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"Meisner mobilisiert ganz bewusst Vorurteile"

Der Präsident des deutschen PEN, Johano Strasser, hat die jüngsten Äußerungen des Kölner Erzbischofs Kardinal Meisner als Angriff auf den Pluralismus und die moderne Kunst gewertet. Meisner müsse sich daran gewöhnen, "dass es mehrere Wege zu Gott gibt, dass es eine Fülle von Wegen gibt, sich zu verständigen über die menschliche Existenz und dass die moderne Kunst einer dieser Wege ist".

Moderation: Elke Durak | 17.09.2007
    Elke Durak: Die Kritik an Kardinal Meisners Wortwahl von der entarteten Kultur und der Vorstellung von der Unlösbarkeit von Kunst und Religion hat übers Wochenende keineswegs nachgelassen. "Geistiger Brandstifter", "Zündler", das sind nur einige Beispiele aus der zum Teil harschen Kritik. Der Kölner Erzbischof fühlt sich zu Unrecht kritisiert und ließ mitteilen, er habe sich durch den Gebrauch dieses Begriffs natürlich nicht die Sprache der Nazis zu eigen machen wollen. Im Gegenteil: Er habe die Menschenverachtung dieser Ideologie angesprochen und seine Sätze, die seien eben verkürzt wahrgenommen und hätten deshalb zu Missverständnissen geführt. Zur Erinnerung: Kardinal Meisner hatte in einer Predigt am vergangenen Freitag eben von einem unaufgebbaren Zusammenhang von Kultur und Kult gesprochen und folgendes ergänzt:

    Meisner: " Dort wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte."

    Durak: Das also Kardinal Meisner vergangenen Freitag. - Am Telefon ist nun der Präsident des deutschen PEN-Zentrums Johano Strasser. Schönen guten Morgen Herr Strasser!

    Johano Strasser: Ja, schönen guten Morgen.

    Durak: Hat Kardinal Meisner eine für einen Deutschen Todsünde begangen, indem er einen Nazi-Begriff verwendet hat?

    Strasser: Ach Gott, darauf würde ich es nicht kaprizieren. Wer so schlampig mit der Sprache umgeht, das sollte eigentlich in solch einem Amt nicht sein. Aber der Satz ist ja insgesamt ein wahnsinnig verblasener Satz, der im Grunde mehr auf Insinuation setzt als auf Vermittlung eines Inhalts. Was soll das denn heißen, die Kultur muss wieder an den Kultus angekoppelt werden? Dann bezieht er sich auf den Begriff der Mitte. Ich weiß nicht, ob er Sedlmayr gelesen hat, der 1948 vom "Verlust der Mitte" sprach. Der Begriff der Mitte in Zusammenhang mit Kunst und Kultur ist ein Begriff, der kommt aus einer vorpluralistischen Zeit. Heute leben wir in einer Welt, die unaufhebbar pluralistisch ist, sowohl religiös pluralistisch als auch in allen anderen Kulturäußerungen pluralistisch ist, und die Sehnsucht zurück nach einer Mitte, das ist ein absolut reaktionäres Projekt. Und wenn man daran ginge, dieses praktisch durchzuführen, könnte dies nur in einen wahnsinnigen Zerstörungsakt anderer Kulturen hineinführen.

    Durak: Wenn Pluralismus, Herr Strasser, vieles ermöglicht, darf er alles erlauben?

    Strasser: Natürlich nicht. Wir haben Werte, die wir ja auch in der Verfassung zum Teil festgeschrieben haben, die ja auch von den Künstlern gar nicht in Frage gestellt werden. Darum geht es nicht. Es sind aber Werte, die einen Pluralismus kultureller Äußerungen zulassen. Ich denke, dass auch ein Kardinal wie Meisner sich daran gewöhnen muss, dass es jetzt religiös gesprochen mehrere Wege zu Gott gibt, dass es eine Fülle von Wegen gibt, sich zu verständigen über die menschliche Existenz und dass die moderne Kunst einer dieser Wege ist. Ganz offensichtlich hat er von moderner Kunst überhaupt keine Ahnung. Er scheint das für ein völlig frivoles Unternehmen zu halten. Er begreift gar nicht den tiefen existenziellen Ernst, der in der modernen Kunst drin steckt, und die Autonomie der Kunst, die in der Moderne sich herausgebildet hat, die wieder rückgängig machen zu wollen, indem man die Kunst nun sozusagen unaufhebbar an den Kultus, und zwar an einen spezifischen, nämlich den katholisch-christlichen Kultus koppelt, ist ja ein Wahnsinnsunternehmen.

    Durak: Wenn ich Sie richtig verstehe halten Sie Kardinal Meisner für intellektuell eigentlich gar nicht dem gewachsen, mit dem er sich beschäftigt, hier mit Kunst und Kultur oder?

    Strasser: Ich kann das nicht so gut beurteilen, aber der Satz jedenfalls, um den es hier jetzt immer geht in der Diskussion, der ist derartig verblasen und unscharf. Wer sich so zu Problemen der Kultur und der Kunst äußert, der sollte lieber die Finger davon lassen.

    Durak: Sie haben vorhin von "schlampig" gesprochen. Da bleibe ich irgendwie noch hängen. Mir fällt ein anderer Begriff ein: "verschwurbelt". Da gibt es ja noch andere Menschen, die mit der Sprache Probleme haben. Liegt hier das Problem nicht doch etwas woanders? Kann man wirklich von Schlampigkeit sprechen, wenn ein Mann wie Meisner von entarteter Kultur spricht? Er hat immerhin schon mal Abtreibung und den Holocaust miteinander in Verbindung gebracht und anderes mehr.

    Strasser: Ich nehme an, dass es schon Insinuationen sind, die etwas bewirken wollen. Das ist immer ganz schwer nachzuweisen, ob er das nun ganz absichtlich gesetzt hat. Aber im deutschen Kontext von Entartung im Zusammenhang mit Kultur und Kunst zu sprechen, ist natürlich entweder völlig geschichtsvergessend, oder es ist eine bewusst gesetzte Aggression gegen alles, was an demokratischer Moderne in Deutschland sich hat nach '45 durchsetzen können. Es ist wohl so, dass er mit diesen Äußerungen ganz bewusst Vorurteile mobilisiert, die ja bis in die 50er Jahre einfach vom Dritten Reich weitergetragen wurden gegenüber moderner Kunst und die ja bis heute nicht ganz verschwunden sind. Das ist für sich schon ein perfides Unternehmen, solche Vorurteile wachzurufen, weil jeder weiß, dass es einer gewissen geistigen Anstrengung bedarf, um zu verstehen was im kulturellen Bereich, was in der Kunst vor sich geht.

    Durak: Apropos geistige Anstrengung, Herr Strasser. Tabus verletzen, Sprache ausschließlich so benutzen, wie man es selbst gern hätte, gleichgültig ob das jemand versteht oder ob jemand damit einverstanden ist, so arbeiten doch Schriftsteller und Autoren. Weshalb dürfen die das und ein Kardinal nicht?

    Strasser: Die arbeiten nicht so, dass sie auf die Verständnismöglichkeiten keine Rücksicht nehmen. Im Gegenteil: sehr häufig wird provokativ gearbeitet, von Schriftstellern, von Künstlern, aber dann nehmen sie sehr genau wahr, welche Vorurteilskonzepte in der Gesellschaft da sind, versuchen sie durch Überspannung ad absurdum zu führen. Da ist die Absicht etwas anderes.
    Hier ist die Absicht spürbar, bestehende Vorurteilsstrukturen einfach zu bestätigen, sozusagen hineinzusprechen in einen Raum von Vorurteilen, den er vermutet oder der tatsächlich in seiner Umgebung vorhanden ist. Das ist ein anderes, das ist ein nicht kritisches Verfahren, während die moderne Kunst und die moderne Literatur doch eher kritisch, vorurteilsauflösend operiert.

    Durak: Ist die deutsche Gesellschaft in der Lage, so etwas auszuhalten?

    Strasser: Ja, ganz zweifellos. Ich glaube, dass es auch nicht verhindert werden kann, dass immer wieder solche Stimmen auftreten. Wir müssen uns deutlich dagegen zu Wort melden. Ich denke, dass auch dieser Streit wie mancher andere Streit, den Meisner angezettelt hat, zu Gunsten seiner Gegner ausgehen wird.

    Durak: Johano Strasser, Präsident des deutschen PEN-Zentrums. Besten Dank Herr Strasser für das Gespräch.

    Strasser: Bitte sehr.
    Christoph Hein, rechts, und Johano Strasser, links, während der Konstituierung des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums Deutschland
    PEN-Präsident Johano Strasser, links, mit dem Schriftsteller Christoph Hein (AP Archiv)