Capellan: Wie steht's denn bei Ihnen mit der Staatsräson?
Müller: Also, ich werde dieses Argument jedenfalls erstmal in den eigenen Reihen nicht verwenden, sondern ich habe vor, die Argumente sehr ernst zu nehmen, die da von den Kritikern kommen. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass wir den einen oder anderen Kritiker noch überzeugen können, denn die Situation in Mazedonien ist überhaupt nicht vergleichbar mit der im Kosovo. Es gibt hier eine Anfrage der demokratisch gewählten Regierung in Mazedonien, es gibt inzwischen auch eine Erklärung des UN-Sicherheitsrates, was eben zeigt, dass dieser Einsatz und der Friedensprozess von der ganzen internationalen Gemeinschaft unterstützt wird. All dies sind Dinge, wo ich hoffe, dass wir überzeugen können.
Capellan: Wie viele Leute müssen Sie denn in Ihrer Fraktion noch überzeugen?
Müller: Also, ich gehe davon aus, dass wir am Ende eine Mehrheit haben werden für diesen Einsatz, denn die Argumente sind meines Erachtens schon bestechend. Es geht im Höchstfall um einen friedensbewahrenden Einsatz, nicht um einen friedensschaffenden Einsatz. Es geht nicht darum, hier einen Konflikt militärisch zu lösen, wie zum Beispiel die SPD-Abgeordneten in ihrem Brief sagen, sondern es geht darum, dass hier eine politische Lösung auf dem Tisch liegt, die einen Weg zumindest aufzeigt zu einem Frieden, und dass diese politische Lösung militärisch unterstützt werden soll. Das ist eine ganz, ganz andere Situation als im Kosovo. Und ich merke eben auch in den vielen Gesprächen, die ich jetzt führe - wir sind da, wir sind präsent, ich führe sehr viele Gespräche -, dass wir doch sehr wenige Kritiker haben, einzelne haben sich ja erst geäußert. Das wird sie sehr gut überzeugen können.
Capellan: Glauben Sie denn, dass sich eine militärische Eskalation wirklich wird vermeiden lassen? Denn es ist doch nicht auszuschließen - und davor haben ja auch die zitierten SPD-Abgeordneten Angst -, dass man da in einen Bürgerkrieg hineingezogen wird.
Müller: Es gibt keine Garantie, aber es gibt eine Rahmenvereinbarung, die immerhin die vier Parteivorsitzenden in Mazedonien unterschrieben haben. Es gibt eine Zusage von Amnestie, es gibt eine Zusage für die freiwillige Abgabe der Waffen. Es wird jetzt die Zuleitung ans Parlament erfolgen für den Verfassungsprozess, und natürlich - man muss jetzt abwarten, die NATO macht sich ja auch einigermaßen stark für die Stabilisierung - das heißt, es gibt eine Chance auf einen Frieden, aber keine Garantie. Man müsste eigentlich umgekehrt fragen, welche Verantwortung tragen wir, wenn wir auf Anfrage der mazedonischen Regierung uns hier jetzt nicht beteiligen. Ich glaube, dass es dann sehr wahrscheinlich ist, dass ein Bürgerkrieg entflammt, und dafür wären dann auch wir verantwortlich. Natürlich ist es nach wie vor ein Risiko; es hilft überhaupt nicht, das zu beschönigen.
Capellan: Ist denn die Zeit schon reif für den Einsatz? Denn Sie haben es ja selbst angedeutet: Die Waffenruhe - sie steht noch nicht.
Müller: Sie wird auch nicht stehen. Das sage ich sehr ehrlich. Ich halte nichts von beschönigenden Debatten. Ich sagte, dass die Waffenruhe sich einigermaßen stabilisiert hat. Leute der NATO sind dort unten, das wird sehr genau beobachtet. Es werden natürlich weiter die Gespräche geführt. Das stellt sich der Deutsche jetzt mal wieder so vor, dass es eben so ablaufen muss, wie wir hier Gespräche führen zwischen politischen Kontrahenten. Dieses Land stand sozusagen nahe vor einem Krieg. Wer hätte gedacht noch vor einer Woche, dass es überhaupt zu einer politischen Rahmenvereinbarung zwischen den Konfliktpartnern kommt? Das ist gelungen. Auf albanischer Seite wird gesagt, viele Dinge, für die wir lange gekämpft haben, das heißt für Minderheitenrechte, werden jetzt durch diese Vereinbarung gewährleistet. Deshalb können wir nur darauf setzen, dass diese Rahmenvereinbarung, diese Friedensvereinbarung, dass dies wirklich die Chance ist, die den Weg für den Frieden bereitet. Und es wird eine kleine Unterstützung sozusagen hier erwartet von der NATO - kein friedensschaffender Einsatz, keine militärische Lösung, sondern eine militärische Unterstützung eines politischen Prozesses. Frieden können nur die Konfliktparteien schaffen. Das muss man sich sehr genau überlegen, ob man da sagt: 'Was haben wir denn damit zu tun, sollen die doch ihr Zeug alleine machen'. Und wenn es dann zum Bürgerkrieg kommt, sind wir ein Stück verantwortlich dafür.
Capellan: Der deutsche Bundeskanzler zumindest stellt sich das so vor, dass man da 30 Tage hineingeht nach Mazedonien, die UCK entwaffnet und dann wieder draußen ist. Ist das realistisch?
Müller: Das ist auch wieder so eine Frage. Die NATO wird voraussichtlich 30 Tage beschließen. Ich stelle umgekehrt die Frage: Sollen denn wir als Deutsche hingehen und sagen: 'Da glauben wir sowieso nicht dran, wir machen jetzt hier ein anderes Mandat'. Ich halte da persönlich nicht viel von. Ich bin der Meinung, dass wir den Antrag des Bundestages eng anlehnen sollten an die Beschlusslage der NATO. Es soll ja auch politischer Druck auf die albanischen Rebellen ausgeübt werden, hier jetzt zügig die Waffen abzugeben. Sonst gibt man das Signal: Naja, die können sich ja sowieso von vornherein Zeit lassen.
Capellan: Aber möglicherweise müsste man das Mandat verlängern?
Müller: Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.
Capellan: Na ja, aber das wäre nicht ausgeschlossen? Wenn man nicht hinkommt mit der Zeit, dann müsste der Bundestag erneut entscheiden.
Müller: Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.
Capellan: Frau Müller, wenn nun bei Rot-Grün nicht einmal die Mehrheit zustande kommt, da ist es ja verständlich, dass der Kanzler nun auch nach Stimmen im Lager der Opposition sucht. Sollte er sich auf ein politisches Geschäft einlassen, so wie es Jürgen Rüttgers vor einer halben Stunde hier vorgeschlagen hat: Mehr Geld für die Bundeswehr, für den Verteidigungshaushalt - dann will die Union zustimmen. Ist das praktikabel?
Müller: Also, ich muss Ihnen sagen: Ich finde das völlig verantwortungslos, was da von Volker Rühe und der Union zur Zeit vertreten wird. Wir werden - das ist zugesichert von der Regierung - für diesen Einsatz das Notwendige und Erforderliche auf der Verteidigungsebene zur Verfügung stellen. Da wird sich keiner Sorge machen müssen. Das wird auch im übrigen gar nicht bezweifelt von Herrn Rühe. Das heißt, die Debatte um den Verteidigungsetat ist in gewisser Weise eine völlig sachfremde Debatte, rein innenpolitisch motiviert, reine Wahltaktik, und das halte ich außenpolitisch für völlig unverantwortlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Vernünftigen und die, die außenpolitische Verantwortung tragen in der Union, dass die sich hier auf diesen Kurs einschwören.
Capellan: Also, man sollte sich auf solche Geschäfte nicht einlassen.
Müller: Nein. Der Verteidigungsetat wird an anderer Stelle besprochen. Hier geht es um den Einsatz.
Capellan: O.k., Frau Müller, die Nachrichten drängen. Kerstin Müller war das, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Ich danke Ihnen, auf Wiederhören.
Müller: Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio