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Scheinwahlen in Russland
Memorial-Mitgründerin Scherbakowa: "Menschen zeigen zunehmend ihren Unmut"

In Russland will sich Staatschef Putin an diesem Wochenende von den Bürgern im Amt bestätigen lassen. Mit welchen drastischen Methoden die Menschen zu den Wahlurnen gezwungen werden, beschreibt die Mitgründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial, Irina Scherbakowa, im Deutschlandfunk. Immer mehr Russen zeigten jedoch auch ihren Unmut.

    Die russische Bürgerechtlerin und Mitbegründerin von Memorial, Irina Scherbakowa, steht vor der Friedrich Schiller Universität in Jena.
    Die russische Bürgerechtlerin und Memorial-Mitbegründerin Irina Scherbakowa (picture alliance / dpa / Bodo Schackow)
    Scherbakowa sagte im Deutschlandfunk, es häuften sich Beispiele von öffentlichen Angestellten oder Studenten, die praktisch gezwungen würden, wählen zu gehen. Teilweise müssten sie Fotos machen, die bewiesen, dass sie im Wahllokal gewesen seien. "Das ist eine alte Methode, nur in diesem Jahr scheint das Regime sie fast hysterisch anzuwenden", so die Historikerin und Publizistin, die mittlerweile in Deutschland im Exil lebt.
    In den besetzten Gebieten in der Ostukraine überwachten zudem bewaffnete Soldaten die Scheinwahlen. Die Memorial-Mitgründerin geht davon aus, dass der Kreml ein offizielles Wahlergebnis von rund 80 Prozent zugunsten Putins bekannt geben wird, das nicht nur durch Repressionen, sondern auch durch Wahlmanipulation zustande komme.

    Mehr Protestaktionen bei der "Wahl" als früher

    "Was wir trotzdem sehen, und das ist etwas Neues bei diesen Wahlen, ist, dass die Menschen wirklich ihren Unmut zeigen", fügte die Menschenrechtlerin hinzu. Für den alternativen Kandidaten Boris Nadeschdin, der sich gegen den Ukraine-Krieg ausgesprochen hatte, seien viele Unterschriften gesammelt worden. Nadeschdin wurde anschließend vom Kreml nicht zur Wahl zugelassen.
    Bei der laufenden Abstimmung sei es zudem vorgekommen, dass Menschen etwa Wahlurnen mit Farbe beschmutzten. "Diese Fälle hat es früher nie gegeben", betonte Scherbakowa. Außerdem wies sie auf die für morgen geplante Aktion hin, bei der Putin-Gegner dazu aufgerufen hätten, als Zeichen des Protests gleichzeitig um zwölf Uhr mittags zu den Wahllokalen zu kommen. Die Moskauer Staatsanwaltschaft hatte Unterstützern dieser Aktion mehrjährige Haftstrafen angedroht.
    Scherbakowa betonte, es handele sich bisher um Aktivitäten einzelner Bürger und nicht um Massenproteste. Dies sei "immer noch zu wenig". Dennoch sei zu beobachten, dass es immer mehr Menschen gebe, die ihre Ängste überwänden.

    Oppositionelle Kandidaten wurden nicht zugelassen

    Die Abstimmung in Russland mit seinen elf Zeitzonen soll bis Sonntag dauern. Wahlberechtigt sind laut Kreml rund 114 Millionen Menschen. Eine weitere Amtszeit würde es Putin ermöglichen, bis 2030 zu regieren - länger als jeder andere russische Staatschef vor ihm. Bewerber der Opposition wurden nicht zugelassen. Neben Putin treten drei kremltreue Gegenkandidaten an, die als chancenlos gelten.
    Das komplette Interview mit Irina Scherbakowa können Sie hier nochmal nachhören.
    Diese Nachricht wurde am 16.03.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.