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Meistersinger Hans Sachs
Ein Poet der Reformation

Vor 520 Jahren wurde der Nürnberger Hans Sachs geboren. Der Schuhmachermeister war der bekannteste Meistersinger der deutschen Handwerkszünfte. Er schrieb über 4.000 Meistergesänge. Außerdem stellte er sich schon früh auf die Seite der Reformation und brachte mit seinen Gedichten Martin Luthers Lehre unter das Volk.

Von Alfried Schmitz | 29.12.2014
    Der Nürnberger Meistersinger Hans Sachs (historischer Stich), schwarz-weiß, an einem Schreibtisch sitzend
    Der Nürnberger Meistersinger Hans Sachs (historischer Stich) (imago/stock&people)
    "Wach auff! Es nahent gen den tag.
    Ich hör singen im grünen hag
    Ein wunigkliche nachtigall.
    Ir stim durchklinget berg und thal.
    Die nacht neigt sich gen occident,
    Der tag get auff von orient,
    Die rotprünstige morgenröt
    Her durch die trüben wolcken göt."
    Mit der "wunigklichen Nachtigall", deren Stimme Berg und Tal durchklingt, war der Wittenberger Reformator Martin Luther gemeint. Eine wahre Lobeshymne auf ihn und die Reformation hat Hans Sachs mit seinem Gedicht von der "Wittenbergisch Nachtigall" im Jahre 1523 verfasst. Damit reihte sich der dichtende Schuhmachermeister aus Nürnberg in eine ganze Schar von Poeten ein, die der lutherischen Idee huldigten und die sich auf literarischer Ebene einen verbalen Kampf mit den Gegnern der Reformation lieferten.
    Der an der Universität Jena lehrende Germanist Reinhard Hahn, hat sich intensiv mit der Literatur der Reformationszeit und dabei natürlich auch mit der Person des Hans Sachs beschäftigt.
    "Hans Sachs ist für die Reformation eingetreten im Jahre 1523, nachdem er mehrere Jahre als Dichter völlig verstummt war. Ein auffälliger Umstand. Wir wissen jedoch, dass er in diesen Jahren 1521 und 1522 eine ganze Reihe von Schriften Luthers und der lutherischen Bewegung besessen, gelesen, sich erarbeitet hat. Er spricht da von Traktätlein, Druckschriften, die er gesammelt hat, von 40 ist die Rede."
    Nachdem sich Hans Sachs mit Luthers Gedankengut intensiv vertraut gemacht hatte und von dessen Ansichten überzeugt war, begann er damit, diese neue Idee unters Volk zu bringen. Dabei ging es ihm nicht darum, intellektuelles theologisches Fachwissen zu verbreiten, sondern eine möglichst große Zahl von Menschen mit einfachen Worten von der, aus seiner Sicht, Richtigkeit des Reformgedankens zu überzeugen. Professor Hahn weist jedoch darauf hin:
    "Dass er Luthers Lehre selektiv sich angeeignet hat. Er ist natürlich kein Theologe gewesen, er ist kein spekulativer Kopf gewesen. Es sind einzelne Punkte, die ihn angesprochen haben. Die Rechtfertigung allein durch den Glauben ist ein solcher Punkt. Das Postulat der christlichen Nächstenliebe spielt eine wichtige Rolle."
    Satirisch spitze Feder, einfache Worte
    Hans Sachs wendet sich in seinem berühmten Spruchgedicht "Wittenbergisch Nachtigall" ganz offen gegen den Papst. Er wettert gegen die Bischöfe und Pfarrer, die dessen Tyrannei unterstützen und das Wort Gottes eher unterdrücken, als es zu verbreiten und sich wie die Wölfe gebärden, die es nur auf das Geld ihrer Schäfchen abgesehen haben.
    Mit satirisch spitzer Feder, aber mit einfachen Worten, die den einfachen Bürger erreichen sollen, setzt sich Hans Sachs für die lutherische Idee ein und kämpft gegen den herrschenden Kirchen-Klerus. Im Unterschied zu vielen anderen Verfassern von Flugschriften, veröffentlicht er seine Traktate unter Angabe seines vollen Namens und das in einer Stadt, die damals noch nicht reformiert war.
    In den sogenannten Kampfjahren der Reformation verwendete Hans Sachs verschiedene literarische Stilmittel. Für weitaus bedeutsamer als das Spruchgedicht "Wittenbergisch Nachtigall", hält Professor Hahn "die Prosadialoge, vier an der Zahl, die er im Jahr 1524 publiziert hat, die teilweise oft nachgedruckt worden sind. Der erste Dialog, er ist wohl auch der beste, ist sogar ins Englische übersetzt worden, dem Gespräch zwischen einem Schuster und einem Chorherren, also einem Kanoniker, einem Mann, der materiell abgesichert ist, der behaglich lebt, der sich die Bibel von der Haushälterin bringen lässt und ihr zuruft, staub sie erst einmal ab, der einen Kalfaktor hatte, den er dann als verdeckten Lutheraner aus dem Haus werfen muss. Hier liegt eine besondere Bedeutung des Autors Hans Sachs, dass er einer der ersten ist, der die Form des Reformationsdialoges sehr souverän gehandhabt hat."
    Handschrift von Hans Sachs, schwarze altdeutsche Schrift auf weißem Papier
    Handschrift von Hans Sachs (dpa/picture alliance/Germanisches Nationalmuseum)
    In seinen Werken wirbt Hans Sachs voller Überzeugung für die Reformationsidee, die in seiner Heimatstadt Nürnberg 1525 offiziell zugelassen wird. Er vermittelt, vor allem in seinen vier Prosadialogen, einen interessanten Eindruck von den Gefühlen und Gedanken, die die Menschen in dieser Zeit des Umbruchs bewegt haben mögen. Das macht seine Texte zu Zeugnissen der frühen Reformationszeit. Davon war auch rund 250 Jahre später Gotthold Ephraim Lessing überzeugt. Der bedeutende Dichter der Aufklärung, der aus einem lutherisch orthodoxen Elternhaus stammt, schrieb an seinen Freund, den Schriftsteller und Theologen Johann Gottfried von Herder:
    "Diese Dialoge, niemand wird es mir glauben, sind ganz sonderbare Monumente der Reformationsgeschichte. Also er hat ihre Bedeutung erkannt und auch die heutige Literaturwissenschaft ist sich in diesem Punkte einig, dass sie von ganz bedeutender literarischer Qualität sind."
    Mit der Dialogform nutzte Hans Sachs ein nützliches Werkzeug, um Propaganda für die Reformationsidee zu machen. Im Verlauf des fiktiven Streitgesprächs "zwischen einem Chorherren und Schumacher" wird der katholische Würdenträger vom evangelischen Handwerker mit Wortwitz in die Ecke gedrängt und steht am Ende als der Dumme da. Der Schuhmacher hingegen schafft es, das reformatorische Gedankengut als das einzig wahre zu präsentieren. In seinem zweiten Prosadialog lässt Hans Sachs einen Handwerker heftige Kritik gegenüber einem Mönch üben.
    Zitat aus "Ein Gesprech von den Scheinwercken der Gaystlichen und ihren Gelübden":
    "... ir steckt voll gotzdienst und guter werck, und fellet doch des aller nöttigsten..., nemlich die werck der Barmhertzigkeyt."
    Und stellt damit den sozialen Nutzen des Klosterlebens und des Mönchtums infrage. Dadurch, dass er die pro-reformatorische Seite immer mit Handwerkern besetzt, erzielt Hans Sachs beim einfachen Volk eine enorme Breitenwirkung. Den Nerv der Zeit trifft er vor allem durch seine Angriffe auf die Geldgier der katholischen Kleriker. Aber er prangert auch die Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung durch die Oberschicht im Allgemeinen an und wird damit zum sozialistischen Sprachrohr in der damaligen vorkapitalistischen Zeit. Ohne Buchdruck und den Gebrauch des Deutschen als Volkssprache wäre diese Massenwirkung allerdings nicht zu erzielen gewesen.
    "Luther ist ja nicht der Erste gewesen, der die Bibel in die deutsche Sprache vollständig übertragen hat. Es gibt ein gutes Dutzend vor-lutherischer Bibelübersetzungen. Die deutsche Sprache spielt also schon vor Beginn der Reformation eine wichtige Rolle. Aber natürlich hat die Reformation, wenn man sich ansieht, wie sich der Buchdruck entwickelt hat, mit den Auflagenzahlen der lutherischen Bibelübersetzungen dafür gesorgt, dass auch das Bildungsniveau stieg, dass die Zahl der Literaten zunahm. Also insofern ist die Reformation ganz gewiss ein wichtiger Schub gewesen, was den Bereich der Volkssprache angeht."
    Ernsthaft und voller Selbstkritik
    Die katholische Seite bleibt nicht untätig und versucht der Reformationsidee entgegen zu treten. Hieronymus Emser, Johannes Eck, Thomas Murner und Sebastian Brant sind wohl die bedeutendsten Kontrovers-Theologen, die dem Reformator aus Wittenberg Paroli bieten und ebenfalls Schriften und Flugblätter verfassen. Zwischen diesen Widersachern Luthers und Hans Sachs entbrennt ein regelrechter Literaturkampf, den der Schuhmachermeister aus Nürnberg vor allem in seinem Spruchgedicht "Wittenbergisch Nachtigall" mit spitzer Feder führt.
    "Emser hatte einen Bock in seinem Wappen und Emser erscheint in der Polemik des Hans Sachs als Bock. Johannes Eck, der berühmte Ingolstädter Theologe, der Luther auf der Disputation auf der Pleißenburg sehr weit getrieben hat und als Sieger aus dieser Disputation hervorging, Eck erscheint bei Hans Sachs mit dem wenig schmeichelhaften Beinamen 'das Schwein'. Das hat man so begründet, er habe wohl dem Trunk sehr zugesprochen und ein brutales Benehmen gehabt. Thomas Murner, der hat den Beinamen 'Murr'. Er erscheint als die 'Katze' in diesen Polemiken.
    Wie ernsthaft und voller Selbstkritik Hans Sachs das Fortschreiten der Reformation beobachtet, wird in seinem vierten und letzten Prosadialog deutlich, den er 1524 verfasst. Darin prangert er die Provokation der, wie er sie nennt, "neuen Evangelischen" an, die den Kalbsbraten am Freitag wohl als ihr wichtigstes Bekenntnis zur lutherischen Lehre betrachten. Und er plädiert für ein gewaltfreies Verhalten gegenüber den Mitbürgern, die den neuen Glauben noch nicht angenommen haben.
    Hans Sachs, einer der bedeutendsten Schriftsteller der Reformationsbewegung, stirbt 1576 im Alter von 81 Jahren. In seiner Heimatstadt Nürnberg erinnert ein Denkmal an den Schuhmachermeister und Poeten.