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"Mehrheit der Bevölkerung wird wählen"

Der frühere afghanische Handelsminister Mohammad Amin Farhang geht trotz der Taliban-Gewalt davon aus, dass die große Mehrheit der afghanischen Bevölkerung an der Abstimmung teilnehmen kann. Die Taliban versuchten zwar die Wahl zu stören. Sie seien aber nicht stark genug, um sie zu verhindern, sagte Farhang.

Mohammad Amin Farhang im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Seit gut eineinhalb Stunden sind die fast 7000 Wahllokale in Afghanistan offen, jedenfalls sollte das so sein. Der amtierende Präsident Hamid Karsai gilt als Favorit bei dieser Wahl. Umfragen weisen allerdings darauf hin, dass sein Vorsprung geschrumpft ist. Gegner und Rivalen werfen Karsai vor, die Wahlen zu manipulieren. - Amin Farhang war Minister für Industrie und Handel in der Regierung Karsai, bis er sich mit dem Präsidenten überwarf. Mit ihm bin ich nun verbunden. Guten Tag, Herr Farhang.

    Amin Farhang: Guten Tag!

    Herter: Herr Farhang, das ist sicher keine Wahl nach den strikten Standards westlicher Demokratien. Von Manipulationen ist häufig die Rede. Natürlich muss es da eine Grenze geben. Was müsste passieren, damit Sie sagen, diese Wahl ist ungültig?

    Farhang: Wenn man das Ganze betrachtet, es sind sehr viele Wahlbeobachter in Afghanistan, internationale Organisationen, die Europäische Union, UNO und andere Organisationen. Wenn die alle einstimmig sagen, dass diese Wahl in Afghanistan manipuliert wurde, dann muss man denken, dass die auch die Wahrheit sagen. Aber wenn die Kandidaten, die sich gegenseitig immer wieder vor der Wahl schon verdächtigt haben, dass sie die Wahl manipulieren, wenn die das behaupten, dann muss man ein bisschen vorsichtig sein, weil es um die Macht geht und jeder diese Macht für sich beansprucht.

    Herter: Die Taliban, die Aufständischen beherrschen große Teile Ihres Landes. Dort, wo die Taliban die Macht haben, wird doch niemand seine Stimme abgeben, oder?

    Farhang: Erstens muss ich sagen, dass die Taliban überhaupt nicht die großen Teile unseres Landes beherrschen. Die sind im Süden und im Südosten da, aber die Mehrheit der Bevölkerung kann wählen und wird auch wählen. Natürlich werden die Taliban versuchen, die Wahl zu stören. Sie haben sogar so eine komische Drohung bekannt gegeben: Wenn sie Leute erwischen, an den Fingern diese Farbe haben, dann werden sie ihre Finger abhacken. Das sind die Drohungen, aber sie können die Wahl nicht ganz stören oder zum Stillstand bringen. Dafür sind sie nicht stark genug.

    Herter: Das ist die Tinte, mit der die Finger markiert werden von den Leuten, die ihre Stimme abgegeben haben. Wer aber bedroht wird mit seinem Leben, wenn es heißt, wenn du wählen gehst, dann bringen wir dich um, der wird nicht zur Wahl gehen, oder?

    Farhang: Ich glaube, die Taliban haben so viel gedroht und immer wieder das und jenes gemacht, aber großen Schaden konnten sie nicht anrichten - materiell ja, aber auf der anderen Seite ist es so, dass heute bekannt gegeben wurde, dass sie nur ein Prozent Gefahr darstellen. Das wurde von den ISAF-Leuten behauptet. Deshalb bin ich nicht so pessimistisch. Man kann nicht von einer Wahl nach dem westlichen Muster sprechen, aber eine Wahl, die weitgehend den afghanischen Verhältnissen entsprechen wird.

    Herter: Kommen wir zum Amtsinhaber. Der amtierende Präsident Karsai hat mit dem berüchtigten Kriegsherren Dostum ein Bündnis geschlossen, um sich die Stimmen vieler Usbeken zu sichern. Was halten Sie davon?

    Farhang: Solche Abstimmungen und solche, sagen wir, Kleinkoalitionen gibt es bei jedem Kandidaten. Nicht allein Dostum ist da, andere sind auch da, sogar die ehemaligen Kommunisten, die verantwortlich sind für die ganze Zerstörung von Afghanistan, die sind auch dabei, die haben sich mit anderen Kandidaten zusammengetan, sogar ein Kandidat aus den Reihen der Taliban ist da, ein anderer ehemaliger Kommunist, der gegen den letzten kommunistischen Präsidenten Nadschibullah einen Coup d'Etat gemacht hatte und sehr viele Zerstörungen in Kabul gemacht hatte, der ist auch ein Kandidat. Da sehen wir auf der einen Seite, dass dort so ein Mischmasch ist, und auf der anderen Seite sehen wir, dass doch eine Art Demokratie in Afghanistan herrscht, dass alle diese Leute sich als Kandidaten gemeldet haben.

    Herter: Dass der Westen, insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika einen erheblichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben, ist sicher kein Geheimnis. Wie genau können Ihrer Ansicht nach die Amerikaner den Ausgang dieser Wahl steuern?

    Farhang: Das ist eine sehr schwierige Frage und die Antwort darauf ist auch noch schwieriger. Ich glaube nicht, dass die Amerikaner direkten Einfluss auf die Wahl ausüben werden, aber vielleicht haben sie ihren Favoriten. Das kann ich nicht sagen. Aber wenn man die Skala sieht, an der Spitze steht Karsai und man sagt, dass er nicht so beliebt ist bei den Amerikanern wie früher. Danach kommt der Abdullah Abdullah und dann der Herr Baschardost von den vier Großen, dann als Letzter der Herr Aschraf Ghani, von dem man dachte, dass er vielleicht ganz oben stehen würde, aber das ist nicht der Fall. Auf der anderen Seite ist auch die Weltgemeinschaft sehr vorsichtig, dass es nicht zu einer Situation kommt, dass alles außer Kontrolle gerät. Karsai hatte natürlich in diesen sieben Jahren über sehr viele Erfahrungen international und national verfügt und viele Erfahrungen bekommen. Deshalb ist die Differenz zwischen ihm und seinem nächsten Konkurrenten Abdullah über 20 Prozent oder 25 Prozent und er hat die besseren Chancen.

    Herter: Aber es könnte dann trotzdem zu einer Stichwahl kommen?

    Farhang: Es kann sein, dass es zu einer Stichwahl kommt, aber wenn man bedenkt, dass Karsai jetzt nur sechs Prozent braucht, um die notwendigen 51 Prozent zu bekommen, und Abdullah Abdullah, sein stärkster Konkurrent, 25 Prozent, dann kann es sein, dass eine Umstimmung stattfindet, zumal die Menschen in Afghanistan über einige Äußerungen von Abdullah Abdullah sehr enttäuscht sind. Als er sagte, dass, wenn er nicht gewinnt oder wenn es Manipulationen gibt, dann wird er zur Kalaschnikow greifen, das hat natürlich negative Auswirkungen gehabt. Wir werden sehen. Aber wenn es zu einem zweiten Wahlgang kommen würde, dann bin ich sicher, dass Karsai gewinnt.

    Herter: Wie groß ist der Spielraum, den die afghanische Politik tatsächlich hat? Aus dem Westen wird Karsai und seiner Regierung vorgeworfen, dass es zu viel Korruption gäbe, zu viel Drogenanbau und Karsai nicht den Vorgaben folge, die es aus dem Westen gibt, er auch nicht dafür sorge, dass das Geld dort hinkommt, wohin es soll, in die Provinzen.

    Farhang: Also wissen Sie, ich bin kein großer Freund von Karsai. Wir waren mal Freunde, aber nach und nach habe ich gesehen, dass da viele Fehler gemacht wurden. Natürlich habe ich auch meine Kritik ausgeübt, ihn mehrfach gesprochen und meine Meinung ganz klar gesagt. Aber was um die Korruption geht, das ist nicht nur eine afghanische Angelegenheit, genauso wie das Drogenproblem. Das sind zwei schlimme Sachen, die zwei Seiten haben. Auch die internationale Gemeinschaft ist sehr tief in Korruption verwickelt, genauso bei dem "Trafficking", also Transit und Verkauf von Drogen in Europa. Da wird sehr wenig getan; nur wird behauptet, dass in Afghanistan keine Drogen angebaut werden müssen. Das können wir nicht in den Griff kriegen und da fehlen überhaupt konkrete Konzepte. Seit Jahren geben wir dafür sehr viel Geld aus, aber die Ergebnisse sind sehr gering. Das ist genauso schlimm und wichtig wie der Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

    Herter: Herr Farhang, meine letzte Frage bezieht sich auf den Wahlkampf in Deutschland. Auch hier wird häufiger in letzter Zeit vom Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan gesprochen. Würde das dem Wunsch der Taliban entsprechen?

    Farhang: Auf jeden Fall, weil die Taliban eine solche Bedingung gestellt haben. Deshalb haben die auch ihre Angriffe auf die Deutschen vermehrt. Aber auf der anderen Seite hört man aus Deutschland auch unterschiedliche Nachrichten. Das bedeutet, dass es da überhaupt keine Koordination gibt. Die Amerikaner wollen noch mehr Truppen nach Afghanistan schicken. Das ist alles so durcheinander, dass auch die Afghanen verwirrt sind. Das muss ich leider sagen.

    Herter: Durcheinander auch für afghanische Maßstäbe. - Amin Farhang, ehemaliger afghanischer Minister, im Deutschlandfunk-Interview. Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute.

    Farhang: Vielen Dank. Schönen Tag noch.