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Meisner: Familie ist das Zentrum des Staates

Liminski: Weihnachten ist eine Zeit der Besinnung, der Emotionen und der Überraschungen. Dazu darf sicher auch die Volksbibel zählen, die die Bildzeitung neuerdings vertreibt. Ist das die übliche Weihnachtskonjunktur des europäischen Rest-Christentums oder sehen Sie darin Zeichen der Hoffnung, die über Weihnachten hinausweisen?

Moderation: Jürgen Liminski |
    Meissner: Ich möchte das positiv deuten. Ich habe mir so gedacht: Diese drei genannten sind so wie die heiligen drei Könige, die aufbrechen, einem Stern folgen, der zu Christus führt, vor dem niederfallen und ihn anbeten und dass die drei die Anführer einer millionenfachen Prozession werden, die durch die Geschichte zieht, um Christus zu suchen und zu finden. Ich hoffe, dass meine Deutung diesbezüglich nicht verfehlt ist.

    Liminski: Braucht denn Europa mehr christlichen Fundamentalismus oder wenigstens mehr christliche Fundamente in der öffentlichen Debatte? Immerhin schienen wir mitten in einer Art Kulturkampf zu stehen, wenn man die Vorgänge im Europaparlament oder auch die Diskussion um den Türkeibeitritt verfolgt. Wo verlaufen denn ihrer Meinung nach die Frontlinien in diesem Kampf?

    Meissner: Ich bin immer skeptisch gegenüber den Ismen: Marxismus, Leninismus, Fundamentalismus. Es darf keinen christlichen Fundamentalismus geben, aber der Christ kann nur bestehen, wenn er auf seinen Fundamenten lebt und ein halbes Christentum ist ein abschreckendes. Es ist nur faszinierend, wenn es ganz gelebt wird. Sehen Sie sich unseren Papst an oder die Mutter Theresa von Kalkutta. Und Europa braucht nichts nötiger als einen solchen Ganzheitsglauben und zwar einen Ganzheitskatholizismus, muss ich auch als katholischer Bischof sagen, sonst ist das Christentum eher abschreckend als faszinierend. Sehen Sie mal, in unseren Kirchen läuft ja alles: Spar- und Pastoralprogramme und es geht keine Faszination aus, kein Licht. Da stimmt etwas nicht. Wir müssen von einem betrieblichen zu einem Überzeugungschristentum kommen. Es entsetzt oder enttäuscht mich, dass unsere europäischen Politiker Europa als ökonomische oder geopolitische Größe sehen, aber nicht als eine kulturelle und es ist nur durch seine Kultur zu definieren und Sie wissen: Kultur kommt von dem Wort Kultus, das heißt, das Zusammenleben der Menschen, wie sie ihr Zusammenleben organisieren hängt davon ab, wie sie mit Gott zusammenleben. Wenn sie nach einer Frontlinie fragen, dann meine ich, dass da auf einer Seite ein konstruiertes ökonomisches Europa steht, ein geopolitisches, und auf der anderen Seite das kulturelle, das Europa zu Europa macht. Und hier bin ich der Meinung, müsste man ein Plesbizit erwarten, dass wir hier unserem Volk eine Stimme geben und sagen: Politiker hört mal, was die Menschen zu dieser neuen Konstellation, zu Europa sagen.

    Liminski: Weinachten gilt auch als das Fest der Geburt, manchmal auch der Menschwerdung Christi - streng genommen kann es ja nur die Geburt sein. Wäre es nicht an der Zeit, dass die Kirche auch die eigentliche Menschwerdung als großes Fest begeht?

    Meissner: Da muss ich ein wenig widersprechen: Weihnachten hat nur Sinn, wenn wir die Geburt Jesu Christi feiern, das heißt, die Geburt Gottes als Mensch und darum sagen schon die Kirchenväter als Weihnachtswunsch: werde Mensch. Und zwar werde Mensch, wie ihn jetzt Gott gemeint hat durch die Geburt Jesu. Die Kirchenväter hatten ja noch den Mut, Dinge zu sagen, die wir heute gar nicht mehr zu sagen wagen. Sie sagen, Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch Gott wird, darum kann die Ursünde nicht darin bestehen, wie Gott werden zu wollen. Gibt es denn einen schöneren Ehrgeiz, als Gott werden zu wollen? Und Christus sagt: werdet vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist. Und darin kann ja nicht die Ursünde bestehen. Nur hat sich Adam im Gottesbild geirrt. Er dachte, Gott wäre ein autonomes egoistisches Einzelwesen und da sich Gott offenbart in seiner Liebe, ist er nicht einfältig sondern dreifaltig. Darum hat er den Menschen auch zu zweit gemacht, dass sie schnell zu dritt werden und darum ist die Familie das gültigste Abbild des dreifaltigen Gottes - Darum hat sie die absolute Priorität in Kirche und Gesellschaft. Das ist vorgegeben, die Gesellschaft oder der Staat haben nicht erst eine Familie zu sanktionieren, sondern die Familie muss den Staat sanktionieren, indem er eine vernünftige Familienpolitik fabriziert. Und darum ist Weihnachten wirklich das Fest der Menschwerdung Gottes und der Gottwerdung des Menschen. Und ich will Ihnen eine Beobachtung sagen: es stimmt ja nicht, dass der Gottesglaube in der Welt abnimmt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Der Atheismus ist im Abnehmen, der Gottesglaube ist im Vormarsch - mit Ausnahme von Westeuropa. Das ist die rückschrittlichste Region, die wir in der Welt haben. In Amerika gewinnt ein Mann die Wahlen durch sein Bekenntnis zu Jesus Christus und in Europa darf Buttiglione nicht Europakommissar werden, weil er praktisch die Lebensordnung des Neuen Testamentes bejaht. Da muss man mal sagen: wie weit will denn Europa noch heruntersinken?

    Liminski: Sie gehören zu denen, die immer wieder mal das Thema Abtreibung in den öffentlichen Diskurs einbringen. Sehen Sie denn eine reale Chance, dass das Thema neu diskutiert, das heißt, die entsprechenden Gesetze revidiert werden? Die CDU-Spitze hat sich ja eindeutig gegen eine solche Revision ausgesprochen?

    Meissner: Das letztere, was Sie sagen, spricht für sich selbst, das brauche ich gar nicht kommentieren. Ich kann nur sagen, dem christlichen Menschenbild entspricht nichts mehr, als dass wir das ungeborene Kind im Mutterleib schützen. Es ist ein Mensch von Anfang an, es ist aber nicht nur ein speziell christliches Thema, das geht jeden unserer Gesellschaft an. Die ganze Depression in unserer Gesellschaft hängt letztlich damit zusammen, dass wir auch keine Kinder mehr haben. Man sagt, wenn sich jemand über ein Kinderbettchen beugt, dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der sich verbissen über eines gebeugt hat.

    Liminski: Der Druck aus Wirtschaft und Politik wächst, die ethischen Barrieren gegen das therapeutische Klonen und gegen die embryonale Stammzellforschung beiseite zu räumen. Man sieht darin auch eine Chance auf Heilung von Krankheiten. Steht die Kirche da nicht auf verlorenem Posten?

    Meissner: Wir stehen menschlich gesehen fast in allen Positionen, wo es um den Menschen geht, auf verlorenen Posten, aber so ging es eigentlich unserem Herrn und Meister Jesus Christus auch und ich bin der Meinung, wenn wir nicht mehr rufen und die Stimme für das Leben verstummt, dann hört niemand mehr und so bin ich der Überzeugung, dass man unseren Einsatz für das Leben eines Tages wieder aufnimmt, wahrnimmt und sich dafür einsetzt.

    Liminski: In der Politik wird die aktive Sterbehilfe diskutiert, mit den Defiziten in der Pflegekasse wird diese Diskussion wahrscheinlich an Intensität gewinnen, auch mit dem Argument, sinnloses Leiden zu verkürzen. Wie kann denn die Kirche diese Diskussion noch beeinflussen?

    Meissner: Indem sie nicht müde wird, dich vor den Menschen zu stellen und auf die Wurzel einer solchen Mentalität hinzuweisen. Dort, wo der Anfang des Menschen gefährdet ist, ist sofort auch das Ende gefährdet. Der Mensch ist eine Einheit, wenn er sich zu Gott macht, dann meint er, er wäre auch Herr über das menschliche Leben. Er meint, er könne menschliches Leben in der Anfangsphase regulieren, operieren, töten, beseitigen und das auch am Ende. Wenn uns die religiöse Dimension verloren geht, gehen uns auch Möglichkeiten verloren, das zeitliche Leben zu organisieren und gestalten. Wenn ich weiß, dass der glaubende Mensch mehr Zukunft als Gegenwart und Vergangenheit zusammen hat, dann bekommt das so genannte Alter eine andere Dimension. Ich habe, ob ich 80 oder 18 bin, immer noch viel mehr vor mir als bereits hinter mir und darum gibt es eigentlich das Alter gesehen vor Gott überhaupt nicht.

    Liminski: Wodurch sollten und könnten sich Politiker mit dem C von anderen unterscheiden? Im Moment scheint eine enge Verbindung mit der Energiewirtschaft ein Unterscheidungsmerkmal zu sein. Gibt es andere Energiequellen?

    Meissner: Ich wollte eigentlich über die C-Politiker nichts mehr sagen, die haben schon so viel von mir gehört und ich kann immer nur das Gleiche sagen: die Energiequelle für einen Menschen - für die Politik damit auch - ist der Glaube an den lebendigen Gott. Der heilige Augustinus sagt: liebe Gott und mach, was du willst. Das heißt, dann wird alles andere richtig und recht werden. Hier muss ich auch sagen: Gott ist nicht unser Dienstmädchen, das wir aus der Bibel, der Offenbarung, der Lehre der Kirche herauslesen können, wie man detailliert mit Energie umgeht. Aber wenn ich überzeugt bin von der Existenz dieses lebendigen Gottes und der lebendige Glaube mir den langen Atem gibt, dann kann ich der Herausforderungen der Welt entsprechen und zwar nicht nur mit Ach und Krach, sondern ein wenig mit Glanz und Gloria. Wenn Sie mich am Anfang gefragt haben, Weihnachten ist doch eine Zeit der Besinnung und der Umkehr, dann heißt das eigentlich: zurück zu den Quellen. Und wenn man von Köln, vom Rhein zurück zur Quelle will, muss man gegen den Strom schwimmen. Und das möchte ich allen Politikern wünschen: den Mut, gegen den Strom zu schwimmen. Nur so kommt man zur Quelle, zum Ursprung und damit zu einer menschenwürdigern Gesellschaft.