Samstag, 11. Mai 2024

Archiv


Medizintechnik aus der nordhessischen Provinz in alle Welt

Trotz Sparzwang gehört die Gesundheitsbranche zu den dynamischsten Wirtschaftszweigen Deutschlands. Etwa 4,6 Millionen Menschen sind im Gesundheitswesen beschäftigt. Mit dabei das nordhessische Medizintechnik-Unternehmen B. Braun Melsungen, das behauptet, von Sparzwängen im System sogar zu profitieren.

Von Michael Braun | 10.09.2010
    Es ist eine Gegend, in der die Landwirte die Felder abgeerntet haben und jetzt mit dem Miststreuer drüberfahren. Der Fulda-Efze-Radweg kreuzt die Kreisstraße 20. Es ist die Gegend, in der Julius Wilhelm Braun 1853 die Rosen-Apotheke in Melsungen kauft. Er belässt es nicht dabei, Salben zu mischen und über die Theke zu verkaufen. Er gliedert der Apotheke einen Versandhandel für heimische Kräuter an. Aus Melsungen in die Welt - das gehört weiter zum Selbstverständnis des Konzerns, der aus der Apotheke entstanden ist.

    "Melsungen ist auch heute noch ein guter Standort. Erstens, weil wir im Zentrum Deutschlands einen hervorragenden Logistikstandort haben und zweitens, weil wir mit der Nähe zu Kassel auch sehr gut qualifizierte Mitarbeiter und speziell Ingenieure bekommen können. Wir glauben, dass wir mit unseren Produkten, auch mit den Standardprodukten, gegen lokale Wettbewerber auf der ganzen Welt wettbewerbsfähig sind. Das möchten wir auch weiterhin erhalten."

    Meinrad Lugan gehört dem Vorstand der B. Braun Melsungen AG an. Dem sitzt Ludwig Georg Braun vor. Man kennt ihn aus seinen acht Jahren als Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages.

    Er folgte seinem Vater als Chef der nicht börsennotierten AG, hatte sich zuvor aber in Amerika und Brasilien berufliche Sporen verdienen müssen. Das läuft immer noch so: Drei Familienstämmen mit rund 40 Mitgliedern von 17 bis 50 Jahren gehört das Unternehmen. Zwei Voraussetzungen gibt es für die Angehörigen der Sippe, die im Unternehmen nicht nur mitverdienen, sondern auch mittun: Sie müssen wollen, und sie müssen können. Und das Können müssen sie bei anderen Unternehmen unter Beweis stellen.

    Die fünfte Generation sitzt mittlerweile am Steuer. Die Aktienpakete werden früh und in Häppchen weitergegeben. So nutzt Familie Braun steuerliche Freibeträge aus. Erbschaftssteuer hat die Substanz des Unternehmens bislang nicht bedroht. Dieses Jahr wurden von 11,36 Euro Ergebnis je Aktie 1,24 Euro an die Familienaktionäre ausgeschüttet:

    "Wir haben eine sehr geringe und dauerhaft geringe Ausschüttungsquote an die Aktionäre, die Sie unserer Bilanz entnehmen können. Und die Philosophie unserer Aktionäre ist, den Ertrag wieder zu investieren."

    So ist B. Braun Melsungen über die vergangenen knapp 160 Jahre alles in allem stetig gewachsen. Den Umsatz von gut vier Milliarden Euro erwirtschaften knapp 40.000 Mitarbeiter. Einer der Mitarbeiter ist Roland Rösinger. Der Fertigungsmeister für Montage und Verpackung von Infusionsgeräten hat 130 Leute unter sich. Die arbeiten an sechs Tagen in der Woche in drei Schichten. Die vierte Schicht hat frei. Infusionsgeräte sind ein Standbein des Medizintechnikkonzerns B. Braun Melsungen:

    "Das ist das fertige Produkt. Hier ist die Tropfkammer. Die wird da drüben gespritzt. Bekommt die Euroklappe, die Einstecköffnung. Der Schlauch wird zugeführt, wird hier mit der Tropfkammer verklebt. Hier dann der Patientenanschluss, wird auch geklebt. Das wird hier komplett montiert."

    Das Geschäft brummt. Der Platz für neue Maschinen ist freigeräumt. Dass in Melsungen und nicht anderswo investiert wird, unterstützt jeder Mitarbeiter mit jährlich bis zu 104 unbezahlten Arbeitsstunden. Dafür gibt es eine Gewinnbeteiligung. Beim ersten Mal haben sie nur mitgemacht. Jetzt, beim zweiten Investitionsprogramm, sind sie richtig einverstanden mit dem Modell. Roland Rösinger kann das geplante Wachstum benennen:

    "Wir fertigen pro Tag rund 500.000 Fusionsgeräte, am Tag, mit steigender Tendenz. Wir machen jetzt 140 Millionen, demnächst 200 Millionen pro Jahr."

    Chirurgische Instrumente, absorbierbares Nahtmaterial, Dialyse sowie andere Formen der Blutbehandlung außerhalb des Körpers und eben Infusionsgeräte und Infusionslösungen sind das Geschäft von B. Braun Melsungen. Die Kostendämpfung im Gesundheitswesen ist dem Unternehmen bisher immer zupassgekommen. Wenn Krankenhäuser sparen müssen, heißt oft ein Weg: Auslagern an die, die es industriell besser und billiger können.

    Auch die Katastrophe an der Mainzer Uni-Klinik, in der drei Kleinkinder an verseuchten Infusionen gestorben sind, hat diesen Prozess nicht gestoppt. Braun-Vorstand Meinrad Lugan ist jedenfalls nicht in Erklärungsnöte gekommen:

    "Nein, sind wir nicht. Wir haben nach Mainz auch, wie alle anderen Lieferanten, bestimmte Lösungen geliefert. Die waren, Gott sei Dank, von den Problemen nicht betroffen. Man nützt dennoch solche Vorfälle, um alle Prozesse nochmals zu kontrollieren, auch in der eigenen Apotheke, ob man den entsprechenden Standard hat. Solche Themen führen bei den Krankenhäusern auch immer zu Überlegungen, ob sie etwas selber machen sollten oder ob sie es nicht auf eine industrielle Basis outsourcen sollten. Und insofern: Für ein Krankenhaus ist es sicher eine große Herausforderung, unter den engen Budgetrestriktionen die Qualität in der Krankenhausapotheke dauerhaft aufrecht zu erhalten, weil auch Apotheker schwer zu finden sind, zum Beispiel. Und dies führt in der Regel schon dazu, diesen Service von außen zuzukaufen, statt ihn selber anzubieten."