Mittwoch, 24. April 2024

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Mediale Erregung nach Amberg
"Es gibt eine Katastrophenpublizistik"

Der Journalist Heribert Prantl mahnt bei der Berichterstattung über Vorfälle wie in Amberg zu mehr Differenzierung und Zurückhaltung. Der Kampf der Medien um Aufmerksamkeit führe dazu, dass solche Ereignisse unverhältnismäßig aufgeblasen würden, sagte er im Dlf. Auch die Politik reagiere zu schnell.

Heribert Prantl im Gespräch mit Michael Köhler | 06.01.2019
    Porträt von Heribert Prantl
    Der Innenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl kritisiert "Erregungskreise" in Medien und sozialen Netzwerken (imago/Sven Simon)
    Es gebe eine "Katastrophenpublizistik", die zu Übertreibung und Zuspitzung neige, so der langjährige Innenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung. Grund dafür sei ein sich "verschärfender Kampf um Aufmerksamkeit" in der Medienlandschaft. Die Medienhäuser wetteiferten nicht nur mit ihren direkten Konkurrenten auf dem Markt, sondern auch mit Bloggern, Youtubern oder "dubiosen Plattformen" um die Aufmerksamkeit der Mediennutzer.
    Die Nutzer forderten eine schnelle Kommentierung und Einordnung. "Man hält die Ungewissheit nicht aus". Jeder Nutzer könne sich zudem in diese Erregungskreise einschalten und sie mit Likes verstärken.
    Bei der "Aufmerksamkeitsjagd" der Medien komme die Verhältnismäßigkeit, "das dreimalige Überlegen, bevor man zu starken Formeln und Skandalisierungen" greife, zu kurz, sagte Prantl. So werde eine kleine Teilmenge wie der Vorfall in Amberg so aufgeblasen, dass der Eindruck entstehe, als wäre er das große Ganze.
    Prantl: Seehofers Reaktion bringe "innere Sicherheit ins Wanken"
    "Und so reagiert auch die Politik", kritisierte er weiter. Den Satz von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), man müsse nun die Gesetze verschärfen, kenne er seit 30 Jahren. Das sei eine regelmäßige Reaktion auf Straftaten. "Diese Reaktion hat mit dazu geführt, dass die innere Sicherheit ins Wanken gerät", so Prantl: "nämlich die innere Sicherheit der Bürger darüber, ob die Gesetze so sind, wie sie sein sollten".
    Der Vorfall in Bottrop, bei dem ein Mann aus rassistischen Motiven in eine Gruppe von Passanten gefahren war, werde ganz anders bewertet. Seehofer habe den Fall in Amberg viel mehr in den Mittelpunkt gestellt.
    "Twitterei nicht zu ernst nehmen"
    Mit Blick auf den Journalismus mahnte Prantl auch dazu, Twitter nicht zu ernst zu nehmen. "Wir verwechseln die Twitterei mit der Wirklichkeit. Die Twitterei wird überbewertet. Eine meinungsstarke Minderheit kriegt dort eine Aufmerksamkeit, die sie in dieser Fülle nicht verdient".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.