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Meisterliche Gesänge im Ozean
Grönlandwale verfügen über fast 200 verschiedene Gesangsmuster

Lange dachte man, dass Buckelwale die Meistersänger der Meere sind. Vor kurzem haben Meeres-Forscherinnen jedoch eine überraschende Entdeckung gemacht: Hydrophon-Aufnahmen haben enthüllt, dass Grönlandwale über ein weit komplexeres Lautrepertoire verfügen.

Von Volker Mrasek | 07.08.2018
    Abtauchender Groenlandwal in der kanadischen Arktis (Nunavut, Bylot Island, Sirmilik Nationalpark)
    Grönlandwale sind die wahren Meistersänger der Meere (imago / blickwinkel)
    Der Gesang von Buckelwalen. Was die Bullen zum Besten geben, gibt es sogar auf CD! Die Wal-Männchen haben es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Ihre Lautäußerungen gelten als die eindrucksvollsten im Ozean.
    Doch offenbar sind die Gesangskünste einer anderen Meeressäuger-Art noch viel ausgeprägter: Die von Grönlandwalen!
    "Meiner Meinung nach sind sie die Meistersänger der Ozeane! Alle Männchen in einem Bestand von Buckelwalen stimmen immer dasselbe Lied an, und es variiert nur wenig. Bei Grönlandwalen ist das anders: Viele verschiedene Männchen singen viele verschiedene Lieder."
    Kate Stafford ist Ozeanographin an der Universität von Washington in Seattle in den USA. Und an einem langjährigen Lauschangriff auf die Natur beteiligt. Seit zehn Jahren hängt ein Unterwasser-Rekorder samt Mikrofon in der Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen und zeichnet die Geräuschkulisse auf, in einer Wassertiefe von 75 Metern.
    Die Gegend liegt fast auf 80 Grad nördlicher Breite. Der Arktische Ozean ist hier oft eisbedeckt. Deshalb war es nicht möglich, den Rekorder einfach an eine Boje zu hängen. Stattdessen ist er mit einem robusten Seil aus Kevlar im Meeresboden verankert und mit einem Auftriebskörper versehen.
    188 verschiedene Gesangsmuster
    Das Ganze ist ein Projekt des Norwegischen Polarinstituts. Dort forscht auch die Meeresbiologin Heidi Ahonen:
    "Es war eine große Überraschung, dass wir mitten im Nirgendwo so viele Grönlandwal-Gesänge aufzeichnen konnten. Phänomenal, was meine Kollegin Kate Stafford aus den Aufnahmen herausgefiltert hat: 188 verschiedene Gesangsmuster! Das kann man höchstens mit Singvögeln vergleichen. In der Welt der Säugetiere hat man so etwas noch nicht gehört!"
    "Wir haben niemals die gleichen Gesänge in unterschiedlichen Jahren aufgenommen. Die Grönlandwale verändern sie ständig. Und wir wissen absolut nicht, warum das so ist. Sicher hat es mit der Fortpflanzung und dem Werben um Weibchen zu tun. Denn aus diesem Grund singen auch Buckelwale, Frösche, Vögel und Mäuse. Ja, sogar Mäuse singen!"
    Allerdings nicht unter Wasser, und auch nicht so.
    Aus der Framstraße dringen aber nicht nur schräge Liebesgesänge zu uns, sondern auch gute Nachrichten!
    Bestände erholen sich nur langsam
    Grönlandwale wurden lange intensiv bejagt. Schon Mitte des 17. Jahrhunderts gab es kaum noch Tiere in der Gegend um Spitzbergen. Inzwischen sind Grönlandwale streng geschützt, und der Bestand der bis zu 20 Meter großen Meeresriesen erholt sich wieder. Allerdings nur äußerst langsam, wie Kate Stafford verdeutlicht:
    "Wir wissen aus den Logbüchern, wie viele Grönlandwale damals erlegt wurden: Es waren um die 25.000! Obwohl das jetzt schon über 350 Jahre her ist, gingen wir davon aus, dass der Bestand auch heute noch klein ist - vielleicht ein paar Dutzend Tiere. Grönlandwale werden nämlich 200 Jahre alt. Da sind dreieinhalb Jahrhunderte nicht viel, um sich zu erholen. Hubschrauber-Überflüge haben aber gezeigt, dass es wieder 340 Wale oder mehr sind."
    Vielleicht ist das Repertoire der Meeresriesen ja auch deshalb so groß, weil inzwischen Freudengesänge hinzugekommen sind!