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Meat Loaf
"Es gibt 20-Jährige, die nicht mit mir mithalten können"

Wenn man die Sache nicht als wahr und ernst angehe, nähmen es auch die Leute nicht ernst, sagte der Musiker Meat Loaf im DLF. Er sei echt und eindringlich, wenn er eine Figur für einen Song erschaffe, auch wenn in Wirklichkeit niemand so reden würde. Heute erscheint sein zwölftes Album - sein bisher bestes - wie Meat Loaf im Corso-Gespräch erzählt.

Meat Loaf im Corso-Gespräch mit Bernd Lechler | 08.09.2016
    Der Musiker Meat Loaf
    Der Musiker Meat Loaf. Theatralische Rockmusik ist sein Markenzeichen. (picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Bernd Lechler: Meat Loaf, Ihr Album beginnt mit "Who Needs The Young" - "Wer braucht schon die Jugend?" Geschrieben hat den Song Jim Steinman mit 19, aber wenn Sie ihn nun 50 Jahre später singen, ist das natürlich eine ganz andere Ansage. Wie ist sie zu verstehen?
    Meat Loaf: Ich nehme Jimmys Songs und erfinde Charaktere dafür. Diesen Song hat er damals als ziemlich zorniger 19-Jähriger geschrieben, da war die Rolle leicht zu entwickeln. Ich habe ihn auf einen College-Campus versetzt. Warum der Junge so wütend ist, werde ich Ihnen nicht verraten - ich weiß es.
    Lechler: Musikalisch klingt der Song mindestens genauso nach Kurt Weill wie nach Rock’n’Roll. Ist das auch ein Statement, gleich zu Beginn des Albums?
    Meat Loaf: Auf jeden Fall. Da fangen wir mit einem Southern-Blues-Riff an und wechseln dann in diesen Cabaret-Dreivierteltakt. Dadurch wirkt der Zorn des Helden umso dramatischer.
    "Wenn ich für einen Song eine Figur erschaffe, dann ist das echt"
    Lechler: Den meisten Rocksängern dürfte es seit jeher darum gehen, sich selbst auszudrücken. Sie dagegen haben sich immer eher als Darsteller empfunden, oder?
    Meat Loaf: Wissen Sie, das ist Unsinn. Genauso könnten Sie sagen, dass Marlon Brando in "Endstation Sehnsucht" nicht wahrhaftig war, oder DeNiro in "Taxi Driver". Als könnte man nicht sich selbst ausdrücken, nur weil man die Songs nicht selbst schreibt. Wenn ich für einen Song eine Figur erschaffe, dann ist das echt - solange ich die Wahrheit dieser Figur vermittle und ganz in diesem Moment bin. Manchmal hört man einen Schauspieler im Fernsehen sagen: "Oh, in diesem Film kann ich mich gar nicht ertragen." Dann heißt das, er hat sich selbst gespielt. Ich kann mir jeden meiner Filme problemlos anschauen - weil ich selbst da gar nicht vorkomme. Und doch ist es die Wahrheit.
    Lechler: Steckt in Ihrer Musik auch Ironie?
    Meat Loaf: Natürlich, das ist viel Humor drin! Jim Steinman sagt: Du musst "over the top", über die Grenze gehen, sonst siehst du nie, was auf der anderen Seite ist.
    "Ich muss ganz in seiner Wahrheit bleiben"
    Lechler: Sie verkörpern das alles trotzdem mit großer Ernsthaftigkeit.
    Meat Loaf: Klar! Wenn man es nicht als wahr und ernst angeht, nehmen es auch die Leute nicht ernst. Dann wird es Comedy. Der Junge in "Bat Out Of Hell" singt: "Ich sterbe am Grund einer Grube in der grellen Sonne" und will, dass das Mädchen mit ihm geht. Ich meine, das ist doch dämlich. Trotzdem darf ich das auf der Bühne nicht zeigen. Sondern ich muss ganz in seiner Wahrheit bleiben, es muss echt und eindringlich sein. Auch wenn in Wirklichkeit niemand so etwas sagen würde.
    Lechler: Wenn nun jemand sagen würde: Ihr Genre, mit der ganzen überzeichneten Theatralik, das ist Trash. Würden Sie sagen: Stimmt, das ist ja der Spaß daran? Oder würden Sie sagen: Der hat es nicht kapiert?
    Meat Loaf: Ich würde sagen, er versteht es nicht und probiert es nicht mal. Er ist zu faul.
    Lechler: Ich meine, Sie sind heute geradezu eine Ikone, aber war es bis dahin ein ständiger Kampf darum, ernst genommen zu werden?
    Meat Loaf: Das ist es heute noch genauso.
    "Die Leute denken, man wäre Peter Pan und würde nicht altern"
    Lechler: Was erleben Sie oder bekommen Sie zu hören, dass Sie das denken?
    Meat Loaf: Das weiß ich einfach. Es ist ja schon wieder interessant, dass Leute bei diesem Album mosern: Wieso singt er denn so tief?! Denkt doch mal nach! Wenn ich zwei Sängerinnen habe, die in diesem Song beide sehr hoch singen - wo soll ich hin? Dann nehme ich doch nicht auch die hohe Oktave, das wär doch dumm! Ach, und sie verstehen einfach nichts von Dramatik.
    Lechler: Aber von allen Musikern sind die Sänger ja schon am verletzlichsten, was Krankheit und eben auch das Älterwerden betrifft. Finden Sie das belastend, immer in Form bleiben zu müssen?
    Meat Loaf: Nein. Es ist nur so: Die Leute besitzen alle eine Platte und denken, man wäre Peter Pan und würde nicht altern. Sie kommen ins Konzert, und wenn man dann nicht mehr der Typ von 1979 ist, gefällt es ihnen nicht. Aber ich kann nichts dagegen tun. Und die Leute auch nicht. Trotzdem gehe ich in meinem Alter auf die Bühne - und es gibt 20-Jährige, die nicht mit mir mithalten können!
    Lechler: Welche Bühnenerlebnisse sind es denn, die Sie weitermachen lassen? Sie könnten sich ja zur Ruhe setzen, sie haben auch schon laut drüber nachgedacht. Aber noch gefällt es Ihnen.
    Meat Loaf: Wenn es eine gute Show ist, dann ja. Wenn ich aus der Rolle falle oder heiser bin oder etwas nicht hinkriege, was ich im Kopf habe, dann nicht.
    "Trotz Grippe auf die Bühne gegangen"
    Lechler: Merkt das Publikum das?
    Meat Leaf: Weiß ich nicht. Aber ich merke es.
    Lechler: Wir haben uns Sorgen gemacht, als Sie im Juni auf der Bühne zusammengeklappt sind...
    Meat Loaf: Ach Gott, was darum für ein Wirbel gemacht wurde! Ich war halt trotz Grippe auf die Bühne gegangen. Die Medien haben dann viel mehr darüber geredet als ich. Mir hat nichts gefehlt. Ich hatte Grippe, ich war dehydriert, das war alles.
    Lechler: Auf dem Cover Ihres Albums stehen Sie und Jim Steinman vor den Reitern der Apokalypse auf ihren fliegenden Motorrädern. Haben Sie beide sich immer so gesehen?
    Meat Loaf: Genau so. Das ist einer Szene in Alfred Hitchcocks "Der unsichtbare Dritte" nachempfunden, in der Cary Grant von diesem Propellerflugzeug gejagt wird. Die vier Reiter stehen für die Musikbranche. Für die Leute, gegen wir die ganze Zeit kämpfen mussten, und zwar, wie der Albumtitel sagt: "Braver Than We Are". Jimmy und ich mussten immer tapferer sein, als wir wirklich waren.
    So gute Kritiken fürs neue Album wie noch nie
    Lechler: An was für Reaktionen denken Sie da?
    Meat Loaf: Naja, "Bat Out Of Hell" bekam damals vom Rolling Stone "minus 1 Stern". Beim neuen Album können wir uns allerdings nicht beklagen, so gute Kritiken hatten wir noch nie.
    Lechler: Haben Sie einen Lieblingssong darauf, auf den Sie besonders stolz sind?
    Meat Loaf: Also, die ersten drei Songs liebe ich besonders. Und ich muss "Train Of Love" erwähnen. Weil da jeder denken wird, es gehe um einen Typen, der ein Mädchen kriegen will. Aber es ist ein 19-Jähriger auf der Suche nach sich selbst! "Ich klopfe an deine Tür und an dein Fenster, antworte doch!" Und die letzte Zeile lautet: "Ich weiß gar nicht, wer ich bin."
    Lechler: Sie scheinen ja einen inneren 19-Jährigen zu haben, auf den Sie immer zurückgreifen können.
    Meat Loaf: Nein, überhaupt nicht! Es war harte Arbeit, diese Typen zu finden.
    Lechler: Könnte man nicht auch mal was aus der Sicht eines 40-, 50-, 60-Jährigen singen? Oder funktioniert das im Rock’n’Roll nicht?
    "Es geht immer um die Wahrheit"
    Meat Loaf: Das ginge schon, ich habe mich nur anders entschieden. Sie können die Songs ja so hören, das ist dann Ihre Wahrheit. Für mich war es ein 19-Jähriger. Ich rede darüber nicht so viel. Ich weiß auch nicht, was Jimmy sich gedacht hat, als er den Song schrieb, oder was sein Antrieb war. Und umgekehrt stellt er meine Charaktere nie in Frage. Wir sprechen nie darüber, warum wir etwas so oder so machen.
    Lechler: Sie sind mit dieser theatralischen Rockmusik ja ziemlich einzigartig. So etwas macht heute niemand mehr, oder?
    Meat Loaf: So etwas hat überhaupt nie jemand gemacht. Jim und ich kamen eben vom Theater. Aber ich nenne es nicht Oper. Oder Theater. Es ist Rock’n’Roll. Wir könnten uns in den nächsten zwölf Tagen zwölf Rockbands anschauen, und ich könnte Ihnen zeigen, wie die alle der Wahrheit ihrer Songs nie auch nur nahe kommen. Die singen nur Wörter. Aber es geht immer um die Wahrheit, egal in welchem künstlerischen Bereich, es geht um den Augenblick. Das ist mein Job.
    Lechler: Und, hat es auf dem neuen Album gut geklappt?
    Meat Loaf: Es ist unser bestes!
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