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McAllister über Schottland-Referendum
"Das ist eine sehr emotionale Debatte"

Der CDU-Europaabgeordnete David McAllister ist Sohn eines schottischen Vaters. Das bevorstehende Unabhängigkeitsreferendum habe in der schottischen Gesellschaft zu tiefen Rissen geführt, sagte McAllister im DLF. Egal wie die Abstimmung ausgehe: Nach dem 18. September sei es enorm wichtig, wieder Brücken zwischen den unterschiedlichen Lagern zu bauen.

David McAllister im Gespräch mit Annette Riedel | 14.09.2014
    David McAllister, CDU-Abgeordneter im Europäischen Parlament
    David McAllister, CDU-Abgeordneter im Europäischen Parlament (Bild: dpa / picture alliance)
    Riedel: Herr McAllister, Sie sind als Sohn eines schottischen Vaters sozusagen Halbschotte. Sie haben im Schottenrock geheiratet. Sie haben die doppelte Staatsbürgerschaft. Noch ist sie damit deutsch und britisch. Noch gehört Schottland zu Großbritannien. "Sind Sie der Ansicht, dass Schottland ein unabhängiges Land sein soll?" Das ist die Frage, die die Schotten in wenigen Tagen beantworten werden. Sind Sie dieser Meinung?
    McAllister: Diese Frage werden die Menschen in Schottland am 18. September in einem demokratischen Referendum entscheiden. Und das sollten wir dann auch respektieren – die Entscheidung in die eine, wie in die andere Richtung. Dieses Referendum ist das Ergebnis von langjährigen Verhandlungen zwischen der britischen Regierung in London und der schottischen Regionalregierung gewesen. Und man hat sich am Ende auf diese eine Frage verständigt und auf das Prozedere. Und wahlberechtigt, entscheidungsberechtigt sind die Menschen, die in Schottland leben und arbeiten ...
    Riedel: Ja, aber was ist Ihre persönliche Meinung dazu?
    McAllister: Ich habe eine persönliche Meinung dazu, aber die werde ich nicht öffentlich kundtun, weil ich deutscher Politiker bin und insofern der Auffassung bin, dass das ein Thema ist, was die Menschen in Schottland zu entscheiden haben. Und das sollte man als Nicht-Schotte beziehungsweise nicht-britischer Politiker auch zurückhaltend kommentieren.
    Riedel: Es ist ja offener, das Rennen, als man vor ein paar Wochen noch gedacht hätte. Wer hat denn eigentlich mit dieser Unabhängigkeit – wenn sie denn käme – mehr zu verlieren beziehungsweise zu gewinnen? Großbritannien, oder Rest-Großbritannien, wie es jetzt schon ein bisschen böse heißt, oder Schottland?
    "Tiefe Risse in der schottischen Gesellschaft"
    McAllister: Ich bin im August eine Woche in Schottland gewesen, ganz bewusst, um mir auch noch mal persönlich das Land anzuschauen, die Stimmung mitzubekommen. Und ich habe festgestellt, dass die Menschen in Schottland in dieser Frage hochpolitisiert sind. Das ist eine sehr emotionale Debatte. Und unabhängig vom Ausgang des Referendums wird eine wesentliche Aufgabe sein, nach dem 18. September wieder Brücken zwischen den unterschiedlichen Lagern zu bauen. Das sind zum Teil schon tiefe Risse in der schottischen Gesellschaft, die zu spüren sind. Das Vereinigte Königreich besteht seit über 300 Jahren, und Premierminister Cameron hat ja deutlich gemacht, welch tiefgreifender Einschnitt das wäre für eben das gesamte Königreich, wenn die Schotten nach 300 Jahren die Union wieder verlassen würden.
    Riedel: Auch für ihn persönlich im Übrigen. Das könnte ja schon an seinem politischen Schicksal ein kleiner Sargnagel sein?
    McAllister: In Schottland ist es ja so, dass die Schottische Nationalistische Partei und die Grünen und einige kleinere Linksparteien die Unabhängigkeit befürworten, während im Nein-Lager die Labour Party, die Liberalen und die Konservativen in dieser Frage sehr geschlossen und gemeinsam auftreten. Und das war schon ein besonderer symbolischer Akt, dass eben David Cameron, Nick Clegg und Ed Miliband gemeinsam nach Schottland gereist sind, um eben auch noch mal deutlich zu machen, wie wichtig überparteilich der Verbleib von Schottland im Vereinigten Königreich ist.
    Riedel: Noch mal, wer hat mehr zu verlieren oder zu gewinnen? Die Schotten haben traditionell eine politisch andere Ausrichtung, sie sind linker sozusagen, als der Rest von Großbritannien. Sie haben den größten Anteil der Ölfelder Großbritanniens. Sie haben etwas zu verlieren auf der Weltbühne – da haben sie wahrscheinlich nicht mehr so viel mitzureden. Großbritannien andererseits verliert ein Drittel seines Territoriums. Verliert es damit auch an Einfluss? Wer gewinnt und verliert, wenn es tatsächlich zu dieser Unabhängigkeit käme?
    McAllister: Sie haben die Argumente der beiden Seiten eben gut dargestellt. Auch ich könnte jetzt als Antwort nur die Argumente der Yes-Kampagne benennen und genauso die Argumente der No-Campaign. Ich möchte das politisch grundsätzlich nicht bewerten. Für die deutschen Zuhörer ist nur wichtig, das Thema, wie Schottland sein Verhältnis zum Vereinigten Königreich definiert, ist ein Thema, was die Menschen seit langem beschäftigt. Mir war schon lange klar, dass die grundsätzliche Frage, ob man im Vereinigten Königreich bleiben soll oder nicht, die kann eben nicht nur von den Politikern beantwortet werden, das müssen die Menschen selbst entscheiden.
    Riedel: Das hat aber auf alle Fälle Auswirkungen – unter Umständen auf ganz Europa. Wenn beispielsweise tatsächlich die Schotten aus dem Königreich austreten, dann fällt eine starke Fraktion weg, die sehr proeuropäisch ist. Die Schotten sind traditionell 'europäischer' als der Rest von Großbritannien. 2017 will der britische Premier Cameron über die Mitgliedschaft in der EU abstimmen lassen. Sind die Schotten nicht mehr dabei – immerhin über vier Millionen Wahlberechtigte –, dann fällt möglicherweise dieses Referendum eher antieuropäisch, also für einen Austritt Großbritanniens aus der EU aus.
    McAllister: Zunächst zum Referendum im ganzen Vereinigten Königreich: Hier muss man einfach jetzt mal abwarten, wie die Wahlen Anfang 2015 in Großbritannien ausgehen. Die Unterhauswahlen sind ja für den Mai angesetzt.
    Riedel: Da wählen die Schotten noch mit, also da kommt das linke Element, "proeuropäische Element" noch mit zum Tragen?
    "In Schottland ist die Stimmung proeuropäischer"
    McAllister: Ja, die Frage, ob bei einem "Ja" im Referendum die Schotten noch ein Parlament wählen können, was sie eigentlich dann bald auch wieder verlassen wollen, das ist auch noch mal ein abendfüllendes Programm. Gehen wir mal davon aus, dass es im Mai 2015 Unterhauswahlen in Großbritannien gibt und alle Briten mitmachen können, dann wird für den Fall, dass David Cameron wieder eine politische Mehrheit im Unterhaus gewinnt, in der ersten Hälfte der Wahlperiode ein Referendum stattfinden. Also spätestens bis Ende 2017 will er die Briten entscheiden lassen, ob UK in der Europäischen Union bleibt oder nicht. Und er will das machen auf der Basis eines Fresh Deals, also er will die Beziehungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union auf eine ganz neue Grundlage stellen. Dafür brauchen wir jetzt erst mal konkrete Vorschläge. Und solange diese britischen Vorschläge nicht konkret gemacht worden sind, kann man sie auch schwierig im Detail beurteilen. Davon unabhängig: Ja, in Schottland ist die Stimmung proeuropäischer, als beispielsweise im Süden Englands. Die Zustimmungswerte für die europäische Einigung generell und für die Europäische Union sind höher. Ich kenne Umfragen, wo ungefähr zwei Drittel der Schotten sagen, dass es eine gute Sache ist, dass ihre Heimat Mitglied der Europäischen Union ist.
    Riedel: Und trotzdem könnte es zu der paradoxen Situation kommen, im Fall der Unabhängigkeit. Und wir können schon, denke ich, darüber spekulieren, denn es steht im Moment ja wirklich fifty-fifty. Also es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass es dazu kommt, wie es eine Zeitlang schien. Und in diesem Falle müssten unter Umständen die Schotten ihre Mitgliedschaft mit der EU neu verhandeln – sagen die Einen. Die Anderen sagen, man kann auch die europäischen Verträge so ändern, dass Schottland sozusagen unter den britischen Bedingungen die Mitgliedschaft erhalten bleibt.
    McAllister: Ich bin mir ziemlich sicher, dass es am 18. September eine sehr hohe Wahlbeteiligung in Schottland geben wird und es wird knapp – in die eine, wie in die andere Richtung – ausgehen. Das zeichnet sich tatsächlich ab. Die Frage, ob und wie im Falle eines Sieges der Yes-Kampagne das Verhältnis von Schottland zur Europäischen Union definiert wird, das ist eine sehr komplizierte Frage. Die schottische Regierung hat einen sehr ambitionierten Zeitplan vorgelegt, man wolle bis März 2016 endgültig die Loslösung vom Vereinigten Königreich unter Dach und Fach haben. Und die Frage ist dann: Ist Schottland automatisch Mitglied der Europäischen Union? Muss Schottland einen neuen ...
    Riedel: ... Genau diese Frage – wie beantworten Sie sie?
    McAllister: Dazu gibt es in den Europäischen Verträgen wenig konkrete Auskunft. Wir betreten hier im wahrsten Sinne des Wortes europapolitisches Neuland. Und deshalb sind die bisherigen Aussagen zu diesem Thema auch hier in Brüssel sehr zurückhaltend gewesen. Die prominenteste Stellungnahme war der Brief von Barroso 2012, wo er einmal mitgeteilt hat, dass Schottland im Falle eines Austritts aus dem Vereinten Königreich, eben nach seiner Auffassung, auch aus der Europäischen Union ausgetreten wäre und müsste dann einen neuen Antrag stellen. Und da ist dann wiederum die Frage: Würde ein unabhängiges Schottland dann behandelt werden wie andere Länder, etwa auf dem Balkan? Also müsste man sich hinten anstellen oder könnte Schottland sehr schnell "Aufnahmeverhandlungen" führen? Ich meine, in Schottland gilt ja gegenwärtig das gesamte Europäische Gemeinschaftsrecht. Ich glaube nicht, dass so viel verändert werden müsste. Aber, wie gesagt, das sind alles sehr spannende europa- und völkerrechtliche Fragen. Aber weil sie eben so unklar sind, sind sie auch politisch so brisant. Und deshalb kann ich nachvollziehen, dass man sich in Brüssel, zumindest bis zum 18. September, bei diesem Thema sehr zurückhält. Das tue ich ja auch.
    David McAllister, geboren 1971 in West-Berlin.
    Bis 1996 studierte der CDU-Politiker Rechtswissenschaften in Hannover. 1998 legte er das zweite Staatsexamen ab und wurde Rechtsanwalt.
    Von August 2002 bis August 2003 war David McAllister Generalsekretär der CDU in Niedersachsen. Sechs Jahre später wurde er Vorsitzender der Landes-CDU. Am 1. Juli 2010 wurde McAllister zum Ministerpräsidenten Niedersachsens gewählt. Seit dem 1. Juli 2014 ist er Abgeordneter des Europäischen Parlaments.
    McAllister ist Sohn eines schottischen Vaters und besitzt neben der deutschen auch die britische Staatsbürgerschaft.
    (Quelle: Wikipedia )
    Riedel: Das gäbe sonst Argumentationshilfe natürlich für die eine oder andere Seite. Ist es einfach, in der EU zu bleiben, würde das diejenigen befeuern, die sagen: Schottland kann ganz problemlos unabhängig sein. Wäre es schwierig und langwierig und es gäbe jahrelange Verhandlungen und "Was sagen die Kapitalmärkte dazu und die Investoren und so?" – dann wäre das eher ein Argument gegen die Unabhängigkeit.
    McAllister: So, und weil die Stimmung jetzt eben so aufgeheizt ist in Schottland, ist auch verständlich, dass alle Beteiligten außerhalb des Vereinigten Königreichs sich jetzt mit öffentlichen Kommentaren zurückhalten. Und dazu zählt auch der deutsche Europaabgeordnete David McAllister.
    Riedel: Aber was sagt der deutsche Europaabgeordnete McAllister zu der Frage, dass viele ja befürchten – das ist ein legitimer, demokratischer Prozess, man muss die Ergebnisse akzeptieren und so weiter –, aber er könnte auch so etwas wie eine Art 'Domino-Argumentation' auslösen? Denn es gibt anderswo in Europa Regionen – die Katalanen beispielsweise oder auch Südtirol, die Flamen hier in Belgien –, die durchaus Ähnliches anstreben. Und die könnten natürlich 'Munition' bekommen sozusagen?
    McAllister: Jeder Sachverhalt muss sehr differenziert und einzeln betrachtet werden. Zum Beispiel gibt es einen großen Unterschied zwischen dem Referendum in Schottland, jetzt im September, und dem geplanten Referendum in Katalonien, einige Wochen später. Das schottische Referendum ist das Ergebnis einer einvernehmlichen Entscheidung der Londoner Zentralregierung und der schottischen Regionalregierung. Während das Referendum in Katalonien von der Madrider Zentralregierung nicht akzeptiert wird und von daher aus spanischer Regierungssicht auch keine politische oder rechtliche Bindung hat.
    Riedel: Sie hören den Deutschlandfunk mit dem Interview der Woche. Heute mit dem Europaabgeordneten und ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten, David McAllister, von der CDU. Herr McAllister, Sie haben zu Beginn der Legislaturperiode das politische Spielfeld gewechselt. Als ehemaliger Ministerpräsident Niedersachsens waren Sie 'Meister der Regionalpolitik' und jetzt sind Sie Lehrling – wie Sie selbst sagen – in der europäischen Politik – fast eine Art Hinterbänkler. Wohin trägt es Sie? Wohin zieht es Sie nach der 'Lehrzeit'?
    McAllister: Ich war voller Leidenschaft und unheimlich gerne niedersächsischer Ministerpräsident. Ich gebe auch zu, dass ich das gerne geblieben wäre. Aber die Wahl ist in Niedersachsen damals so ausgegangen, wie sie ausgegangen ist. Und ich habe mich ganz bewusst für eine neue parlamentarische Herausforderung in Brüssel und Straßburg entschieden.
    Riedel: Aber Landesvorsitzender in Niedersachsen wollen Sie bleiben?
    McAllister: Wir hatten CDU-Landesparteitag, und ich habe mich gefreut über die schöne Bestätigung der Delegierten. Niedersachsen und Europa gehören zusammen. Und ich bleibe der niedersächsischen Politik als Landesvorsitzender verbunden. Aber meine parlamentarische Zukunft, die sehe ich eben im europäischen Bereich. Ich finde es unheimlich spannend, in einem Parlament tätig zu sein, mit 751 Abgeordneten aus 28 Ländern und 24 Sprachen. Ich finde die sachbezogenen Debatten und Diskussionen, sowohl im Ausschuss, wie im Plenum sehr angenehm. Ich habe mich ganz bewusst für eine Tätigkeit im Auswärtigen Ausschuss entschieden, und ich freue mich, dann ab dem 1. Oktober zusätzlich den Vorsitz der USA-Delegation im Europäischen Parlament wahrnehmen zu dürfen.
    Riedel: Und Sie sind ja auch in der Delegation für die Beziehungen zur NATO. Also das scheint wirklich so ein bisschen unter dem Motto zu sein: 'So un-regional und so un-national, wie es nur irgend geht, jetzt arbeiten zu wollen'?
    McAllister: Ich bin deutscher Politiker, und natürlich habe ich auch die Aufgabe, deutsche – und in meinem Fall niedersächsische – Interessen in Brüssel zu vertreten und durchzusetzen. Aber ich habe mich ganz bewusst für eine internationale Tätigkeit im Parlament entschieden. Und vielleicht habe ich jetzt auch nach vielen, vielen Jahren und Jahrzehnten die Gelegenheit, mal meine Zweisprachigkeit auch beruflich, politisch zu verwenden. Das war als Bürgermeister von Bad Bederkesa und Ministerpräsident in Niedersachsen nicht so häufig der Fall.
    Riedel: NATO. Das gehört, wie gesagt, zu Ihren neuen Aufgaben im Europäischen Parlament. Was halten Sie von den Beschlüssen der NATO vor zehn Tagen in Wales, was die verstärkte Ostpräsenz angehen wird und auch was die Reaktionsfähigkeit, die erhöhte Reaktionsfähigkeit – wenn man so will, die Aufrüstung – angeht, als Reaktion auf die Vorkommnisse in der Ukraine?
    McAllister: Der NATO-Gipfel in Wales war einer der wichtigsten NATO-Gipfel in den letzten Jahren und Jahrzehnten und mit ganz konkreten Ergebnissen. Die NATO ist wieder da. Ich glaube, wir werden in den nächsten Jahren auch eine weitere Renaissance der Bedeutung der NATO erleben, aufgrund der besorgniserregenden Ereignisse an den Grenzen des NATO-Bündnisgebietes. Den Begriff "Aufrüstung" würde ich nicht wählen. Ich glaube, es ist ...
    Riedel: ... Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft – nennen wir es so.
    McAllister: Ja, das klingt schon viel freundlicher. Ja, in der Tat, die NATO hat ein Signal ausgesandt. Es gibt Mitgliedstaaten der NATO, die um Unterstützung gebeten haben, weil sie sich eben in Ihrer Sicherheit bedroht fühlen. Und das ist eben auch die Aufgabe der NATO, dass man sich gegenseitig Unterstützung garantiert. Wichtig ist, dass die Diplomatie im Mittelpunkt steht, dass auf allen Ebenen, auch auf der Ebene der NATO, immer wieder auch politische Signale an Russland ausgesandt werden. Aber klar ist, es gibt die tief sitzende Sorge – nicht nur bei den Balten, auch bei anderen Ländern in Osteuropa –, dass das, was in der Ukraine passiert ist und nach wie vor passiert, möglicherweise Schule machen könnte. Und deshalb wird im Rahmen dessen, was international zulässig ist, jetzt die Zeit, die man braucht, um zusätzliche Truppen bereitzustellen, eben angemessen beschleunigt. Ich finde die Beschlüsse sehr richtig.
    Riedel: Aber das, was "Schule machen" könnte, wäre ja nicht eine völkerrechtliche Invasion von Russland in eines der baltischen Ländern, sondern mit einer ähnlichen Strategie der Destabilisierung rein zu gehen. Darauf hat doch aber nicht die NATO die Antworten zu finden.
    McAllister: Wir sehen uns eben mit ganz neuen Formen militärischer Interventionen konfrontiert. Die klassische Invasion: Land A fällt in Land B ein, ist ja in der Krim in dieser Form nicht angewandt worden, sondern man fängt an, indem man nationale Minderheiten zu Wort kommen lässt, dass es dort Forderungen gibt nach Unterstützung von russischer Seite. Dann kommen erst nicht-uniformierte Kräfte ins Land, dann kommen uniformierte Kräfte ins Land, und dann werden vollendete Tatsachen geschaffen.
    Riedel: Aber alles unterhalb der Schwelle, wo der Verteidigungsfall nach Artikel 5 der NATO eintritt.
    McAllister: Ja, und eben aber auch deutlich zu machen, dass das, was im östlichen Teil der Ukraine passiert und was auf der Krim passiert ist, dass dieses unter keinen Umständen passieren darf bei einem der anderen osteuropäischen Länder, die eben auch eine russische Minderheit haben. Dass es dafür ein klares Signal der NATO gibt – ich finde, das ist angemessen und damit unterstreicht die NATO, auch die Souveränität und die Integrität von anderen Staaten muss von allen Seiten beachtet werden – auch von Russland.
    Riedel: Ist es richtig, dass einzelne NATO-Länder, nicht die NATO als Ganzes, aber einzelne NATO-Länder, der Ukraine Waffen liefern wollen?
    McAllister: Für Deutschland ist das kein Thema. Andere Länder sehen das anders. Ich glaube, die Fernsehbilder zeigen, dass es keinen Mangel an Waffen in der Ukraine gibt. Aber bei Fragen der Rüstungsexporte wird es, glaube ich aus meiner Sicht, nie eine einheitliche Position aller europäischen Staaten beziehungsweise der NATO-Mitglieder geben. Das muss jedes Land für sich selbst entscheiden. Die deutsche Position dazu ist aber klar.
    Sanktionen als einziges Mittel
    Riedel: Was das Timing und die Kalibrierung von Sanktionen angeht, die die EU verhängt hat gegen Russland: Zu zögerlich, zu forsch? Wenigstens – Gott sei Dank – einheitlich? Oder wie würden Sie es bewerten?
    McAllister: Sanktionen sind letztlich das einzige Mittel, was wir zur Verfügung haben. Sowohl die NATO, wie die Europäische Union wollen ja, dass diese Krise friedlich gelöst wird. Und ein militärischer Einsatz ist eben undenkbar und ist keine Alternative. Also bleiben nur die Sanktionen. Und auch dort, finde ich, ist der Westen differenziert vorgegangen, dass man Sanktionen Schritt für Schritt weiter erhöht in der Hoffnung, dass die Sanktionen auch ein Umkehrdenken in Moskau hervorbringen. Und nun soll die nächste Stufe der Sanktionen eingeleitet werden. Nicht alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union ziehen da an einem Strang – leider.
    Riedel: In der Straßburg-Woche soll über das Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union im Parlament abgestimmt werden, und zwar zeitgleich zu einer analogen Abstimmung in Kiew im Parlament. Hübsches Signal, kann man sagen. Man kann genauso gut aber auch sagen: Macht es Sinn, mit einem Parlament, was noch dazu in wenigen Monaten sich wegen Neuwahlen auflösen wird, über diesen Assoziierungsvertrag jetzt abzustimmen?
    McAllister: Die Ukraine ist ein souveränes Land. Und die Ukraine soll selbst entscheiden, wie sie ihr Verhältnis zur Europäischen Union und zu Russland gestaltet. Und natürlich hat die Ukraine auch eine Brückenfunktion zwischen der EU auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite. Das war immer die Politik der Ukraine. Und es war Russland, das der Ukraine Schaden zugefügt hat, nicht umgekehrt. Die ukrainische Politik hat sich für dieses Assoziierungsabkommen mit der EU mit breiter Mehrheit entschieden. Und wir halten als Europäer dieses Assoziierungsabkommen auch für eine gute Grundlage, damit wir gut zusammenarbeiten und insbesondere Wirtschaft und Handel miteinander betreiben. Der Auswärtige Ausschuss des Europäischen Parlaments hat diese Woche mit breiter Mehrheit entschieden, dass in einem Schnellverfahren das Assoziierungsabkommen verhandelt werden soll. Und das Argument, dass das ukrainische Parlament ja nur noch wenige Wochen und Monate bis zur nächsten Wahl im Amt ist, das darf man nicht zur Grundlage nehmen. Dann könnte man ja bei jedem anderen Parlament auch immer sagen, dass man jetzt nichts mehr entscheiden darf. Weil das ja das Schöne an der Demokratie ist: Wahlen finden regelmäßig statt und dadurch auch überall.
    Riedel: Aber es gab Diskussionen im Auswärtigen Ausschuss.
    McAllister: Natürlich gab es zu diesem Thema Diskussionen. Aber wir haben uns in dieser Debatte als Parlament entschieden. Und wir bitten darum, dass möglichst alle nationalen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union eben auch jetzt diesem Prozess zustimmen. Es ist ein wichtiges Signal, dass die Europäer klar machen: Wir lassen die Ukraine und die Ukrainer in dieser schwierigen Situation nicht allein! Und es ist auch in unserem gegenseitigen wirtschaftlichen Interesse.
    Riedel: Herr McAllister, seit Mitte der Woche steht die neue EU-Kommission. Jean-Claude Juncker hat sie vorgestellt. Was halten Sie, jetzt gar nicht von Einzelpersonen, sondern von der neuen Struktur? Also dass man die Arbeit der EU-Kommission bündeln wird, entlang gewisser thematischer Schwerpunkte?
    McAllister: Ich finde, die neue Struktur gut. Das war übrigens auch eine Forderung der CDU im Europawahlkampf.
    Riedel: Nicht nur der CDU.
    "Eine ausgewogene Mischung von Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen"
    McAllister: Aber es war eben auch eine Forderung der CDU. Wir haben das klar gesagt in unserem Wahlprogramm: Wir wünschen uns eine effizientere Struktur der Kommission. Wir haben in unserem Wahlprogramm auch gesagt, dass wir uns neben dem Kommissionspräsidenten Vizepräsidenten vorstellen können, die mehrere Portfolios bündeln. Und genau das wird jetzt umgesetzt. Und ich hoffe, dass diese neue Struktur dazu beitragen kann, dass man sich tatsächlich in der Kommission auf die wesentlichen Aufgaben konzentriert, dass effektiv gearbeitet wird und dass eben auch ein Beitrag aktiv geleistet wird, um die Regulierungswut einzudämmen. Und ich finde, dass der Jean-Claude Juncker sich gute Gedanken gemacht hat. Er hat eine ausgewogene Mischung von Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen gefunden. Die 28 Mitgliedsstaaten mussten ja alle berücksichtigt werden. Klar ist, das Europäische Parlament ist sehr selbstbewusst. Und das Europäische Parlament hat nicht nur beim Kommissionspräsidenten das letzte Entscheidungsrecht durch die Wahl gehabt, sondern das Europäische Parlament hat eben auch das Recht und die Möglichkeit, die Kommission abzulehnen oder zu bestätigen. Und das hängt jetzt davon ab, wie sich die ganzen Kommissare präsentieren. Ich freue mich in meinem Ausschuss auf die Anhörung von Frau Mogherini und Herrn Hahn.
    Riedel: Wenn man sich das anguckt, das neue Team von Jean-Claude Juncker, vor allen Dingen, was die Vizepräsidenten angeht, dann fällt auf, dass er besonders stark die neuen EU-Länder berücksichtigt hat und die relativ wenigen Frauen, die es geben wird – aber immerhin sind es nicht weniger – neun –, als in der auslaufenden Kommission. Das heißt aber auch, dass der eine oder andere einen Preis dafür zahlen musste – möglicherweise Deutschland mit Günther Oettinger, der vielleicht nicht in der zweiten Reihe ist, aber auch nicht mit seinem Posten, wo es um Digitale Wirtschaft und Gesellschaft gehen wird, ganz vorne?
    McAllister: Also ich finde es gut, dass kleine wie große Länder gleich behandelt werden. Und es war übrigens auch Jean-Claude Junckers Einsatz, dem wir es zu verdanken haben, dass wir wenigstens neun Frauen in der Kommission haben. Wenn Juncker nicht so klar und präzise einen angemessenen Frauenanteil eingefordert hätte, dann hätten wir noch weniger Frauen gehabt, und das wäre kein gutes Signal gewesen. Zur Struktur selbst: Man muss natürlich jetzt schauen, wie das in der Praxis funktioniert. Das Verhältnis zwischen den Vizepräsidenten der Kommission, die die Aufgaben bündeln sollen, und den einzelnen Fachkommissaren. Ich finde, Günther Oettinger hat ein hochinteressantes Portfolio. Die Zukunft gehört der digitalen Wirtschaft. Der digitale Binnenmarkt ist ein Riesen-Thema in den nächsten Jahren in der Europäischen Union. Und ich glaube, dass Günther Oettinger da ein wirklich interessantes Portfolio hat, wo er auch Akzente setzen kann. Also ich finde, aus deutscher Sicht können wir damit sehr zufrieden sein.
    Riedel: Aus deutscher Sicht problematische Kandidaten?
    McAllister: Wir werden die Anhörungen der einzelnen Kommissare abwarten müssen in den Ausschüssen.
    Riedel: Ja, aber wenn Sie die Namen sehen, dann blinkt doch vielleicht das eine oder andere Alarmlämpchen auf?
    "Am Stabilitäts- und Wachstumspakt darf nicht gerüttelt werden"
    McAllister: Ja gut, es ist allgemein bekannt, es gibt in der deutschen CDU/CSU-Gruppe Vorbehalte gegen Herrn Moscovici. Herr Moscovici stand in seiner Zeit in Frankreich eben nicht unbedingt für eine Politik, die für stabile Finanzen und Haushaltskonsolidierung stand. Und da werden wir natürlich jetzt genau schauen müssen, dass der zuständige Kommissar ganz klar zum Ausdruck bringt: Am Stabilitäts- und Wachstumspakt darf nicht gerüttelt werden. Deshalb wird Herr Moscovici sicherlich in seiner Befragung viele kritische Nachfragen von Abgeordneten aus der EVP-Fraktion bekommen. Aber es liegt ja an ihm, durch klare Aussagen dann auch diese Bedenken zu zerstreuen. Und ich bin mir ganz sicher, dass er auch weiß, dass er jetzt in seiner neuen Funktion eben auch eine besondere Verantwortung haben wird.
    Riedel: Und der Name Jonathan Hill kommt Ihnen jetzt nicht über die Lippen? Also das wird der neue für den Finanzmarkt und die Kapitalmärkte und die Regulierung derselben zuständige britische EU-Kommissar sein. Von dem man weiß, dass er den Banken, sagen wir so, nicht gerade kritisch gegenüber steht, sondern durchaus geneigt. Manche sagen, er ist ein Banken-Lobbyist. Aber mit dem haben Sie kein Problem?
    McAllister: Wer in Großbritannien Politik macht, wird automatisch auch immer mit politischen Fragen rund um den Bankenstandort in London zu tun haben. Ich habe mich bei der Kritik an Jonathan Hill deshalb gewundert, weil, bevor überhaupt die Anhörungen stattgefunden haben, sagen einzelne Vertreter der Fraktionen – in diesem Fall insbesondere der Grünen-Fraktion – von vorneherein, dass sie diesen Menschen für problematisch halten, dass sie ihn ablehnen. Also, nun warten wir doch erst mal ab, wie er sich präsentiert. Ich weiß, dass er in seinem Lebenslauf eine gewisse Nähe offensichtlich zu diesen Fragen hat, aber erst mal ist die Kommission ja auch ein Kollegialorgan. Also insofern werden ja auch alle Entscheidungen gemeinsam vertreten. Und ich gehe immer davon aus, dass wenn jemand aus der nationalen Politik nach Brüssel wechselt, in die Kommission, dass er dann auch weiß, dass er europäische Interessen zu vertreten hat und nicht nationalstaatliche.
    Riedel: Nur, nach dem gleichen Maßstab müsste man dann auch Herrn Moscovici beurteilen. Und vielleicht ist es Junckers unglaublich kluge Idee, dass er Böcke zu Gärtnern gemacht hat, in der Hoffnung, dass diese Böcke dann wirklich auch zu Gärtnern werden?
    McAllister: So habe ich auch meine Einlassung zu Moscovici gemeint. Auch hier würde ich sagen: Warten wir doch erst mal ab, was er konkret in den Anhörungen von sich gibt. Es haben ja alle Zeit, sich jetzt gründlich und sorgfältig auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten.
    Riedel: Herr McAllister, vielen Dank für das Gespräch.
    McAllister: Gerne, war mir eine Freude.