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Medienstrategie des IS
Das virtuelle Kalifat

Sie twittern, posten und liken auf Arabisch, Englisch und Französisch. Die Terroristen des sogenannten Islamischen Staates greifen für ihre Propaganda auf ein professionelles Medienimperium zurück. Um für ihre Botschaft zu werben, Kämpfer zu rekrutieren und erfolgreiche Anschläge zu feiern, setzen die Islamisten auf ihre Anhänger - mit Erfolg. Wie soll man dem begegnen?

Von Anne Raith | 11.11.2016
    Ein Mann blickt auf einen Computerbildschirm mit der Flagge des sogenannten Islamischen Staates und einem Bild mit Kämpfern, die die Flagge des Islamischen Staates tragen.
    Der sogenannte Islamische Staat nutzt viele Kanäle, um seine Propaganda im Internet zu verbreiten. (imago/Reporters)
    Das Länderspiel zwischen Deutschland und Frankreich im Stade de France in Paris läuft seit 16 Minuten.
    TV-Kommentator: "Ich weiß nicht, ob Sie das Geräusch gehört haben, da wird einem mal kurz anders, klang wie eine Explosion, die Leute schauen sich um hier."
    Kurz nach der zweiten Explosion im Stadion beginnt der Terror weiter südlich, im Herzen von Paris. Auf den Terrassen der Cafés und Restaurants im 10. und 11. Arrondissement, im Klub Bataclan. Von seinem Balkon aus filmt der Journalist Daniel Psenny, wie die Konzertbesucher in Panik fliehen, eine Frau verzweifelt um Hilfe ruft, Schwerverletzte aus der Schusslinie gezerrt werden.
    "Qu'est-ce qui se passe?" "Moniseur! Moniseur!"
    130 Menschen werden an diesem 13. November 2015 getötet, mehr als 350 verletzt. Noch in der Nacht wendet sich der französische Staatspräsident François Hollande an die getroffene Nation:
    "Das ist ein Kriegerischer Akt einer terroristischen Armee, dem Islamischen Staat, Daesh, und er richtet sich gegen Frankreich. Gegen die Werte, die wir überall auf der Welt verteidigen."
    Kurz darauf bekennt sich der sogenannte Islamische Staat selbst zu den Anschlägen und sorgt dafür, dass nach den Videos und Bildern des Terrors auch diese Botschaft um die Welt geht. Das Bekenntnis wird in mehreren Sprachen über den Textnachrichtendienst Telegram veröffentlicht und über den Kurznachrichtendienst Twitter weiterverbreitet, wo IS-Anhänger den, Zitat: "gesegneten Kriegszug" bejubeln.
    Verbreitung der Propagandabotschaften
    Telegram und Twitter sind nur zwei Kanäle, die der IS nutzt, um seine Propagandabotschaften zu verbreiten, um Menschen zu rekrutieren und zu neuen Terroranschlägen zu animieren. Zwei Kanäle von vielen. Denn Terrorismus ist immer auch eine Kommunikationsstrategie, sagt der Politik- und Islamwissenschaftler Marwan Abou-Taam.
    "Der Terrorist möchte kommunizieren, möchte sich mitteilen und wenn er sich mitteilen kann, gewinnt er tatsächlich."
    Und keine Terrororganisation hat das so gut verstanden wie der sogenannte Islamische Staat. Zum Medienimperium der Terroristen gehören das Magazin "Dabiq", der Radiosender Al-Bayan oder das Al-Hayad Media Center, das hochprofessionelle Propaganda-Filme für den westlichen Markt produziert.
    Auf all diese Medien greift der IS zurück, um nach den Anschlägen von Paris im Netz seine Sicht der Dinge zu verbreiten. Es sind strategische Botschaften, die Philippe-Joseph Salazar in seinem Buch "Die Sprache des Terrors" nachzeichnet. Botschaften, die viel darüber erzählen, wie der IS um Anhänger wirbt.
    Eine Woche nach dem Anschlag vom November 2015 erscheint zunächst die englischsprachige Ausgabe des Magazins "Dabiq". Paris taucht darin nur als eine von vielen "militärischen Operationen" auf. Eine Randnotiz. Die Botschaft: Euer Horror bedeutet uns nichts.
    Dann erscheint der Film "Paris ist zusammengebrochen", der Frankreich bezichtigt, den Krieg gegen den IS begonnen zu haben und nun den Preis dafür bezahlen müsse. Der Film bedient das, was der Medienwissenschaftler Bernd Zywietz "Opfernarrativ" nennt.
    "Die klassische Erzählung, die bei allen Dschihadisten zu finden ist, dass Muslime auf der ganzen Welt unterdrückt und angegriffen werden direkt und dass die dschihadistische Gewalt eine Art Notwehr ist."
    Die Islamisten locken mit moralischer Empörung, mit Rache und Vergeltung
    Ein Erzählstrang, der vor allem bei Jugendlichen gut ankommt. Jenen, die im Alltag Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren. Die Islamisten locken mit moralischer Empörung, mit Rache und Vergeltung. Auch Kriminelle können beim sogenannten Islamischen Staat Legitimität für ihr Tun finden. Sie stehlen und morden weiter, unter dem Deckmantel der Religion.
    Schließlich folgt drei Wochen nach den Anschlägen ein französischsprachiger Kommentar in der Zeitschrift "Dar al-Islam", der Auswege für alle in Frankreich lebenden Muslime bietet. Indem sie sich entweder vor Ort zur Wehr setzen – Opfernarrativ – oder ins Kalifat übersiedeln. Bernd Zywietz spricht hier von der "Utopie-Erzählung":
    "Diese unglaublich mächtige Idee, dass man einen eigenen Staat hat und dieses Staatengebilde quasi auch eine Art Projekt ist, bei dem dann Ausreisende mitwirken können, man kann an der Geschichte mitschreiben und das hat natürlich auch ganz großes Attraktivitätspotenzial."
    Auch, weil das Kalifat Sinnsuchenden suggerieren möchte: ‚Wenn die Dich nicht wollen, kannst Du zu uns gehören. Bei uns bist Du wer.' Oder: ‚Bei uns kannst Du was werden.‘ Ein Held zum Beispiel. Ruhm und Heldentum sind zwei weitere Topoi, die sich zum Beispiel in den Filmen des IS wiederfinden. Dabei bedienen sich die Islamisten auch bekannter Szenarien und westlicher Sehgewohnheiten, erläutert Islamwissenschaftler Marwan Abou-Taam, der beim Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz die islamistischen Aktivitäten im Netz verfolgt:
    "IS produziert unter anderem auch Filme, die vergleichbar sind mit Rekrutierungsvideos der amerikanischen Armee. Mit dem Hubschrauber angeflogen kommen, bei Sonnenuntergang, das Romantische spielt eine Rolle, und dann springen zwei sehr starke Männer aus dem Flieger, marschieren durch den Matsch, haben glänzende Gewehre und singen am Abend noch gemeinsam ein Lied. Da spielt man ein Bedürfnis an nach Abenteuer, Männlichkeit, Zelebration von Männlichkeit."
    Wen der IS wie ansprechen muss, damit seine Propaganda auf fruchtbaren Boden fällt und sich ihre Wirkung entfalten kann, das weiß die Terrororganisation durch das Netz sehr genau, sagt Jannis Jost vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel:
    "Da helfen die sozialen Medien natürlich unheimlich weiter. Wir organisieren uns freiwillig in Gruppen nach unseren Interessen, wir tragen auf unseren Profilen vor uns her, was uns interessiert, ob wir eher die Jugendkultur wollen, ob wir einen zweieinhalbstündigen Scharia-Vortrag haben wollen über die Rechtmäßigkeit der Themen. Das öffnet ganz neue Möglichkeiten richtige gezielte Propaganda an das richtige Ziel zu bringen."
    Dabei setzen die Islamisten nicht nur auf Bilder und Videos, sondern auch auf die Kraft der Musik. Auf Anaschid, die einzig erlaubte Form von Musik im sogenannten Islamischen Staat. Eingängige traditionelle Gesänge ohne Instrumente, denen man sich kaum entziehen könne, schildert die niederländische Terrorismusforscherin Beatrice de Graaf:
    "Ich hab das für Recherchezwecke zu Hause mehrere Male abgespielt und habe kleine Kinder und noch wochenlang haben die Kinder diese Songs gesungen, auf Niederländisch. Das sind keine arabischen, sondern niederländische Wörter und die sind auch sehr plakativ: Wir sind die Soldaten von unsere Religi, Religion - die Betonung ist also auch falsch gemacht worden, das gibt dem etwas Hausbackenes, gleichzeitig ist es sehr griffig."
    Plakative Botschaften
    Ähnlich griffig und eingängig wie es auch das kurze muslimische Glaubensbekenntnis ist oder der Ausruf "Allahu akbar", "Gott ist groß", der in vielen Videobotschaften ertönt. Während Anhänger von Al-Kaida noch Predigten gehalten oder theologische Referate verfasst hätten, würden IS-Anhänger kaum noch lesen, sagt de Graaf, die an der Universität Utrecht zum Thema forscht:
    "Das geht überhaupt nicht mehr über das rationale Hirn, über den Zwang von guten Argumenten, das ist direkt die Musik, das sind direkt ganz plakative Botschaften."
    Und die sind inzwischen rund um die Uhr im Netz erhältlich. Sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag. Und jeder kann mitmachen. Ganz anders als in den frühen Zeiten Al-Kaidas:
    "Attentate, Sprüche, Videotestamente oder Botschaften mussten mit Videokameras aufgenommen werden, auf Band gespeichert und mit dem Jeep durch die Wüste transportiert werden - zu irgendeinem Fernsehstudio und das musste sich dann dafür offenhalten und sich bereit erklären, dieses Video auszustrahlen. Heutzutage ist das mit einem Knopf, mit dem iPhone möglich. Jeder ist seine eigene BBC, sein eigenes Broadcasting Studio geworden. Überall kann jeder zu jeder Zeit sein eigenes Fernsehprogramm in die Luft schmeißen."
    Der IS, sagt Medienwissenschaftler Bernd Zywietz, entwickele so eine Art Erlebnis- und Mitmachkultur, bei der sich jeder etwas raupicken darf und soll. Damit er die bereits produzierte Propaganda weiterverbreitet, aber auch selbst twittert, Videos dreht oder Anaschid vertont.
    Denn je mehr der IS in der realen Welt an Boden verliert, desto wichtiger wird der virtuelle Zusammenhalt. Damit das Kalifat als Idee im Netz weiterexistiert und neue Krieger generiert. Die dann im Zweifel in Europa zuschlagen. Dafür brauche der IS Anwerber, erklärt Islamwissenschaftler Marwan Abou-Taam:
    "Die brauchen so etwas wie Durchlauferhitzer, Personen, die sich unterhalb der Strafbarkeit bewegen und mit ihrer Propaganda Menschen auf Betriebstemperatur bringen, also weltanschaulich vorbereiten, und es gibt diejenigen, die sie dann rausdrängen, also in den Dschihad drängen."
    Dabei werden die potenziellen neuen Anhänger in direktem Kontakt umworben. Vor Ort, wie der Fall des gerade in Niedersachsen festgenommenen Predigers "Abu Walaa" gezeigt hat. Von Hildesheim aus soll er den IS unterstützt, Kämpfer angeworben und Ausreisen nach Syrien organisiert haben. Die Hildesheimer Moschee, sagt einer der Rückkehrer, sei der "Platz Nummer eins" für alle gewesen, die zum IS wollten.
    Direkter Kontakt durch Instant-Messanger-Dienste
    Aber auch online läuft die Anwerbung der Terroristen aktiv. Sie umgarnen potenzielle Rekruten regelrecht, schreiben WhatsApp-Nachrichten, chatten, melden sich über Skype. Auch bei den Anschlägen der vergangenen Monate standen die Täter in direktem Kontakt mit jemand. In Ansbach und Würzburg bekamen die jungen Männer bis zum Schluss Anweisungen über Instant-Messanger-Dienste. Es sind diese ferngesteuerten Einzeltäter, die der deutsche Verfassungsschutz derzeit besonders fürchtet.
    Doch hinter dieser Art der Anwerbung stehe nicht unbedingt ein Masterplan, glaubt Jannis Jost vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Neben professionellen, charismatischen Rekrutierern setze der IS auch da auf ganz normale Anhänger, auf die Crowd, wenn man so möchte.
    "Viele benutzen einfach die Profile, die sie sich vor ihrer Ausreise erstellt haben weiter, und benutzen sie relativ gedankenlos, weil es zu ihrem Leben dazugehört. Sie glauben an das, was sie tun, sie tragen das nach außen, woran sie glauben, wer sie sind. Und wenn sie ganz organisch zu jemandem Kontakt aufnehmen, versuchen sie, ihn zu überzeugen. Das kann sehr wirkungsvoll sein, vielleicht sogar wirkungsvoller als ein gut gemachtes Video mit Computeranimation und gezieltem Narrativ. Das Gefühl zu haben, jemand ist persönlich für mich da, geht auf mich ein, kennt mich, das kann sehr mächtig sein."
    Auch Frauen sind vermehrt als Anwerberinnen in den sozialen Netzwerken aktiv. Das sei ihre Möglichkeit, die sogenannte gläserne Decke zu durchbrechen, schlussfolgert Historikerin Beatrice de Graaf.
    "Man muss fast an die Zeit des Ersten Weltkrieges denken, wo Frauen Männern weiße Federn gegeben haben, wenn sie nicht bereit waren, in den Kampf zu ziehen. Das heißt, dass Mädchen und Frauen in Belgien, den Niederlanden und Frankreich versuchen, Männer aufzubauschen, reif zu machen für den Kampf: 'Du bist nicht mein Mann, Du bist nicht mein Held. Ich werde Dich islamisch heiraten, wenn Du gehst und sonst nicht.' Und das hat zu mehreren Schüben von Ausreisen geführt und ziehen dann später auch nach und versuchen, dann auch aus dem Kalifat heraus neue Mädchen heranzuziehen."
    De Graaf nennt Terroristen "early adapters", weil sie grundsätzlich sehr früh den Nutzen der Medien und, was den IS betrifft, vor allem den der sozialen Medien für sich entdeckt und instrumentalisiert hätten. Doch als solche hätten sie auch eine Schwäche: Sie können eingeholt werden. Nur wie? Und von wem?
    Frankreichs umstrittene Gegenmaßnahme
    Frankreich hat schon kurz nach den Anschlägen vom Januar 2015 versucht, das Kalifat mit seinen eigenen Waffen zu schlagen und die Geschichten der Terrormiliz, die Narrative des IS, online zu dekonstruieren. ‚Die Terroristen locken Dich mit Kampfesgeist, Familiensinn und Gemeinschaftsgefühl, in Wirklichkeit warten nur Tod, Gewalt und Elend auf Dich‘ – lautet die Botschaft des kurzen Videoclips. Es ist ein umstrittener Clip, der Propagandamaterial des IS übernimmt, den Feind ästhetisiert und ihm Bilder brutalster Gewalt entgegensetzt.
    Ein Staat laufe immer Gefahr, die IS-Propaganda dadurch erst recht zu nähren, warnt Islamwissenschaftler Abou-Taam. Weil der Staat als Absender solcher Botschaften unglaubwürdig sei. Er nennt ein Beispiel aus Deutschland:
    "Wenn ich sage, Salafismus ist die wichtigste Herausforderung für die deutsche Sicherheitspolitik, das stimmt. Auf der anderen Seite sagt uns die Politik, Saudi-Arabien – der staatsgewordene Salafismus, das nur in Klammern – ist der wichtigste Partner deutscher Politik im Ausland. Versuchen Sie mal, so einen Widerspruch jetzt in einer Gegennarration auszuhebeln."
    Auf Frankreich gemünzt bedeutet das: Das Land beteiligt sich an den Luftangriffen im Irak und inzwischen auch in Syrien und prangert nun die Gewalt dort an. Wie passt das zusammen? Und wie steht es um die engen Wirtschaftskontakte Frankreichs nach Saudi-Arabien, um die Waffenexporte eben dorthin? Derlei macht staatliche Gegenpropaganda angreifbar. Unverfänglicher sind da andere Initiativen, etwa diese:
    "Hi Leute, heute möchte ich mit euch über das Thema Islam sprechen. In den Medien lese ich immer wieder viele verschiedene Dinge: Terrorismus, Salafismus, Dschihad, was ist denn das überhaupt? Das wirft so viele Fragen auf und macht natürlich auch Angst."
    Normalerweise gibt die Beauty-Bloggerin Hatice Schmidt im Netz Schminktipps. Weil die Berlinerin aber findet, dass der Islam in Deutschland zu negativ besetzt sei, erklärt sie im Rahmen eines Projekts der Bundeszentrale für politische Bildung zentrale Begriffe ihrer Religion:
    "Umma ist arabisch und bedeutet: Gemeinschaft."
    Aufklären, um die Erzählideen der Islamisten zu dekonstruieren, ist eine Möglichkeit, der Propaganda im Netz zu begegnen. Humor eine andere.
    Lied: "Jag Dich doch hoch, drück auf den Knopf, benutz nie wieder Deinen Kopf, mit IS ins Höllenfeuer. ISIS: Quälen, Töten, Vernichten."
    Die Berliner "Datteltäter" wollen die Leute zum Lachen bringen und damit das Eis brechen, um sie dann zum Nachdenken zu bewegen. Über den IS, den Islam, über Vorurteile.
    Muslime gegen den IS
    Muslime könnten tatsächlich eine glaubwürdige Gegenposition zum IS vertreten, findet Islamwissenschaftler Abou-Taam. Auch in anderen Ländern haben sich Muslime mit Aufrufen wie #notinmyname (Nicht in meinem Namen) oder #MyJihad gegen den IS gestellt.
    Es gehe jedoch nicht nur darum, eine andere Geschichte zu erzählen, sie müsse auch gehört werden, räumt Jannis Jost vom Kieler Institut für Sicherheitspolitik ein:
    "Bekannt ist das Phänomen der Echokammern, dass sich alle politischen, ideologischen Zirkel selbsterhaltende Systeme schaffen, in denen keine anderen Meinungen mehr existieren. Das gilt natürlich auch für Dschihadisten. Und diese Gegennarrative entfalten wenig Wirkung, wenn sie nicht genau dort platziert werden, wo sie diesen selbstverstärkenden Effekt unterbrechen könnten."
    Die Videos von Hatice Schmidt tragen deshalb auch den Hashtag "WhatIS". Englisch für "was ist", einerseits. Auffindbar für alle, die nach "IS" suchen, andererseits. Doch auch die Bundeszentrale für politische Bildung, für die die junge Frau und auch die Datteltäter zum Teil ihre Videos drehen, untersteht dem Bundesinnenministerium. Inwiefern Botschaften mit diesem Absender überhaupt gehört werden, ist eine andere Frage. Sie könnten präventiv helfen, glaubt Islamwissenschaftler Abou-Taam, nicht aber, wenn jemand schon mitten drin ist.
    Dem könnten die traditionellen Medien etwas entgegensetzen, glaubt die niederländische Terrorismusforscherin Beatrice de Graaf und verweist auf das Herostratos-Syndrom.
    "Das ist das Syndrom, dass man durch grausame Taten seinen Namen für die Ewigkeit festschreibt, ungeachtet welcher Ideologie. Herostratos war ein Jugendlicher, der das Siebte Weltwunder in Ephesos vernichtet hat und die Strafe des Gemeinderates war, dass sein Name für ewig aus den Geschichtsbüchern gelöscht werden soll. Aber die Medien haben der Zensur nicht gehorcht und griechische und später auch römische Autoren haben darüber geschrieben."
    Und ihn so verewigt. Nicht über Terroranschläge zu berichten sei heutzutage natürlich keine Lösung, sagt de Graaf. Aber wenn die Medien weniger zur Heroisierung der Täter beitrügen, indem sie besonnener berichteten, nicht den vollen Namen nennen, keine Fotos veröffentlichen würden, wie es etwa die französische Zeitung "Le Monde" beschlossen hat, sei man schon einen Schritt weiter.
    Sich auf die Umworbenen konzentrieren
    Auch Löschen von Inhalten ist eine Lösung, wenn man nicht die Wirkung, sondern den Inhalt der Propaganda bekämpfen will. Vor allem die großen drei - YouTube, Facebook und Twitter – sind in der Vergangenheit zunehmend rigoros gegen IS-Propaganda im Netz vorgegangen. Twitter hat seit Mitte 2015 360.000 Konten gesperrt. Doch auf ein gesperrtes Konto, lautet die Faustregel unter Experten, folgen schnell zehn neue. Umstritten sind diese Sperrungen auch, weil sie es den Konzernen überlassen, wann sie einschreiten und auch schon Journalisten und Wissenschaftler von den Sperrungen betroffen waren.
    Eine Mischung aus Löschen und Unterwandern sei vielleicht eine Möglichkeit, die Kommunikation zu verlangsamen und zumindest für den Moment zu unterbrechen, glaubt der Kieler Terrorismusforscher Jost. Doch dafür müsse man die Netzwerke kennen. Auch der deutsche Verfassungsschutz räumt ein: Man bräuchte ein Mehr an technischem Know-how. Und während gelöscht, unterwandert und blockiert wird, wandert der IS ins Darknet.
    Aufhalten lässt sich die Verbreitung der Propaganda des sogenannten Islamischen Staates sowieso nicht, glaubt Islamwissenschaftler Marwan Abou-Taam. Er berichtet von einer Lehrerin, die ihre durchschnittlich 13 Jahre alten Schüler bat, ihr zu zeigen, welche Videos sie auf ihren Handys hätten. Bei allen fand sie IS-Propaganda, ohne dass einer von ihnen auch nur annähernd radikal gewesen sei. Also müsse man andere Schlüsse daraus ziehen, glaubt Abou-Taam:
    "Wir sollten uns Loslösen von der Bekämpfung einer Propaganda hin zur Festigung der demokratischen Identität von Jugendlichen. Dass Menschen lernen, mit Medien umzugehen, ist viel wichtiger als die Medien an sich."
    Statt sich auf die Menschen zu konzentrieren, die mit ihrer Propaganda die Gesellschaft vergiften wollen, sollten wir uns auf diejenigen konzentrieren, die sie umwerben. Und von denen sich ohnehin nur ein Bruchteil tatsächlich überzeugen lasse.
    "Menschen, die sich hier beheimatet fühlen, werden dieser Gesellschaft nichts antun. Menschen, die sich außerhalb der Gesellschaft befinden, sind eine Gefahr. Und der Auslöser kann ein Video aus Syrien sein, das kann aber auch etwas anderes sein."
    Etwas, das im eigenen Leben schief gelaufen ist. Offline.
    Die Kommunikationsstrategie des sogenannten IS war auch Thema einer der Diskussionen bei den "Formaten des Politischen" in Berlin. Diese Veranstaltung über können Sie hier nachhören.