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Mehr Sensibilität in Sachen Datenschutz

Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Peter Schaar, hat grundsätzlich die jüngsten Äußerungen des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, begrüßt. Er hoffe, dass noch in dieser Legislaturperiode über das veränderte Datenschutzgesetz entschieden werde. Zugleich rief er die Bürger dazu auf, nicht allzu sorglos mit ihren persönlichen Daten im Internet umzugehen.

Peter Schaar im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier, sorgte am Wochenende für Schlagzeilen via Boulevard-Presse. Der "Bild am Sonntag" gegenüber warnte er vor einem, so wörtlich, "Supergau im Datenschutz, angesichts der jüngsten Skandale bei großen Unternehmen" und er forderte einen besseren Schutz der Privatsphäre der Bürger. Eine Warnung, die Hans-Jürgen Papier in dieser Form nicht zum ersten Mal ausgesprochen hat, sondern bereits vor einigen Monaten, zugegebenermaßen unter geringerer öffentlicher Beachtung bei einer Festrede.

    O-Ton Hans-Jürgen Papier: Wir können über das Internet Briefe schreiben, Bücher und Bahntickets kaufen sowie unsere Bankgeschäfte erledigen, und geben im Internet ohne größeres Nachdenken auf verschiedensten Seiten unsere intimsten Gedanken, Gefühle oder Bilder einem uns völlig unbekannten Publikum preis. Und alle diese irgendwo auf der Welt über uns gespeicherten Informationen zusammengefügt, ließe sich sehr leicht ein Persönlichkeitsprofil von jedem von uns erstellen. Dadurch würde der im Volkszählungsurteil für unzulässig befundene, ich sage mal, "Supergau" des Datenschutzes Wirklichkeit werden, allerdings herbeigefügt durch die Hände Privater.

    Klein: Am Telefon begrüße ich nun den Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Peter Schaar. Ich grüße Sie!

    Peter Schaar: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Von einem drohenden Super-GAU mit Blick auf den Datenschutz spricht der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Herr Schaar, wenn der größte anzunehmende Unfall - und das bedeutet die Abkürzung GAU ja - noch mit einem "Super" versehen wird, dann ist keine Steigerung mehr möglich. Übertreibt der oberste deutsche Richter da vielleicht doch ein wenig?

    Schaar: Also ich denke mal, dass man unter "Super-GAU" nicht eine plötzliche Eruption sich vorstellen sollte, wie man das so im Bild eines explodierenden Atomkraftwerkes im Sinn hat, sondern dass man es hier mit einer schleichenden Erosion zu tun hat, die irgendwann eine Qualität erreicht, die nicht mehr umkehrbar ist. Das heißt: wenn unsere Privatsphäre einmal vollständig verloren ist, wenn unsere Daten in aller Welt zirkulieren, dann kann man das nicht mehr rückgängig machen und das hat natürlich dann ganz erhebliche Konsequenzen für unser privates Leben und für die Gesellschaft als ganzes. Das ist, glaube ich, das, was der Präsident des Bundesverfassungsgerichts mit diesem Begriff beschreiben wollte.

    Klein: Stimmen Sie denn uneingeschränkt zu?

    Schaar: Ich würde diesen Begriff vielleicht nicht selbst so verwenden, weil er diese Vorstellung impliziert, in einem plötzlichen Knall würde sich der Datenschutz völlig verflüchtigen, aber er geht verloren, er geht immer stärker verloren, und ihn dann wieder zu rekonstruieren, ist außergewöhnlich schwierig und deshalb sehe ich es schon als eine dramatische Entwicklung an, der man wirklich entschieden - auch seitens der Politik - entgegensteuern muss.

    Klein: Wenn Sie mit Papier da doch auf einer Linie liegen und dies vielleicht auch schon länger beschwören und es auch richtig finden, dass er sich äußert, finden Sie sich da ausreichend unterstützt, dass er erst jetzt dann seine Stimme in die öffentliche Diskussion einfließen lässt?

    Schaar: Das Bundesverfassungsgericht ist ja in erster Linie ein Gericht und es entscheidet über konkrete Dinge. Beim Bundesverfassungsgericht geht es im Wesentlichen um die verfassungsrechtliche Würdigung dessen, was der Gesetzgeber beschlossen hat, und da hat das Bundesverfassungsgericht seit 1983 durchgängig Entscheidungen gefällt, die den Datenschutz gestärkt haben - denken Sie an das Volkszählungsurteil, das gut 25 Jahre her ist -, aber dann hat es eine ganze Reihe von Entscheidungen gegeben, zum Großen Lauschangriff, zur Vorratsdatenspeicherung, zur Online-Durchsuchung, alle haben letztlich die Botschaft enthalten: Der Gesetzgeber ist zu weit gegangen, er hat die Grundrechte des Bürgers zu stark eingeschränkt und da hat das Bundesverfassungsgericht korrigierend eingegriffen.
    Jetzt geht es noch um etwas anderes. Hier geht es um den privaten Datenhandel, also den Handel mit persönlichen Daten durch Unternehmen, und da sagt nun der Bundesverfassungsgerichtspräsident, wenn hier das Grundrecht auf Datenschutz zu schützen ist, dann gilt das nicht nur gegenüber dem Staat, sondern es gilt auch gegenüber Unternehmen, die ja heute sehr viel umfangreicher sogar persönliche Daten speichern und handeln, als das jemals der Staat getan hat. Das heißt, auch hier muss der Bürger effektiv geschützt werden, und er fordert deshalb auch den Gesetzgeber zum Handeln auf. Das ist etwas, was ich auch seit einiger Zeit tue, und ich habe auch den Eindruck, dass diese Botschaft doch bei der Bundesregierung angekommen ist, denn sie hat ja auch einen Gesetzentwurf zur Stärkung des Datenschutzes, zur Einschränkung des Datenhandels beschlossen, aber dessen Schicksal ist ja noch nicht wirklich besiegelt beziehungsweise das ist noch nicht in trockenen Tüchern.

    Klein: Woran hakt es im Augenblick noch?

    Schaar: Nun, das Problem besteht darin, dass Wirtschaftsverbände hier massiv Sturm laufen - mit der Begründung, dieses Gesetz würde wirtschaftlichen Schaden verursachen und in der Finanzkrise sei das nun das Letzte, was man gebrauchen könnte. Nun ist es aber so, dass hier einerseits, meine ich, sehr stark übertrieben wird, was jetzt die wirtschaftlichen Schäden anbelangt, und auf der anderen Seite wird außer Acht gelassen, dass sich viele Unternehmen hier recht frei an persönlichen Daten bedienen, dass sie in persönlichen Daten eine Art frei verfügbaren Rohstoff sehen, den sie beliebig verwenden können. Und wenn wir aber auf der anderen Seite die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts sehen, das sagt, es gibt ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, dann gilt das nicht nur gegenüber dem Staat, sondern es gilt auch gegenüber Unternehmen und muss dort entsprechend zur Geltung gebracht werden.

    Klein: Geben Sie uns ein Beispiel, Herr Schaar. Welches Vorgehen von Unternehmen würde durch diesen Gesetzentwurf gestoppt?

    Schaar: Erst mal geht es darum, dass der Betroffene erfährt, was mit seinen Daten geschieht, und ausdrücklich einwilligen muss, ehe seine Daten verkauft werden. Heute ist es so, dass er das bisweilen nicht erfährt, aber jedenfalls im Regelfall nicht einwilligen muss, sondern die Daten werden hinter seinem Rücken gehandelt und das ist nach dem geltenden Recht sogar zulässig. Und hier ist eine Umkehr erforderlich, das heißt, hier sollte es so sein, dass der Einzelne einwilligen muss, ehe seine Daten für Werbezwecke weitergegeben werden. Das ist der zentrale Punkt hier, der sehr strittig ist.
    Darüber hinaus geht es aber auch um andere Dinge, insbesondere darum, dass die Datenschutzaufsicht gestärkt wird, das heißt, dass Bußgeldverfahren eher möglich sind und dass hier auch keine Lücken in den Ordnungswidrigkeiten und Strafbestimmungen mehr bestehen, dass aber auch die Aufsichtsbehörden tatsächlich mit mehr Personal ausgerüstet werden, und hier ist bisher noch nicht viel geschehen.

    Klein: Rechnen Sie damit, Herr Schaar, dass dieser Gesetzentwurf noch beschlossen werden wird, vor den Bundestagswahlen?

    Schaar: Ich hoffe, dass das noch geschieht. Die beiden Regierungsfraktionen haben ja immer wieder betont, sie beabsichtigen, vor der Sommerpause diesen Gesetzentwurf noch zu beschließen. Da bin ich doch noch gemäßigt optimistisch, dass das wirklich noch etwas wird, aber es muss natürlich wirklich jetzt hier Ernst gemacht werden, es muss jetzt dazu kommen, dass der Bundestag dieses Gesetz demnächst dann auch beschließt, damit es noch in das Bundesgesetzblatt eingeht.

    Klein: Hans-Jürgen Papier zielt ja in seiner Kritik nicht nur auf die Politik ab, sondern richtet sich ja auch an die Bürger, an die Gesellschaft. Welche Möglichkeiten habe ich denn heute, meine Daten zu schützen, wenn ich weiterhin das Internet nutzen möchte, um zum Beispiel eine Reise zu buchen oder etwas zu kaufen?

    Schaar: Ich denke, manche gehen doch zu freizügig mit ihren Daten um. Das gilt sowohl für das Internet als auch für das alltägliche Leben - denken Sie an die Kundenkarten. Im Internet geben manche doch sehr sensible, sehr persönliche Informationen preis und bedenken dabei nicht, dass diese Informationen gegebenenfalls auch durch Dritte, an die man zunächst erst mal gar nicht denkt, ausgewertet werden können.

    Klein: Welche Informationen sind das zum Beispiel?

    Schaar: Wenn zum Beispiel Jugendliche in Chat-Rooms oder in sozialen Netzwerken bestimmte Informationen über sich preisgeben, über die letzte Party Bilder einstellen, die gegebenenfalls kompromittierenden Charakter haben, dann kann ein Personalberater diese Informationen ja auch finden und dann entsprechend Konsequenzen ziehen, zum Beispiel indem dann jemand eine Lehrstelle nicht kriegt oder für einen Job nicht in Frage kommt. Das sind Konsequenzen, die man beeinflussen kann dadurch, dass man ein Stück vorsichtiger mit den eigenen Daten umgeht.
    Aber es ist auf der anderen Seite richtig: Völlig kann man sich da nicht schützen. Da muss dann eben der Gesetzgeber auch stärker ran, da muss er auf nationaler und internationaler Ebene den Datenschutz stärken, dazu beitragen, dass eben weniger Daten gesammelt werden und nicht mehr Daten. Leider ist es in der Vergangenheit auch so gewesen - denken Sie an die sogenannte Vorratsdatenspeicherung der Telekommunikationsdaten -, dass der Staat sogar dazu beigetragen hat, dass Unternehmen mehr Daten speichern müssen, und das ist dann der komplett falsche Weg.

    Klein: Aber Herr Schaar, wir haben natürlich auch eine grundsätzlich andere Welt als vor 25 Jahren, sage ich mal. Durch das Internet gibt es einen vollkommen anderen Zugang, einen ganz anderen Austausch von Informationen und man wird das ja nicht vollkommen zurückdrehen können. Müssen wir uns bis zu einem bestimmten Punkt vielleicht auch damit abfinden, dass wir alle und auch der einzelne ein Stück weit transparenter geworden sind als noch zu Zeiten der Volkszählung?

    Schaar: Es ist völlig richtig, dass in der Welt des Internets - und das ist ja nicht nur das Internet; es gibt auch andere technologische Neuerungen, von denen wir alle betroffen sind, denken Sie an Mobilfunk, denken Sie an Navigationssysteme, denken Sie an die Funkchips, die demnächst an den Warenetiketten kleben werden. All das führt dazu, dass wir prinzipiell beobachtbar werden. Aber auf der anderen Seite müssen wir dafür Sorge tragen, dass diese Technologie auch dann beherrscht werden kann, und das bedeutet, dass man zum Beispiel, wenn ein solches Produkt auf den Markt kommt, erst mal prüft, welche Alternativen gibt es, dass der Betroffene überhaupt erfährt, was da geschieht, und dass er auch eine Steuerungsmöglichkeit bekommt. Das gilt für das Internet genauso wie für den Mobilfunk als auch für diese Funketiketten. Überall gibt es auch technische Alternativen, aber die müssen dann auch entwickelt werden, sie müssen dann auch durchgesetzt werden, und da mangelt es häufig sowohl beim Staat als auch bei den Unternehmen an der nötigen Sensibilität und Bereitschaft.

    Klein: Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.