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Medikamenten-Preisbindung aufgehoben
Wer bei ausländischen Apotheken kauft, kann Geld sparen

Der EuGH hat die Preisbindung für Medikamente gekippt. Wer künftig über ausländische Online-Apotheken kauft, kann Geld sparen – vor allem Privatpatienten mit höheren Zuzahlungen. Deutsche Apotheker fürchten, dass dadurch die Dichte der Apotheken vor Ort und damit das Beratungsangebot abnehmen wird.

Von Anja Nehls | 20.10.2016
    Die Mitarbeiterin einer Apotheke steht vor Regalen mit Medikamenten und nimmt ein Präparat aus einer Schublade.
    Viele Apotheken leben bereits jetzt eher vom Verkauf der nicht rezeptpflichtigen Medikamente und von Kosmetika. (dpa / Jan Woitas)
    Seit Jahren leidet die hochbetagte Mutter von Siegfried Wolf an Parkinson. Sie lebt in einem Pflegeheim bei München und wird dort rundum versorgt, auch mit Medikamenten gegen Parkinson, darüber ist der Sohn sehr froh: "Es fragt keiner was es kostet. Der Mensch kriegt das Medikament und er kriegt das gute Medikament und das einzige, was ich davon zahle, ist so eine Art Zuzahlung, 10, 20, je nachdem was sie braucht, Euro. Ich weiß nur, die Medikamente sind recht teuer. Und von einem solchen Urteil kann man sich natürlich erwarten oder erhoffen, dass die Preise langfristig auch für solche Medikamente sinken werden."
    In Zukunft dürfen ausländische Anbieter die Medikamente hier günstiger verkaufen. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. In Deutschland gilt allerdings weiterhin die Preisbindung, die dafür sorgt, dass jedes verschreibungspflichtige Medikament in jeder Apotheke genau gleich viel kostet – nämlich den Großhandelpreis plus 3 Prozent plus 8,10 Euro pro Packung. Wer künftig über einen ausländischen Versandhandel kauft, kann Geld sparen – allerdings profitieren davon erstmal hauptsächlich Privatpatienten mit höheren Zuzahlungen. Bei Kassenpatienten wie Siegfried Wolfs Mutter ist die Zuzahlung ohnehin gedeckelt, von günstigeren Medikamentenpreisen profitiert dann nur die Krankenkasse. Allgemeinmediziner Stefan Bernhardt: "Ich denke, es wird für die Patienten einerseits ein Vorteil sein, weil sie gucken können, dass sie vielleicht billigere Medikamente kriegen. Andererseits wird es mittelfristig für sie ein Nachteil sein, der im Augenblick schwer darstellbar ist, weil es ein Apothekensterben geben wird. Wir werden die Dichte an Apotheken sicher in zehn Jahren nicht mehr haben."
    Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände macht das Urteil Sorge
    Die Selbsthilfeorganisation Deutsche Parkinson Vereinigung war eine Kooperation mit einer niederländischen Versandapotheke eingegangen. Die Mitglieder konnten von der Apotheke Boni für rezeptpflichtige Parkinson-Medikamente bekommen. Dass der Europäische Gerichtshof die Aktivitäten der ausländischen Anbieter akzeptiert, sieht Friedemann Schmidt von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände mit Sorge: "Sie suchen sich besondere Leistungen, besondere Produkte, besondere Patienten aus, picken sich sozusagen die Rosinen aus dem Kuchen, der bleibt dann für die Apotheken in Deutschland übrig und daran werden viele sich verschlucken."
    Viele Apotheken leben bereits jetzt eher vom Verkauf der nicht rezeptpflichtigen Medikamente und von Kosmetika. Je mehr Medikamente online bestellt werden, desto schwerer hat es die Apotheke vor Ort und die wird dringend gebraucht, sagt Kristin Fussan von der Apotheke Nikolassee im Berliner Südwesten: "Gerade hier in der Gegend, das ist eine sehr beratungsintensive Ecke und wenn ältere Menschen kommen, die einfach vor Ort dann, ich sag's jetzt mal betreut werden in irgendeiner Form, beraten und versorgt werden. Das ist auch keine Seltenheit, dass man mal eine Viertelstunde mit jemanden steht und der dann im Zweifelsfall nur mit 2,50 rausgeht."
    Deutsche Apotheken gegenüber ausländischen schlechter gestellt
    Aber nicht nur Menschen, die beraten werden müssen, könnten unter der neuen Regelung leiden, vermutet Stefan Bernhardt: "Die junge Generation, die braucht ein Akutmedikament, die hat eine Grippe oder so etwas und die braucht heute, jetzt, in den nächsten zwei Stunden ihr Medikament, die kann nicht im Versandhandel bestellen, weil die nicht innerhalb von zwei, drei Stunden ausliefern können und die chronisch Kranken, das sind die Generation, die es noch gewohnt sind, in den Laden zu gehen."
    Aber das wird sich ändern, wenn die Generation chronisch krank wird, die jetzt bereits alles über das Internet abwickelt. Das Urteil bewirkt jetzt, dass deutsche Apotheken gegenüber ausländischen schlechter gestellt sind, weil für die weiterhin die Preisbindung gilt. Das erhöht den Druck auf den deutschen Gesetzgeber. Er könnte also in weiteren Schritten den Versandhandel mit Medikamenten ganz verbieten, was rein rechtlich sogar denkbar wäre – oder die Preisbindung auch für Medikamente in Deutschland aufheben, bzw. lediglich Höchstpreise festlegen. Profitieren würden davon hauptsächlich die Krankenkassen.