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Mehr als Fluch als Segen

Wenn es nach ihr geht, soll der zehnte Dezember ein ruhiger Tag werden, kündigt Elfriede Jelinek an, ein Tag wie jeder andere. Die Nobelpreisträgerin wird sich in ihrer Wiener Wohnung verbarrikadieren, sie wird wie immer Antidepressiva schlucken, Valiumtabletten, vielleicht auch ein paar Betablocker. Das hat mit den Panikattacken zu tun, unter denen Jelinek leidet, mit der klaustrophobischen Angst vor Menschenmengen, an der die Autorin seit ihrer Jugend laboriert. Kein Wunder, dass die Schriftstellerin den Nobelpreis mehr als Fluch denn als Segen empfindet:

Von Günter Kaindlstorfer |
    Es ist natürlich eine große Ehre und auch eine große Freude. Andererseits, für jemanden, der so zurückgezogen lebt wie ich, bricht da buchstäblich ein Tornado über einen herein. Ich bin dem überhaupt nicht gewachsen.

    Nie und nimmer hätte sie mit dem Nobelpreis gerechnet, sagt die zurückgezogen am Stadtrand Wiens lebende Autorin.

    Ich habe damit gerechnet, dass ihn Handke bekommt, wenn ihn schon ein Österreicher bekommt Thomas Bernhard ist ja leider zu früh gestorben, um noch mit dem Nobelpreis ausgezeichnet zu werden. Ich glaube nicht, dass ich mich überschätze, ich habe eher gedacht, dass ich nicht in dieser Kategorie spiele, ich bin mir auch nicht sicher, ob ich ihn verdiene. Aber was verdient man schon. Es liegt auch nicht an mir, das zu bestimmen.

    Wenn es nach Claus Peymann ginge, hätte Jelinek den Nobelpreis längst bekommen. Der einstmals heiß umstrittene Direktor des Burgtheaters hat Jelinek in den frühen Neunzigern als Dramatikerin an Österreichs Renommierbühne geholt. Angesprochen auf die Vorzüge der Autorin des "Sportstücks" und anderer saftiger Theaterskandale, wird Peymann regelrecht pathetisch:

    Sie hat, ähnlich wie Thomas Bernhard, die ganzen Fäulnisstellen in unserer Gesellschaft aufgedeckt. Sie sieht sie früher, sie ist eine Seherin, sie ist eine Art Kassandra des Theaters, der Literatur. Wie Kassandra in der Antike sieht sie den Schrecken, sieht den Abgrund, sieht den Tod, deckt ihn auf, schreit ihn heraus, niemand glaubt ihr. Das ist das Gewicht der Welt, das auf ihr liegt, das ist auch ihre Gefährdung. Deswegen sehe ich diesen Preis der ja ein Preis gegen Österreich ist, schmücke dich nicht mit dem Nobelpreis für Jelinek, schönes Land deswegen verstehe ich diesen Preis als Ermunterung, weiterzumachen. Hoffentlich nimmt sie das als Ermutigung und Ermunterung und nicht als Bedrohung.

    Jelinek: Ich kann nicht aus meiner Haut heraus. Ich lebe in meiner Literatur. Ich kann beim Schreiben durchaus kämpferisch sein, aber ich bin es eben als Mensch nicht.

    Dass sie schon vor der Zuerkennung des Nobelpreises zur internationalen Berühmtheit wurde, verdankt Elfriede Jelinek nicht zuletzt dem Regisseur Michael Haneke. Seine Verfilmung der "Klavierspielerin" machte 2001 bei den Filmfestspielen von Cannes Furore, gewann den Großen Preis der Jury. Seither wird Elfriede Jelinek auch in Frankreich und Italien als Star gehandelt. Haneke wertet den Nobelpreis in erster Linie als Anerkennung für Jelineks Kompromisslosigkeit:

    Es ist ein konsequenter Weg, den sie geht, auch, wie sie ihre formalen Mittel entwickelt. Das ist unglaublich imposant. Es ist ja nicht leicht für sie, angefeindet aus allen Ecken. Dabei bei seinen Zielen zu bleiben und nicht abzuweichen davon, ist ein Zeichen von großer Stärke.

    So ehrerbietig hat man nicht überall auf die Entscheidung der Stockholmer Jury reagiert. Das deutsche Feuilleton zeigte sich weit weniger respektvoll, reagierte eher verschnupft auf den Richtspruch der schwedischen Akademie. Jelinek langweile ihr Publikum seit jeher mit "schwer verdaulichen Sado-Maso-Schinken", bemäkelte der "Spiegel". Und die "Zeit" kritisierte auf die radikale Redundanz der Jelinekschen Texte anspielend: Ein "Hamster im Laufrad habe den Weltmeistertitel im Langstreckenlauf gewonnen". Die "Kaschmirschal-Antifaschistin" Jelinek, so der Tenor der Kritik, sei eine Autorin von allenfalls regionalem Interesse, relevant vor allem für Österreichs Linke und deren gewiss verdienstvollen Abwehrkampf gegen Rechtspopulisten und Lodenfaschisten. Sigrid Löffler, Herausgeberin der Monatszeitschrift "Literaturen", hat die Jelinekfeindlichen Tiraden im deutschen Feuilleton mit einer gewissen Abgeklärtheit zur Kenntnis genommen:

    Es hat mich nicht überrascht. Einerseits waren es hauptsächlich Männer, die darüber geschrieben haben, mit aller Gehässigkeit, aller Ablehnung, auch aller Aggression gegen diese natürlich sehr umstrittene und auch sehr provokante Frau. Das zweite, was noch dazugekommen ist, ist auch nicht überraschend: die Arroganz gegenüber der österreichischen Literatur. Wenn es denn Weltliteratur sein soll, wird sie vereinnahmt als deutsche Literatur, dagegen sperrt sich aber das Werk der Jelinek. Also wird es verunglimpft als Regionalliteratur und nicht relevant für die deutsche Mainstream-Literatur. Man kann nur sagen: Gott sei Dank sind die Stockholmer etwas kosmopolitischer; die haben auch das Avantgardistische in Jelineks Werk wahrgenommen, das Sprach-Experimentelle, das es in den Rang weltliterarischer Relevanz erhebt. Die Schweden haben das Gott sei Dank bemerkt.

    In der deutschen Debatte sei noch ein zweiter Vorzug Jelineks unter den Tisch gefallen, kritisiert Sigrid Löffler: Die Subversion, die vor allem im Jelinekschen Humor liege.

    Ich denke, dass Elfriede Jelinek als Humoristin durchaus noch zu entdecken ist. Die Deutschen sperren sich dagegen. Sie sind schrecklich humorlos: Sie erkennen nicht den funkelnden Witz hinter diesen Wortspielen. Der österreichische Schmäh kommt hier offenbar nicht gut an.

    Textzitat Jelinek: Zwei Stück Österreicher sind gestern bei einem Hotelbrand in Pitapong oder was weiß ich wo ums Leben gekommen. Dazu 182 Stück Mixed Grill aus zahlreichen anderen Nationen. So etwas passiert nicht jeden Tag, aber wenn es passiert, wird es unverzüglich auf der ganzen Welt gemeldet. Das Feuer weicht nicht einmal vor den Österreichern zurück. Ganz schön mutig, wenn man bedenkt, wie viele von den eigenen Nahverkehrsbürgern dieses Volk dem Feuer geradezu aufgedrängt, in den Rachen geworfen hat.

    Jelinek: Bei mir ist es ja so, dass ich eigentlich, seit ich schreibe, ein und denselben Text immer weiter schreibe. Und dieser Text bin ich.

    Der rastlos schnurrende Motor des Jelinekschen Schreibfurors speist sich aus dem Kraftstoff einer gründlich verpfuschten Kindheit. Ein schwacher Vater, eine totalitäre Mutter, das war das explosive Mixtum Compositum, aus dem sich die Kindheit Elfriede Jelineks zusammensetzte. Systematisch sei sie von ihrer Mutter, einer Wiener Großbürgertochter, zum Wunderkind gedrillt worden, erinnert sich die Schriftstellerin. Fünf Musikinstrumente musste sie lernen, Orgel, Bratsche, Geige, Blockflöte und Klavier, dazu noch Komposition. Du musste die Beste werden, bläute die Mutter der Tochter ein, die Allerbeste!

    Jelinek: Ich glaube, meine Mutter wollte mir alles ermöglichen, damit ich dann selbst auswählen kann, das hat sie gesagt. Aber natürlich wollte sie jedes Leben unter Kunst ersticken. Das ist ihr auch gelungen eigentlich.

    Sie sei ein gefoltertes Kind gewesen, sagt Elfriede Jelinek, ein systematisch misshandeltes Kind. In ihrem Roman "Die Klavierspielerin" hat die Schriftstellerin ihrer Mutter ein alles andere als liebevolles Denkmal gesetzt. In der Figur der Erika Kohout, der Klavierspielerin, hat sich Jelinek allerdings auch schonungslos selbst demontiert.

    Zitat aus "Die Klavierspielerin ": Wenn kein Mensch zu Hause ist, schneidet Erika sich absichtlich in ihr eigenes Fleisch. Sie wartet immer schon lange auf den Augenblick, da sie sich unbeobachtet zerschneiden kann. Kaum verhallt die Türklinke, wird schon die väterliche Allzweckklinge ihr kleiner Talisman hervorgeholt. Sie schält die Klinge aus ihrem Sonntagsmäntelchen von fünf Schichten jungfräulichen Plastiks heraus. Im Umgang mit Klingen ist sie geschickt. Sie setzt sich mit gespreizten Beinen vor die Vergrößerungsseite des Rasierspiegels und vollzieht einen Schnitt, der die Öffnung vergrößern soll, die als Tür in sie hineinführt. Ihr Hobby ist das Schneiden am eigenen Körper.

    Jelinek: Ich kann mich an keine glücklichen Zeiten in meinem Leben erinnern. Aber es hat so punktuell starke Glücksmomente gegeben. Vielleicht gibt es keine anderen, vielleicht gibt es nur die.

    Die Quelle ihres Schreibens sei der Hass, betont Elfriede Jelinek. Eine Diagnose, der sich auch die Jelinek-Forschung anschließen wird. Die Literatur der Nobelpreisträgerin jedenfalls ist eine Literatur der totalen Negativität. Gesellschaftskritik manifestiert sich bei Jelinek als Sprachkritik. Damit steht die Autorin kühler, sarkastischer Abturn-Schmöker wie "Lust" oder "Gier" in bester österreichischer Tradition. Karl Kraus verdanke sie viel, hat Jelinek immer wieder hervorgehoben, aber auch dem frühen Wittgenstein und den subversiven Sprachexperimenten der "Wiener Gruppe". Womit wir bei einem der zentralen Objekte der Jelinekschen Hassliebe wären: ihrem Heimatland Österreich.

    Jelinek: Es gibt ja eine breite Tradition der Österreich-Kritik. Diese Tradition kommt nicht von ungefähr. Das ist ein kleines, böses Land, das sich lieb und aufgeschlossen gibt, weil es natürlich hauptsächlich vom Fremdenverkehr lebt. Es muss leben für andere. Es muss sich ständig wie ein Flügelaltar den anderen öffnen und sich als begehrenswert darstellen. Das ist eine ewige Provokation für mich, diese In-Authentizität, die ja jeder spürt, ob das jetzt im Verleugnen der eigenen Geschichte liegt oder im Schön-Lügen, was seine Rolle als erstes Opfer des Faschismus betrifft.

    Österreich, das ist im literarischen Kosmos der Elfriede Jelinek die pseudo-idyllische Heimstatt von Sport-Berserkern und Trachtendeppen, von deutschnationalen Schmiss-Visagen und unverbesserlichen Altnazis, die ihre mörderischen Ressentiments auch heute noch tätscheln und hätscheln.

    Jelinek: Weg mit den Slowenen, den Kroaten. Her mit denen, die beim Quiz alles erraten. Und alles, was ihnen gleich schaut, gleich auch weg. Deutsch ist die Sprache der Dichtung - und der Vernichtung.

    Mitte der Achtzigerjahre glossierte Jelinek in ihrem Stück "Burgtheater" die Nazivergangenheit der Wiener Schauspielgöttin Paula Wessely. Spätestens damals ist zum bevorzugten Hassobjekt der österreichischen Rechten geworden. Die Autorin ist ihren Gegnern allerdings nichts schuldig geblieben: Kurt Waldheim und Jörg Haider waren vor Jelineks polemischem Furor ebenso wenig gefeit wie die Bannerträger der schwarz-blauen Regierung, die seit dem Februar 2000 auf dem Wiener Ballhausplatz das Sagen haben. Wann immer sich Jelinek politisch zu Wort meldete, sie wurde von der österreichischen Boulevardpresse als Nestbeschmutzerin verunglimpft, als "linkslinke Emanze" denunziert.

    Jelinek: Es ist natürlich nicht lustig, wenn man Gedichte liest in der meistgelesenen Zeitung, wo sich "Jelinek" so schön auf "Dreck" reimt. Das ist das, was Thomas Bernhard die österreichische Geistfeindlichkeit genannt hat. Ich habe das immer als Übertreibung gesehen, aber als dann dieses Rechts-Kartell an die Regierung gekommen ist, habe ich gesehen, dass Bernhard ein absolut realistischer Schriftsteller war, kein Übertreibungskünstler, ein realistischer Autor.

    Als Auslöser für Tobsuchtsanfälle des österreichischen Spießertums hat Jelinek seit jeher getaugt. Die Wiener Psychoanalytikerin Elisabeth Brainin sieht da durchaus archaische Mechanismen am Werk:

    Das könnte ich mir ganz gut vorstellen, dass Jelinek heute in Österreich so eine gesellschaftliche Funktion erfüllt wie Hexen vor etlichen hundert Jahren Gott sei Dank wird man heute nicht mehr dafür verbrannt. Aber es sind in den letzten Jahren Dinge passiert, die durchaus dem gleichkommen persönliche Angriffe, die sehr, sehr vernichtend waren.

    Die "schreckliche Elfriede" als Staatsfeindin Nummer eins der Nobelpreis hat an dieser Rollenzuweisung wenig verändert. Jörg Haider etwa, der Kärntner Landeshauptmann, mag sich über den Nobelpreis für Jelinek nicht wirklich freuen:

    Ich glaube, dass sie nur deshalb berühmt geworden ist, weil sie gegen Österreich gewettert hat, und weil sie letztlich auch immer wieder in einer nicht wirklich nachvollziehbaren Weise Hassgefühle gegenüber ihrem Land entwickelt hat. Es ist ja sogar in der Begründung für den Nobelpreis gestanden, dass jemand, der von einem so tief empfundenen Hass gegen sein Land getrieben ist, enorm preisverdächtig ist. Damit hat für mich das keine literarische Wertigkeit.

    Der Sozialdemokrat Heinz Fischer, seit gut einem halben Jahr als österreichischer Bundespräsident im Amt, sieht das anders, ganz anders:

    Das Herausragende an Elfriede Jelinek ist ihre kompromisslose Bereitschaft, das, was ihr wichtig ist, ohne Abstriche und ohne Kompromisse zu formulieren. Sie fürchtet sich vor nichts und niemandem, das muss man schon respektieren, zumal es keine Selbstverständlichkeit ist.

    Schon gar nicht fürchtet sich Jelinek vor Gespenstern im Gegenteil: ihr Opus Magnum, der Roman "Die Kinder der Toten", ist eine groteske, orgiastische Gespenstergeschichte, ein alpines Pandämonium von nachgerade monströser Dimension. In der Pension "Alpenrose", in einem der landschaftlich lieblichsten Landstriche der Steiermark gelegen, haben sich mordlüsterne Zombies einquartiert. Sie schänden Leichname, kastrieren Autofahrer, feiern grausige Orgien. Der Subtext der Jelinekschen Gewaltphantasie, immerhin 700 Seiten lang, liegt auf der Hand: Österreich erscheint in diesem Roman als postfaschistischer Totenacker, als Walstatt des Bösen, als Insel der Unseligen, auf der die alten Geister noch umgehen auf blutgesättigter Erde.

    Jelinek: Ich wollte das große Werk einmal zu Papier bringen. Mit der "Lust" habe ich es ja schon versucht, und dann hab ich mir gedacht, das muss jetzt noch weitergehen: Solange ich noch kann, muss ich versuchen, die Identität dieses Landes zu fassen, auch den Toten zuliebe. Ich habe mich sozusagen zur Anwältin der Toten gemacht, obwohl das denen vielleicht gar nicht recht wäre, aber es musste einfach sein.

    Gerade anhand der "Kinder der Toten" stellt sich die Frage: Sind die ausufernden Sprach- und Wortspielereien der Jelinek überhaupt in fremde Sprachen übersetzbar? Sigrid Löffler ist sich da keineswegs sicher:

    Das ist in der Tat ein Problem: Jelineks Werk ist schwer übersetzbar. Wie ich höre, werden soeben ihre "Kinder der Toten" ins Niederländische übersetzt, eine Übersetzung ins Englische steht noch aus, das wird sicher nicht leicht zu bewerkstelligen sein. Aber die schwierige Übersetzbarkeit hat eigentlich noch nie etwas gegen den Rang eines Autors gesagt. Denken Sie an den "Ulysses", denken Sie an "Finnegan¹s Wake". Ich denke, auch bei Jelinek wird es nicht ganz leicht sein, sie zu übersetzen. Einige Bücher allerdings lassen sich durchaus leicht übersetzen, denken Sie an "Die Klavierspielerin", denken sie an "Die Ausgesperrten", denken Sie auch an "Die Liebhaberinnen". Schwierig wird es werden bei ihrem Hauptwerk, "Die Kinder der Toten".

    Österreichs Kabarettisten machen sich um die Übersetzbarkeit der Jelinekschen Prosa eher wenig Sorgen. Dass die in jeder Hinsicht spröde Autorin in ihrer Heimat derzeit wie eine Sportheldin gefeiert wird gegen ihren Willen, versteht sich das hat die beiden Kabarettstars Florian Scheuba und Alfred Dorfer zu einem Sketch inspiriert, einem Sketch mit Publikumsbeteiligung:

    Auf die Elfi wartet im Dezember ein schweres Auswärtsspiel in Stockholm. Sie ist nervös, sie spürt den Druck, in dieser Situation braucht sie die volle Unterstützung von den Fans... JETZT SINGT DAS SAALPUBLIKUM: "Immer wieder, immer wieder, immer wieder Jelinek. Immer wieder, immer wieder, immer wieder, Jelinek!