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Medien in Ungarn
In unliebsamer Gesellschaft

Seit Jahren wird Ungarns Premierminister Orbán massiv kritisiert für seinen repressiven Umgang mit kritischen Medien - die Organisation Reporter ohne Grenzen bezeichnet ihn sogar als einen der größten Feinde der Pressefreiheit weltweit. Doch in Ungarn bleibt das weitgehend ungehört.

Text: Sören Brinkmann / Júlia Váradi im Gespräch mit Annika Schneider | 06.07.2021
Der ungarische Premierminister Viktor Orban wird während eines EU-Gipfels dicht umringt von Kameraleuten und Jounalisten.
Ungarns Premierminister Viktor Orban steht wegen seiner repressiven Medienpolitik seit Jahren massiv in der Kritik (dpa/AP/ Virginia Mayo)
Nur selten findet sich ein gewählter europäischer Regierungschef auf einer Liste mit Syriens Machthaber Baschar al-Assad, dem Präsidenten von Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, mit Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam, dem Kronprinzen von Saudi-Arabien, Mohammed bin Salman oder dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un.
Insofern ist es sicher nicht schmeichelhaft für Ungarns Premierminister Viktor Orbán, dass die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) ihn im Ranking der größten Feinde der Pressefreiheit zusammen mit Autokraten und Diktatoren nennt. Zum ersten Mal stehe ein EU-Regierungschef auf der Liste, so ROG. Zur Begründung heißt es, Orbán greife seit seiner Wahl 2010 Pluralismus und Unabhängigkeit der Medien in Ungarn an.
"Die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender wurden in der staatlichen Medienholding MTVA zentralisiert. (…) Die regionale Presse ist seit dem Sommer 2017 vollständig im Besitz Orban-freundlicher Unternehmer. Im Herbst 2018 wurden fast 500 regierungsnahe Medienunternehmen in einer Holding zusammengefasst, um ihre Berichterstattung zentral zu koordinieren."

"Eigentlich keine Pressefreiheit mehr"

Die Journalistin Júlia Váradi, die für den privaten und regierungskritischen Sender Klubrádió arbeitet, hält die internationale Aufmerksamkeit für wichtig, jedoch werde die Einstufung vor allem in den unabhängigen Medien beachtet. "Wenn Sie fragen, ob das für die Bevölkerung von Ungarn überhaupt etwas bedeutet, muss ich Ihnen ganz traurig sagen, dass wahrscheinlich ein ziemlich großer Prozentsatz unserer Bevölkerung überhaupt nichts davon wissen wird, weil in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht davon gesprochen wird." Eigentlich gebe es in Ungarn keine Pressefreiheit mehr.
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Nach einer ersten Amtszeit in den Jahren 1998 bis 2002 kam Orbán mit der Wahl 2010 zurück an die Macht, bei der seine Fidesz-Partei sogar eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit holte. Seither baut er zum einen die Kontrolle über die öffentlich-rechtlichen und privaten Medien aus. Zum anderen wurden unabhängige Medien an den Rand gedrängt, etwa durch den Entzug von Anzeigen- und Werbegeldern.

Repressionen gegen unabhängige Medien

Júlia Váradi weist darauf hin, dass es in Ungarn, aber auch aus dem europäischen Ausland kaum Unterstützung gebe: "Wir können niemanden in Europa oder in der Welt bitten, uns eine Frequenz für das Klubradio zu geben oder unsere Pressefreiheit wieder zurückzugeben." Als Journalistin sei sie während der Regierungszeit von Viktor Orbán daran gewöhnt, dass man revolutionär müsse. Es sei eine kleine Revolte, Klubrádió aufrecht zu erhalten.
Eine Moderatorin und ein Moderator sitzen am Mikrofon im Studio des ungarischen Radiosenders "Klubradio"
Im Studio des regierungskritischen Sender Klubrádió in der ungarischen Hauptstadt Budapest (dpa/AP/ Laszlo Balogh)
Im Februar dieses Jahres ist die Sendelizenz von Klubradio ausgelaufen, der Sendebetrieb über die eigene UKW-Frequenz wurde eingestellt, so dass der Sender nur noch im Internet zu hören ist. Zuvor hatte die Medienaufsichtsbehörde unter Hinweis auf zwei geringfügige Regelverstöße gegen das ungarische Medienrecht eine Verlängerung der Sendefrequenz von Klubradio abgelehnt. Der Sender war mit einer Klage gegen die Entscheidung gescheitert. Inzwischen sendet der religiöse Sender Spirit FM auf der Frequenz.
Bevorzugte Ziele der repressiven Medienpolitik von Viktor Orbán seien die letzten unabhängigen Zeitungen, Fernsehsender oder Radiostationen im Land. Dazu heißt es bei Reporter ohne Grenzen: "Nach der Schließung der Tageszeitung Népszabadsag und der Übernahme der Nachrichtenportale Origo.hu und Index.hu durch Oligarchen haben die Regierenden nunmehr den Fernsehsender RTL, die Tageszeitung Népszava, die Wochenzeitungen HVG, Magyar Hang, Magyar Narancs und das Onlineportal 24.hu im Visier. Die jüngste Aktion war die politische Entscheidung des eigentlich unabhängigen ungarischen Medienrats, die Sendelizenz von Klubrádio nicht zu verlängern."

Auch Bolsonaro und Erdoğan auf der ROG-Liste

Mit der Liste der größten Feindinnen und Feinde der Pressefreiheit prangert ROG besonders gravierende Beispiele für die Einschränkung journalistischer Arbeit an. Aktuell umfasst sie 37 Personen, die laut Reporter ohne Grenzen in besonders drastischer Weise die rücksichtslose Unterdrückung der Pressefreiheit verkörpern. Unter ihrer Herrschaft würden Medienschaffende ermordet, verunglimpft und inhaftiert und Medien zensiert. Die Liste erscheint in unregelmäßigen Abständen seit 2001, zuletzt 2016.
Neben Viktor Orbán finden sich auch andere demokratisch gewählte Staats- und Regierungschefs auf der Liste – unter ihnen Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdoğan oder der indische Premierminister Narendra Modi.