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Mensch und Natur sind eins

Unser Konzept von Natur ist überholt, schreiben die Initiatoren des Anthropozän-Projekts, das jetzt am Berliner Haus der Kulturen der Welt läuft. Es geht darum, eine neue Idee von Natur und eine neue Kultur des Menschen zu entwickeln, in der sich die beiden nicht mehr nur konträr oder zumindest ambivalent gegenüberstehen - Mensch und Natur sind eins.

Von Carsten Probst |
    Die These vom neu angebrochenen Erdzeitalter des Anthropozäns ist eigentlich gar nicht so neu, erste Formulierungen kennt man aus der geologischen Literatur des späten 19. Jhdts., am Beginn der Industrialisierung. Richtig aktuell geworden ist diese These aber eigentlich erst im Zuge der Klimadebatte der letzten zehn Jahre.

    Sie besagt, dass das Erdzeitalter des Holozän, das bisher als die erdgeschichtliche Gegenwart gilt und das vor etwa 11.000 Jahren begann, endet und in ein neues Zeitalter, eben das Anthropozän übergeht. Während sich das Holozän durch ein weitgehend stabiles Klima und eine relativ stabile Artenvielfalt auszeichnet, gibt es inzwischen auch wissenschaftlich eindeutig nachgewiesene Veränderungen, für die es, wie es heißt, in den letzten Millionen Jahren erdgeschichtlich keine Entsprechung gibt: Dazu gehören die Erhöhung von Treibhausgasen, Übersäuerung von Ozeanen und Eingriffe in die Landschaft, Artensterben, Klimawandel.

    Diese Veränderungen sind nun ganz oder teilweise auf die glorios angewachsene wirtschaftliche und wissenschaftliche Expertise der Spezies Mensch zurückzuführen und lassen sich als mittlerweile als geologische Spuren wiederfinden. Bernd M. Scherer, Intendant des Berliner Hauses der Kulturen der Welt:

    "Die Grundlage dieser Entwicklung liegt letztendlich in diesem Dualismus zwischen Natur und Kultur begründet. Weil die Natur in dieser Entwicklung nur als Ressource gesehen wurde. Als eine Sache, die man einfach ausbeuten kann, nicht als ein eigener Akteur in einem System. Und das gilt es neu zu sehen!"

    Klimaforscher wie Nobelpreisträger Paul Crutzen, der die Schirmherrschaft über das Anthropozän-Projekt übernommen hat, folgern daraus, dass der Mensch sich in seinem Selbstverständnis auf dieses neue Erdzeitalter einstellen muss. Der Beginn des Anthropozäns muss politische, moralische, kulturelle Konsequenzen haben, zum Beispiel in der Einstellung zum wirtschaftlichen Fortschritt, zum Konsum, zur Verteilung der Waren. Bernd M. Scherer lenkt indes den Blick auf eine zweite Ebene des Themas:

    "Das ist ja das Interessante, dass die Naturwissenschaften, die vielleicht lange Zeit sogar Handlanger im Kontext technologischer Entwicklung (...) waren, jetzt selbst darauf hinweisen, das Menschenbild, das wir dabei verfolgt haben, war nicht das, mit dem wir weiterarbeiten können."

    Wissenschaftliche Organisationen wie die Max-Planck-Gesellschaft, die an diesem Projekt beteiligt ist, haben ein Interesse daran, eine neue Kultur der Naturwissenschaften zu entwickeln. Während die fortschreitende Spezialisierung in den Wissenschaften den interdisziplinären Dialog immer mehr verhindert, sollen Foren wie das Anthropozän-Projekt die Kommunikation unter den unterschiedlichen Fachbereichen wieder in Gang bringen. Damit stehen wir ganz am Anfang, sagt etwa Katrin Klingan, die Kuratorin der Eröffnungsveranstaltung, man müsse experimentell ausloten, wie sich der Kulturwissenschaftler mit dem Teilchenphysiker versteht oder die Künstlerin mit der Wirtschaftsexpertin:

    "Wir wissen alle nicht, wohin uns das bringen wird und welche anderen, neuen Erzählungen und Narrative wir brauchen werden. Aber das versuchen wir sozusagen in diesen vier Tagen mal in sehr unterschiedlichen Formaten und Konstellation zueinander zu schieben, ineinander zu verschränken. Wir haben dann die Zeit, diesen Prozess in den nächsten zwei Jahren zu verlängern und jene Momente, die sich wirklich verfangen das dann zu vertiefen."

    Begleitet von einigen Kunstaktionen und Lesungen kann man sich diesen Einstieg als eine Reihe von größeren und kleineren Foren zu fünf Grundthemen vorstellen, etwa zum griechischen Begriff "Techne", also der Fähigkeit, Dinge zu verändern, oder zur Metapher der "Gärten", die für die neu zu denkende Grenze von Natur und Kultur stehen soll. Im weiteren Verlauf der nächsten Monate kommen dann Ausstellungen oder ein Festival über sogenannte "unmenschliche Musik", nicht von Menschen gemachte Kompositionen oder Filmprojekte etwa über die Kultur der Affen im Vergleich zu derjenigen ihrer menschlichen Artgenossen hinzu.