Archiv


"Mehr Frauen in technische Berufe"

Meurer: Über 100.000 Mädchen aus den Klassen fünf bis zehn gehen heute nicht zur Schule, nicht weil sie den Unterricht schwänzen, sondern weil sie am Girls Day teilnehmen. Zum vierten Mal ist heute Mädchenzukunftstag und dieser Tag ist dazu gedacht, jungen Frauen die Möglichkeit zu geben, in techniknahe Berufe oder naturwissenschaftliche Berufe hineinzuschnuppern, denn immer noch gilt: Die Klassiker bei der Berufswahl von jungen Frauen sind Friseurin, Arzthelferin, Büro- und Einzelhandelskauffrau. Das soll sich ändern, darüber möchte ich mich unterhalten mit der niedersächsischen Sozial- und Familienministerin Ursula von der Leyen, CDU. Schönen guten Tag, Frau von der Leyen.

    von der Leyen: Guten Tag, Herr Meurer.

    Meurer: Hilft der Girls' Day wirklich junge Frauen auch einmal für andere Berufe zu begeistern?

    von der Leyen: Es ist sicherlich eine gute Möglichkeit, früh schon bei den Mädchen zu verankern, dass es was anderes gibt als die Berufe, die Sie eben aufgezählt haben und dass sie sehr wohl auch mal in die typisch männlichen Berufe reinschauen sollten. Da sind ja die Angebote vielfältig und die Mädchen müssen früh lernen, sie können das auch, sie sollten ruhig in dieser Ecke mal schauen.

    Meurer: In welchen Berufen sähen Sie Mädchen gerne mehr als bisher?

    von der Leyen: Wir hätten gerne Mädchen sehr viel stärker in der IT-Branche, in den ganzen technologischen Berufen, auch in den naturwissenschaftlichen Berufen, Physik, Chemie, hätten wir sie gerne stärker drin, Biochemie, Biotechnologien. Also all die naturwissenschaftlich, technisch orientierten, internetorientierten Berufe werden noch viel zu wenig von Mädchen aufgesucht.

    Meurer: Wieso sträuben sich die Mädchen da? Oder liegt es weniger an denen und mehr an den Betrieben, die keine Mädchen haben wollen?

    von der Leyen: Es liegt sicherlich an mehreren Faktoren. Ich denke, dass die Mädchen sich zunächst einmal an ihren weiblichen Vorbildern orientieren und die gibt es noch nicht sehr viel typischerweise in diesen Berufen. Dann ist sicherlich eine Hemmschwelle am Anfang, wenn diese Berufe sehr stark von Jungen oder jungen Männern dominiert sind, dass Mädchen sich dort unsicher fühlen und nicht gerne dort rein gehen. Sie müssen also ermuntert werden, dass man ihnen sagt, ihr könnt das auch. Und wir haben ja sicherlich auch einen Paradigmenwechsel, was die Berufstätigkeit der Frau angeht, bisher gab es klassische Einteilung in Berufe der Frauen und die typischen Felder, die von Frauen besetzt worden sind. Insbesondere in der Erziehung und im hauswirtschaftlichen Teil. Das ändert sich jetzt stark und deshalb sollten Mädchen durchaus auch kucken, wo Berufe für sie sind, die typischerweise früher nicht da waren.

    Meurer: Es gibt ja nun auch immer mehr Stimmen und Experten, Frau von der Leyen, die sagen, wir brauchen nicht nur den Girls' Day für die Mädchen, sondern auch einen Boys' Day für die Jungen, das gibt es ja tatsächlich schon. Werden die Jungens heute am Girls' Day eher links liegen gelassen?

    von der Leyen: In Niedersachsen nicht, ich bin Ihrer Meinung, dass wir auch da für die Jungs Angebote schaffen sollen. Aber die Angebote müssen, sozusagen, die andere Seite der Medaille typischerweise beleuchten. Es ist ja so, dass unser Leben sehr stark in Arbeitswelt eingeteilt ist und dann alles das, was Familienwelt, Haushaltswelt, Erziehungswelt ist. Wir haben gesagt, in Zukunft wird Familie eine moderne Arbeitsteilung sein, denn wir stellen immer mehr fest, dass junge Frauen gerne ihren Beruf ausüben und dann, wenn sie Familie gründen, stark belastet sind und da auch mehr die jungen Männer, die jungen Väter brauchen.

    Meurer: Also, Sie wollen den Jungs nahe legen, dass sie mehr zu Hause bleiben und sich um Haushalt und Kinder kümmern?

    von der Leyen: Nein, sondern eine klügere Arbeitsteilung, dass man lernt, es gibt soziale Kompetenzen, es gibt die Haushaltsmanagementkompetenzen, die Erziehungskompetenzen, Kinder brauchen Väter, die wichtig sind und wenn man das früh erlernt, geht es einem leichter von der Hand und das ganze Feld wird auch aufgewertet. Wir haben jetzt für die Jungen Angebote geschaffen, die außerhalb der Schule sind, mit den Landfrauen zusammen, um das große Thema Ernährung, um das große Thema Geldmanagement, ich spreche nur das Stichwort Überschuldung an, Haushaltsmanagement. Wenn wir diese Felder für die Jungen stärker erschließen, fällt ihnen auch die Doppelrolle, die in Zukunft stärker auf junge Männer zukommen wird, leichter, nämlich Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Wenn ich in die Wirtschaft schaue, kommt der das auch sehr entgegen, denn der Fehlzeitenreport von 2003, also im letzten Jahr, hat gezeigt, die häufigste Ursache, warum Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen fehlen im Beruf, ist, wenn sie in Konflikte geraten, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Also, hier tun wir gut daran, beide Seiten der Medaille zu beleuchten.

    Meurer: In Niedersachsen ist es ja so, dass Sie zumindest bei der Bezeichnung Girls' Day bleiben und nicht Boys' Day sagen? Was halten Sie denn von Angeboten, dass man sagt, dann sollen die Jungs eben heute mal ins Altenheim gehen oder in Pflegeheime und die typischen Mädchenberufe einmal kennen lernen.

    von der Leyen: Das ist völlig richtig und genau das haben wir hier auch geschaffen, die sozialen Kompetenzen stärker auszuprägen, dazu gehört natürlich neben dem großen Feld Erziehung auch das große Feld der Pflege, der Betreuung, Behinderteneinrichtung. All diese Themen sind für die Jungen in Niedersachsen am heutigen Tag offen.

    Meurer: Girls' Days oder Boys' Days, darüber habe ich mich unterhalten mit der niedersächsischen Familienministerin Ursula von der Leyen von der CDU. Herzlichen Dank nach Hannover, Frau von der Leyen.

    von der Leyen: Ich danke Ihnen.
    Auch beim DeutschlandRadio war Girls' Day: Interviewen will gelernt sein
    Interviews führen will gelernt sein (Deutschlandradio)