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Meister der politischen Satire

Dieter Hildebrandt ist immer noch auf Tournee mit seinem "Soloprogramm". Nur gerade macht er eine kleine Pause. Klar, wenn man 85 wird. Heute hat er allen Grund zu feiern. Nicht nur, weil sein Wunsch "Nie wieder 80" sich erfüllt hat.

Von Achim Hahn | 23.05.2012
    Das interessiert uns eigentlich alle: Wie entgehen wir der zunehmenden Vergreisung?

    " Jetzt vor einer Woche hatte schon einer eine Idee. Er hat gerufen, dass wir endlich den Löffel abgeben sollen. Ich hab sofort gerufen: Messer und Gabel auch, denn damit können sie auch schön gefährlich werden. "

    Dieter Hildebrandt, Urgestein der Kabarettszene. Und der ist schon 85? Kaum zu glauben. Einer, der als Platzanweiser anfing und seit Mitte der 1950er Jahre auf der Kleinkunstbühne steht. Der Grandseigneur des deutschen, politischen Kabaretts. Eine Instanz, nicht nur für Georg Schramm:

    "Bei uns gab’s früher 2x im Jahr Salzstangen zum Fernsehen, bei Fasnacht und bei Hildebrandt!"

    Was sind da schon 5 Hörbücher in einer Box. Ein schmaler Überblick, immerhin 630 Minuten aus dem Spätwerk des Kabarettisten. Die Highlights der letzten Jahre. Revisited. Darunter der Klassiker "Nie wieder 80".

    "Nur etwas hab ich inzwischen widerwillig gelernt: Das Altern kann man nicht auf Morgen verschieben, weil man dann noch älter ist."

    "Ausgebucht" nannte Dieter Hildebrandt sein vorletztes Buch über seine Tourerfahrungen. Auch in dieser Box! - und so erlebt man den Unermüdlichen heute immer noch, wenn man denn eine Karte für seine Lesungen ergattern kann. Ein Mann und sein Buch.

    "Ich hab mir auch immer gedacht: Menschenskind, da sitz ich jetzt so lange, und dann klatscht man, und dann macht der noch ne Zugabe."

    Sicher, nichts aus dieser Box ist taufrisch. Aber Hildebrandts Texte sind ein wortgewaltiges und oft auch witziges Abbild ihrer Zeit, genau wie sein neustes Hörbuch, das jetzt zu seinem Geburtstag erschienen ist:

    "Es war einmal.... meistens aber öfter"

    ... heißt es und der Untertitel erklärt: "Politikerlügen - brutalstmöglich aufgeklärt". Quasi: Die Fortsetzung seiner Politikermärchen aus dem Jahr 2009.

    "Ich weiß, es ist eine Zumutung auch noch einem Märchenerzähler zuzuhören, nachdem Sie vermutlich mindestens die Hälfte, die Ihnen zu Ohren kommt, ohnehin nicht mehr glauben."

    Und auch dieser Tonfall ist natürlich selber eine Lüge. Denn eigentlich ist es die Empörung, die Dieter Hildebrandt antreibt: über die schöne neue Arbeitswelt und den falschen Doktor, über den Bundespräsidenten, der über den hässlichsten Klinkerbau Niedersachsens stolperte, über Verfassungsschützer, die auf dem rechten Auge blind sind und den Niedergang der politischen Glaubwürdigkeit im Besonderen.

    " Wenn 76 Beamte rund um die Uhr auf Menschen angesetzt sind, deren Tätigkeit darauf angelegt ist, im Parlament zu arbeiten, während ein Mördertrio der Neonazis nicht einmal ansatzweise geortet werden kann, weil dafür zu wenig Beamte zur Verfügung stehen, muss der Gesetzesauftrag schleunigst geändert und der Verfassungsschutz überwacht werden."

    Satirischer Geschichtsunterricht mit Aktualitätsbezug in Kurzgeschichtenform, garniert durch musikalische Variationen der Nationalhymne, na ja, der ersten Textzeile, - so könnte man dieses neuste Hörbuch charakterisieren. Doch Hildebrandts Themen sind nur in ihren Auswirkungen auf die Politikmüdigkeit noch aktuell. Bühnenkabarett kann schneller sein, die Hörbuchsatire hat da etwas Statisches. Schade also, dass dieses Hörbuch nicht live aufgenommen wurde, auch wenn Dieter Hildebrandt seinen Text ausgesprochen facettenreich präsentiert. Jedoch ohne seine spontanen Anspielungen, Abschweifungen und hingestotterten Verästelungen. Man sollte ihn also mal wieder besuchen. Dieter Hildebrandt - revisited eben. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch. Denn:

    "Der Mensch ist noch immer Worten aufgeschlossen, ja ja."

    Hörbuchhinweis:
    Dieter Hildebrandt: "Es war einmal.... meistens aber öfter - Politikerlügen - brutalstmöglich aufgeklärt", Diederichs-Verlag, 16,90 Euro