Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

McKenzie Wark: "Molekulares Rot"
Mit Marx zum Mars

Wie kann man grüne Ökologie und marxistische "rote" Ökonomie wieder in Einklang bringen? Auf diese Frage sucht der Medienwissenschaftler McKenzie Wark eine Antwort in utopischen Romanen des 20. und 21. Jahrhunderts.

Von Manfred Schneider | 03.08.2017
    Der Planet Mars, aufgenommen mit dem Hubble-Teleskop
    Utopische Mars-Romane dienen als Sprungbrett für Warks Überlegungen. Hier der Planet Mars, aufgenommen mit dem Hubble-Teleskop. (NASA/ESA)
    Präsident Trumps Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen ist eine gute Einstimmung für das Buch des marxistischen Ökologen McKenzie Wark. Der an der New York School of Social Research lehrende Medienwissenschaftler hat eine "Theorie für das Anthropozän" mit dem Titel "Molekulares Rot" vorgelegt. Vor fünfzig Jahren färbten linke Studenten die romantische blaue Blume rot; Wark will gegen Treibhausgase und Erderwärmung rote Moleküle mobilisieren. Die ökologische Katastrophe ist Folge des "metabolischen Bruchs". Das ist die Epoche der Industrialisierung, wo wir den molekularen Reichtum der Erde ausbeuten, ihr aber außer Abfällen nichts mehr zurückgeben.
    Wark möchte den Marxismus erneuern, indem er den Blick nicht auf die großen Feinde, das Kapital oder die Ausbeuter, richtet, sondern auf die im übertragenen Sinne molekularen Kräfte: auf Arbeit und Organisation und auf die Sprache. Mit Recht betont er, dass unsere Erfahrung mit der Natur zunächst organisierter Arbeit entspringt. Einst bestimmten Bauern, Handwerker und Seefahrer unsere Beziehung zur Erde, heute sind es Ingenieure und Wissenschaftler. Und über die Zukunft klären uns keine Philosophen mehr auf, sondern Science-Fiction-Autoren.
    Zurück in die Zukunft
    Daher schlägt Wark utopische Romane des 20. und 21. Jahrhunderts auf. Vier Autoren versetzt er in ein imaginäres Gespräch miteinander: die beiden russischen Schriftsteller Alexander Bogdanow und Andrej Platonow mit der amerikanischen Cyborg-Denkerin Donna Haraway und dem Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson. Er begründet diese Konstellation mit der Prognose, dass der Kollaps des Sowjetsystems 1989 nur ein Vorspiel für den Zusammenbruch des amerikanischen Systems war.
    In gewisser Hinsicht ist der 1908 erschienene utopische Mars-Romans "Der rote Planet" von Alexander Bogdanow auch ein Vorspiel zu Stanley Robinsons drei Marsromanen aus den Jahren 1993 bis 1996. Denn zu den Pionieren, die in Robinsons Roman im Jahr 2026 zur Besiedelung des Mars starten, zählt auch eine Figur namens Bogdanow. Wie in allen Marsgeschichten werden auf dem fernen Planeten irdische Probleme abgehandelt. Dass sich Robinsons Romanhelden mit den Folgen des Klimawandels herumschlagen müssen, ist nicht verwunderlich; wohl aber dass Bogdanow diese Problematik bereits um 1908 beschrieb. In seinem Roman müssen die Marsianer eine Revolution anzetteln, um die ökologischen Folgen der rein kapitalistischen Mars-Ausbeutung zu lindern.
    Warks begründet seine Wendung zur Science-Fiction-Literatur damit, dass wir unsere Beziehung zu den Dingen sprachlich neu fassen müssen. Unsere Begriffe und Theorien entsprechen nicht mehr unserer Erfahrung. Andrej Platonows 1930 erschienener Roman "Die Baugrube" erzählt, wie das falsche Sprechen der Parteioberen eine ganze Gesellschaft scheitern lässt. Platonows Arbeiter sollen ein "gemeinproletarisches Haus" errichten, aber ideologische Kunstwörter und Sätze geleiten sie ins Verderben.
    So ist auch eine Metapher wie "Mutter Erde" jenseits moderner Erfahrung. Den Planeten, dem wir mit immer raffiniertere Technik zu Leibe rücken, um seine Schätze zu sichern, müssen wir umbenennen. Aber auch uns selbst: Als Maschinenwesen sind wir, mit Donna Haraways berühmtem Cyborg-Manifest zu sprechen, keine Menschen mehr, sondern biotechnisch hochgerüstete Transhumane, die mit Tieren und Maschinen eine neue Spezies bilden.
    Anknüpfen an frühe Sowjet-Literatur
    Platonow, der auch Kindergeschichten über Weizenkörner und Schießpulverkrümel schrieb, und Bogdanow sind aber nicht nur literarische Gewährsleute für Warks molekularen Marxismus; beide waren als Theoretiker und Praktiker an den Umwälzungen in der frühen Sowjetunion aktiv beteiligt, und beide sind gescheitert. Was wäre, wenn Bogdanows Gedanken zum Zusammenhang von Biosphäre und menschlicher Arbeit nach 1917 die Politik der KPdSU angeleitet hätten? Oder wenn der Ingenieur Platonow nicht 1926 aus dem Zentralkomitee in die Provinz versetzt worden wäre? Jedenfalls meint Wark, dass wir heute an beide anknüpfen könnten.
    Gerne möchte man den Perspektivwechsel mitmachen und Warkzist werden, aber es bleiben leise Zweifel, ob wir mit neuen Metaphern und Begriffen aus der Literatur und Theorie auch die großen Spieler an den Börsen und in den globalen Unternehmen zum Umdenken bringen werden.
    Warks Überlegungen und auch die Dialoge, die er zwischen vielen Autoren herstellt, sind sehr anregend. Allerdings ist sein Buch nicht sehr konzentriert angelegt. Es mäandert oft in ausschweifenden Kommentaren durch die Romane und durch das Theoriegeplänkel der amerikanischen Akademia und nährt die Vermutung, dass auch auf dem Weltmeer der Gedanken allerlei Plastikteile herumschwimmen. Aber vermutlich gibt es keine Alternative zur Notwendigkeit, uns in Warks Sinn mit den roten Molekülen zu solidarisieren.