, sondern zu allererst durch die Sprache und die Literatur einen Weg sucht, um diese drängenden Erfahrungen hier zu kanalisieren."
    Die kleine, aber sehr kompakte Ausstellung, die die vor 20 Jahren erfolgte Aufnahme des Klosters ins „Weltkulturerbe“ feiert, will unseren Blick auf Maulbronn als Ort der Literatur schärfen. Denn rund 100 Jahre nach Hölderlin litt hier der Schüler Hermann Hesse, der sogar die Flucht versuchte; Maulbronn ist die Folie diverser seiner Romane, nicht nur „Unterm Rad“.
    Friedrich Theodor Vischer war hier als Turnlehrer tätig, er unterrichtete unter anderem den späteren 48iger Georg Herwegh – Ästhetik und Gymnastik schienen sich gut zu ergänzen; als Beleg wird die sogenannte Maulbronner Hantel gezeigt. Im nahegelegenen Knittlingen wurde Johann Faust geboren, der sich in Staufen bei einem alchimistischen Experiment in die Luft sprengte, einer hartnäckigen Sage nach aber in Maulbronn zu Tode gekommen sein soll.
    Gespenstergeschichten
    Mit dem Mittelalter-Mythos setzt auch die Ausstellung ein: Nach der Gründungslegende fand ein Maultier den Brunnen, der das dringend benötigte Wasser barg; es gibt Gespenstergeschichten mit mumifizierten Katzen und ambivalente Phantasien des ehemaligen Klosterschülers Hermann Kurz, der die bedrohlichen Gebäude „mit Lust und Schmerzen“ erinnert. Sogenannte literarische Gepäckfächer offenbaren, dass Caroline Schlegel in Maulbronn an der Ruhr starb, während der sonst eher unmusikalische Ernst Jünger, der 1947 auf dem Weg an den Bodensee vorbeikam, einen „wunderbaren, silbernen Gesang“ wahrnahm, der „durch die verschlossene Kirchentür“ drang.
    Johannes R. Becher, wunderlich genug, schrieb im Moskauer Exil 1944 ein Maulbronn-Sonett. Friedrich Gundolf pilgerte mit den George-Jüngern nach Maulbronn, nur der Meister selber blieb fern. Die klösterliche Tradition des Übersetzens wurde von manchen Zöglingen wieder aufgenommen: Herwegh übertrug Lamartine, Hermann Kurz Byron, Karl Schmückle Lenin. Für Hermann Hesse, das wird ausführlich belegt, stellte Maulbronn eine ambivalente Erfahrung dar, auf die er literarisch immer wieder zurückkam.
    Am produktivsten ist allerdings Hölderlin: Schon als gequälter Schüler, das „Maulbronner Quartheft“ zeigt es, arbeitete er sich an den fortschrittlichsten literarischen Modellen ab, an Klopstock nämlich und an Pindar – ein Autor, dessen Hymnen er noch in seiner Spätphase übersetzte. Die harte Collage völlig disparater Elemente hat Hölderlin dort gelernt – und wenn er auch nicht Pfarrer wurde: das Griechische hat ihn beflügelt.