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Mehr Akademiker, aber nicht mehr Jobs

Alle rufen nach mehr Akademikern und die Studienanfängerzahlen steigen - aber gut ein Drittel der Akademiker klagt darüber, dass sie für ihren Job überqualifiziert sind. Der Münchener Ökonom Ekkehart Schlicht meint, der wachsenden Zahl an Akademikern stünde nur eine gleichbleibende Zahl an akademischen Stellen gegenüber.

Ekkehart Schlicht im Gespräch mit Sandra Pfister |
    Sandra Pfister: Die Zahl der Studienanfänger in Deutschland hat ein neues Rekordhoch erreicht, wir haben gestern darüber berichtet. In diesem Jahr haben sich also so viele Erstsemester an den Hochschulen eingeschrieben wie nie zuvor. Mehr Studienanfänger, mehr Akademiker, rufen die meisten Bildungspolitiker und Bildungsexperten seit Jahren. Andererseits, gibt es denn überhaupt so viele hoch qualifizierte Jobs? Viele Akademiker fühlen sich in ihrem Beruf überqualifiziert, das ergeben regelmäßig die Befragungen des Hochschulinformationssystems. Der Münchener Ökonom Ekkehart Schlicht hat sich ebenfalls mit dem Problem befasst. Herr Schlicht, es reden alle davon, dass wir mehr Akademiker brauchen, jetzt scheinen wir sie also zu bekommen. Aber warum ist es denn eigentlich sinnvoll, die Akademikerquote anzuheben?

    Ekkehart Schlicht: Für mich erscheint es nicht unmittelbar einsichtig, dass die Akademikerquote angehoben werden soll. Die Zahl der Stellen, die eigentlich akademische Ausbildung voraussetzen, ändert sich nicht so stark, bei Weitem nicht so stark, wie die Zahl der Akademiker wächst. Die Konsequenz ist, dass viele Tätigkeiten, die eigentlich keine akademische Ausbildung erfordern, von Akademikern wahrgenommen werden, also Leuten mit akademischer Ausbildung, die eben vorgezogen werden anderen Bewerbern, weil sie auf dem Papier leistungsfähiger erscheinen, allein deshalb, weil sie es geschafft haben, ein Studium zu absolvieren.

    Pfister: Das heißt, der Ruf nach mehr Akademikern, der führt eigentlich in die Irre?

    Schlicht: Der Ruf führt möglicherweise in die Irre, jedenfalls wenn man das unter Berufsgesichtspunkten sieht. Es ist ja so, dass natürlich das akademische Studium einen gewissen Bildungswert hat, der ist zwar sehr unterschiedlich bei den einzelnen Studiengängen, aber wenn man es jetzt rein unter Berufsgesichtspunkten sieht, ist es hoch problematisch, dass man die Akademikerquote anhebt. Da sollte man sie wahrscheinlich senken. Wir haben in allen westlichen Ländern nicht nur Überqualifikation, sondern eben zunehmende Überqualifikation.

    Pfister: Das heißt, Akademiker verdrängen heute schlechter qualifizierte Arbeitskräfte?

    Schlicht: Akademiker verdrängen schlechter qualifizierte Arbeitskräfte, aber es ist nicht ganz klar, ob dies geschieht, weil sie nun durch das Studium besser für den Beruf geeignet gemacht werden oder weil einfach das Absolvieren des Studiums ein Signal für die besondere Leistungsfähigkeit des entsprechenden Bewerbers ist, das Studium selbst also gar keine Wirkung hat.

    Pfister: Aber demnach müsste man doch wieder jedem raten zu studieren, weil er dann einen Qualifikationennachweis erwirbt, der in per se attraktiver macht für Arbeitgeber?

    Schlicht: Das ist richtig, für den Einzelnen ist das sinnvoll, nur insgesamt für die Volkswirtschaft ist das nicht sinnvoll. Wenn wir einfach davon ausgehen, dass die Zahl der anspruchsvollen Stellen, sagen wir mal so, unverändert ist und jetzt reduzieren wir die Ausbildungsintensität, dann werden natürlich diese Stellen besetzt, die Unternehmer werden Leute einstellen, die jetzt geringere formale Qualifikationen haben, die wesentlichen Qualifikationen werden aber typischerweise on the Job, wie man sagt, also auf dem Arbeitsplatz selbst, erworben. Tatsächlich ändert sich da nichts an der Zahl der Stellen.

    Pfister: Nun müsste sich ja die Knappheit oder der Überfluss an Akademikern auch im Gehalt niederschlagen, aber Akademiker gelten immer noch als Gutverdiener und sitzen oft auf Posten, die ein Nicht-Studierter machen könnte, aber sie verdienen trotzdem gut. Wie kommt das zustande?

    Schlicht: Insgesamt steigen wohl die Bildungsrenditen, was nicht ohne Weiteres im Einklang steht mit den Vorstellungen, die man normalerweise hegt, über die Bildung von Löhnen. Wenn also massiv bestimmte Qualifikationen zusätzlich angeboten werden, dann würde man standardmäßig erwarten, dass die Löhne nun fallen für diese Tätigkeiten. Das Gegenteil ist aber der Fall. Das liegt daran, dass die Unternehmer tatsächlich nicht markträumende Löhne zahlen, sondern dass sie Löhne zahlen, die ihnen ermöglichen, unter den Bewerbern auszuwählen. Das heißt, sie ziehen natürlich die qualifizierteren gegenüber den weniger qualifizierten Bewerbern vor, weil sie wesentlich mehr profitieren von den qualifizierteren Bewerbern. Und um diese Auswahl treffen zu können, gibt es eben attraktive Bedingungen. Das führt dann dazu, dass die Löhne gar nicht reagieren auf die Zunahme von Akademikern, denn die Spitzenleute sind nach wie vor rar, und um die geht es den Unternehmungen dann wesentlich bei der Lohnsetzung.

    Pfister: Aber grundsätzlich unterm Strich bleibt, ein akademischer Abschluss lohnt sich trotz der Titelinflation, die Gehälter sinken erst mal nicht. Sie stimmen mir aber zu, wenn wir nach mehr Akademikern schreien, dann schreien wir in erster Linie im Moment nach den wenig vorhandenen Ingenieuren, Physikern und Mathematikern und nicht allgemein nach Akademikern. Lässt es sich so zusammenfassen?

    Schlicht: Das lässt sich so zusammenfassen. Ich bin mir allerdings auch nicht sicher, wie weit jetzt nicht dieselben Überqualifikationsprobleme auch bei Ingenieuren auftauchen. Soviel ich weiß, ist das eigentlich generell der Fall, dass eben auch heute Ingenieure vielleicht eingesetzt werden für Tätigkeiten, sagen wir im Verkauf, wo früher eben eine Ingenieurausbildung nicht notwendig war. Wirtschaftsingenieure haben oft eine umfangreiche Ingenieurausbildung und benötigen ihre Ingenieurkenntnisse fast nicht eigentlich, die werden typischerweise als Betriebswirt eingesetzt. Ich würde auch keinem abraten von einer Universitätsausbildung im Augenblick noch, aber volkswirtschaftlich gesehen ist das schon ein ziemliches Problem.

    Pfister: Individuell lohnt sich ein Studium noch, volkswirtschaftlich nicht unbedingt. Die Einschätzung von Professor Ekkehart Schlicht war das von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Vielen Dank!