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Medikamententests
Mini-Leber auf einem Chip soll Tierversuche ersetzen

Bevor Medikamente für den Menschen zugelassen werden testet man sie an Versuchstieren. Aber Ratten und Mäuse reagieren häufig anders auf Wirkstoffe als Menschen. US-Forscher haben deshalb eine Mini-Leber auf einem Chip entwickelt und wollen so Tierversuche reduzieren.

Von Christine Westerhaus | 07.11.2019
Lebergewebe in Zylindern auf einem Chip im Labor der Firma TissUse in Berlin.
Lebergewebe in Zylindern auf einem Chip im Labor der Firma TissUse in Berlin. (imago stock&people)
Wenn Forscher neue Medikamente entwickeln, ist die wichtigste Frage: Wie giftig ist der Wirkstoff für den menschlichen Körper? Doch weil sich das aus ethischen Gründen nicht an Menschen untersuchen lässt, werden die Arzneimittel-Kandidaten zunächst an Tiere verabreicht. Meist an Ratten. Doch die Leber eines Tieres reagiert nicht immer genauso auf eine Substanz, wie die eines Menschen. Monicah Otieno vom US-amerikanischen kommerziellen Forschungsinstitut Janssen Pharmaceutical Research and Development und ihre Kollegen haben deshalb eine Art Mini-Leber auf einem Chip entwickelt.
"Wir haben diesen Chip entwickelt, weil es bislang kein System gab, das die gesamte Funktion der menschlichen Leber nachahmt. Uns gehen in der pharmazeutischen Industrie viele interessante Substanzen verloren, weil sie im Tierversuch toxisch auf die Leber wirken. Deshalb wollten wir ein System entwickeln, dass voraussagt, ob ein Medikament die Leber schädigt und auf welche Weise dies geschieht."
Chip mit Mini-Leber ahmt menschliche Physiologie nach
Die Besonderheit an diesem neuen Chip: Die Forscher haben den Aufbau der menschlichen Leber genauer nachempfunden als bisherige Modelle. In winzigen Kanälen haben sie nicht nur die eigentlichen Leberzellen angeordnet, sondern auch so genannte Kupferzellen. Diese Immunzellen sitzen an den feinen Kapillaren der Leber und bauen Schadstoffe, Bakterien und Stoffwechselprodukte ab. Auch die so genannten Ito-Zellen der Leber befinden sich auf dem Chip. Diese speichern Fett und stehen im Verdacht, die krankhaften Veränderungen auszulösen, die bei einer Leberzirrhose geschehen.
"Der Vorteil dieses Chips ist, dass er die Physiologie der menschlichen Leber besser nachahmt. Und was sehr wichtig ist: Wir können an ihm die tägliche Medikamenteneinnahme simulieren. Dazu geben wir den Wirkstoff täglich in das System und beobachten, wie er innerhalb von 24 Stunden abgebaut wird. Außerdem können wir uns anschauen, welche Leberenzyme vielleicht vermehrt entstehen und welche weiteren Biomarker gebildet werden."
Leber-Chip mit menschlichen und tierischen Zellen
All das gibt den Forschern ein genaueres Bild davon, was in den Leberzellen vor sich geht, wenn sie mit einem Wirkstoff in Kontakt kommen.
Um zu vergleichen, wie bestimmte Substanzen auf unterschiedliche Organismen wirken, haben die Forscher ihren Chip nicht nur mit menschlichen, sondern auch mit tierischen Zellen bestückt. Dabei zeigte sich: Bestimmte Wirkstoffe schädigen zwar die Leberzellen von Ratten, nicht jedoch die eines Menschen.
"Es kommt oft vor, dass Substanzen im Tierversuch auf eine Spezies toxisch wirken, auf eine andere hingegen nicht. Die Frage ist dann, wie der Mensch darauf reagieren würde. Doch um kein Risiko einzugehen, wird der Wirkstoff nicht weiter untersucht. Mit unserem Chip können wir diese Spezifität genauer untersuchen und damit möglicherweise Substanzen weiter entwickeln, die sonst ausgeschieden wären."
Labor-Chip zeigt, wie neue Wirkstoffe auf Leberzellen wirken
Damit können die Forscher zwar nicht gänzlich ausschließen, dass ein Wirkstoff auch die menschliche Leber schädigt. Doch der Kreis der interessanten Arzneimittel-Kandidaten lässt sich womöglich besser eingrenzen, als es mit Tierversuchen möglich wäre. Damit kann der Leber-Chip dabei helfen, die Zahl der Tierversuche zu reduzieren. Denn sollte sich schon an diesem System zeigen, dass ein Wirkstoff die Leber schädigt, scheidet er frühzeitig als Kandidat für ein neues Medikament aus.
"Wir können mit dem Chip eine präzisere Auswahl an Substanzen treffen. Tierversuche werden aber nicht nur genutzt, um zu untersuchen, wie giftig eine Chemikalie auf die Leber wirkt. Es geht auch darum, ob sie andere Organe schädigt und wie sie auf den gesamten Organismus wirkt. Ich denke daher, dass unser Chip nur der Anfang ist. Er zeigt, dass wir komplexere Organmodelle für solche Untersuchungen brauchen."
Tatsächlich sind Forscher bereits dabei, ganze menschliche Organsysteme im Miniaturformat zu entwickeln. Dahinter stehen auch handfeste kommerzielle Interessen. Denn Pharmaunternehmen wie Monicah Otienos Arbeitgeber Johnsson & Johnsson sind ständig auf der Suche neuen Wirkstoffen. Ob diese Organmodelle die Zahl der Tierversuche drastisch reduzieren werden, muss sich aber erst noch zeigen.