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"Mehrere Jahre Planungssicherheit"

Wolfgang Zöller, stellvertretender Vorsitzender der Unionsbundestagsfraktion, wertet die Koalitionsbeschlüsse zur Gesundheitsreform als langfristige Weichenstellung. "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit dieser Reform, wenn sie richtig umgesetzt wird, mal endlich längere Jahre oder mehrere Jahre Planungssicherheit für die am System Beteiligten haben", sagte der CSU-Politiker.

Von Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Bis tief in den Morgen hinein haben sie gedauert, die Verhandlungen zur Gesundheitsreform im Kanzleramt. Wenn wir schon beim Thema sind, setzen wir das Gespräch gleich fort, und zwar mit Wolfgang Zöller. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Unionsbundestagsfraktion und dort zuständig für die Gesundheitspolitik und mit dabei beim nächtlichen Treffen des Koalitionsausschusses. Guten Morgen, Herr Zöller!

    Wolfgang Zöller: Grüß Gott, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Zöller, 88 Prozent der Deutschen gehen laut einer repräsentativen Umfrage davon aus, dass die Reform einseitig zu Lasten der Versicherten geht. Müssen die sich nun bestätigt sehen?

    Zöller: Nein, Gott sei Dank nicht, nämlich wenn man genau hinschaut, ist die Reform nicht, wie behauptet wird, nur "kleine Schritte"". Wir haben im Bereich der Strukturen wirklich große Schritte erreicht und das geht nur mit einer großen Koalition. Wenn ich zum Beispiel den Bereich des Wettbewerbs hernehme, dass künftig die Kassen die Möglichkeit haben, Preisverhandlungen mit Arzneimittelherstellern zu führen, oder wenn ich den Bereich der Transparenz hernehmen, wir schaffen Voraussetzungen, dass die Patienten endlich eine Rechnung bekommen können, oder die Wahlmöglichkeiten für die Patienten, mehr Wechselmöglichkeit zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung, Wahltarife, Kostenerstattung, Selbstbehalte, Hausarzttarife. Also hier sind so viele Wettbewerbselemente enthalten. Die hätte ich mir noch vor einem halben Jahr nicht träumen lassen.

    Heckmann: Kritiker sagen dennoch oder haben es im Vorfeld schon gesagt, dass eine wirkliche Reform eine Umstellung auf Steuerfinanzierung bedeuten würde, zugleich mit wirklichen Strukturreformen echter Wettbewerb im System, das Aufbrechen der Monopolstellung der kassenärztlichen Vereinigung. Unter dem Strich, wurde da nicht eine Chance vertan?

    Zöller: Nein, und zwar gerade was Sie angesprochen haben, was die kassenärztlichen Vereinigung angeht. Auch hier haben wir in unserem Gesetzentwurf vorgesehen, dass künftig wesentlich mehr Einzelverträge möglich sind. Die Kassen können mit Arztgruppen Verträge machen. Wir haben die Monopole schon sehr stark aufgebrochen.

    Heckmann: Die Defizite, die jetzt aber im kommenden Jahr auflaufen sollen bei den Krankenkassen, die möchte die große Koalition mit einer Anhebung der Krankenkassenbeiträge ausgleichen um ungefähr 0,5 Prozentpunkte. Ist das nicht eine Kapitulationserklärung?

    Zöller: Nein. Folgendes: Die Strukturmaßnahmen, die wir beschließen werden, können natürlich nicht, wenn das Gesetz am 1. Januar in Kraft tritt, schon am 1. Januar wirken. Die Strukturmaßnahmen werden also frühestens voll, ich sage mal 2008, 2009, wirken. Ein Teil wirkt schon 2007, aber der reicht nicht aus, um die sieben Milliarden zu finanzieren. Deshalb standen wir vor der Überlegung oder vor der Alternative, entweder man würde noch Leistungsbereiche ausgrenzen, oder die andere Alternative war die moderate Beitragsanhebung von 0,25 für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

    Heckmann: Aber kostet das nicht Arbeitsplätze?

    Zöller: Ich gehe nicht davon aus, dass die 0,25 Prozent Arbeitsplätze kosten. Man muss immer wieder die Alternative sehen. Ich halte es für sozial verträglicher, die Leute an den Kosten zu beteiligen, wie ganze Bereiche auszugliedern, wo dann die Leute es zu 100 Prozent selbst zahlen müssen.

    Heckmann: Herr Zöller, wir hatten früher im Programm um 7.15 Uhr Jürgen Peters von der IG Metall. Der hat gesagt, wenn es bei der Parität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bleibt, dann sei das in Ordnung. Wenn es dabei nicht bleibt, dann sei die rote Linie überschritten. Sagen Sie uns bitte, Herr Zöller: Bleibt es bei der Parität?

    Zöller: Es bleibt bei der Parität. Man sieht ja sogar, dass auch der Gewerkschafter gesagt hat, ihm ist diese Beitragserhöhung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer die bessere Lösung, wie wenn man nur einseitig Leistungen ausgegrenzt hätte.

    Heckmann: Ein Element des Gesundheitsfonds soll ja sein, dass Kassen, die mit dem Geld, das ihnen zugewiesen wird, nicht auskommen, einen weiteren Beitrag erheben können. Jetzt ist die Frage: Kommt da die kleine Kopfpauschale, wie von der Union gefordert, oder soll das nach dem SPD-Modell abhängig sein vom Einkommen?

    Zöller: Es wird der Kasse überlassen, ob sie sagt, einen prozentuellen Beitrag oder einen festen Beitrag. Die Kasse wird ihren Versicherten künftig anbieten, entweder einen zusätzlichen festen Betrag oder einen prozentuellen Beitrag. Mir wäre natürlich ein fester Betrag lieber gewesen, aber das war dieser Kompromiss, den wir heute Nacht eingegangen sind.

    Heckmann: Bundeskanzlerin Merkel, Herr Zöller, hat ja im Vorfeld der Gespräche im Kanzleramt schon Steuererhöhungen ausgeschlossen, allerdings nur für die kommenden Jahre. Heißt das, dass mittelfristig die Steuererhöhungen doch kommen werden?

    Zöller: Eins war auch heute Nacht klar, dass wir gesagt haben, dass wir für diese Finanzierung versuchen wollen, das aus dem Haushalt zu finanzieren ohne zusätzliche Steuererhöhungen. Wir müssen nämlich auch klipp und klar sagen: wir können nicht immer, wenn wir eine neue Aufgabe angehen, gleich wieder von Steuererhöhungen sprechen, sondern wir müssen dann auch in den Systemen schauen, wo können wir noch Einsparmaßnahmen finden. Wir machen im Gesundheitsbereich unsere Hausaufgaben, aber im Gesamthaushalt muss auch noch nachgeschaut werden, wo das eine oder andere noch eingespart werden kann.

    Heckmann: Das heißt Kürzungen auch bei Hartz-IV-Empfängern, wie das zum Beispiel ihr Parteikollege Ramsauer von der CSU gefordert hat?

    Zöller: Der hat es etwas anders ausgedrückt. Darüber haben wir heute Nacht diskutiert. Er war ja auch bei den Gesprächen dabei. Er hat gesagt, im Haushalt, wenn plötzlich innerhalb von einem Jahr für Hartz IV so und so viele Milliarden mehr zur Verfügung stehen, ohne dass man über Steuererhöhungen spricht, muss es auch möglich sein, dann diesen geringeren Betrag für die gesetzliche Krankenversicherung auch im Rahmen des Haushalts zu erwirtschaften.

    Heckmann: Ihr Parteichef, Ministerpräsident von Bayern, Stoiber, hat schon im Vorfeld gesagt, Herr Zöller, ein großer Wurf ist nicht zu erwarten bei den Gesprächen im Kanzleramt. Ist das jetzt der große Wurf oder doch eher der Kompromiss auf kleinstem gemeinsamen Nenner, eine Reform, die nach den nächsten Bundestagswahlen möglicherweise wieder zurückgedreht werden könnte?

    Zöller: Nein! Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit dieser Reform, wenn sie richtig umgesetzt wird, mal endlich längere Jahre oder mehrere Jahre Planungssicherheit für die am System Beteiligten haben. Wenn der Ministerpräsident sagt, der große Wurf, dann wird das wohl im Zusammenhang mit dieser Steuer zu sehen gewesen sein. Was wir erreicht haben sind Strukturmaßnahmen, und da glaube ich, ist uns der große Wurf gelungen, weil eine Partei alleine hätte das nicht geschafft, weil die Lobbygruppen dort vielleicht zu stark gewesen wären. Aber jetzt mit der großen Koalition: Wir gehen an die kassenärztlichen Vereinigungen heran, wir gehen an die Pharmaindustrie heran. Also da ist schon Bewegung drin!

    !Heckmann: Für mehrere Jahre, sagen Sie, wird diese Reform halten, aber eigentlich war uns eine Reform versprochen worden, die die nächsten 20 Jahre möglicherweise hält?

    Zöller: Ja gut. Bei mehreren Jahren da will ich mich nicht festlegen, ob das 10 oder 20 Jahre sind. Nur ich halte nichts davon, den Leuten zu sagen, das ist eine Reform, die 20 Jahre hält. Ich weiß nicht, was in 10 Jahren ist.

    Heckmann: Wolfgang Zöller war das, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsbundestagsfraktion und Gesundheitsexperte und gestern bis heute Früh dabei bei den Verhandlungen im Kanzleramt. Herr Zöller, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Zöller: Ich danke auch. Einen schönen Tag noch.