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May-Besuch in Berlin und Paris
Wenn der Ausnahmezustand zur Normalität wird

Je näher ein harter Brexit rückt, desto entschlossener zeigt sich Angela Merkel, alles zu tun, um das zu vermeiden - auch, wenn das eine Fristverlängerung bis über das Datum der Europawahl hinaus bedeuten würde. In Paris ist das anders: Emmanuel Macrons Geduld mit London scheint aufgebraucht.

Von Stephan Detjen | 09.04.2019
Emmanuel Macron (l-r), Präsident von Frankreich, Theresa May, Premierministerin von Großbritannien, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterhalten sich beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Sofia (2018).
Macron, May und Merkel - hier während des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs in Sofia 2018. (Darko Vojinovic/AP/dpa )
Auch das ist ja schon fast Routine: Der harte Brexit steht drohend vor der Tür und wieder mal, kurz davor, meldet sich die britische Premierministerin im Kanzleramt an.
"Das Thema ahnen sie", seufzt Steffen Seibert. Viel mehr hat Angela Merkels Sprecher am Tag vor der neuen May-Visite in Berlin auch nicht zu sagen. Die britische Premierministerin ahnt derweil, was heute auf sie zukommt:
"Over the last few days people've been asking me, what on earth's happening with Brexit?", erklärte eine gut gelaunt auf ihrem Sofa sitzende Premierministerin am Anfang der Woche in einer Videobotschaft. Auch am Mittag in Berlin und unmittelbar danach in Paris wird May mit derselben Frage konfrontiert werden: Was zum Himmel ist nun mit dem Brexit?
"Drei Mal hat das Parlament den Plan nun abgelehnt und so wie es aussieht wird ihn das Unterhaus auch nicht mehr billigen", wird Theresa May im Gespräch mit Angela Merkel und dann mit Emmanuel Macron eingestehen müssen.
Merkel hat die Dramatik der Lage verinnerlicht
Die Bundeskanzlerin scheint das Ringen um den Brexit unterdessen nüchtern und aus maximaler Distanz zu verfolgen: "Das ist ein sehr interessanter Beschluss des Parlaments", befand Merkel letzte Woche mit geradezu britischem Understatement bei einem Besuch in Dublin. Doch gerade mit ihrem Kurzbesuch in Irland hatte Merkel eine Woche vor dem EU-Sondergipfel signalisiert, dass sie ganze Dramatik der Lage sehr wohl verinnerlicht hat.

Nirgendwo anders droht ein harter Brexit so schnell zu einer Frage von Krieg und Frieden zu werden wie hier. In Dublin zog Merkel deshalb eine politische Trumpfkarte, die sie nur in seltenen Situationen ausspielt: den Hinweis auf ihre eigene Biographie:
 Leo Varadkar und Angela Merkel vor dem Farmleigh House in Dublin, geben sich die Hand
Angela Merkel mit dem irischen Premierminister Leo Varadkar in Dublin (dpa/ Artur Widak)
"Ich habe 34 Jahre lang hinter dem eisernen Vorhang gelebt. Ich weiß, was es bedeutet, wenn Mauern fallen, wenn Grenzen verschwinden, und das man alles tun muss, um dieses friedliche Zusammenleben, dass hier ja auch mit so vielen Menschenleben bezahlt wurde, weiter erhalten werden kann."
Scheidet das Vereinigte Königreich am kommenden Freitag oder danach ohne Abkommen aus der EU aus, muss Irland entlang seiner blutig umkämpften Binnengrenze Kontrollen einführen, das von der EU einst garantierte Karfreitagsabkommen steht dann zu Disposition, die Republik Irland - ein EU-Mitglied - droht zum unschuldigen Opfer eines Hard Brexit zu werden. Je näher dieses Szenario rückt, desto entschlossener zeigt sich Merkel, alles zu tun, um das zu vermeiden.
EU-Ratspräsident Tusk könnte den Ausweg weisen
"Es muss uns gelingen, und ich vertraue auf das, was wir in Deutschland oft sagen - ich habe gehört, das gibt es auch als Sprichwort hier: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg".
Mit dieser Rhetorik bereitet auch Merkel darauf vor, dass beim EU-Sondergipfel am Mittwoch das angedacht werden muss, was bisher kaum jemand vor möglich hielt: eine Fristverlängerung bis über das Datum der Europawahl Ende Mai hinaus, so wie Theresa May sie in der vergangenen Woche erbeten hat, um eine parteiübergreifende Mehrheit im Unterhaus zu suchen: "Das erfordert Kompromisse. Aber das wichtigste ist, den Brexit zu liefern."
In Berlin wird May nicht lange für eine Politik der parteiübergreifenden Kompromisssuche werben müssen. Das ist Angela Merkels Spezialdisziplin. Anders dagegen in Paris. Emmanuel Macrons Geduld scheint verbraucht. Der französische Präsident hatte zuletzt gemahnt, die EU dürfte nicht dauerhaft zu einer "Geisel" der britischen Entscheidungsunfähigkeit werden.
Zwischen Merkels dramatischen Warnungen vor den Folgen eines harten Brexit und Macrons Drängen auf eine Lösung könnte am Ende der Vorschlag von EU-Ratspräsident Tusk den Ausweg weisen: eine lange Fristverlängerung um ein Jahr oder mehr.
Die EU der 27 würde damit den britischen Ausnahmezustand gleichermaßen zur Normalität erklären und den eigenen Geduldsfaden zu Endlosschleife knüpfen. Es könnte ein Ausweg sein, der jedenfalls Angela Merkel mehr entspricht als das Abenteuer eines harten Brexit nach einem rigiden Schlussstrich.