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"Mein deutscher Kunde mag eben eine Konfektionsgröße 36"

Die Model-Agentin Louisa von Minckwitz lehnt jegliche Verantwortung ihrer Branche für einen in Deutschland herrschenden Schlankheitswahn ab. Für sie sei ein Mädchen mit einer Kleidergröße von 36 schlank, aber nicht magersüchtig. In Paris und Mailand seien die Models dagegen wirklich "viel zu dünn", sagte von Minckwitz.

Louisa von Minckwitz im Gespräch mit Christian Schütte |
    Christian Schütte: "Ich fühle mich zu dick", das sagt fast die Hälfte der Elf- bis Siebzehnjährigen Mädchen in Deutschland. So das Ergebnis einer Studie des Jugendmagazins "Bravo". Nun mag man diese Zeitschrift vielleicht ein wenig belächeln, aber sie kennt ihre Zielgruppe und für Gesundheits- und Familienpolitiker sicherlich ein Beleg für negative Folgen des sogenannten gesellschaftlichen Schönheitsideals. Manche würden vielleicht auch sagen, in Deutschland herrscht der Schlankheitswahn - oft mit der Folge Magersucht. Der Familienausschuss des Bundestages beschäftigt sich heute mit diesem Thema und blickt dabei auch auf die Mode- und Werbebranche, die, so der Vorwurf, den Jugendlichen das vermeintlich ideale Aussehen vorlebt. Darüber spreche ich nun mit Louisa von Minckwitz, Chefin und Gründerin von Louisa-Models in München. Einen schönen guten Morgen!

    Louisa von Minckwitz: Einen schönen guten Morgen!

    Schütte: Wenn es nach dem Willen von Bündnis 90/Die Grünen geht, sollen sich die deutschen Model-Agenturen dazu verpflichten, keine untergewichtigen Models in ihre Karteien aufzunehmen. Frau von Minckwitz, wäre Ihre Agentur dabei?

    von Minckwitz: Ganz sicherlich mit so einem Statement nicht, weil was ist untergewichtig, ist meine Frage. Erstens möchte ich mal ganz kurz dazu Stellung nehmen, was ich eben gerade bezüglich "Bravo" gehört habe. Ich kann nur dazu sagen, ich habe zehn Jahre lang einen Model-Contest und habe namhafte Leute wie Eva Padberg, Andrea Sawa etc. aus dem Bravo-Contest herausgezogen. Ich habe vor fünf Jahren aufgehört, mit Bravo den Model-Contest zu machen, weil wir keine Mädchen mehr herausgezogen haben, weil die Mädchen mittlerweile effektiv normalerweise - wie soll ich sagen? - zu viel Gewicht in ihrem zarten Alter haben. Ein Mädchen, was 16 Jahre alt ist oder 15 Jahre alt ist, 1,75 Meter groß ist und dann plötzlich 75 Kilo wiegt, das tut mir leid, dieses Mädchen ist dann eben auch leider übergewichtig. Für mich ist ein Mädchen, was eine Kleidergröße - und jetzt komme ich zu dem Punkt - 36 oder 38, aber meistens 36 hat, eine ganz normale Kleidergröße, die 36, und da bin ich dann schlank. Ich bin dann nicht dünn. Dann ist das auch absolut normal und ist absolut gesund. Wir in Deutschland haben nie diesen Wahn, wie es zum Beispiel in Frankreich und Italien Gang und Gebe war, Kleidergröße 32, Kleidergröße 30, das haben wir in Deutschland nie gemacht und haben es auch nie durchgebracht und wollten es auch nie.

    Schütte: Haben Sie denn untergewichtige Models gar nicht in Ihren Karteien?

    von Minckwitz: Nein, haben wir nicht, weil unsere Katalogkunden in Deutschland - wir vermitteln ja wahnsinnig viele Kataloge in Deutschland, das ist ja unsere Kundenschicht - die mögen eine normale Größe 36. Deswegen echauffiere ich mich auch so und frage mich, was wollen die Grünen da eigentlich.

    Schütte: Gibt es denn eine Grenze, ab der Sie sagen würden, Mädchen, du bist für uns zu dünn?

    von Minckwitz: Absolut, absolut.

    Schütte: Wo liegt die?

    von Minckwitz: Für mich ist ein Mädchen absolut zu dünn, wenn sie bei 1,80 Meter eine Kleidergröße von 32 oder 34 hat.

    Schütte: Frau von Minckwitz, aus der Branche heißt es, sobald Kurven ins Spiel kommen, wird es schwierig, die Kollektion vorzuführen. Warum eigentlich?

    von Minckwitz: Sie müssen hier unterscheiden. Aus der Branche, das darf man nicht so verallgemeinern. Aus der Branche in Paris, aus der Branche in Mailand, oder aus der Branche in New York, nicht aus der Branche in Deutschland. Die Designer selber, ich sage jetzt mal ein Karl Lagerfeld etc., die möchten momentan keinerlei Kurven haben, weil es schöner ist an einem Mädchen dann. Dann wirkt das Kleid besser, weil wenn ein Mädchen sehr sexy gebaut ist, sprich mit Busen und Po, dann guckt der Betrachter bei den Fashion-Shows mehr auf den Busen und auf den Po - das ist nun mal so - als auf das Kleid, und das möchte der Designer natürlich letztendlich nicht haben, sondern er möchte ja seine Ware, sprich das Kleid verkaufen und nicht das Mädchen.

    Schütte: Nun sagt das Robert-Koch-Institut, 22 Prozent der Elf- bis Siebzehnjährigen - und nicht nur Mädchen - haben Symptome einer Ess-Störung. Bei der Größenordnung kann man ja durchaus schon von einem gesellschaftlichen Problem sprechen. Wie viel Mitverantwortung trägt daran die Mode- und Werbebranche?

    von Minckwitz: Dazu muss ich sagen, das Robert-Koch-Institut sagt, sie haben eine Ess-Störung. Die Ess-Störung kann nicht nur hinsichtlich Magersucht sein, sondern die kann auch hinsichtlich Übergewicht sein. Das würde ich wie gesagt gerne mal vom Robert-Koch-Institut klassifiziert sehen, wie viele tendieren davon zur Magersucht. Sicherlich wesentlich weniger als zum Übergewicht!

    Schütte: Die Deutsche Gesellschaft für Ess-Störungen sieht aber trotzdem dünne Vorbilder aus der Werbung als mitverursachend für Ess-Störungen an. Nun können wir uns über die Prozentzahlen streiten. Frage ist: Wird darüber in der Branche eigentlich ernsthaft geredet, oder ist das eher ein Tabu?

    von Minckwitz: Bei uns in Deutschland wird darüber eigentlich kaum geredet, weil ich muss sagen, wenn ein Mädchen bei 1,76 Meter eine Kleidergröße 36 hat, ist das absolut normal und ist auch gesundheitlich jetzt weder schädigend, noch irgendetwas. Deswegen reden wir darüber nicht, weil schon vor zehn und 15 Jahren, ich habe vor 20 Jahren, vor 25 Jahren gemodelt, ich hatte damals auch eine Kleidergröße 36 und kein Mensch hat mich je für zu dünn befunden.

    Schütte: Das klingt alles so, als hätten Sie da sozusagen ein reines Gewissen?

    von Minckwitz: Ich habe ein absolut reines Gewissen und ich finde auch zum Beispiel ein Mädchen, ich sage mal, wie eine Julia Stegner, die ist uns auch noch nicht umgefallen oder hat eine Ess-Störung, im Gegenteil. Das kommt eben sehr auf die Veranlagung an. Julia ist 1,83 Meter groß und wiegt 56, 57 Kilo, hat eine Kleidergröße 34/36 und isst jeden Tag Spaghettis in sich hinein. Es gibt nun mal Leute, die verbrennen schneller, und Leute, die verbrennen weniger. Ich bin da der Meinung, wenn eine Ess-Störung vorliegt, dann sind das nicht irgendwelche Vorbilder. Welche Vorbilder? Eine Kate Moss ist nicht super dünn und Claudia Schiffer ist nicht super dünn. All die Models, die momentan wirklich Karriere gemacht haben und Namen haben, und auch die alten Models wie Linda Evangelista etc., die zurück in die Branche kommen, das sind alle keine Mager-Models. Insofern kann man das auch nicht als Vorbild nehmen. Dann muss man sich mal fragen, vielleicht ist das Vorbild vielleicht doch in der Familie begründet, dass Familienverhältnisse nicht stimmen und so weiter, denn Magersucht gab es ja auch schon, bevor man sich irgendein Model rausgepickt hat und sagt, die ist jetzt daran schuld.

    Schütte: Bei der deutschen Casting-Show "Germany's next Topmodel" gab es und gibt es sehr viele Mädchen, die eine gute Figur haben, aber es wurde dann auch oft angemerkt, Mädel, du siehst gut aus, aber du hast zu viele Kurven und deswegen bist zu jetzt draußen. Insofern spielt das Thema Kurven ja doch eine Rolle?

    von Minckwitz: Jetzt darf ich dazu mal folgendes sagen: die Casting-Show "Germany's next Topmodel" ist für mich keine Show, wo man wirklich Models findet. Internationales Topmodel ist davon keine geworden. Barbara Meier ist für mich zum Beispiel ein Mädchen, was eher ein bisschen stämmig ist, also für mich eigentlich als Model nicht geeignet. Lena Gercke und Jennifer Hof haben beide eine fantastische Figur, sind aber auch keine Mager-Models. Also anscheinend stimmt da was nicht. Zeigen Sie mir ein magersüchtiges Model von dieser Show. Welche ist da magersüchtig dabei?

    Schütte: Magersüchtig, das kann ich natürlich an der Stelle nicht beurteilen.

    von Minckwitz: So dünn, dass man sagt, oh Gott, ist die dünn.

    Schütte: Na ja, das sicherlich nicht. Das möchte man dem Fernsehzuschauer möglicherweise ja auch nicht zumuten. Allerdings: Kurvige sind rausgeflogen.

    von Minckwitz: Da kann man doch nicht sagen, Kurvige sind rausgeflogen. Ich meine, eine Lena Gercke hat absolute Kurven. Die ist Nummer Eins geworden von der ersten Show. Eine Barbara Meier ist sogar stämmig und ist die Nummer Eins geworden.

    Schütte: Trotzdem, Frau von Minckwitz, haben wir diese Diskussion, ob Werbung, ob Models nicht das falsche Vorbild für die Jugendlichen abgeben, die dann in einer Ess-Störung münden. Woher kommt Ihrer Ansicht nach das Problem, wenn es nicht an der Werbe- und Modebranche selbst liegt?

    von Minckwitz: Da gebe ich Ihnen Recht: Das Problem kommt absolut vom Ausland und das habe ich auch nicht verneint. Ich war selber einer der Verfechter dafür, die gesagt haben, in Paris und in Mailand sind die Models viel zu dünn, und zwar zu dünn für die Shows, die Models, die Shows laufen. Da darf man nicht vergessen: Da hat man dann teilweise zwölf- bis dreizehnjährige Mädchen genommen, die noch nicht ihre Tage haben, damit die Mädchen möglichst noch keinen Po und keinen Busen haben, die 1,80 Meter groß sind - vornehmlich waren es Russinnen -, die zwölf, 13 sind, und die hat man auf die Shows geschickt. Und dann ging natürlich die Empörung mit Recht los. Dann hat sich ein Normal-Model, was mittlerweile 18 oder 19 ist, gesagt, oh Gott, ich bin jetzt in Konkurrenz mit einer Zwölfjährigen und ich muss jetzt so dünn ausschauen wie die, und dadurch gab es natürlich generell eine große Diskussion in dem ganzen Modebereich. Wir in Deutschland - und ich möchte auch meine Kollegen mit ins Boot nehmen - haben immer gesagt, so dünne Models können bei uns nicht arbeiten. Ich muss Ihnen ganz offen sagen: Ich habe natürlich auch Mädchen gehabt, die gerne bei mir in der Agentur aufgenommen werden wollten, wo ich dann sagen musste, es tut mir leid, ich hätte keine Jobs für dich in Deutschland, weil mein deutscher Kunde mag eben eine Konfektionsgröße 36.

    Schütte: Louisa von Minckwitz, Chefin und Gründerin der Agentur Louisa-Models in München. Ich danke Ihnen für das Gespräch.