Simon: Was steht dem im Weg?
Gerlach: Dem steht im Weg, dass es eine sehr breite Palette von Themen gibt, die Sie schon angesprochen haben in Ihrer Frage: zum Beispiel verbesserter Zugang für Entwicklungsländer, zu Landwirtschaftexporten in die Industrieländer oder auch im Bereich Textilien und Bekleidung. Auf der anderen Seite haben auch die Industrieländer Wünsche: zum Beispiel bessere Berücksichtigung von Umweltstandards oder von Sozial- und Arbeitsnormen, um nur einige Beispiele zu nennen. Das absolut entscheidende ist, dass wir zu einer vernünftigen Balance zwischen den Interessen der Entwicklungsländer und der Industrieländer kommen, wobei noch als ergänzende Bemerkung die Industrieländer sich einhellig dafür aussprechen, dass es eine Entwicklungsländer-Runde werden soll. Insofern haben sie sich selbst gebunden, ich sage mal salopp etwas mehr zu tun für die Entwicklungsländer bei der von mir genannten Balance.
Simon: Entwicklungsländer-Runde heißt, dass diese Staaten diesmal öfter das Wort bekommen, oder ihnen auch inhaltlich mehr zugestanden wird?
Gerlach: Beides. In Seattle ist das Scheitern ja auf verschiedene Gründe zurückzuführen gewesen: unter anderem auf eine auch organisatorisch völlig mangelhafte Einbindung der Entwicklungsländer. Sie saßen nicht so richtig mit am Tisch. Dies ist in Vorbereitung für Doha gründlich anders gemacht worden, durch das WTO-Sekretariat, durch Generaldirektor Michael Moore und auch durch Mithilfe insbesondere seitens der EU, Vertreten durch Kommissar Lamy. Das heißt die Entwicklungsländer, die größeren und die kleineren, sind besser eingebunden in die Arbeiten, fühlen sich - und das ist auch dringend nötig - gleichberechtigt. Das ist die prozedurale Seite. Die inhaltliche Seite ist zum Beispiel dadurch gekennzeichnet, dass die EU als Vorreiter schon im März eine so genannte Initiative "alles außer Waffen" gestartet hatte. Wir haben in der EU mit drei Ausnahmen, die ich gleich sage, sämtliche Zölle für die 49 ärmsten Entwicklungsländer auf null heruntergebracht. Leider gab es drei Ausnahmen, nämlich im Bereich Bananen und Reis - davon ist Deutschland nicht betroffen - und Zucker - davon ist Deutschland wegen der Zuckerindustrie betroffen. Aber die Ausnahmen sind nicht für immer, sondern dafür ist dann ein Zeitrahmen gesetzt worden, dass auch dort die Zölle auf null kommen.
Simon: Aber das heißt ganz konkret, dass zum Beispiel selbst aus den 49 ärmsten Entwicklungsländern keine Zuckerexporte in der Form zu uns kommen können, wie sich dies diese Länder wünschen würden?
Gerlach: Noch nicht im Augenblick. Es ist also nicht so, dass dies auf null ist. Es wird erst nach und nach gesteigert und ab 2006 dann deutlich erhöht. Aber wenn ich diese drei Ausnahmen einmal wegnehme, dann ist es eine riesige Fülle. Über 90 verschiedene gewerbliche und landwirtschaftliche Produkte sind einbezogen. Man darf das also nicht gering reden, wenngleich wir als Deutschland versucht haben, auch diese drei Ausnahmen etwas gering zu halten. Man erreicht nicht alles auf einen Schlag. Es ist aber ein sehr gut entgegengenommenes Zeichen durch die EU und wir haben die anderen Industrieregionen der Welt ermuntert, etwas Ähnliches zu tun. Das ist im Grunde der richtige Pfad und ich will materiell noch eins sagen: Auch gerade nach dem 11. September in den USA ist es nicht nur Meinung der USA, sondern aller industrialisierten Länder, dass wir zu etwas mehr Gerechtigkeit kommen müssen, und das heißt im Handel. Das heißt eine bessere und stärkere Einbeziehung der Entwicklungsländer, denn auf Dauer schaffen wir das nicht über Entwicklungshilfe, sondern durch Kräftigung der Einbeziehung dieser Länder in den Welthandel. Das heißt auch ganz konkret bessere Exporte.
Simon: Können Sie sich denn vorstellen, Herr Gerlach, dass nach dieser Initiative der EU vom März, wo eben den 49 ärmsten Ländern bessere Exportchancen nach Europa gewährt wurde, es jetzt zum Beispiel zu weitergehenden Zugeständnissen auch an Länder kommt, die zwar nicht zu den 49 ärmsten gehören, aber noch immer zu armen Staaten gehören?
Gerlach: Das wird ein ganz wesentlicher Verhandlungsgegenstand sein und dies ist auch vorgesehen in der sogenannten Ministererklärung, die von der WTO im Vorfeld für Doha entworfen worden ist unter der Leitung des Botschafters von Hongkong. Das ist ein Text, der noch nicht zu Ende verhandelt ist. Der wird einigen an der einen oder anderen Stelle noch nicht gefallen, auch nicht der EU, aber er bildet eine gute Grundlage. Auf Ihre Frage zurückkommend: Genau das ist vorgesehen, dass es zu weiterem Zollabbau kommen muss, übrigens auch in den beiden wichtigsten Bereichen für auch die anderen Entwicklungsländer: Landwirtschaft, Textilien und Bekleidung. Ich muss allerdings hinzufügen, gerade bei dem interessanten Beispiel Textilien und Bekleidung wird das keine Einbahnstraße sein, sondern die europäische Textil- und Bekleidungsindustrie - ich habe auch mit der deutschen gesprochen - erhofft sich dann auch Gegenvorteile, wenn zum Beispiel so große Länder wie Indien, Pakistan, Malaysia oder Brasilien, die auch große Abnehmer sind, die ihrerseits sehr hohen Zölle in diesem Bereich senken. Also keine Einbahnstraße, aber sonst ein Ja zu ihrer Antwort.
Simon: Wenn wir auf ein anderes Streitthema kommen, das Thema Medikamente, hat sich dort eigentlich aus Ihrer Sicht eine neue Situation ergeben? Stichwort 11. September. Die USA haben ja in der Folge unter der Bedrohung durch Anthrax selber Druck auf Bayer gemacht, das entsprechende Medikament billiger abzugeben. Glauben Sie, dass es da vielleicht auch eine allgemeine Trendwende geben könnte? Bislang waren ja die USA die stärksten Verteidiger der Rechte der Pharmakonzerne.
Gerlach: Mit Sicherheit ja. Es hat auch da der 11. September sich ausgewirkt. Das Grundproblem ist ja schon seit langem da und es geht eigentlich primär, jetzt mal abgesehen vom 11. September, um die Bekämpfung von Aids, Typhus, Malaria, Pocken in vor allen Dingen Schwarzafrika und anderen Entwicklungsländern, so dass die Grundproblematik seit längerem besteht. Aber mit Sicherheit waren hier die aktuellen Ereignisse ich sage ausnahmsweise mal hilfreich und ich gehe davon aus, dass es hier auch eine umfassende Bewegung gibt. Wir haben das auch so innerhalb der EU diskutiert, dass man beim Zugang zu Arzneimitteln zu vernünftigen Lösungen kommt. Das ist dann im einzelnen technisch noch ein bisschen schwierig, aber der Wille ist ganz klar da.
Simon: Und Sie sind willens, sich über bestehende Interessen auch deutscher Pharmakonzerne hinwegzusetzen?
Gerlach: Über Interessen, die aus unserer Sicht nicht ausgewogen sind. Es ist ja so, um das mal ein bisschen genereller zu sagen: Es kann nicht sein, dass die Industrieländer generell sagen, wir wollen etwas für die Entwicklungsländer tun - das hat übrigens vor kurzem auch der Bundeskanzler ausdrücklich gesagt -, und dann, wenn es um Einzelheiten geht, bei Textilien oder bei Landwirtschaft und irgendwelchen Produkten, dann sagen wir nein. Wir haben also die feste Bereitschaft, auch dort zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen. Im übrigen muss man dann im Einzelfall sehen, wie das aussieht. Ich will das vielleicht ganz kurz ausführen, gerade bei dem ja sehr wichtigen Thema der Arzneimittel. Es geht in Doha "nur" darum, dass diejenigen Staaten Entwicklungsländer, die eigene Arzneimittelproduktion haben, Zugang haben sollen zu Lizenzen. Wenn die ihnen nicht gegeben werden, kann es nach dem geltenden Recht zu Zwangslizenzen kommen, oder aber wenn sich Firmen faktisch weigern, weil sie zu hohe Lizenzgebühren erheben wollen, dass man dies dann auch zwangsweise macht. Das ist also ein System, was wir verstärken wollen, und das muss dann auch vernünftig angewendet werden. Und das Beispiel, das Sie erwähnt haben, USA und Kanada, zeigt, dass es ja auch völlig in die andere Richtung gehen kann. Aber das betrifft nur diesen etwas engeren Bereich, wo schon Arzneimittelproduktion in solchen Staaten vorhanden ist. Dort wo die keine Produktion haben, muss auf andere Weise geholfen werden. Da hat der Weltwirtschaftsgipfel in Genua vor kurzem - das ist ja noch nicht lange her - einen Fonds von 1,3 Milliarden Dollar beschlossen, der im Augenblick eingeführt und umgesetzt wird durch die Welthandelsorganisation. Das heißt das werden dann direkte Lieferungen an die Länder. - Das ist also ein breites Feld, aber der feste Wille besteht. Da muss geholfen werden; da besteht auch gar kein Zweifel.
Simon: Ganz herzlichen Dank. - Das war der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Axel Gerlach.