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Tierversuche
Gleichberechtigung im Mäusekäfig

In Tierversuchen mit Mäusen galt das männliche Versuchstier lange als Standard, das weibliche als Sonderform. Doch langsam wächst die Erkenntnis, dass sich der Hormonzyklus mit Mäuseweibchen besser erforschen lässt. Und damit Medikamente entwickelt werden können, die Frauen wirklich helfen.

Von Michael Lange | 31.05.2019
Labormaus auf einem Arm
Weil weibliche Tiere zu wenig erforscht werden, könnten wichtige Krankheitsursachen übersehen werden (dpa/picture alliance/Ferdinand Ostrop)
Weibliche Mäuse oder andere weibliche Versuchstiere haben in der Wissenschaft einen schlechten Ruf. Vielen gelten sie als unberechenbar. Da sollte man lieber die Finger von lassen. Immer wieder erhielt die Neurobiologin Rebecca Shansky gut gemeinte Hinweise.
"Ein allgemeiner Rat lautete: Achten Sie auf die Hormonspiegel, wenn Sie mit weiblichen Tieren experimentieren. In allen Nagetieren existieren erhebliche Schwankungen bei Fortpflanzungshormonen aus dem Eierstock. Am besten Sie entfernen die Eierstöcke oder verzichten ganz auf weibliche Versuchstiere. Dann sind Sie das leidige Problem mit den weiblichen Hormonen los."
Erhöhte Testosteronwerte bei Mäusemännchen
Für viele Forscher ist das männliche Versuchstier der Standard, und das Weibliche die Sonderform. Als Professorin an der Northeastern University in Boston hat Rebecca Shansky nun untersucht, ob das stimmt oder ob es sich um Vorurteile handelt. Ihr Fazit: Die gut gemeinten Ratschläge haben keine wissenschaftliche Basis. Das zeigen auch ihre eigenen Forschungen bei Verhaltenstests mit Mäusen.
"Die Ergebnisse der weiblichen Tiere zeigen keine größeren Abweichungen als bei männlichen Versuchstieren. Gelegentlich treten bei Männchen sogar größere Unterschiede zwischen verschiedenen Tieren auf. Warum ist das bei Männchen in Ordnung und bei Weibchen nicht?
Von Angststörungen sind vor allem Frauen betroffen
Ein Grund für die gelegentlichen Unterschiede zwischen den Männchen könnten Rangordnungskämpfe sein. Sie bringen das Hormonsystem der Männchen durcheinander. Dominante Männchen haben zirka fünffach erhöhte Testosteronwerte. Rebecca Shansky zieht daraus den Schluss: Weibliche Tiere sind für die Grundlagenforschung und auch für die Medikamentenentwicklung ebenso gut oder schlecht geeignet wie männliche Tiere. Sie befürchtet: Weil weibliche Tiere zu wenig erforscht werden, könnten wichtige Krankheitsursachen übersehen werden. Das gelte zum Beispiel für Angststörungen. Sie werden stets mit männlichen Versuchstieren erforscht. Dabei ist die Mehrheit der Menschen, die unter Angststörungen leidet, weiblich.
Auch bei der Wirkstoffentwicklung können wichtige Ansatzpunkte übersehen werden. Es werden nur solche Wirkstoffe entdeckt und Medikamente entwickelt, die bei Männern gut funktionieren. Medikamente, die besonders für Frauen hilfreich wären, bleiben unentdeckt, befürchtet Rebecca Shansky. Im Wissenschaftsmagazin Science fordert sie einen neuen Blick auf das weibliche Hormonsystem.
Beide Geschlechter gleichberechtigt erforschen
"Der Östrogenzyklus gehört zu jeder Frau dazu, wie auch zu jedem Mäuseweibchen. Und wir wollen ja, dass unsere Ergebnisse auch für Frauen relevant sind. Die Medikamente, die wir entwickeln, sollen auch Frauen helfen. Sie müssen jeden Tag funktionieren, in jeder Phase des Hormonzyklus. Das sollten wir bei unserer Forschung stets bedenken."
Um Ergebnisse zu erzielen, die für Frauen und Männern gelten, müssen beide Geschlechter erforscht werden, resümiert die Neurobiologin. Das sei in der klinischen Forschung anerkannt und werde seit einigen Jahren berücksichtigt. Jetzt ist es Zeit für die Gleichberechtigung – auch im Mäusekäfig.