Kekulé: Guten Morgen.
Birke: Die Bürgerpauschale in Höhe von 198 Euro pro Person bei Abschaffung der Privatversicherung, gratis mitversicherte Kinder und sozialem Ausgleich über Steuern ist der Wirtschaftsweisen letzter Schluss, aber ist es auch der Weisheit letzter Schluss?
Kekulé: Ich weiß natürlich nicht, was der Weisheit letzter Schluss ist, aber aus der Praxis kann man nur sagen: was mich an der ganzen Diskussion irritiert ist, dass natürlich irgendwo eine Mischung sein muss, vielleicht zwischen Bürgerpauschale, Kopfpauschale, Bürgerversicherung, wie man das nennt. Man muss das Ganze finanzieren, aber das Hauptproblem ist doch, dass die Kosten so enorm hoch sind und auch weiter steigen werden. Und das irritiert mich ein bisschen an der Gesundheitsreform insgesamt, es wird jetzt immer überlegt, wie man diesem riesigen gefräßigen Moloch Medizinsystem noch mehr Geld verschaffen kann, aber nicht mehr so systematisch wie am Anfang wird überlegt, wie man strukturell einfach die Kosten senken kann.
Birke: Nehmen wir doch ein Beispiel: 30 Prozent der verordneten Medikamente werden teurer, das hat gestern die Pharmaindustrie angekündigt. Halten Sie diese Preissteigerungen für gerechtfertigt?
Kekulé: Ganz klar ist, dass neue, innovative Medikamente wirklich Geld kosten. Das darf man nicht vergessen, wenn man immer auf die Pharmaindustrie schimpft. Das sind Forschungsleistungen, die auch nur sie wirklich bringen kann. Das kann kein Max-Planck-Institut, keine private Firma oder kleinere Firma. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass die Pharmaindustrie auch überlegt, wie sie die Deckelbeträge und die ganzen Preisbindungen, die es jetzt gibt, parieren kann und was da jetzt stattfindet, sind häufig so genannte Scheininnovationen. Man verkauft neue Medikamente, die angeblich irgendwo ein bisschen besser wirken und hinterher stellt man dann fest, dass unter Umständen auch stärkere Nebenwirkungen damit verbunden sind. Dieser Vioxx-Skandal, den wir gerade haben, ist ein prominentes Beispiel. Letztlich glaube ich, dass die Ärzte konservativer sein sollten, also die Mittel, die wirklich wirken und lang erprobt sind, anwenden und die ganz neuen, die ihnen als angebliche Neuerung verkauft werden, einfach erst mal eine Weile an wenigen Patienten testen, dann hätten wir auch diese Kostensteigerung nicht.
Birke: Sind die Ärzte zu skrupellos, dass sie sich hier auch von der Pharmaindustrie über Kongresse und Geschenke einbinden lassen in eine Angebotsausweitung?
Kekulé: Ich würde das überhaupt nicht als skrupellos bezeichnen und das sage ich nicht, weil ich selber Arzt bin, ich scheue nicht, auch mal Kritik anzubringen, sondern Sie müssen es sich praktisch vorstellen: Der Arzt hat irgendwann mal studiert und etwas über Pharmakologie gelernt, viele Jahre später ist er Gynäkologe, Chirurg oder etwas anderes in der Praxis. Eine ganz wichtige Informationsquelle über diese ja sehr technischen Neuerungen sind einfach die Informationen der Pharmaindustrie selbst, meistens wissen die nur selbst am besten, wie sie ihre Studien gemacht haben, wie die neuen Mittel entworfen wurden und so weiter und die Ärzte haben im Moment wenig Alternativen, als sich auf die Informationen der Pharmavertreter zu verlassen. Natürlich gibt es dann mal die eine oder andere Einladung zu einem Kongress, aber ich glaube nicht, dass das einen Arzt letztlich überzeugt in der jetzigen Situation. Was wir deshalb brauchen, ist wirklich eine unabhängige Instanz, so ist es ja ursprünglich immer wieder angedacht worden, von Seehofer sogar, parallel den Ärzten sagen: das sollt ihr nehmen, das sind wirkliche Innovationen und Mittel, die was bringen und dass wir natürlich dann eine Positivliste brauchen, auch von neuen Medikamenten, wo man sagt, diese werden von der GKV bezahlt, von der allgemeinen Krankenkasse, und die anderen eben nicht.
Birke: Wo kann man denn ganz konkret noch ansetzen, um bei Krankenhäusern und Ärzten zu sparen?
Kekulé: Es gibt viele Studien, die sagen, dass die Effizienz im System noch sehr schlecht ist, die Ärzte sind jetzt noch in der Situation, dass sie sich natürlich wehren gegen die Deckelungen, indem sie abrechnungstechnisch alles mögliche 'optimieren', wenn ich das mal so nennen darf. Ich glaube, da ist noch relativ viel Sparpotential drinnen und der ganz große Brocken ist natürlich jetzt in den Krankenhäusern. Es steht ja dort die Strukturreform noch bevor, es wird größtenteils noch nach Tagessätzen abgerechnet und in Zukunft soll es ja so sein, dass die Krankenhäuser, die etwa ein Drittel aller Kosten ausmachen, dann über Fallkostenpauschalen abrechnen und da ist es jetzt schon abzusehen, dass also in den Krankenhäusern dann der normale Blinddarm nicht als normaler sondern als komplizierter Blinddarm registriert wird, weil da einfach höhere Sätze drauf stehen und ähnliche Dinge und dass Krankenhäuser sich auch spezialisieren auf bestimmte Krankheitsdiagnosen, die lukrativer sind. Ich glaube, da ist es noch sehr fraglich, ob das System wirklich Einsparungen bringt und da muss man sich ganz besonders bemühen. Letztlich steht dahinter für uns alle die Frage, was für einen Begriff von Solidarsystem wir eigentlich haben und was für einen von Krankheit. Es ist doch so, dass wir in der Solidargemeinschaft eigentlich Leuten helfen wollen, die schwer krank sind, denen es wirklich sehr schlecht geht und wo man etwas tun muss. Das müssten wir mal neu definieren. Da können nicht Kuren darunter fallen, nicht Massagen, aber auch nicht die neusten Medikamente mit fraglichen Wirkungen.
Birke: Die Bürgerpauschale in Höhe von 198 Euro pro Person bei Abschaffung der Privatversicherung, gratis mitversicherte Kinder und sozialem Ausgleich über Steuern ist der Wirtschaftsweisen letzter Schluss, aber ist es auch der Weisheit letzter Schluss?
Kekulé: Ich weiß natürlich nicht, was der Weisheit letzter Schluss ist, aber aus der Praxis kann man nur sagen: was mich an der ganzen Diskussion irritiert ist, dass natürlich irgendwo eine Mischung sein muss, vielleicht zwischen Bürgerpauschale, Kopfpauschale, Bürgerversicherung, wie man das nennt. Man muss das Ganze finanzieren, aber das Hauptproblem ist doch, dass die Kosten so enorm hoch sind und auch weiter steigen werden. Und das irritiert mich ein bisschen an der Gesundheitsreform insgesamt, es wird jetzt immer überlegt, wie man diesem riesigen gefräßigen Moloch Medizinsystem noch mehr Geld verschaffen kann, aber nicht mehr so systematisch wie am Anfang wird überlegt, wie man strukturell einfach die Kosten senken kann.
Birke: Nehmen wir doch ein Beispiel: 30 Prozent der verordneten Medikamente werden teurer, das hat gestern die Pharmaindustrie angekündigt. Halten Sie diese Preissteigerungen für gerechtfertigt?
Kekulé: Ganz klar ist, dass neue, innovative Medikamente wirklich Geld kosten. Das darf man nicht vergessen, wenn man immer auf die Pharmaindustrie schimpft. Das sind Forschungsleistungen, die auch nur sie wirklich bringen kann. Das kann kein Max-Planck-Institut, keine private Firma oder kleinere Firma. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass die Pharmaindustrie auch überlegt, wie sie die Deckelbeträge und die ganzen Preisbindungen, die es jetzt gibt, parieren kann und was da jetzt stattfindet, sind häufig so genannte Scheininnovationen. Man verkauft neue Medikamente, die angeblich irgendwo ein bisschen besser wirken und hinterher stellt man dann fest, dass unter Umständen auch stärkere Nebenwirkungen damit verbunden sind. Dieser Vioxx-Skandal, den wir gerade haben, ist ein prominentes Beispiel. Letztlich glaube ich, dass die Ärzte konservativer sein sollten, also die Mittel, die wirklich wirken und lang erprobt sind, anwenden und die ganz neuen, die ihnen als angebliche Neuerung verkauft werden, einfach erst mal eine Weile an wenigen Patienten testen, dann hätten wir auch diese Kostensteigerung nicht.
Birke: Sind die Ärzte zu skrupellos, dass sie sich hier auch von der Pharmaindustrie über Kongresse und Geschenke einbinden lassen in eine Angebotsausweitung?
Kekulé: Ich würde das überhaupt nicht als skrupellos bezeichnen und das sage ich nicht, weil ich selber Arzt bin, ich scheue nicht, auch mal Kritik anzubringen, sondern Sie müssen es sich praktisch vorstellen: Der Arzt hat irgendwann mal studiert und etwas über Pharmakologie gelernt, viele Jahre später ist er Gynäkologe, Chirurg oder etwas anderes in der Praxis. Eine ganz wichtige Informationsquelle über diese ja sehr technischen Neuerungen sind einfach die Informationen der Pharmaindustrie selbst, meistens wissen die nur selbst am besten, wie sie ihre Studien gemacht haben, wie die neuen Mittel entworfen wurden und so weiter und die Ärzte haben im Moment wenig Alternativen, als sich auf die Informationen der Pharmavertreter zu verlassen. Natürlich gibt es dann mal die eine oder andere Einladung zu einem Kongress, aber ich glaube nicht, dass das einen Arzt letztlich überzeugt in der jetzigen Situation. Was wir deshalb brauchen, ist wirklich eine unabhängige Instanz, so ist es ja ursprünglich immer wieder angedacht worden, von Seehofer sogar, parallel den Ärzten sagen: das sollt ihr nehmen, das sind wirkliche Innovationen und Mittel, die was bringen und dass wir natürlich dann eine Positivliste brauchen, auch von neuen Medikamenten, wo man sagt, diese werden von der GKV bezahlt, von der allgemeinen Krankenkasse, und die anderen eben nicht.
Birke: Wo kann man denn ganz konkret noch ansetzen, um bei Krankenhäusern und Ärzten zu sparen?
Kekulé: Es gibt viele Studien, die sagen, dass die Effizienz im System noch sehr schlecht ist, die Ärzte sind jetzt noch in der Situation, dass sie sich natürlich wehren gegen die Deckelungen, indem sie abrechnungstechnisch alles mögliche 'optimieren', wenn ich das mal so nennen darf. Ich glaube, da ist noch relativ viel Sparpotential drinnen und der ganz große Brocken ist natürlich jetzt in den Krankenhäusern. Es steht ja dort die Strukturreform noch bevor, es wird größtenteils noch nach Tagessätzen abgerechnet und in Zukunft soll es ja so sein, dass die Krankenhäuser, die etwa ein Drittel aller Kosten ausmachen, dann über Fallkostenpauschalen abrechnen und da ist es jetzt schon abzusehen, dass also in den Krankenhäusern dann der normale Blinddarm nicht als normaler sondern als komplizierter Blinddarm registriert wird, weil da einfach höhere Sätze drauf stehen und ähnliche Dinge und dass Krankenhäuser sich auch spezialisieren auf bestimmte Krankheitsdiagnosen, die lukrativer sind. Ich glaube, da ist es noch sehr fraglich, ob das System wirklich Einsparungen bringt und da muss man sich ganz besonders bemühen. Letztlich steht dahinter für uns alle die Frage, was für einen Begriff von Solidarsystem wir eigentlich haben und was für einen von Krankheit. Es ist doch so, dass wir in der Solidargemeinschaft eigentlich Leuten helfen wollen, die schwer krank sind, denen es wirklich sehr schlecht geht und wo man etwas tun muss. Das müssten wir mal neu definieren. Da können nicht Kuren darunter fallen, nicht Massagen, aber auch nicht die neusten Medikamente mit fraglichen Wirkungen.