Donnerstag, 25. April 2024

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Medienwirkung
Die Macht der Bilder im Wahlkampf

Für viele Wahlkampfbeobachter war das Lachen von Unionskandidat Armin Laschet im Hochwassergebiet mitentscheidend für die Wahlniederlage. Noch wirkmächtiger sind historische Motive wie der Kniefall von Willy Brandt in Warschau. Doch wie einflussreich sind solche Bilder wirklich?

Von Michael Meyer | 28.09.2021
Armin Laschet (2. v.l., CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, lacht während Bundespräsident Steinmeier (nicht im Bild) im Hochwassergebiet in Erftstadt ein Pressestatement gibt.
Während der Bundespräsident (nicht im Bild) im Hochwassergebiet über Flut-Opfer sprach, lachte NRW-Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet im Hintergrund (picture alliance / dpa / Marius Becker)
Interviewerin: "Nervt Sie das, dass Sie auf dieses Bild reduziert werden?"
Armin Laschet: "Ja, das ärgert mich selbst am meisten, weil ich mich für nichts wirklich in der letzten Zeit so engagiert habe wie für die Hochwasseropfer."
So äußerte sich der damalige Unions-Spitzenkandidat Armin Laschet über sein Lachen an falscher Stelle in der kürzlich gesendeten ZDF-Dokumentation "Macht. Wechsel. - Der Kampf ums Kanzleramt". Eine kleine Szene am Rande, die sonst vielleicht untergegangen wäre, wurde im Wahlkampf zum Politikum. Doch warum wurde das Bild so bedeutsam und tausendfach im Netz geteilt?

Ein Blick hinter die Bühne

Die Medienwissenschaftlerin Stephanie Geise, die visuelle Kommunikation erforscht, meint: Das Bild wurde stark überbewertet, immerhin lachten sogar Rettungssanitäter in einer angespannten Situation einmal – einfach nur, um Druck abzulassen. Das Bild des lachenden Laschet traf jedoch auf eine bereits zweifelnde Öffentlichkeit, so Geise:
"Wir wissen aus der Forschung, dass die Integrität eines Kandidaten neben seiner Sachkompetenz und seinen Leadership-Qualitäten ein ganz wichtiger Maßstab für seine Bewertung ist. Und das Bild stellt nun vermeintlich genau diese Integrität in Frage."
Geise meint, das Bild wirkte wie ein zurückgezogener Vorhang auf einer Theaterbühne – wie ein Motiv, das normalerweise nicht in die Öffentlichkeit gehört. Und das sei eben so interessant gewesen, dass es heftig in den Medien diskutiert und tausendfach auf Social-Media-Kanälen geteilt wurde.

"Bildunfälle"

Aber: Auch die absichtsvoll inszenierten Fotos von Laschet, wie jene vor einem Schutthaufen im Überschwemmungsgebiet, wirkten doch eher wie "Bildunfälle", sagt Stephanie Geise. Medial habe vieles eher ungünstig gewirkt:
"Ich würde zumindestens sagen, dass das große Potential, das visuelle Kommunikation hat, noch nicht wirklich ausgeschöpft wird. Und ich glaube, das ist für demokratische Gesellschaften eigentlich nicht nur etwas, was wir kritisch sehen sollten, dass Bilder Potenziale haben, sondern was auch sehr funktional und wichtig für Demokratien ist. Wir wissen zum Beispiel aus der Forschung, dass Bilder die Auseinandersetzung mit politischen Themen anregen können, dass sie Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen lenken, dass sie das Verständnis erleichtern."
Dabei ist die Suggestivkraft von Bildern schon seit langem bekannt, und das schon weit vor dem Siegeszug der Social Media- Plattformen. Der frühere Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig, Jürgen Reiche, der vor einigen Jahren eine Ausstellung zum Thema "Wirkung von Bildern" mitkuratiert hat, sagt, dass Bilder – zumindest die kraftvollen, einprägsamen – jedes andere Medium, wie Schrift oder Ton schlage.

Bilder, die Politik unterstützen

Schon die Gründung der BILD-Zeitung in den fünfziger Jahren fußte auf der Idee, ein im wahrsten Sinn des Wortes "bild-mächtiges" Medium mit vielen Fotos zu gründen. Es gebe viele Beispiele, so Reiche, für die starke Wirkung von Bildern:
"Wenn ich Ihnen sage, Kniefall Willy Brandt, haben sie sofort ein Bild vor sich. Wenn ich Ihnen sage, Albert Einstein, denken die meisten Menschen daran, an ein Bild, wo er die Zunge rausstreckt."
This file photo from 1970 shows former West German Chancellor and Nobel Peace Prize winner Willy Brandt during his visit in the former Jewish Ghetto of Warsaw. (AP-PHOTO)
Willy Brandt kniet vor dem Mahnmal des früheren jüdischen Ghettos in Warschau (picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Noch heute streiten sich Historiker, inwieweit etwa das Bild des knienden Willy Brandt eine spontane Geste war – oder inszeniert, mit einer absichtsvollen Botschaft, die Medien dann weitertransportieren. Das ist noch immer umstritten, die Kraft des Bildes hat sich jedenfalls bis heute erhalten, sagt Jürgen Reiche:
"Es gibt ja 20, 30 Aufnahmen von dieser Situation, aber dieses eine Bild hat sich durchgesetzt, weil es eine bestimmte Qualität hatte. Denn man sieht Willy Brandt stark von der Seite, also nicht in Rückansicht, man sieht seine emotionale Ergriffenheit."
Das Bild trug erheblich zu einem besseren Image der Ost-Politik der SPD bei. Doch das Bild war nicht unumstritten, ebenso wie Angela Merkels Selfies mit Flüchtlingen 2015.

Inszenierungen führten zu größerem Misstrauen

Da Fernsehen, Zeitungen, Internetmedien immer wieder neue Motive und Bilder brauchen, werden auch immer mehr Bilder inszeniert. Diese Flut von Bildern, der wir heute ausgesetzt sind, auch und gerade von Politikern, habe aber auch eine positive Folge, meint der Berliner Journalist und Jurist Hendrik Wieduwilt. Es gebe ein größeres Misstrauen gegenüber visuellen Motiven:
"Die Wirkung von propagandistischen Bildern hat vielleicht sogar eher abgenommen. Denn es gibt immer mehr ungestellte, uninszenierte Bilder, Bilder, die irgendwer im Vorbeigehen mit dem Iphone aufgenommen hat und danach über Twitter geteilt hat und die danach viral gehen. Insofern würde ich das gar nicht so dämonisieren. Insgesamt halte ich das durchaus für gut, dass wir mehr Bilder haben."