Gerd Breker: Es gibt ein seltsames Phänomen, das in jüngster Zeit immer häufiger auftaucht. Politiker reagieren auf schlechte Umfrageergebnisse mit der Feststellung, dass sie auf Umfragen nicht allzu viel geben. Die jüngste Umfrage ist von Forsa und besagt, dass die Union auf 30 Prozent abgerutscht ist. Die SPD verharrt bei 29 Prozent. Die FDP erreicht 14 Prozent, die Linkspartei 12 und die Grünen 10 Prozent.
Am Telefon bin ich nun verbunden mit Manfred Güllner, Chef der Gesellschaft für Sozialforschung, verantwortlich für diese Forsa-Umfrage. Guten Tag, Herr Güllner!
Manfred Güllner: Hallo!
Breker: Herr Güllner, kennen Sie das auch, dieses Phänomen, je schlechter das Umfrageergebnis, desto geringer das Interesse der Parteien, oder sagen die das einfach nur so?
Güllner: Wir haben das Problem, dass viele deutsche Politiker mit Umfragen eigentlich nicht richtig umgehen können. Sie sagen, mich interessieren Umfragen nicht oder ich nehme sie nicht ernst. Das heißt ja, dass sie die Menschen nicht ernst nehmen, denn wir können ja keine Zahlen erfinden. Wir können nur das referieren, was uns die Menschen sagen. Wir können zwar Fehler machen. Das haben wir bei der Bundestagswahl ja gesehen, wo wir die Union überschätzt hatten. Auch das haben wir ja nicht erfunden, sondern wir haben das referiert, was uns die Leute gesagt haben. Und wenn ich sage, ich nehme Umfragen nicht ernst, dann heißt das, dass ich die Menschen nicht ernst nehme. Und das ist wiederum etwas, was die Menschen wieder ärgert, wenn die Akteure in der Politik so mit Umfragewerten umgehen.
Breker: Vielleicht wollen sie die Menschen nicht abwerten, sondern das Ergebnis ist ihnen einfach zu schlecht und dann ignorieren wir das lieber?
Güllner: Man neigt in der Tat dazu, dann Ergebnisse zu verdrängen und nicht darüber nachzudenken, was kann ich tun, um Vertrauen, was offenkundig ja für die beiden Großen in hohem Maße verloren gegangen ist, wieder zurückzugewinnen? Denn das ist ja ein Fingerzeig eigentlich auch für die Politik, dass man darüber nachdenken kann, was könnte ich tun, damit dieses Vertrauen wieder zurückkommt?
Breker: Kann man eigentlich, Herr Güllner, bei 30-Prozent-Werten noch von Volksparteien sprechen?
Güllner: Das Problem ist ja, dass diese 30 Prozent noch ein bisschen geschönt sind, wenn man sich das anguckt. Das ist ja ein Wert, der prozentuiert ist oder basiert ist auf der Basis der Wahlwilligen, also derer, die auch zur Wahl gehen wollen. Wir haben aber inzwischen wieder über 30 Prozent, die sagen, ich würde gar nicht zu einer Wahl gehen, wenn sie denn stattfände, oder ich wüsste nicht was ich tun soll, wenn jetzt ich zur Wahl aufgerufen werde. Wenn ich die 30 Prozent prozentuiere auf der Basis aller Befragten, quasi auf der Basis aller Wahlberechtigten, dann habe ich mal ganze 20 Prozent noch, die im Augenblick bereit sind, die Union zu wählen, und noch weniger als 20 Prozent, die sagen, ich möchte SPD wählen. Das heißt, wir haben rund 40 Prozent nur von allen Wahlberechtigten, die CDU/CSU oder SPD wählen. Wir haben 60 Prozent, also mehr als die Hälfte, die sagen, ich würde gar nicht hingehen oder eine der kleinen Parteien wählen.
Breker: Das heißt, die einzig ausmachbare Volkspartei wäre die Partei der Nichtwähler?
Güllner: Das ist die Partei der Nichtwähler, die ja gerade bei Wahlen auf anderen Politikebenen auftreten wie etwa Landtagswahlen oder denken Sie an Sachsen-Anhalt, wo wir mehr Nichtwähler als Wähler hatten, denken Sie an lokale Wahlen, Kommunalwahlen in den großen Städten, wo wir in fast allen großen Städten mehr Nichtwähler als Wähler haben. Das ist ja eine Entwicklung, die in den letzten Jahren dramatisch fortgeschritten ist.
Breker: Herr Güllner, das hat ja auch Konsequenzen auf unser Parteiensystem. Wenn die Zahlen so stimmen - und davon gehen wir jetzt einfach mal aus -, dann gibt es ja die altvertrauten Zweierkoalitionen a la Schwarz-Gelb oder Rot-Grüne, die gibt es dann ja gar nicht mehr.
Güllner: Wenn dieser Erosionsprozess, wenn dieser Vertrauensverlust der beiden großen Parteien weiter anhält, dann ist es schwer vorstellbar, dass es wieder zu Zweierkoalitionen kommt. Dann muss man entweder die Große Koalition auf ewig fortsetzen oder zu anderen Konstellationen kommen, Dreierkonstellationen oder, wenn möglicherweise auch neue Gruppierungen in das Parteienspektrum hineinkommen, Viererkonstellationen.
Breker: Nun ist die Linkspartei voll und ganz etabliert hinzugekommen. Ist dies das Ende, oder was sagt der Wahlforscher? Kann es sein, dass es zu weiteren Zersplitterungen in der Parteienlandschaft kommt, etwa bei Richtungsstreitereien, wie es sie bei der Union in Ansätzen zumindest gibt?
Güllner: Wir haben eine Situation, wo es durchaus nicht mehr undenkbar ist, dass in das Vakuum, was die Großen hinterlassen haben, eine Gruppierung hineinstoßen kann, ich sage mal rechtspopulistische Parteien. Wir haben es ja in Hamburg schon mal gesehen mit Herrn Schill, und Herr Schill hätte ja durchaus bundesweit Erfolg haben können, wenn er nicht so gewesen wäre, wie er ist. Wenn also ein deutscher Haider käme, der allgemein akzeptiert würde, dann können wir davon ausgehen, dass auch bundesweit dort ein Potenzial zwischen 10 und 15 Prozent vorhanden ist, und das ist ja nicht mehr auszuschließen.
Breker: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Güllner, dann sagen die Umfragen derzeit auch aus, dass die Distanz zwischen den Politikern und den Wählern größer geworden ist und dass die Politiker irgendwo diese Botschaft, die in den Umfragen steckt, einfach nicht verstehen wollen oder können?
Güllner: Es ist in der Tat so, dass wir einen extremen Entfremdungsprozess haben. Der ist zwar nicht neu, der ist schon seit Jahren zu beobachten, aber er setzt sich weiter fort. Wir haben eine Kluft zwischen den Akteuren in der Politik, die quasi in ihren eigenen Zirkeln nur agieren, und der Wahrnehmung der Menschen, die das Gefühl haben, die kümmern sich nicht mehr um uns, die nehmen uns nicht mehr ernst, die nehmen unsere Interessen nicht in Politik auf. Das ist in der Tat fatal, wenn die Politik diesen Entfremdungsprozess verdrängt, ihn nicht ernst nimmt und nicht darüber nachdenkt, wie man doch wieder diese Kluft aufheben kann, die entstanden ist zwischen Politik und Bürgern auf der anderen Seite.
Breker: Was ja zum Beispiel auch in Sachthemen gilt. Die Bürger wollen Reformen, aber sie wollen nicht diese Art der Umsetzung von Reformen, wie es etwa die Große Koalition derzeit macht.
Güllner: Sie wollen, dass das Land erneuert wird, dass es modernisiert wird, aber sie haben das Gefühl, dass auch diese Regierung, an die sie ja bestimmte Erwartungen gehabt haben, nicht besser diesen Modernisierungsprozess in Gang bringen kann oder in Gang hält als die alte rot-grüne Regierung, die man ja abgewählt hat, weil man das Gefühl hatte, dass die das Land schlecht regiert hatten.
Breker: Im Deutschlandfunk in den "Informationen am Mittag" war das Manfred Güllner. Er ist Chef der Gesellschaft für Sozialforschung. Er ist verantwortlich für die jüngste Forsa-Umfrage. Herr Güllner, danke für dieses Gespräch.
Güllner: Bitte schön.
Am Telefon bin ich nun verbunden mit Manfred Güllner, Chef der Gesellschaft für Sozialforschung, verantwortlich für diese Forsa-Umfrage. Guten Tag, Herr Güllner!
Manfred Güllner: Hallo!
Breker: Herr Güllner, kennen Sie das auch, dieses Phänomen, je schlechter das Umfrageergebnis, desto geringer das Interesse der Parteien, oder sagen die das einfach nur so?
Güllner: Wir haben das Problem, dass viele deutsche Politiker mit Umfragen eigentlich nicht richtig umgehen können. Sie sagen, mich interessieren Umfragen nicht oder ich nehme sie nicht ernst. Das heißt ja, dass sie die Menschen nicht ernst nehmen, denn wir können ja keine Zahlen erfinden. Wir können nur das referieren, was uns die Menschen sagen. Wir können zwar Fehler machen. Das haben wir bei der Bundestagswahl ja gesehen, wo wir die Union überschätzt hatten. Auch das haben wir ja nicht erfunden, sondern wir haben das referiert, was uns die Leute gesagt haben. Und wenn ich sage, ich nehme Umfragen nicht ernst, dann heißt das, dass ich die Menschen nicht ernst nehme. Und das ist wiederum etwas, was die Menschen wieder ärgert, wenn die Akteure in der Politik so mit Umfragewerten umgehen.
Breker: Vielleicht wollen sie die Menschen nicht abwerten, sondern das Ergebnis ist ihnen einfach zu schlecht und dann ignorieren wir das lieber?
Güllner: Man neigt in der Tat dazu, dann Ergebnisse zu verdrängen und nicht darüber nachzudenken, was kann ich tun, um Vertrauen, was offenkundig ja für die beiden Großen in hohem Maße verloren gegangen ist, wieder zurückzugewinnen? Denn das ist ja ein Fingerzeig eigentlich auch für die Politik, dass man darüber nachdenken kann, was könnte ich tun, damit dieses Vertrauen wieder zurückkommt?
Breker: Kann man eigentlich, Herr Güllner, bei 30-Prozent-Werten noch von Volksparteien sprechen?
Güllner: Das Problem ist ja, dass diese 30 Prozent noch ein bisschen geschönt sind, wenn man sich das anguckt. Das ist ja ein Wert, der prozentuiert ist oder basiert ist auf der Basis der Wahlwilligen, also derer, die auch zur Wahl gehen wollen. Wir haben aber inzwischen wieder über 30 Prozent, die sagen, ich würde gar nicht zu einer Wahl gehen, wenn sie denn stattfände, oder ich wüsste nicht was ich tun soll, wenn jetzt ich zur Wahl aufgerufen werde. Wenn ich die 30 Prozent prozentuiere auf der Basis aller Befragten, quasi auf der Basis aller Wahlberechtigten, dann habe ich mal ganze 20 Prozent noch, die im Augenblick bereit sind, die Union zu wählen, und noch weniger als 20 Prozent, die sagen, ich möchte SPD wählen. Das heißt, wir haben rund 40 Prozent nur von allen Wahlberechtigten, die CDU/CSU oder SPD wählen. Wir haben 60 Prozent, also mehr als die Hälfte, die sagen, ich würde gar nicht hingehen oder eine der kleinen Parteien wählen.
Breker: Das heißt, die einzig ausmachbare Volkspartei wäre die Partei der Nichtwähler?
Güllner: Das ist die Partei der Nichtwähler, die ja gerade bei Wahlen auf anderen Politikebenen auftreten wie etwa Landtagswahlen oder denken Sie an Sachsen-Anhalt, wo wir mehr Nichtwähler als Wähler hatten, denken Sie an lokale Wahlen, Kommunalwahlen in den großen Städten, wo wir in fast allen großen Städten mehr Nichtwähler als Wähler haben. Das ist ja eine Entwicklung, die in den letzten Jahren dramatisch fortgeschritten ist.
Breker: Herr Güllner, das hat ja auch Konsequenzen auf unser Parteiensystem. Wenn die Zahlen so stimmen - und davon gehen wir jetzt einfach mal aus -, dann gibt es ja die altvertrauten Zweierkoalitionen a la Schwarz-Gelb oder Rot-Grüne, die gibt es dann ja gar nicht mehr.
Güllner: Wenn dieser Erosionsprozess, wenn dieser Vertrauensverlust der beiden großen Parteien weiter anhält, dann ist es schwer vorstellbar, dass es wieder zu Zweierkoalitionen kommt. Dann muss man entweder die Große Koalition auf ewig fortsetzen oder zu anderen Konstellationen kommen, Dreierkonstellationen oder, wenn möglicherweise auch neue Gruppierungen in das Parteienspektrum hineinkommen, Viererkonstellationen.
Breker: Nun ist die Linkspartei voll und ganz etabliert hinzugekommen. Ist dies das Ende, oder was sagt der Wahlforscher? Kann es sein, dass es zu weiteren Zersplitterungen in der Parteienlandschaft kommt, etwa bei Richtungsstreitereien, wie es sie bei der Union in Ansätzen zumindest gibt?
Güllner: Wir haben eine Situation, wo es durchaus nicht mehr undenkbar ist, dass in das Vakuum, was die Großen hinterlassen haben, eine Gruppierung hineinstoßen kann, ich sage mal rechtspopulistische Parteien. Wir haben es ja in Hamburg schon mal gesehen mit Herrn Schill, und Herr Schill hätte ja durchaus bundesweit Erfolg haben können, wenn er nicht so gewesen wäre, wie er ist. Wenn also ein deutscher Haider käme, der allgemein akzeptiert würde, dann können wir davon ausgehen, dass auch bundesweit dort ein Potenzial zwischen 10 und 15 Prozent vorhanden ist, und das ist ja nicht mehr auszuschließen.
Breker: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Güllner, dann sagen die Umfragen derzeit auch aus, dass die Distanz zwischen den Politikern und den Wählern größer geworden ist und dass die Politiker irgendwo diese Botschaft, die in den Umfragen steckt, einfach nicht verstehen wollen oder können?
Güllner: Es ist in der Tat so, dass wir einen extremen Entfremdungsprozess haben. Der ist zwar nicht neu, der ist schon seit Jahren zu beobachten, aber er setzt sich weiter fort. Wir haben eine Kluft zwischen den Akteuren in der Politik, die quasi in ihren eigenen Zirkeln nur agieren, und der Wahrnehmung der Menschen, die das Gefühl haben, die kümmern sich nicht mehr um uns, die nehmen uns nicht mehr ernst, die nehmen unsere Interessen nicht in Politik auf. Das ist in der Tat fatal, wenn die Politik diesen Entfremdungsprozess verdrängt, ihn nicht ernst nimmt und nicht darüber nachdenkt, wie man doch wieder diese Kluft aufheben kann, die entstanden ist zwischen Politik und Bürgern auf der anderen Seite.
Breker: Was ja zum Beispiel auch in Sachthemen gilt. Die Bürger wollen Reformen, aber sie wollen nicht diese Art der Umsetzung von Reformen, wie es etwa die Große Koalition derzeit macht.
Güllner: Sie wollen, dass das Land erneuert wird, dass es modernisiert wird, aber sie haben das Gefühl, dass auch diese Regierung, an die sie ja bestimmte Erwartungen gehabt haben, nicht besser diesen Modernisierungsprozess in Gang bringen kann oder in Gang hält als die alte rot-grüne Regierung, die man ja abgewählt hat, weil man das Gefühl hatte, dass die das Land schlecht regiert hatten.
Breker: Im Deutschlandfunk in den "Informationen am Mittag" war das Manfred Güllner. Er ist Chef der Gesellschaft für Sozialforschung. Er ist verantwortlich für die jüngste Forsa-Umfrage. Herr Güllner, danke für dieses Gespräch.
Güllner: Bitte schön.