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Neue Medikamente: Hoffnungsträger und Preistreiber

Mehr als 300.000 US-Dollar kostet die Behandlung mit einem neuartigen Krebsmedikament - und es gibt noch mehr Arzneimittel in dieser Preisklasse. Die Entwicklung hin zu immer teureren und besseren Medikamenten stellt die beitragsfinanzierten Gesundheitssysteme vor große Herausforderungen.

Von Dagmar Röhrlich | 28.08.2018
    Am Fraunhofer Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) in Leipzig arbeitet in einem Reinraum mit hoch spezialisierter Technik der pharmazeutisch-technische Assistent Michael Nemetz an einer neuen personalisierten Zelltherapie gegen Krebs.
    Forschung an einer personalisierten Zelltherapie gegen Krebs. Die Frage nach dem angemessenen Preis für Medikamente wird künftig immer bedeutsamer. (dpa/ picture alliance/ Waltraud Grubitzsch)
    Mai 2010. Emily Whitehead ist fünf Jahre alt, als die Ärzte bei ihr Akute Lymphatische Leukämie diagnostizieren – eine Form des Blutkrebs. Die Heilungschancen sind gut. Doch Emily gehört zu den 20 Prozent der Kinder, bei denen die Chemotherapie nicht hilft. Zweimal wird sie behandelt, der Krebs kehrt zurück. Emily wird sterben. Deshalb stimmen die Eltern im Februar 2012 einer experimentellen Therapie zu, die an der University of Pennsylvania entwickelt worden ist. Die Ärzte entnehmen ihrer Tochter Blut, isolieren daraus Abwehrzellen.
    Die werden im Labor gentechnisch "scharf gemacht", so dass sie Krebszellen erkennen und zerstören. Dann erhält Emily Infusionen mit ihren modifizierten Zellen. Aber ihr Immunsystem rebelliert: Sie bekommt hohes Fieber, ihre Lungen versagen, sie fällt in einen Schock. Niemand weiß, was passiert. Nur eine Verkettung glücklicher Umstände bringt das Ärzteteam auf die richtige Spur. Emily spricht auf das Medikament an, das sie gegen die Nebenwirkungen bekommt. Binnen Stunden geht es ihr besser, und sie erwacht aus dem Koma: Es ist ihr siebter Geburtstag.
    "Emily ist heute 13 Jahre. Sie ist ein glücklicher, gesunder Teenager. Sie ist ein völlig normales Mädchen, dem man nichts ansieht. Das klinische Ergebnis der Behandlung von Emily war für die medizinische Gemeinschaft überwältigend."
    Hohe Preise für Therapien
    Erzählt Karin Blumer, die für Europa zuständige Kommunikationschefin im Bereich Zell- und Gentherapie beim Pharmakonzern Novartis. Das Schweizer Unternehmen war mit der US-Universität eine Kollaboration eingegangen, und das Ergebnis ist eine sogenannte CAR-T-Zelltherapie, die auch Emily geholfen hat. Dabei werden die T-Zellen des Immunsystems, die zu den weißen Blutkörperchen gehören, gentechnisch so verändert, dass sie Krebszellen erkennen und töten können. Doch so beeindruckend dieses neue Therapeutikum wirkt, so beeindruckend sind die Preise für diese Therapien:
    "In den USA liegen die Kosten irgendwo im Bereich zwischen 300.000 und 470.000 Dollar pro Patient."
    Sagt Siegfried Throm, Geschäftsführer "Forschung, Entwicklung und Innovation" beim Verband der forschenden Pharma-Unternehmen in Berlin. Aber das ist erst der Beginn einer Entwicklung – die sich auch in Europa abzeichnet. Am Montag hat die EU-Kommission bekannt gegeben, dass das Novartis-Präparat und eine weitere CAR-T-Zelltherapie zugelassen wurden. Auch dieses Medikament, das die US-Firma Gilead Sciences auf den Markt gebracht hat, liegt im sechsstelligen Bereich. Ein drittes Medikament in dieser Preisklasse ist bereits absehbar:
    "Ein nächstes Produkt, was für eine schwere, seltene Augenkrankheit eingesetzt wird und im Zulassungsprozess ist, da rechnen wir mit Preisen pro Augen von 450.000 Euro, also ungefähr 900.000 Euro pro Patient. Das sind Produkte, die in Preisregionen sind jenseits dessen, was überhaupt bisher vorstellbar war."
    Am Fraunhofer Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) in Leipzig, arbeitet in einem Reinraum mit hoch spezialisierter Technik der pharmazeutisch-technische Assistent Michael Nemetz an einer neuen personalisierten Zelltherapie gegen Krebs.
    Die Entwicklungskosten pro Medikament liegen durchschnittlich bei zwei Milliarden Dollar. (dpa/ picture alliance/ Waltraud Grubitzsch)
    Meint Lili Grell vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe und Leiterin der Expertengruppe "Arzneimittelversorgung". Angesichts der Preisentwicklung gerade bei den sogenannten Advanced Therapy Medicinal Products, Arzneimitteln für neuartige Therapien also, stellt sich die Frage, wie das bezahlt werden soll. Normalerweise begründen Pharmaunternehmen hohe Preise mit den Kosten für Forschung und Entwicklung, damit dass es nur eines von zehn potentiellen Medikamenten zur Marktreife schafft und mit dem Aufwand für die klinischen Tests, die von den Zulassungsbehörden vorgeschrieben sind. Die Entwicklungskosten pro Medikament liegen durchschnittlich bei zwei Milliarden Dollar – für ein klassisches Mittel, das Millionen Patienten verschrieben werden kann. Doch je mehr über genetische Faktoren bei Erkrankungen bekannt wird, desto spezifischer werden viele Therapien – und das verkleinert die Zielgruppe. Bis es schließlich – wie bei der CAR-T-Behandlung für Emily – um ein Individuum geht. Dann wird das Mittel in einem hochspezialisierten Labor aus körpereigenen Zellen des Patienten für diesen einen Patienten hergestellt. Die Anforderungen an die Sicherheit sind extrem hoch. Doch zumindest für Novartis sind diese ganzen Kosten, von Forschung bis zu der aufwendigen Logistik, nicht der Grund, den Preis so hoch anzusetzen. Novartis-Sprecherin Karin Blumer:
    "Der Preis – so sehen wir dies – ist gerechtfertigt durch den Wert des Medikaments, den es sowohl für die Patienten, als auch für die Gesundheitssysteme bringt. Wir haben eine einmalige Therapie mit der Aussicht auf eine Heilung für sehr viele Patienten."
    "Wir sehen, dass die sogenannte individualisierte Medizin immer mehr an Bedeutung bekommt. Hat man früher die individuelle genetische Ausstattung, die wir haben, mühsam sequenziert, so haben wir heute mittlerweile durch die medizinische Technik die Möglichkeit, mit Automaten zu sequenzieren, und das kann schon innerhalb einer Stunde gelingen."
    Und so entwickele sich eine zunehmend auf die einzelne Person bezogene Medizin, sagt Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung. "Insofern müssen auch die Wirkstoffe und die medizinischen Antworten sehr viel spezifizierter sein. Das ist viel anspruchsvoller, als wir das in der Vergangenheit gehabt haben, aber dadurch können wir auch Menschen helfen, denen die 'herkömmliche Medizin' so noch nicht helfen konnte."
    Frage der Heilung kann noch nicht beantwortet werden
    Deswegen sind die beiden CAR-T-Zelltherapeutika in den USA beschleunigt zugelassen worden. Die Erfolgsquote liegt bei den Patienten, bei denen sie eingesetzt wurden, bei 30 bis 50 Prozent. Noch Monate – oder wie bei Emily – Jahre nach der Therapie scheint alles in Ordnung zu sein. Aber unklar ist, ob das dauerhaft so bleibt:
    "Die Frage der Heilung können wir zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht beantworten."
    Forscher werten am Computer Oberflächenmerkmale und Charakterisierung von Zellen für eine neue personalisierte Zelltherapie gegen Krebs aus. 
    Forscher werten am Computer Oberflächenmerkmale und Charakterisierung von Zellen für eine neue personalisierte Zelltherapie gegen Krebs aus. (dpa/ picture alliance/ Waltraud Grubitzsch)
    Denn dazu sei der Zeitraum, den man überblicken könne, noch zu kurz, erklärt Martina Schüssler-Lenz vom Paul-Ehrlich-Institut, der Bundesbehörde für die Genehmigung von Arzneimitteln. Und: Die Nebenwirkungen dieser Gentherapien können gravierend sein. Deshalb werden die Mittel nur bei ansonsten hoffnungslosen Fällen eingesetzt. Eine dieser Nebenwirkungen: der "Zytokinsturm" – eine lebensbedrohliche Überreaktion des Immunsystems, mit der auch Emily Whitehead zu kämpfen hatte. Zwar wissen die Mediziner inzwischen besser damit umzugehen, doch CAR-T-Zelltherapien dürfen wegen ihrer großen Risiken nur in spezialisierten Krankenhäusern und nur mit dafür eigens trainiertem Personal durchgeführt werden, erläutert Lili Grell vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe:
    "Unter der Therapie hat man auch Todesfälle gesehen. Viele Patienten müssen auf die Intensivstation, müssen sogar beatmet werden. Also das ist eine sehr herausfordernde Therapie, aber auch – und das muss man ganz klar sagen – eine große Chance für Patienten nach heutiger Kenntnis." Damit ist absehbar, dass die Frage nach dem angemessenen Preis für Medikamente künftig immer bedeutsamer wird. Es geht darum, was Gesellschaft und Politik für ein Produkt zu zahlen bereit sind, meint Michael Schlander vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg:
    Was ist die maximale Zahlungsbereitschaft für ein gewonnenes Lebensjahr?
    "Was darf ein neues Medikament kosten, wenn es eine ganz bestimmte Lebensverlängerung bewirkt? Und was sich daraus ergibt, ist die Frage nach Grenzwerten: Was ist die maximale Zahlungsbereitschaft für ein gewonnenes Lebensjahr."
    Anders als in Deutschland wird diese Frage in vielen anderen europäischen Ländern sehr offen gestellt: Dort hängt es dann vom Kosten-Nutzen-Verhältnis ab, ob eine medizinische Maßnahme im Gesundheitssystem bezahlt wird oder nicht. Bislang schätzt die Weltgesundheitsorganisation, dass die Zahlungsbereitschaft für ein zusätzliches beschwerdefreies Lebensjahr beim maximal Dreifachen des Bruttoinlandsprodukts pro Einwohner liegt. Michael Schlander kommt in einer Studie auf rund das doppelte dieses Schätzwertes. Für Europa wären das etwa 160.000 Euro, für die USA sogar gut 270.000 Euro. Das bedeutet, dass die Menschen durchaus bereit sind, sechsstellige Beträge für Medikamente wie die neuartigen Gentherapeutika zu bezahlen – allerdings immer unter der Voraussetzung, dass die Wirksamkeit nachgewiesen ist und sie den Betroffenen ein längeres und besseres Leben eröffnen. Doch auch wenn diese Bedingungen erfüllt sind: Können die Gesundheitssysteme tatsächlich einen Preis wie den der CAR-T-Zelltherapie, die Emily Whitehead bekam, verkraften? Michael Schlander: "Es ist zunächst eine Frage, wie häufig tritt die Krankheit auf. Völlig klar ist: Der ist absolut am oberen Limit dessen, was wir bisher erlebt haben."
    Allerdings seien neue Technologien anfangs oft teuer, und der Preis sinke dann durch Verbesserungen im Herstellungsprozess und durch den Wettbewerb, betont Schlander. Das könnte auch bei den CAR-T-Zelltherapien passieren, hofft Siegfried Throm vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen:
    "Was sich ändern wird, davon gehen wir aus, ist, dass die bisher rein manuelle Herstellung in Zukunft automatisiert werden könnte und damit natürlich auch rationeller und deutlich günstiger vonstatten gehen könnte. Andere Konzepte sehen vor, dass man vielleicht davon wegkommt, dass es die Blutzellen des jeweiligen Patienten sein müssen, dass man vielleicht so Gruppen von T-Zellen hier sich auf Lager halten kann, die für eine größere Gruppe von Patienten dann infrage kommen könnten."
    Weniger Folgekosten
    Und es gibt noch einen Aspekt, der bei der Diskussion um den Preis eine Rolle spielt, konstatiert Josef Hecken. Der CDU-Politiker ist Vorsitzender des "Gemeinsamen Bundesausschusses", ein Gremium, dem Ärzte, Krankenhäuser und Kassen in Deutschland angehören und das festlegt, welche neuen Arzneimittel und Therapien die gesetzliche Krankenversicherung bezahlt: "Was man nicht vergessen darf ist natürlich, dass durch bestimmte wirksame biologische Therapien, die anders als andere Präparate in der Vergangenheit eben Krankheiten wirklich stoppen können, natürlich in vielen Fällen auch Folgekosten gespart werden."
    Beispiel: ein klassisches Medikament zur Behandlung von Hepatitis C der Firma Gilead Sciences. In Deutschland kostet die Therapie rund 40.000 Euro – doch gehört auch zur Bilanz, dass bei den meisten Patienten nach einigen Wochen keine Viren mehr nachweisbar sind und die Folgekosten durch Leberzirrhosen oder Organtransplantationen entfallen.
    "Aber das soll und darf und kann keine Einladung an pharmazeutische Unternehmen sein, in Bereichen, in denen Patienten eben keine Therapieoption mehr haben, Preise zu fordern, die teilweise – ohne jetzt wegen Beleidigung verklagt werden zu wollen –, aber die teilweise in der Nähe dessen sind, was ich im privaten Rechtsverkehr als Wucher bezeichnen würde. Also insofern muss man hier auf alle Fälle auch alle Versuche nutzen, um auf die Preisbremse zu treten."
    Herstellung von Krebsmedikamenten in einem Labor einer Apothekehe.
    Herstellung von Krebsmedikamenten in einem Labor. (picture alliance/dpa/Foto: Rolf Vennenbernd)
    Bis 2011 konnten Pharma-Unternehmen in Deutschland ihre Preise frei festlegen. Doch seit Inkrafttreten des Arzneimittel-Markt-Neuordnungsgesetzes durchläuft jeder neue Wirkstoff eine "frühe Nutzenbewertung". Sprich: Der Gemeinsame Bundesausschuss prüft, ob der Wirkstoff im Vergleich zu bisherigen Therapien einen Zusatznutzen bringt. Im ersten Jahr kann der Hersteller nach Markteinführung den Preis selbst festsetzen. Wenn es einen Zusatznutzen hat, gilt vom zweiten Jahr an dann der Betrag, der mit den Krankenkassen ausgehandelt worden ist. (*) Die "frühe Nutzenbewertung" funktioniert jedoch nur mit den entsprechenden Studien.
    Priviligierte Situation in Deutschland
    "Wir sind eben bei CAR-Zelltherapien hier in einem relativen Dilemma." Urteilt Josef Hecken. Denn für aufwendige klinische Studien fehlen schlicht die Fallzahlen, es geht immer nur um ein paar Dutzend Patienten, die bei den CAR-T-Therapien jeweils mit ihren eigenen, gentechnisch modifizierten Abwehrzellen behandelt werden: "Auf der anderen Seite sieht man wirklich in den Studien, dass diese CAR-T-Zelltherapien in manchen Fällen ein sehr, sehr großes Innovationspotenzial haben, und deshalb stehen wir in der Nutzenbewertung immer vor der Fragestellung, wie gehen wir mit der fragmentarischen oder teilweise überhaupt nicht vorhandenen Evidenz um."
    Die beiden bislang in den USA zugelassenen CAR-T-Zelltherapien sind im Juni von einem Ausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur EMA positiv bewertet und für die Zulassung in Europa empfohlen worden. Das hat in Deutschland positive Auswirkungen, sagt Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Bundesärztekammer: "Wir sind in Deutschland in einer absolut privilegierten Situation. Vergleichbar mit anderen Ländern in Europa sind wir das einzige Land, in dem jedes Medikament, was zugelassen wurde von der Europäischen Arzneimittel-Agentur, sofort verordnet werden kann und bezahlt wird." Um dann trotz geringer Patientenzahlen bessere Daten über Nutzen und vor allem auch Risiken zu erhalten, müssten nach einer Zulassung aber klinische Studien laufen: "Hier muss die Politik entscheiden und sagen, wir wollen, damit unsere Patienten, die tatsächlich von diesen neuen Medikamenten profitieren, besser identifiziert werden können, weitere Forschung, und wir wollen natürlich auch die Sicherheit dieser Arzneimittel sehr gründlich auch nach der Zulassung überwachen."
    Grundlage dafür wäre ein gemeinsames Register, in dem jeder Patient verzeichnet wird. Solche Register sind auch nach Ansicht von Martina Schüssler-Lenz ein ganz zentraler Punkt. "Was wir auf jeden Fall schon in die Zulassung reingeschrieben haben, ist, dass jeder Patient der in Europa mit CAR-T-Zellen behandelt wird, in einem Register erfasst werden soll und das dann in diesem Register die Daten zur Toxizität, zu den Nebenwirkungen und auch die Wirksamkeitsdaten zu erfassen sind." Sonst kann die Zulassung in Europa wieder entzogen werden. Doch diese Drohung ist oft ein stumpfes Schwert, vor allem, wenn ein Medikament die letzte Hoffnung für die Patienten ist.
    "Heute haben wir nur die Möglichkeit, darum zu bitten, dass solche Registereinschlüsse erfolgen. Wenn der Behandler sagt, ich mache das nicht, dann ist diese Bitte dann eben am Ende des Tages ergebnislos." Erläutert Josef Hecken vom Gemeinsamen Bundesausschuss. Er hofft auf gesetzliche Nachbesserungen: "Ich kämpfe im Augenblick mit dem Gesetzgeber darum, dass man uns die Möglichkeit eröffnet – eben auch rechtssicher in unseren Beschlüssen – pharmazeutische Unternehmer und Ärzte zu verpflichten, jeden Patienten, der in die Behandlung eingeschlossen wird, dann auch in einem Register zu beobachten, zu erfassen."
    Gentherapien erleben immer größeren Zuspruch
    Wenn die Daten dann auch zugänglich gemacht und nicht unter Verschluss gehalten werden, lässt sich zwei oder drei Jahre, nachdem das Produkt auf den Markt gekommen ist, die Nutzenbewertung auf einer verlässlicheren Basis vornehmen. "Ansonsten bewegt man sich auf ewige Zeiten im evidenzfreien Raum." Dennoch: Trotz der lückenhaften Datenlage erleben Gentherapien immer größeren Zuspruch. Nachdem 1999 der Tod des US-Teenagers Jesse Gelsinger, der mutmaßlich als erster Patient an einer Gentherapie starb, die Forschung um Jahre zurückgeworfen hat, geht man heute davon aus, dass für Gentherapien künftig weitaus größere Patientengruppen in Frage kommen könnten.
    "Mit Stand Juni 2018 gab es weltweit 385 klinische Prüfungen mit CAR-T-Zellen. Die meisten davon, das wissen wir, laufen in den USA und in China." Erzählt Martina Schüssler-Lenz vom Paul-Ehrlich-Institut. Unter den vielen Ansätzen, die verfolgt werden, sind auch Therapien für Lungen- oder Prostatakrebs. Lili Grell vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Westfalen Lippe: "Man wird aber einfach abwarten müssen, wie die klinische Forschung sich dort entwickelt, ob es überhaupt erfolgreich ist oder nicht." Doch spätestens dann stellt sich wieder vehement die Frage nach der Bezahlbarkeit. Eines der Schlagwörter, das heute schon bei diesen sehr teuren Mitteln neu ins Spiel kommt: "Pay for Performance": "Dann kann man eine erfolgsabhängige Vergütung auf der Einzelpatientenebene etablieren oder auch für die ganze Gruppe der Patienten, die behandelt wird. Das ist beides möglich und auch aber beides plausibel, dass solche Projekte angegangen werden." Erläutert Antje Haas, Leiterin der Abteilung "Arznei- und Heilmittel" im Spitzenverband der Krankenkassen.
    "Finanzierbarkeit für die gesetzliche Krankenversicherung und Erfolgswahrscheinlichkeit, das sind ja Größen, die einander beziehen und bedingen, also wird man dort auf jeden Fall solche Vergütungsprinzipien etablieren." In den USA bietet Novartis die Bezahlung für sein Leukämie-Gentherapeutikum schon auf der Basis von "Pay for Performance" an. Der Konzern bekommt das Geld nur dann, wenn der Patient innerhalb eines Monats darauf anspricht. Sonst wird das Präparat nicht erstattet. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Bundesärztekammer:
    "Ich glaube, wir müssen uns wirklich überlegen, dass wir bei diesen exzessiv teuren Therapiestrategien, die wir derzeit nur teilweise hinsichtlich ihres Nutzens beurteilen können, wirklich neue Modelle haben. Und ich glaube, das Modell, dass man sich dann an dem Ergebnis der Therapie orientiert, ist derzeit das einzige, was wir heranziehen können."
    Für das deutsche Krankenversicherungssystem wäre das eine neue Strategie. Aber offen bleibt die Frage: ob die kommerziell arbeitenden Pharma-Unternehmen diese Finanzierungs-Idee für hochspezialisierte Arzneimittel annehmen werden.
    (*) In einer früheren Version des Textes wurde nicht deutlich, dass der ausgehandelte Betrag mit den Krankenkassen nur gilt, wenn es einen belegbaren Zusatznutzen gibt. Das haben wir entsprechend geändert.