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Medizinische Versorgung
Behinderte Menschen und das deutsche Gesundheitssystem

Menschen mit Behinderungen sind für Krankenhäuser teuer. Denn der besondere Behandlungsbedarf dieser Gruppe wird von den Krankenkassen nicht berücksichtigt. Doch auch im Alltag ist es schwer, geeignete Fachärzte zu finden, weil viele Ärzte Berührungsängste haben.

Von Katharina Jetter |
    Gesine Hoeft:
    "145 zu 95, das ist ziemlich gut. Das wird gleich eingetragen."
    Udo Eichstädt ist seit über zehn Jahren Patient bei Hausärztin Gesine Hoeft. Er kommt regelmäßig einmal im Monat zur Untersuchung. Das ist nötig, denn der 70-Jährige hat mehrere chronische Krankheiten.
    Udo Eichstädt:
    "Was heute los ist mit Udo Eichstädt, mit den Leberwerten, können Sie gleich reinschreiben. Ins Buch reinschreiben."
    Udo Eichstädt kramt aus seinem Leinenbeutel ein Din-A5-Heft. Hier trägt Gesine Hoeft alles ein, was die Assistenten in seiner Wohngruppe und seine rechtliche Betreuerin wissen müssen.
    "Ist die Schilddrüse schon mal untersucht worden? "
    "Die ist nicht untersucht worden, die ganze Zeit, die ganzen Jahre auch nicht untersucht worden."
    "Dann würde ich sagen, dass das einmal mit Ultraschall gemacht wird."
    "Wo mit Ultraschall?"
    "Beim Radiologen."
    "Wo ist beim Radiologen?"
    "Ich schreib mal eine Adresse auf, oder einige Adressen."
    "Ja, das einer mit mir geht."
    "Ja, einer von der Wohngruppe."
    "Mit Ultraschall die Schilddrüse zur Untersuchung!"
    Die Gespräche mit Udo Eichstädt dauern immer etwas länger, auch die Untersuchung nimmt mehr Zeit in Anspruch.
    Gesine Hoeft:
    "Man muss viel Geduld haben und versuchen, auch das raus zu hören, raus zu sehen, was die Patienten vielleicht nicht so benennen können. Dass man sich Zeit nimmt und genau beobachtet."
    Hausärztin Gesine Hoeft nimmt sich die Zeit. Nicht nur für Udo Eichstädt. Sie betreut mehrere Patienten mit geistiger Behinderung. Obwohl das mehr Einsatz kostet, den sie nicht abrechnen kann. Aber wegschicken mag sie die Patienten auch nicht.
    Gesine Hoeft:
    "Ich mag die Leute sehr, ich schätze sie sehr, sie sind sehr aufrichtig, ehrlich, liebevoll, das ist so der Grund."
    Vertrauen zu ihrem Arzt sei für Patienten mit geistiger Behinderung besonders wichtig, so die Ärztin. Viele hätten Angst vor Apparaten, vor dem Röntgen, vor dem Ultraschall, vor dem CT. Da braucht es Zeit und Ruhe, die im normalen Krankenhaus-Ablauf kaum jemand aufbringt. Auch Udo Eichstädt hat schlechte Erfahrungen in der Klinik gemacht:
    Udo Eichstädt:
    "Ich hatte ja Angst, ich wollte da nicht sein. Ich hatte ja Heimweh! Und dann haben sie meinen Kopf fotografiert, ich hatte ja Kopfschmerzen, und immer nur dauernd getestet, getestet, getestet, ich habe jedes Mal herum gewürgt, immer nur herum gewürgt, die Angst und die Quälerei. Heimweh gehabt. Da gehe ich nie wieder hin."
    In Deutschland leben heute 420.000 Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung. Sie haben das Recht auf eine Gesundheitsversorgung in gleicher Qualität wie alle anderen auch. Darüber hinaus haben sie Anspruch auf spezielle Gesundheitsleistungen, die sich aufgrund ihrer Behinderung ergeben. So steht es in der UN-Behindertenrechtskonvention. In Deutschland ist die Konvention im März 2009 in Kraft getreten. Doch im Alltag zeigen sich immer wieder Defizite. Eine Befragung der evangelischen Stiftung Alsterdorf in Hamburg unter Angehörigen geistig behinderter Menschen im Jahr 2012 ergab:
    Mehr als die Hälfte der befragten Angehörigen finden keinen Facharzt in der näheren Umgebung, der bereit und qualifiziert wäre, auch Menschen mit komplexen Behinderungen angemessen zu diagnostizieren bzw. zu behandeln. Ein Viertel der befragten Eltern gaben an, problematische Klinikeinweisungen bzw. Behandlungen in Krankenhäusern erlebt zu haben.
    Gaby Willhöft:
    "Wenn man jetzt einen Arzt gefunden hat, mit dem man zufrieden ist, was es auch gibt, gibt man diese Adresse eigentlich ungern weiter, weil man schon sieht, dass der Arzt sehr viel Zeit investiert, und die Ärzte das dann nicht leisten können, wenn dann noch zehn weitere Behinderte auch ihre Praxis aufsuchen."
    So beschreibt Gaby Willhöft die Situation aus der Sicht der Angehörigen, die oft so lange es geht, die ärztliche Versorgung ihrer Kinder organisieren und begleiten. Die 52-Jährige hat einen schwerst mehrfach behinderten Sohn. Sie fühlt sich mit ihm in den meisten Praxen nicht willkommen. Und selbst wenn, ihr Sohn käme mit seinem Rollstuhl oft genug nicht mal durch die Tür, geschweige denn zum Röntgengerät.
    Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery kennt diese und ähnliche Beschwerden von Selbsthilfe-Vereinen wie der „Lebenshilfe“ oder „Leben mit Behinderung.“ Aber, so Montgomery, der Fehler liege eigentlich nicht bei den Ärzten, sondern im Abrechnungs-System.
    Frank Ulrich Montgomery:
    "Die Möglichkeiten, den besonderen Behandlungsbedarf, der bei diesen schwierigen, oft komplexen Fällen auch noch abzurechnen, sind ausgesprochen gering. Es gibt einige ganz wenige Zuschlagsziffern. Das ist auch der Grund, warum es vielen nieder gelassenen Ärzten schwerfällt, sich intensiver um diese Patienten zu bemühen, weil der gezahlte Preis und der Aufwand in keinem Verhältnis zueinanderstehen. Das ist nicht schön, ich sage das auch sehr ungern, aber wir müssen der Realität in Auge sehen. Es war einfach und leicht, die UN-Behindertenrechts-Konvention in Deutschland zu ratifizieren, aber die Folgen haben weder die Krankenkassen noch auch die Politik bei der Finanzierung ausreichend bedacht."
    Grundsicherung reicht nicht für Gesundheitsleistungen
    Für Kinder mit Behinderung gibt es in Deutschland fast flächendeckend sogenannte sozialpädiatrische Zentren. Dort arbeiten Fachärzte und Therapeuten interdisziplinär zusammen. Für Erwachsene mit Behinderung gibt es solche Anlaufstellen jedoch nicht. Das bedeutet, sie müssen, kaum sind sie 18 Jahre alt, jeden Facharzt einzeln aufsuchen. Außerdem, so Montgomery, lässt die Unterstützungsbereitschaft in der Gesellschaft für erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung rapide nach. Behinderung ist keine Krankheit. Aber die Wahrscheinlichkeit krank zu werden, steigt durch ein Handicap. Die Special Olympics, eine weltweite Sportbewegung für Menschen mit geistiger Behinderung, konstatieren:
    Menschen mit geistiger Behinderung tragen ein um 40 Prozent höheres Risiko für zusätzliche gesundheitliche Einschränkungen, wie zum Beispiel Übergewicht, mangelhafte Fitness, falsche Ernährung und Vitaminmangel, unbehandelte oder schlecht behandelte Sehschwäche, Hör- und Fußschäden, schlechte Zähne.
    Die Organisatoren der Special Olympics haben deshalb ein Gesundheitsprogramm für ihre Athleten entwickelt. Parallel zu den Wettkämpfen gibt es kostenlose Sehtests, Zahnarzt-Untersuchungen, Hörprüfungen und Tipps für einen gesunden Lebensstil. Die Ärzte, Optiker, Orthopäden, Zahnärzte und viele andere Helfer arbeiten ehrenamtlich mit. Dr. Imke Kaschke, die Koordinatorin des Programms:
    "Bei dem Sehprogramm sind wir in einer sehr guten Lage, dort können wir durch internationale Unterstützung, kostenlos Seehilfen im Nachgang anbieten und anfertigen. Der Athlet sucht sich während der Veranstaltung ein Brillengestell aus, und die für ihn angefertigte Brille wird dann zugesendet."
    Die Ergebnisse aller Gesundheitsuntersuchungen werden anonym gespeichert und wissenschaftlich ausgewertet.
    Imke Kaschke:
    "Das ist auch eine Datenbasis, die weltweit besteht. Und da muss man schon sehr kritisch bemerken, dass die deutschen Athleten, wo wir ja in Deutschland ein sehr gut entwickeltes Gesundheitssystem haben, sich nicht wesentlich von denen von Athleten in Schwellen- oder Entwicklungsländern unterscheiden. So haben wir zum Beispiel im Bereich der Zahnmedizin fast jeden zweiten Athleten, den wir untersuchen, mit einer Zahnfleischentzündung. Für das Programm der Augenprüfung: jeder zweite Athlet benötigt eine Sehkorrektur, das heißt, dass entweder hier überhaupt keine Korrektur vorlag, obwohl manchmal Sehminderungen von mehreren Dioptrin festgestellt werden. Bei den Hörprüfungen sind es immerhin auch 15 Prozent, wo Hörminderungen erkannt werden, die vorher auch überhaupt nicht bekannt waren."
    Brillen und Hörgeräte, Einlagen und Vorsorgeuntersuchungen beim Zahnarzt müssen seit geraumer Zeit zum großen Teil aus eigener Tasche bezahlt werden. Menschen, die beispielsweise in der Werkstatt für Behinderte arbeiten, verdienen im Schnitt nur 180 Euro im Monat, zusätzlich zur Grundsicherung. Davon könne man sich die sogenannten individuellen Gesundheitsleitungen schlicht nicht leisten, so Imke Kaschke.
    "Genau. Also im Prinzip gibt es keine Sonderregelungen für Menschen mit Behinderungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenkasse. Wir haben in den letzten Jahren einige Bewegungen, zumindest ist das Problem wahrgenommen worden, aber die finanziellen Zuwendungen gerade im Bereich der Prävention richten sich nicht nach den behinderungsspezifischen Anforderungen. Obwohl eigentlich im Gesetz, das dazu vorliegt, drin steht, dass den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen ist."
    Gaby Willhöft hat nicht das Gefühl, dass den besonderen Bedürfnissen ihres Sohnes im Gesundheitssystem Rechnung getragen wird. Ihr Sohn lebt, seit er erwachsen ist, in einer betreuten Wohngruppe. Der 28-Jährige leidet immer wieder unter massiven Kreislaufzusammenbrüchen. Die Betreuer in seiner Wohngruppe rufen dann den Notarzt.
    "Dann wird er mit dem Krankenwagen in das Krankenhaus gefahren. Die Ausstattung mit Betreuern ist leider in den Einrichtungen nicht so, dass er da begleitet werden kann, weil in den Einrichtungen auch wenig Personal ist, aufgrund der finanziellen Situation."
    Der junge Mann wird notgedrungen mit seiner Angst allein gelassen. Lediglich ein Übergabeprotokoll wird den behandelnden Ärzten in der Klinik mitgegeben.
    Familienangehörige zwangsweise in der Pflicht
    In solchen Situationen weiß Gaby Willhöft oft stundenlang nicht, in welchem Krankenhaus ihr Sohn gelandet ist. Wenn dann der Anruf der Klinik kommt, packt sie eine Tasche und macht sich auf einen mehrtägigen Einsatz rund um die Uhr gefasst. Denn zusätzliches Personal für die Pflege ihres Sohnes gibt es im Krankenhaus nicht. Sie muss das Essen anreichern, ihren Sohn regelmäßig umdrehen, damit er sich nicht wund liegt, und Mittlerin zwischen Patient und Ärzten sein:
    "Also, das letzte Mal, da sind wir sofort losgefahren, haben ihn dann auf dem Flur stehend gefunden, wo sich noch kein Arzt drum gekümmert hatte, und ich mich dann erkundigt habe, ob denn seine Notfallmedikamente bekommen hatte, das wusste der zuständige Arzt gar nicht, sagte: 'Ich guck mal' und war verschwunden und kam nicht wieder. Dann haben wir eine halbe Stunde neben unserem Sohn gestanden, ihn versucht anzusprechen. Und nach einer weiteren halben Stunde kam ein anderer Arzt, der sagte, so, ich soll mich jetzt mal um ihren Sohn kümmern, was ist denn überhaupt?"
    Jeanne Nicklass-Faust:
    "Die Aufnahme von Menschen mit einer sogenannten geistigen oder mehrfachen Behinderung in Krankenhäuser ist manchmal ganz schön schwierig. Es gibt da ziemlich drastische Fälle, der eine war tatsächlich, dass uns ein Krankenwagenfahrer erzählt hat, dass wenn sie einen Menschen mit Behinderung im Wagen haben und nach einem Bett suchen, dass sie gar nicht sagen, dass es sich um einen Menschen mit Behinderung handelt, weil die Krankenhäuser sonst sagen, sie seien voll."Menschen mit Behinderungen sind für Krankenhäuser teuer, den der besondere Behandlungsbedarf dieser Gruppe wird bei der Bezahlung von Krankenkassen nicht berücksichtigt. Doch auch im Alltag ist es schwer, geeignete Fachärzte zu finden, auch weil viel Berührungsängste mit behinderten Menschen haben.
    So die Bundesgeschäftsführerin der Lebenshilfe, Dr. Jeanne Nicklass-Faust, die 130.000 Mitglieder ihres Vereines vertritt. Nicht nur für niedergelassene Ärzte, auch für Krankenhäuser rechnen sich Patienten mit Behinderung in der Regel nicht. Denn durch das Fallpauschalen-System sind zeitaufwendige Patienten teure Patienten.
    Krankenhaus-Fallpauschale
    Krankenhäuser erhalten pauschalierte Vergütungen für einen Behandlungsfall (Patient) im Krankenhaus. Fallpauschalen umfassen im Gegensatz zu Sonderentgelten sämtliche pflegesatzfähigen Kostenarten einschließlich Unterkunft und Verpflegung. Ihrer Kalkulation liegt eine durchschnittliche Verweildauer (nach Tagen) zugrunde. Einzelne Behandlungsfälle und die dazugehörigen Vergütungen durch die Fallpauschale sind in einem gesetzlichen Katalog typisiert. Verweilt ein Patient länger als nach der Fallpauschale vorgesehen, entstehen Mehrkosten für das Krankenhaus, die in der Regel nicht durch die Krankenkasse abgedeckt werden.
    Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes
    Das aber lässt Nicklass-Faust nicht gelten:
    "Wenn es sich um eine Universitätsklinik handelt, dann haben die eben ganz unterschiedliche Fälle. Sie haben die leichten Fälle und sie haben die schweren Fälle, die Entgelte sind der Durchschnitt. Man kann nicht sagen, ich kriege zwar das durchschnittliche Geld, aber jemand, der mehr als den Durchschnitt braucht, der kommt bei mir nicht rein."
    Georg Poppele:
    "Das Thema haben wir in vielfältiger Weise, dass man immer wieder an die Grenzen des Systems stößt, das medizinische System, dann die Pflegeversicherung, dann das System der Eingliederungshilfe, ganz verschiedene Sozialgesetzbücher. Da gibt es viel zu tun, aber da sind wir auch von der Stiftung Alsterdorf auf dem Weg, dort Lösungen zu finden."
    Was muss sich ändern, damit Menschen mit Behinderung nicht Patienten zweiter Klasse bleiben? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Dr. Georg Poppele, Leiter der Inneren Abteilung des evangelischen Krankenhauses der Stiftung Alsterdorf. Eines der wenigen Krankenhäuser in Deutschland mit einem Versorgungsauftrag für Menschen mit Behinderung. Ein Inklusionskrankenhaus, wie er sagt:
    "Wir bekommen von den Krankenkassen einen Zuschlag für diese Patientengruppe, weil: es ist so: Menschen mit geistiger Behinderung haben in der Regel den doppelten Zeitaufwand gegenüber Patienten und Patientinnen, die keine geistige Behinderung haben."
    Dr. Georg Poppele setzt sich, zusammen mit der “Bundesarbeitsgemeinschaft Ärzte für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung”, dafür ein, dass es künftig Kompetenzzentren für die Behandlung von erwachsenen Menschen mit Behinderung gibt. Ähnlich wie in den sozialpädiatrischen Zentren für Kinder, soll hier eine interdisziplinäre Behandlung möglich sein, die sich am Patienten orientiert. Und in der auch Ausnahmeregelungen möglich sind, zum Beispiel, dass bei einer OP auch ein Zahnarzt mit behandelt.
    "Dass dann die Zahnärztin auch ins Krankenhaus kommen kann, und dass, wenn dann eine Behandlung im Krankenhaus notwendig ist, dass dann eben auch die anderen Behandlungen und Untersuchungen gemacht werden, die lange aufgeschoben worden sind, die zum Teil dann in Narkose gemacht werden müssen, wie die Zahnbehandlung. Dass man das bündelt."
    Berührungsängste zwischen Arzt und Patient
    Wie die sozialpädiatrischen Zentren sollen die Kompetenzzentren aber nur Anlaufstelle für komplizierte Fälle sein. Deshalb fordert Poppele auch eine Verbesserung bei der ärztlichen Versorgung vor Ort. Und appelliert dabei auch an die Grundsätze ärztlicher Ethik. Schließlich sei die Behandlung besonderer Patienten nicht nur eine Frage der Vergütung, sondern auch eine Frage des Anstands.
    "Es gibt eben noch zu viel Ärzte und Zahnärzte, die sich dieser Aufgabe nicht stellen. So, weil, es muss alles schnell gehen, und es gibt aber gute, andere Beispiele, also Ärzte und Ärztinnen, die das machen. Das ist auch ein Punkt, wo wir von der Stiftung Alsterdorf das weiter voranbringen wollen, auch mit einem Internetportal, in dem sich dann so viel, wie möglich Ärztinnen und Ärzte, und aber auch Therapeutinnen und Therapeuten, darstellen und ihre Bereitschaft für die Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung äußern.
    Nach Meinung von Poppele vermeiden viele Ärzte den Kontakt zu Patienten mit geistiger Behinderung, weil sie schlicht Berührungsängste haben. Denn im Studium werden keine Fachkenntnisse zur Behandlung von Menschen mit Handicap vermittelt. So beschreiben viele Angehörige und Assistenten beispielsweise, dass von vornherein nicht der Patient mit Behinderung vom Arzt angesprochen wird, sondern sein Begleiter. Deshalb bietet die Stiftung seit Anfang des Jahres Fortbildungen für Hausärzte und Fachärzte in der Hamburger Ärztekammer an.
    "Da geht es um die Fragen: Was gibt es für spezielle medizinische Anforderungen? Wie ist eine gute Kommunikation mit Menschen mit Behinderung möglich? Und wichtig, immer zu gucken, ne angstfreie Umgebung zu schaffen. Wenn jemand eben nicht auf die Untersuchungsliege möchte, um Ultraschalluntersuchung zu machen, dann sitzt er auf dem Stuhl oder ich untersuche den Patienten auch, wenn er auf dem Boden sitzt. Hauptsache, man kommt zu einem Ergebnis und macht ihm nicht weiter Angst. Sondern schätzt ihn so, wie er eben als Mensch vor uns ist."
    Vier Jahre nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention nimmt das Thema nun langsam Fahrt auf. Auch der Präsident der Bundes- und der Hamburger Ärztekammer, Montgomery, beschäftigt sich vermehrt mit dem Thema Barriere-Freiheit:
    "Durch die Verabschiedung der Behindertenrechtskonvention ist ja schon viel in Bewegung gekommen. Natürlich, das Erfordernis an einem Stichtag alles gelöst zu haben, das war absurd, das konnte niemand leisten. Aber wir gehen ja heute soweit, dass wir Ratschlag geben beim Bau neuer Krankenhäuser oder bei der Einrichtung von Praxen, auf die besonderen Bedürfnisse von Behinderten, daran zu denken."
    Aber mit dem Umbau von Praxen und Krankenhäusern ist es nicht getan, mahnt Dr. Georg Poppele, der Leiter der Inneren Abteilung des evangelischen Krankenhauses der Stiftung Alsterdorf. Mit Geld und Fachwissen allein werde man die UN-Konvention nicht umsetzen können.
    "Wir reden häufig von barrierefreien Praxen oder Krankenhaus, da gehört nicht nur die räumliche Barrierefreiheit dazu, dass man mit dem Rollstuhl oder dem Rollator gut reinkommt, sondern es fängt schon vorher an. Nämlich die Haltung, es sollte von der Haltung her barrierefrei sein, dass die Menschen wirklich willkommen sind."