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Medizinerin hält aktive Sterbehilfe durch einen Arzt für keine Option

Claudia Wiesemann, Leiterin der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Göttingen, hält die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in Deutschland für undenkbar. Die Tötung durch einen Arzt sei mit der Gefahr des Machtmissbrauchs verbunden. Die Aktivitäten der Organisation Dignitas, die Beihilfe zum Suizid anbiete, seien hingegen richtig und angemessen.

    Heckmann: Bei etwa fünf Prozent der schwerstkranken Menschen, so schätzt man, hilft auch die modernste Schmerztherapie nichts. Diese Menschen ersehnen oft nichts mehr als den eigenen Tod, und für diese Menschen müsse etwas getan werden, so der Justizsenator in Hamburg Kusch, dem sich auch Politiker der FDP angeschlossen haben. Aber kann die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe die Lösung sein? Die Anhänger der Hospizbewegung wehren sich mit aller Kraft. Für sie steht der Ausbau der Palliativmedizin im Vordergrund. Und auch die meisten Politiker halten am Verbot der aktiven Sterbehilfe fest. Nach Niedersachsen kündigte nun auch das Saarland eine Initiative an, mit der Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas aus der Schweiz verboten werden sollen. Vor dieser Sendung habe ich mit Professor Claudia Wiesemann gesprochen, sie ist Leiterin der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Göttingen, und sie habe ich gefragt, ob die aktuelle Debatte um die aktive Sterbehilfe mit der erforderlichen Ehrlichkeit geführt wird.

    Wiesemann: Ich meine, man muss sich noch genauer um die Begriffe kümmern, um die es hier geht. Auch wenn dahinter natürlich ganz wichtige Schicksale stecken, so ist es doch oder gerade deswegen wichtig, mit möglichst großer Präzision über die problematischen Fälle zu sprechen.

    Heckmann: Helfen Sie uns.

    Wiesemann: Aktive Sterbehilfe ist ein Begriff, der in der wissenschaftlichen Diskussion dafür vorbehalten ist, dass ein Arzt auf Grund seiner spezifischen Kenntnisse und durch seine Hand, durch sein Tun einen Patienten auf seinen Wunsch hin tötet. So ist es beispielsweise ja in den Niederlanden inzwischen möglich, ohne dass man strafverfolgt wird, aber es ist doch notwendig dafür, dass eine Handlung des Arztes vorausgeht, die unmittelbar zur Tötung führt. Die Tatherrschaft liegt beim Arzt. Eine solche Handlung führt zurecht zu großen Sorgen in der Öffentlichkeit, und ich kann die Aufregung darüber sehr gut verstehen.

    Heckmann: Und genau um diese aktive Sterbehilfe geht es ja. Wie ist da Ihre Position? Würden Sie denn für eine Legalisierung dieser aktiven Sterbehilfe plädieren?

    Wiesemann: Ich persönlich meine auf Grund meiner langen Beschäftigung mit den ethischen Themen, die damit verbunden sind, dass das zumindest in Deutschland keine Option für einen Arzt oder eine Ärztin sein kann. Es ist damit doch eine große Macht über einen anderen Menschen verbunden. Es widerspricht der ärztlichen Rolle, die im Heilen und Wiederherstellung von Gesundheit, der Verhütung von Krankheit liegt. Es würde zu Rollenkonflikten führen für den Arzt, woraufhin er eigentlich verpflichtet ist, und es könnte durchaus auch zu Missbrauch dieser Macht von Seiten der Medizin führen. Leider hat Deutschland in dieser Hinsicht ja ein besonders schmerzliches Kapitel historisch erlebt.

    Heckmann: Sie sagen, in Deutschland ist es nicht denkbar, und Sie haben jetzt die Geschichte angesprochen. Das heißt, dieser Aspekt, die Belastung durch die NS-Geschichte, spielt in dieser Diskussion eine große Rolle?

    Wiesemann: Ich glaube, es muss eine Rolle spielen. Wir können in Deutschland das Wort Euthanasie nicht so unbefangen in den Mund nehmen, wie das beispielsweise im Ausland durchaus geschieht. Wir haben wahrscheinlich auch den anderen Ländern ein Wissen voraus über und um die Missbrauchsmöglichkeiten einer solchen Machtfülle in der Medizin. Ich kann trotzdem andere Länder verstehen, die durchaus aus einem Mitleidsimpetus heraus handeln, Holland und Belgien, die ihre Rechtssprechung mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen darauf abgestellt haben, dem Arzt in Ausnahmesituationen eine solche Möglichkeit zu eröffnen. Ich bin trotzdem nach wie vor besorgt und sehe die Sorgen und Missbrauchsmöglichkeiten, und Missbrauch heißt in diesem Fall zum Beispiel so genannte Euthanasie für bewusstlose Patienten. Ich sehe diese Sorgen nicht wirklich ausgeräumt.

    Heckmann: Das heißt aber trotzdem, dass Sie sich Fälle vorstellen können, in denen Sie sagen würden, dass eine aktive Sterbehilfe berechtigt wäre?

    Wiesemann: Ich glaube, es gibt Fälle, in denen sie nachvollziehbar ist. Wir sollten doch vielleicht alle in dieser Situation nicht das Mitleiden tatsächlich vergessen. Sie hatten selbst am Anfang gesagt, es gibt Situationen, in denen kann ich mein Sterben, meine Krankheit als so entwürdigend, meinen Schmerz als so unerträglich, mein Leiden an der Krankheit, was ja noch sehr viel mehr sein kann als Schmerz, als so schrecklich empfinden, dass ich meine Würde nur auf die Art und Weise erhalten kann, indem ich selbstbestimmt aus dem Leben scheide, und um dieser Selbstbestimmung erhoffe ich unter Umständen etwas von dem Arzt, der mit seinem Fachwissen und seiner Fachkenntnis mir dieses Ausscheiden leichter machen kann. Ich kann die Gründe sehr gut verstehen, die zu einer solchen Tat, zu einer solchen Handlung führen. Ich will sie nicht disqualifizieren, ich will ihnen auch den moralischen Gehalt nicht absprechen. Was ich hier anführe, ist eher die große Gefahr des Machtmissbrauchs, die darin letztendlich doch verborgen liegen kann, und die Gefahr der Rollenkonfusion für einen Arzt, der im Krankenhaus mit dieser Handlungsmöglichkeit ausgestattet wird.

    Heckmann: Wenn ich Sie richtig verstehe, plädieren Sie aber dann für eine Beibehaltung des Verbots der aktiven Sterbehilfe, wenn auch im Einzelfall möglicherweise auf eine Bestrafung verzichtet werden kann?

    Wiesemann: Das Recht muss immer den Einzelfall würdigen. Wir sind hier in absoluten Ausnahmesituationen, Situationen, in denen Menschen sich in Extremsituationen befinden, und wenn da nicht die Einzelumstände gewürdigt würden, dann, glaube ich, würden wir unsere menschliche Haltung in jeder Hinsicht verfehlen. Ich wäre nicht für eine Lockerung der aktiven Sterbehilfe in Deutschland, insofern sie die unmittelbare und direkte Tötung durch eine Handlung eines Arztes bedeutet. Im Moment wird dieses Thema ja auch diskutiert im Hinblick auf das, was Dignitas tut. Ich meine aber, dass das, was Dignitas anbietet, nicht aktive Sterbehilfe ist, sondern Beihilfe zum Suizid. Über ein solches Thema kann man anders diskutieren.

    Heckmann: Jetzt hat Dignitas - Sie haben es angesprochen - in Hannover ein Büro eröffnet. Niedersachsen und Saarland erwägen, eine Initiative einzubringen zum Verbot solcher Organisationen. Sie würden das nicht unterstützen?

    Wiesemann: Ich muss sagen, ich unterstütze diese Aktivitäten von Dignitas, ich finde sie richtig und angemessen, und ich würde sie nicht kritisieren. Ich glaube, dass dieser Verein durchaus einem berechtigten Ziel nachgeht, und das ist in einer Gesellschaft, die den Freitod nicht kriminalisiert, übrigens seit über 200 Jahre nicht mehr kriminalisiert, Menschen beizustehen, einen Weg aus dem Leben zu finden, der nicht für sie mit Qualen, unter Umständen auch mit verfehltem Erfolg, mit darauffolgenden langen Leiden und ähnlichem verbunden ist.

    Das heißt, Dignitas bietet ja die Hilfestellung dabei, selbst aus dem Leben zu scheiden, und da muss man wirklich den großen Unterschied sehen zwischen dem, dass ein Arzt jemanden tötet oder dass ich selbst entscheide und auch mich selbst töte. Man kann diese Handlung für unverständlich erklären, aber man kann sie unter Umständen emotional und auch unter Umständen rational nicht nachvollziehen, und in solchen Situationen, so meine ich, soll unsere Gesellschaf den Suizidwilligen, wie gesagt, die aus reichlicher Überlegung sterben wollen, die nicht auf Grund einer Depression sterben wollen oder die nicht auf Grund einer behandelbaren, leicht beeinflussbaren Krankheit sterben wollen, man kann und sollte solchen Menschen nicht unnötige Hindernisse in den Weg legen, und ich meine, unnötige Hindernisse, auch das fehlende Wissen, um möglichst schmerzlos zu scheiden.

    Wer hat denn sich nicht schon oft mit Grausen abgewendet von einer Geschichte, dass sich jemand vor den Zug geworfen hat, von einem Hochhaus gesprungen ist und vielleicht sogar nicht den erwünschten Erfolg erzielt hat, mit Querschnittslähmung oder ähnlichem im Krankenhaus wieder aufgewacht ist? Es sind doch schreckliche Geschichten, und wir sollten doch diesen Menschen nicht unser Mitleid versagen und uns fragen, ob diese Art von Selbsttötungen in unserer Gesellschaft nötig sind.

    Heckmann: Vielen Dank für das Gespräch.