Stefan Heinlein: Die Pflege, ein Dauerthema der Koalition. Monatelang wurde verhandelt und nur mühsam schließlich vor Wochen ein Kompromiss zu Papier gebracht. Mitte Dezember nun soll das Reformpaket im Bundestag behandelt werden, doch so richtig glücklich scheint niemand mit der gefundenen Lösung. Aus den Reihen der Union wird kräftig gemäkelt am Konzept der Pflegestützpunkte. Ulla Schmidt wiederum will ihren Plan für einen bezahlten Pflegeurlaub noch nicht endgültig zu den Akten legen. Widerstand gibt es auch von Seiten der Länder. Ende letzter Woche verlangte die Mehrheit der Ministerpräsidenten deutliche Änderungen bei den geplanten Reformen.
Vor dieser Sendung habe ich mit der Bundesgesundheitsministerin in unserem Studio gesprochen und Ulla Schmidt zunächst gefragt, ob sie die Querschüsse der Union und der Ministerpräsidenten ärgern.
Ulla Schmidt: Nein. Wenn man die Änderungen mal genau anschaut, dann sind es Dinge, die man machen kann oder nicht machen kann. Das ist immer einmal die Frage nach mehr Geld. Was entscheidend war, ist, dass die Bundesländer, alle, die Pflegestützpunkte unterstützen, dass sie sagen das ist der richtige Weg, im Stadtteil Angebote unter einem Dach zu machen, das für die Pflegenden, also die Pflegebedürftigen oder diejenigen, die in der Familie pflegen, auch Leistungen aus einer Hand vorgehalten werden können. Was die Länder möchten, ist, dass sie Rahmenrichtlinien dazu machen, auch die Kommunen verpflichten, weil uns das auch recht ist, wenn die dabei sind, und dem werden wir zustimmen.
Heinlein: In den nächsten Tagen kommt die Pflegereform ja in den Bundestag, anschließend dann in den Bundesrat. Rechnen Sie, dass alles glatt gehen wird bei den Beratungen, bei den verschiedenen Lesungen?
Schmidt: Jedes Gesetz wird debattiert werden, und das ist ja ein Regierungsentwurf, den die Regierung verabschiedet hat im Kabinett. Der ist jetzt im Bundesrat beraten worden. Da ist aber eigentlich die ganze Richtung als richtig erkannt worden. Ich habe gesagt, bei einzelnen Fragen werden wir Änderungen auch mitmachen. Jetzt wird es in der Bundestagsdebatte, in den Ausschüssen behandelt werden. Und da stehen ja Forderungen der CDU-Bundestagsfraktion im Raum, die sagen, wir wollen keine Pflegestützpunkte, wir wollen die Beratung unter einem Dach nicht und aus einer Hand, sondern die möchten den Menschen Pflegegutscheine, Beratungsgutscheine anbieten. Das wird von der SPD so nicht mitgetragen, auch von keiner anderen Partei im Bundestag.
Heinlein: Die Länder argumentieren, sie haben Angst vor Bürokratie durch diese Pflegestützpunkte. Teilen Sie diese Argumentation?
Schmidt: Nein. Das ist überhaupt nicht zu befürchten. Sehen Sie mal, ich rede heute viel mit Menschen. Ich bin auf vielen Veranstaltungen unterwegs. Was erstaunlich ist: In den Familien wird vieles geleistet. Die Menschen beschweren sich in der Regel sehr wenig über diese hohen Anstrengungen, die die Pflege mit sich bringt. Aber was sie wirklich wütend macht, ist, dass sie, obwohl sie so vieles leisten, dann das Gefühl haben, manchmal von einer Stelle zur anderen geschickt zu werden, dass jemand nicht zuständig ist, dass die Frage ist, der eine sagt hier muss zum Beispiel eine Gesundheitsmatratze auch verordnet werden, und der nächste sagt, nein, wir machen das nicht. Da anzubieten, da ist jetzt einer, der für euch zuständig ist, für dich ganz genau, für den Pflegebedürftigen, für die Familie, und der berät, der sieht, welche Leistungen gehören dazu, und der hat auch die Kompetenz zu entscheiden, jawohl, hier ist Bedarf, und hier kommt das jetzt, hier wird das jetzt durchgeführt, das ist eine Riesenerleichterung für die, die damit zu tun haben. Das ist ein Abbau der Bürokratie und nicht eine Zunahme der Bürokratie, sondern weniger Bürokratie, mehr Hilfe für Familien.
Heinlein: Frau Schmidt, umgekehrt haben Sie auch noch Änderungswünsche bei der Pflegereform. Sie wollen den bezahlten Pflegeurlaub. Werden Sie denn in den Verhandlungen mit der Union weiter darauf drängen? Werden Sie weiter dafür kämpfen, für einen bezahlten Pflegeurlaub?
Schmidt: Vielleicht kann man ja die Union noch überzeugen in dieser verbleibenden Phase. Die SPD-Fraktion wird auf jeden Fall einen Antrag einbringen. Wir wollen doch nur eines, dass derjenige, der ganz plötzlich mit der Diagnose konfrontiert wird, dein Ehepartner, Vater oder Mutter sind pflegebedürftig, und der oder die plötzlich vor der Situation steht, dass man alles arrangieren muss, alles organisieren muss, man sich überlegen muss was ist denn das beste, kann ich ambulant pflegen, brauche ich eine stationäre Einrichtung, wo bekomme ich Hilfe, dass man den Menschen bis zu zehn Tagen Zeit gibt zu sagen, hier kannst du freigestellt werden von der Arbeit. Das machen wir jetzt. Aber wir möchten, dass jeder das tun kann, und deswegen sagen, wenn das so ist und wenn ein Arzt bescheinigt, dass es notwendig ist, kann genau wie bei der Erkrankung der Kinder Krankengeld gezahlt werden. Ich halte das für richtig. Dazu haben wir bisher keine Mehrheit. Wir werden die Debatten im Bundestag abwarten. Die SPD wird jedenfalls versuchen, diesen Wunsch durchzusetzen, weil er gerecht ist und weil er allen Menschen auch entgegenkommt, die in dieser schwierigen Situation auch Zeit brauchen, um wirklich alles organisieren zu können.
Heinlein: Viel Abstimmungsbedarf gibt es ja auch mit Blick auf das Präventionsgesetz. Die Union nennt Ihre Pläne eine Frechheit. Hätten Sie sich nicht enger abstimmen müssen mit dem Koalitionspartner?
Schmidt: Wir diskutieren jetzt ein Jahr. In Meseberg hat die Bundesregierung beschlossen, dass die Bundesregierung bis zum Ende des Jahres ein Präventionsgesetz vorlegt, und das Kabinett hat mich beauftragt, dies zu tun. Der vorliegende Entwurf, den ich aber irgendwann als Referentenentwurf dann auch auf den Weg bringen muss, enthält fast zu über 90 Prozent das, was die Union an Änderungen auch wollte. Wir sind da wirklich unserem Koalitionspartner entgegengekommen, weil ich möchte, dass wir den ersten Schritt tun, nicht schon den letzten, aber den ersten, dass es vorwärts geht, dass wir wirklich die, die vor Ort Menschen dabei helfen wollen, dass sie mehr für sich und ihre Gesundheit tun können. Das kommt dann als Gesetzentwurf ins Kabinett und dann fangen die Beratungen im Bundestag an. Dann kann noch einmal jede Fraktion ihre Änderungswünsche mit einbringen.
Heinlein: Frau Schmidt, verlassen wir Ihr Ressort und blicken auf die Koalition insgesamt. Stichwort Postmindestlohn: Da gab es zuletzt Bewegung. Beide Koalitionsparteien sind aufeinander zugegangen. Macht Sie das optimistisch, dass trotz der anstehenden Wahlkämpfe in dieser Legislaturperiode sich doch noch etwas bewegt?
Schmidt: Ich glaube ja, dass gerade wegen der Wahlkämpfe sich auch hier im Bereich Postmindestlohn etwas bewegt hat, weil natürlich auch die Union und ihre Ministerpräsidenten Koch und Wulff gemerkt haben, dass die Menschen möchten, dass wir eine Entscheidung haben, dass derjenige und diejenige, die den ganzen Tag arbeitet, auch von diesem Lohn leben können. Das ist im Bereich der Postbranche jetzt geschehen. Das ist der erste Schritt und der zweite Schritt wird sein, das hat ja auch die Bundeskanzlerin gesagt, dass überall da, wo in Branchen, wo es besonderen Bedarf gibt, ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird, auch die Union die Mindestlöhne in den Branchen mitträgt. Da hat Herr Struck schon gesagt, es gibt eine Reihe, Zeitarbeit, Fleischerhandwerk. Da werden sie eine ganze Menge finden.
Heinlein: Trauen Sie der Aussage der Kanzlerin, dass es Mindestlöhne für weitere Branchen geben wird?
Schmidt: Wenn wir jetzt das Verfahren haben, dass immer dann, wenn ein Tarifvertrag mehr als 50 Prozent umfasst, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung kommt, dann ist dieser Weg geschaffen. Das ist die Vereinbarung.
Heinlein: Würde es denn vielleicht helfen, wenn die SPD sich bei der Kanzlerin entschuldigt? Immerhin haben Sie, hat Ihre Partei der Kanzlerin ja klar und offen Wortbruch vorgeworfen beim Thema Mindestlohn.
Schmidt: Das war bezogen auf eine Situation am Koalitionsabend. Da gab es auch noch eine andere Vereinbarung vorher. Ich wüsste gar nicht, dass die SPD sich entschuldigen muss.
Heinlein: Die SPD ist auf ihrem Parteitag in Hamburg ja nach links gerückt. Die CDU in Hannover will jetzt die Mitte besetzen. Wird dies die taktische Ausrichtung sein für die Landtagswahlkämpfe und auch die Bundestagswahl, die anstehen?
Schmidt: Wir sagen auch, wir sind die Partei der Mitte. Wir sind die Partei der Mitte und die Partei der sozialen Gerechtigkeit.
Heinlein: Linke Volkspartei ist das Schlagwort.
Schmidt: Linke Volkspartei, Partei der Mitte, die Partei der sozialen Gerechtigkeit, weil wir davon ausgehen, dass wir eine solidarische Mehrheit in diesem Land haben. Und wir wollen die Partei sein, die genau für diese solidarische Mehrheit da ist, für die Menschen die sagen, wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass es allen gut geht in diesem Land, dass wir keinen zurücklassen, dass jeder die Chancen hat. Diese Menschen wollen wir gewinnen, und wenn man das hat und die solidarische Mehrheit hat, dann hat man auch die Mitte dieser Gesellschaft.
Heinlein: Die CDU hat sich auf ihrem Parteitag in Hannover ja klar abgegrenzt vom Koalitionspartner, von Ihnen, von der SPD. Befürchten Sie, dass der Ton sich jetzt in den kommenden Wochen und Monaten in diesem Zusammenhang noch einmal verschärfen wird?
Schmidt: Nein, ich glaube es nicht wirklich. Es wird immer wieder so sein, dass es in den Wahlkämpfen jetzt wahrscheinlich etwas rauer zugeht als im Normalfall. Aber man kann sich auch abgrenzen. Wir sind in unterschiedlichen Parteien. Wir haben aufgrund der Wahlergebnisse gesagt, wir müssen zusammengehen, weil die Menschen möchten, dass dieses Land regiert wird, dass Reformen auf den Weg kommen und dass man sich da einigt, wo es geht. Und das müssen wir tun. Wir sind bis zum Jahre 2009 hier gewählt. Aber die Abgrenzung muss auch bleiben. Wir wollen ja auch, dass die Menschen sehen, wo die SPD sich unterscheidet von der CDU, und wir möchten, dass die Menschen uns wählen. Deshalb werben wir für das, was unsere Programmatik ist.
Heinlein: Also ist es gut für eine Demokratie, wenn die beiden großen Volksparteien für den Wähler wieder unterscheidbar sind?
Schmidt: Natürlich!
Heinlein: Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Wir haben das Gespräch hier im Deutschlandfunk vor dieser Sendung aufgezeichnet.
Vor dieser Sendung habe ich mit der Bundesgesundheitsministerin in unserem Studio gesprochen und Ulla Schmidt zunächst gefragt, ob sie die Querschüsse der Union und der Ministerpräsidenten ärgern.
Ulla Schmidt: Nein. Wenn man die Änderungen mal genau anschaut, dann sind es Dinge, die man machen kann oder nicht machen kann. Das ist immer einmal die Frage nach mehr Geld. Was entscheidend war, ist, dass die Bundesländer, alle, die Pflegestützpunkte unterstützen, dass sie sagen das ist der richtige Weg, im Stadtteil Angebote unter einem Dach zu machen, das für die Pflegenden, also die Pflegebedürftigen oder diejenigen, die in der Familie pflegen, auch Leistungen aus einer Hand vorgehalten werden können. Was die Länder möchten, ist, dass sie Rahmenrichtlinien dazu machen, auch die Kommunen verpflichten, weil uns das auch recht ist, wenn die dabei sind, und dem werden wir zustimmen.
Heinlein: In den nächsten Tagen kommt die Pflegereform ja in den Bundestag, anschließend dann in den Bundesrat. Rechnen Sie, dass alles glatt gehen wird bei den Beratungen, bei den verschiedenen Lesungen?
Schmidt: Jedes Gesetz wird debattiert werden, und das ist ja ein Regierungsentwurf, den die Regierung verabschiedet hat im Kabinett. Der ist jetzt im Bundesrat beraten worden. Da ist aber eigentlich die ganze Richtung als richtig erkannt worden. Ich habe gesagt, bei einzelnen Fragen werden wir Änderungen auch mitmachen. Jetzt wird es in der Bundestagsdebatte, in den Ausschüssen behandelt werden. Und da stehen ja Forderungen der CDU-Bundestagsfraktion im Raum, die sagen, wir wollen keine Pflegestützpunkte, wir wollen die Beratung unter einem Dach nicht und aus einer Hand, sondern die möchten den Menschen Pflegegutscheine, Beratungsgutscheine anbieten. Das wird von der SPD so nicht mitgetragen, auch von keiner anderen Partei im Bundestag.
Heinlein: Die Länder argumentieren, sie haben Angst vor Bürokratie durch diese Pflegestützpunkte. Teilen Sie diese Argumentation?
Schmidt: Nein. Das ist überhaupt nicht zu befürchten. Sehen Sie mal, ich rede heute viel mit Menschen. Ich bin auf vielen Veranstaltungen unterwegs. Was erstaunlich ist: In den Familien wird vieles geleistet. Die Menschen beschweren sich in der Regel sehr wenig über diese hohen Anstrengungen, die die Pflege mit sich bringt. Aber was sie wirklich wütend macht, ist, dass sie, obwohl sie so vieles leisten, dann das Gefühl haben, manchmal von einer Stelle zur anderen geschickt zu werden, dass jemand nicht zuständig ist, dass die Frage ist, der eine sagt hier muss zum Beispiel eine Gesundheitsmatratze auch verordnet werden, und der nächste sagt, nein, wir machen das nicht. Da anzubieten, da ist jetzt einer, der für euch zuständig ist, für dich ganz genau, für den Pflegebedürftigen, für die Familie, und der berät, der sieht, welche Leistungen gehören dazu, und der hat auch die Kompetenz zu entscheiden, jawohl, hier ist Bedarf, und hier kommt das jetzt, hier wird das jetzt durchgeführt, das ist eine Riesenerleichterung für die, die damit zu tun haben. Das ist ein Abbau der Bürokratie und nicht eine Zunahme der Bürokratie, sondern weniger Bürokratie, mehr Hilfe für Familien.
Heinlein: Frau Schmidt, umgekehrt haben Sie auch noch Änderungswünsche bei der Pflegereform. Sie wollen den bezahlten Pflegeurlaub. Werden Sie denn in den Verhandlungen mit der Union weiter darauf drängen? Werden Sie weiter dafür kämpfen, für einen bezahlten Pflegeurlaub?
Schmidt: Vielleicht kann man ja die Union noch überzeugen in dieser verbleibenden Phase. Die SPD-Fraktion wird auf jeden Fall einen Antrag einbringen. Wir wollen doch nur eines, dass derjenige, der ganz plötzlich mit der Diagnose konfrontiert wird, dein Ehepartner, Vater oder Mutter sind pflegebedürftig, und der oder die plötzlich vor der Situation steht, dass man alles arrangieren muss, alles organisieren muss, man sich überlegen muss was ist denn das beste, kann ich ambulant pflegen, brauche ich eine stationäre Einrichtung, wo bekomme ich Hilfe, dass man den Menschen bis zu zehn Tagen Zeit gibt zu sagen, hier kannst du freigestellt werden von der Arbeit. Das machen wir jetzt. Aber wir möchten, dass jeder das tun kann, und deswegen sagen, wenn das so ist und wenn ein Arzt bescheinigt, dass es notwendig ist, kann genau wie bei der Erkrankung der Kinder Krankengeld gezahlt werden. Ich halte das für richtig. Dazu haben wir bisher keine Mehrheit. Wir werden die Debatten im Bundestag abwarten. Die SPD wird jedenfalls versuchen, diesen Wunsch durchzusetzen, weil er gerecht ist und weil er allen Menschen auch entgegenkommt, die in dieser schwierigen Situation auch Zeit brauchen, um wirklich alles organisieren zu können.
Heinlein: Viel Abstimmungsbedarf gibt es ja auch mit Blick auf das Präventionsgesetz. Die Union nennt Ihre Pläne eine Frechheit. Hätten Sie sich nicht enger abstimmen müssen mit dem Koalitionspartner?
Schmidt: Wir diskutieren jetzt ein Jahr. In Meseberg hat die Bundesregierung beschlossen, dass die Bundesregierung bis zum Ende des Jahres ein Präventionsgesetz vorlegt, und das Kabinett hat mich beauftragt, dies zu tun. Der vorliegende Entwurf, den ich aber irgendwann als Referentenentwurf dann auch auf den Weg bringen muss, enthält fast zu über 90 Prozent das, was die Union an Änderungen auch wollte. Wir sind da wirklich unserem Koalitionspartner entgegengekommen, weil ich möchte, dass wir den ersten Schritt tun, nicht schon den letzten, aber den ersten, dass es vorwärts geht, dass wir wirklich die, die vor Ort Menschen dabei helfen wollen, dass sie mehr für sich und ihre Gesundheit tun können. Das kommt dann als Gesetzentwurf ins Kabinett und dann fangen die Beratungen im Bundestag an. Dann kann noch einmal jede Fraktion ihre Änderungswünsche mit einbringen.
Heinlein: Frau Schmidt, verlassen wir Ihr Ressort und blicken auf die Koalition insgesamt. Stichwort Postmindestlohn: Da gab es zuletzt Bewegung. Beide Koalitionsparteien sind aufeinander zugegangen. Macht Sie das optimistisch, dass trotz der anstehenden Wahlkämpfe in dieser Legislaturperiode sich doch noch etwas bewegt?
Schmidt: Ich glaube ja, dass gerade wegen der Wahlkämpfe sich auch hier im Bereich Postmindestlohn etwas bewegt hat, weil natürlich auch die Union und ihre Ministerpräsidenten Koch und Wulff gemerkt haben, dass die Menschen möchten, dass wir eine Entscheidung haben, dass derjenige und diejenige, die den ganzen Tag arbeitet, auch von diesem Lohn leben können. Das ist im Bereich der Postbranche jetzt geschehen. Das ist der erste Schritt und der zweite Schritt wird sein, das hat ja auch die Bundeskanzlerin gesagt, dass überall da, wo in Branchen, wo es besonderen Bedarf gibt, ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird, auch die Union die Mindestlöhne in den Branchen mitträgt. Da hat Herr Struck schon gesagt, es gibt eine Reihe, Zeitarbeit, Fleischerhandwerk. Da werden sie eine ganze Menge finden.
Heinlein: Trauen Sie der Aussage der Kanzlerin, dass es Mindestlöhne für weitere Branchen geben wird?
Schmidt: Wenn wir jetzt das Verfahren haben, dass immer dann, wenn ein Tarifvertrag mehr als 50 Prozent umfasst, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung kommt, dann ist dieser Weg geschaffen. Das ist die Vereinbarung.
Heinlein: Würde es denn vielleicht helfen, wenn die SPD sich bei der Kanzlerin entschuldigt? Immerhin haben Sie, hat Ihre Partei der Kanzlerin ja klar und offen Wortbruch vorgeworfen beim Thema Mindestlohn.
Schmidt: Das war bezogen auf eine Situation am Koalitionsabend. Da gab es auch noch eine andere Vereinbarung vorher. Ich wüsste gar nicht, dass die SPD sich entschuldigen muss.
Heinlein: Die SPD ist auf ihrem Parteitag in Hamburg ja nach links gerückt. Die CDU in Hannover will jetzt die Mitte besetzen. Wird dies die taktische Ausrichtung sein für die Landtagswahlkämpfe und auch die Bundestagswahl, die anstehen?
Schmidt: Wir sagen auch, wir sind die Partei der Mitte. Wir sind die Partei der Mitte und die Partei der sozialen Gerechtigkeit.
Heinlein: Linke Volkspartei ist das Schlagwort.
Schmidt: Linke Volkspartei, Partei der Mitte, die Partei der sozialen Gerechtigkeit, weil wir davon ausgehen, dass wir eine solidarische Mehrheit in diesem Land haben. Und wir wollen die Partei sein, die genau für diese solidarische Mehrheit da ist, für die Menschen die sagen, wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass es allen gut geht in diesem Land, dass wir keinen zurücklassen, dass jeder die Chancen hat. Diese Menschen wollen wir gewinnen, und wenn man das hat und die solidarische Mehrheit hat, dann hat man auch die Mitte dieser Gesellschaft.
Heinlein: Die CDU hat sich auf ihrem Parteitag in Hannover ja klar abgegrenzt vom Koalitionspartner, von Ihnen, von der SPD. Befürchten Sie, dass der Ton sich jetzt in den kommenden Wochen und Monaten in diesem Zusammenhang noch einmal verschärfen wird?
Schmidt: Nein, ich glaube es nicht wirklich. Es wird immer wieder so sein, dass es in den Wahlkämpfen jetzt wahrscheinlich etwas rauer zugeht als im Normalfall. Aber man kann sich auch abgrenzen. Wir sind in unterschiedlichen Parteien. Wir haben aufgrund der Wahlergebnisse gesagt, wir müssen zusammengehen, weil die Menschen möchten, dass dieses Land regiert wird, dass Reformen auf den Weg kommen und dass man sich da einigt, wo es geht. Und das müssen wir tun. Wir sind bis zum Jahre 2009 hier gewählt. Aber die Abgrenzung muss auch bleiben. Wir wollen ja auch, dass die Menschen sehen, wo die SPD sich unterscheidet von der CDU, und wir möchten, dass die Menschen uns wählen. Deshalb werben wir für das, was unsere Programmatik ist.
Heinlein: Also ist es gut für eine Demokratie, wenn die beiden großen Volksparteien für den Wähler wieder unterscheidbar sind?
Schmidt: Natürlich!
Heinlein: Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Wir haben das Gespräch hier im Deutschlandfunk vor dieser Sendung aufgezeichnet.
