Donnerstag, 18. April 2024

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Artenschutz
Nahe Verwandte: Über Menschen und Menschenaffen

In Schimpanse, Bonobo, Gorilla, Orang-Utan erkennen wir uns selbst wie in keinem anderen: Sie sind unsere nächsten Verwandten. Doch Verwandtschaft ist kein Garant für Zuneigung, eher für konfliktbeladene Beziehungen. Kann es uns noch gelingen, die großen Affen vor uns selbst zu schützen?

Von Anneke Meyer | 31.12.2021
Ein tiefer Blick in die Augen eines westlichen Flachlandgorillas
"Ich schaue in ein Gesicht mit zwei Augen, die mich genauso anschauen wie ich." (imago images/imagebroker/R. Wittek)
In der Neujahrsnacht 2020 schweben zwischen Feuerwerk und Raketen fünf große Himmelslaternen durch die Luft. Sie sollen Glück bringen. Eine der Laternen landet im nahegelegenen Zoo auf dem Dach des Affenhauses.
Weltweit berichten Medien über den Brand. Mehr als 50 Tiere sterben in den Flammen. Darunter Vertreter hoch bedrohter Menschenaffen Arten: Orang-Utans aus Borneo, Flachlandgorillas aus Zentralafrika und Schimpansen aus Westafrika.
Blumen, Fotos, ein Meer von Kerzen. Innerhalb von Stunden versammeln sich tausend Menschen vor dem Zoo. Zoo-Direktor Wolfgang Dreßen spricht später auf der Trauerfeier.
„Auf schreckliche Art und Weise sind Lebewesen ums Leben gekommen, die zu uns und zu dieser Stadt gehören wie Mitglieder einer Familie. Es waren starke Tierpersönlichkeiten, die wir für immer verloren haben.“
Ein Meer von Kerzen, Blumen und Affenfiguren vor dem Eingang des Kreefelder Zoos.
Es ist, als wären Menschen gestorben - Kerzen, Blumen und Affenfiguren, nach dem Brand im Tropenhaus des Krefelder Zoos (imago images/Martin Wagner)

Starke Persönlichkeiten

"Hier stand also das Tropenhaus."
Absperrbänder flattern vor einer großen Wiese. Die Brandruine ist schon länger abgerissen. Der Bau eines neuen Tropenhauses soll bald beginnen.
"Ich spreche immer gerne von Tierpersönlichkeiten, die wir hier verloren haben in der Brandnacht. Das waren für alle Krefelder Bürger und die ganze Umgebung von Krefeld starke Persönlichkeiten, die jedes Kind kannte."
Lea, die Orang-Utan-Mama, der in Ehren ergraute Gorilla Massa. Oder Charlie. Über Jahre unangefochtener Chef der Schimpansengruppe und lange Zeit nicht gerade der größte Fan des Zoodirektors Wolfgang Dreßen.
"Ich war sozusagen persona non grata. Sobald ich da auftauchte, im Tropenhaus, hat er ein entsprechendes Programm hochgefahren. Es ging los mit den Pant-Hoots, diese berühmten Laute, die Schimpansen Männer machen. Weiter ging es mit sehr lautem Scheiben schlagen, gegen die Scheibe springen, wo ich hinter stand. Oder wenn ich hinter einem Trockengraben stand mit dem Werfen von Kot. Das war die größte Waffe, die er einsetzen konnte. Das hat auch die größte Wirkung erzielt.
Und dieses Verhalten war 20 Jahre lang und nonstop, obwohl wir nie etwas… es gab keine direkte Interaktion mit ihm, wo ich ihm irgendetwas Negatives angetan hatte."
An seiner Hand trägt Wolfgang Dreßen eine bleibende Erinnerung. Charlie hat ihm die Kuppe des einen Daumens abgebissen.
"Und dieses Verhalten änderte sich schlagartig von heute auf morgen. Das ist für mich etwas ganz, ganz Besonderes, als plötzlich er mich eines Morgens begrüßte und zwar freundlich, mich aufforderte, ihn zu lausen."
Ein Freundschaftsangebot. Aber mit Kalkül.
"Wenn man im Freiland beobachtet, wenn man Schimpansen Zoos beobachtet, stellt man fest: Es gibt eben Männer Koalitionen, es gibt Männer-Bündnisse. […] Und bei ihm war es in dem Fall halt so, dass er versucht hat, meine Freundschaft zu erzielen, weil er war nämlich im Rang gefallen."   
Das jüngere Männchen Limbo hatte sich nach langen Versuchen durchgesetzt und die Alpha-Position übernommen.
"Und schlagartig und von da bis zum Ende seines Lebens war ich sein bester Freund."
Schimpansenmännchen Charly des Krefelder Zoos im schwarz-weiß Portrait. Am rechten Rand sind Geburts- und Todestag vermerkt.
Affenmann Charly war über Jahre der unangefochtene Chef der Krefelder Schimpansen (Zoo Krefeld)

Überlebende

Nur Limbo und seine Schimpansen-Freundin Bally haben das Feuer überlebt. In der Brandnacht sah es nicht danach aus. 
"Wir haben im Dunkel der Nacht nichts feststellen können. Erst am Morgen bei den letzten Löscharbeiten, hörten die Feuerwehrleute Geräusche, die Laute aus dem noch qualmenden und stark hoch temperierten Haus und haben dann noch mal alle Einsatzkräfte gerufen. Natürlich auch uns."
Die Situation ist heikel, die Ruine einsturzgefährdet. Die Pfleger rufen. Und tatsächlich trauen sich die Tiere aus ihren Verstecken. 
"Die saßen genau an den Stellen, an denen sie jeden Morgen ihren Tee bekommen haben. […] An diesem Morgen, nach dieser schrecklichen Nacht. Und dann entsprechend konnten wir die Anlage dann sichern, um die Tiere einzufangen, weil sie hätten entweichen können. Alle Scheiben waren gesprungen. Die Kletterbäume waren teilweise verbrannt, umgekippt und was auch immer. Sie hätten aus dem Haus entweichen können, sind es aber nicht, sie sind dortgeblieben."
Limbo und Bally leben seit dem Brand in einem Nebengehege der Gorilla-Zuchtgruppe, sie gehört zum Internationalen Erhaltungszuchtprogramm für bedrohte Arten, an dem der Krefelder Zoo teilnimmt. Die junge Gorilla-Familie hat in einem eigenen Gebäude das Feuer sicher überstanden.
"Für den Artenschutz ist der Verlust der Tiere eine Katastrophe" 
Für die Zucht bedrohter Arten sei der Tod der Krefelder Affen eine Tragödie, sagte die Biologin Petra Schwinn vom Krefelder Zoo im Dlf. Einige der gestorbenen Tiere seien für Nachzucht-Pläne vorgesehen gewesen.

Im Wohnzimmer der Gorillas

Wolfgang Dreßen geht die wenigen Meter von dort, wo früher der Eingang des Tropenhauses war, bis zur großen Fensterfront, durch die man ins Innengehege sehen kann.
Das ist der Blick in das Wohnzimmer der Gorillas oder auch Schlafzimmer sowohl als auch…
Mit gemächlichen Schritten kommt der größte der Gorillas heran, bis er ganz nah vor der Glasscheibe steht.
"Hier kommt gerade der Silberrücken, der Kidogo, und schaut sich mal an, wer denn hier vor dieser Glasscheibe steht."
Er scheint seinen Zoo-Direktor zu erkennen, aber da ist noch etwas Anderes in seinem Blick. Kaum eine Armlänge entfernt, spürt man förmlich die Skepsis des riesigen Menschenaffen.
"Er schaut sich das Mikrofon an, das ist etwas ungewohnt…"
Wir gehen ein Stückchen weiter am Gehege entlang. Kidogo folgt langsam mit ein paar Schritten Abstand. Bis Wolfgang Dreßen stehen bleibt. Der Zoodirektor zeigt auf ein Gorillaweibchen, das es sich in einem schlecht einsehbaren Winkel gemütlich gemacht hat. In ihren Armen ein winziges Baby.  
Beim Bücken, um das Baby besser zu sehen, berührt das Mikrofon die Scheibe. Plötzlich ein Knall. Kidogo hat sich gegen das Fensterglas geworfen. Noch ein drohender Blick in Richtung Mikrofon, dann zieht er ab, seine kleine Familie im Schlepptau.
Die Botschaft ist klar.
Ein Gorilamännchen im Außengehege des Krefelder Zoos blickt in die Kamera. Im Hintergrund ist ein Weibchen zu sehen.
Kidogo, der Silberrücken des Krefelder Zoos, mag keine Mikrofone (Zoo Krefeld / Vera Gorissen)

Menschen - Affen

"Jeder Besucher, jeder Mensch hat intuitiv ein bestimmtes Gefühl, wenn er Menschenaffen beobachtet."
In keinem anderen Tier erkennen wir uns selber so gut wieder. 
Wolfgang Dreßen: "Ich schaue in ein Gesicht mit zwei Augen, die mich genauso anschauen wie ich. Die Nase ist ja ähnlich, der Mund ist sehr ähnlich, die Ohren sitzen an derselben Stelle, die Proportionen vom gesamten Gesicht sind sehr ähnlich. Insofern ist auch das, was aus diesem Gesicht mir gegenüber wird, das kann ich sofort interpretieren, […] dadurch entsteht sofort, glaube ich, auch eine engere Beziehung zu Affen und insbesondere den Menschenaffen."
Gladys Kalema-Zikusoka: "Als ich zum ersten Mal einen Berg-Gorilla in freier Wildbahn gesehen und in seine Augen geschaut habe, hatte ich das Gefühl einer richtigen Verbindung. ..Es gibt so ein tiefes Verständnis. Vielleicht ist das etwas von ganz, ganz früher. Ich habe schon Leute weinen sehen, wenn sie einen Gorilla treffen. Es ist ein sehr emotionales Erlebnis!"
Inza Koné: "Wir wissen, dass jedes menschliche Verhalten seine Wurzeln in der Tierwelt hat. Wer regelmäßig Affen beobachtet, merkt, dass alles was sie tun, genau das ist, was wir auch bei uns selber beobachten können."
Christophe Boesch: "Als Mensch fragt man sich auch immer: Was ist der Mensch? Warum sind wir da? Sind wir anders als andere Tierarten? Und wenn wir anders sind, was unterscheidet uns?"
Primatenforscher Christophe Boesch in seinem Büro am Max-Planck-Institut in Leipzig | Deutschlandfunk / Lennart Pyritz
Primatenforscher Christophe Boesch in seinem Büro am Max-Planck-Institut in Leipzig | Deutschlandfunk / Lennart Pyritz
Ein Leben mit und für Schimpansen.  
Kaum jemand kennt Schimpansen so wie er: Christophe Boesch erforscht das Verhalten von Primaten. Dafür lebte er viele Jahre im Urwald, zeitweise mit Frau und Kindern. Mit der Stiftung Wild Chimpanzee Foundation trägt er zum Schutz der Tiere bei.

Denken wie in Schimpanse

Christophe Boesch ist emeritierter Direktor des Max Planck Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Seit über 40 Jahren erforscht er das Verhalten von Schimpansen im Freiland. Die meisten seiner Studien hat er im Taї Nationalpark an der Elfenbeinküste durchgeführt.
"Die Schimpansen im Nationalpark jagen kleine Affen. Weil sie eben gern Fleisch essen und diese kleinen Affen leben nur hoch in den Bäumen und in dem Wald sind die Bäume ja 50 Meter hoch, 40 Meter hoch und die sind sehr schwierig zu fangen für Schimpansen. Und am Anfang, wenn ich eine Jagd verfolgt habe, habe ich nichts verstanden, was da läuft. Es gibt Schimpansen hinter, vor mir, links, rechts. Sie bewegen sich alle da hoch in den Bäumen, die kleinen Affen rennen weg und es sieht alles sehr chaotisch aus.
Und dann konzentriert man sich auf einen Jäger. […] Und dann gab es ein Männchen- Ich habe ihn Falstaff genannt, weil er einen weißen Bart hatte - und ich habe gemerkt, dieser Falstaff sich überlegt, wo er hin gehen muss. Da habe ich gedacht, ich muss ihm folgen. Vielleicht verstehe ich, was er macht. Und dann ist er einfach weggelaufen von der Jagd. Und das hat mich total verwirrt: Warum läuft er jetzt weg? Ich bin ihm gefolgt und habe gemerkt, dass er vorausplant. Die kleinen Affen werden hoch in die Bäume klettern, wegrennen, und zwar in die Richtung, wo Falstaff hingerannt ist. Er hat vorausschauend gedacht: […] wohin werden sie laufen? Ich muss da oben sein, bevor die Affen kommen, und dafür muss ich genug Zeit haben, um die Bäume hoch zu klettern, ohne dass diese Äste sich bewegen, weil wenn sie es tun, sich bewegen, dann verstehen die kleinen Affen, dass da jemand ist. Und so hat eigentlich der Falstaff vorausgeplant, wie diese Jagd sich entwickeln wird und hat antizipiert: Ich muss dort sein, um eben dann einen von diesen kleinen Affen zu fangen.
Und da, ja…, da denke ich, ich denke wie ein Schimpanse oder der Schimpanse denkt wie ich. Weil sonst hätte ich auch nicht verstanden, was passiert."
Ein Schimpanse knackt Nüsse mit einem Stein
Nicht nur Menschen gebrauchen Werkzeuge: Dieser Schimpanse knackt Nüsse mit einem Stein. (Tobias Deschner/Taï Chimpanzee Project)

Was unterscheidet Mensch und Affe?

Vorausschauendes Handeln, Zukunftspläne machen. Das ist etwas von dem man lange dachte, dass nur Menschen es können. Auf der Suche nach dem, was uns zum Menschen macht und den Affen zum Affen, haben Wissenschaftler im Laufe der Jahrhunderte viele Fähigkeiten als rein menschlich definiert.
Die Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte haben jede dieser Thesen widerlegt: Menschen sind nicht einzigartig durch den aufrechten Gang, sie sind nicht die einzigen, die Werkzeuge erfunden haben und sie sind nicht die einzigen Tiere, die altruistisch handeln können.
"Brutus war das ranghöchste Männchen von unseren Schimpansen Gruppe, als wir angefangen haben. Er ist zehn Jahre lang das ranghöchste Männchen geblieben und er war so erfolgreich, weil er eben einen Kreis von Freundinnen hatte. Das heißt Schimpansen-Weibchen, die er immer bevorzugt hat, wenn er Fleisch hatte zum Beispiel, und die ihn auch bevorzugt haben, weil er so ein vertraulicher Partner war.
Und eines Tages ist eines dieser Weibchen gestorben und sie hatte einen viereinhalbjährigen Sohn, der dann ein Waisenkind war. Und wir wussten aus früherer Erfahrung, dass ein Kind, wenn seine Mutter stirbt, bevor es fünf Jahre alt ist, eigentlich nicht überlebt.
Und zu unserer totalen Überraschung hat der Brutus dieses Kind adoptiert […] und jede Nacht hat er das Nest mit seinem Adoptivkind geteilt. Und wenn er Nüsse geknackt hat, hat er Nüsse geteilt wie ein Weibchen - was bei einem adulten Männchen nie vorkommt! Und wenn er Fleisch gehabt hat, hat er Zugang zu diesem Fleisch an sein adoptiertes Kind geleistet, was er nie für irgendjemand gemacht hätte. Er hat wirklich sein ganzes Verhalten gegenüber diesem kleinen Waisenkind total geändert, hat immer kontrolliert, dass das Kind ihm folgt und wenn das Kind ein Problem hatte mit anderen Kindern oder mit adulten, ist er immer zur Unterstützung gekommen.
Und das war das allererste Mal, dass wir eine Adoption von einem kleinen Kind durch ein adultes Männchen gesehen haben."
"Das sind Primaten wie wir"
Die Erdmännchen im Leipziger Zoo haben 160 Paten. Die Menschenaffen nicht einmal zehn. Kein gutes Zeichen für das Verhältnis von Mensch und Affe. Dabei drängeln sich vor dem Affengehege jeden Tag die Besucher, fasziniert vom nächsten Verwandten.

Nahe Verwandte, keine Freunde

Menschenaffen erkennen sich selbst im Spiegel. Schimpansen benutzen nicht nur Werkzeuge, sie fertigen sie auch an und heben genau die Werkzeuge auf, die besonders gut funktionieren. Ihre Kommunikation hat Eigenschaften von Sprache. Sie zeigen Gefühle, täuschen, trauern. Menschenaffe und Mensch haben mehr gemein als sie trennt. Wir teilen bis zu 99 Prozent der DNA. Sie sind unsere nächsten lebenden Verwandten.
Gladys Kalema-Zikusoka: "Wenn man Tür an Tür mit Affen lebt, die einem die Bananen wegfressen, sieht man das ganz anders."
Verwandtschaft ist kein Garant für Zuneigung. Verwandtschaft ist ein Garant für Missverständnisse und konfliktbeladene Beziehungen.
Christophe Boesch: "Ich denke, es gibt keine Beziehung. Die Menschen generell - vielleicht nicht in unserer Welt, aber wo die Mehrheit der Menschen existiert - essen die Tiere, die um ihr Revier existieren. Und so die Beziehung ist: Jäger-Gejagte. Und das ist eigentlich die Beziehung."
Inza Koné: "Das ist eine kulturelle Frage, in Westafrika zum Beispiel, wenn wir auf dem Land mit Leuten über die Tiere der Umgebung sprechen, dann unterscheiden sie nicht Arten, sondern Fleisch. Sie sagen wir haben Antilopenfleisch, wir haben Affen…"

Missverstandene Nähe

Inza Koné ist Direktor am Swiss Center for Scientific Research der Elfenbeinküste. An der Elfebeinküste ist er auch geboren. Das Zusammenleben von Affen und Menschen kennt er von klein auf.
"Als ich ein Kind war, fuhr ich mit meiner Familie über die Ferien aufs Land. In dem kleinen Dorf gab es zwei Baby Paviane, die als Haustiere gehalten wurden. Diese zwei kleinen Affen wurden meine besten Freunde im Dorf. Wir waren unzertrennlich, ich spielte die ganze Zeit mit ihnen. Als dann die Ferien zu Ende gingen, war ich so traurig sie zu verlassen, dass mein Vater mir den männlichen Baby-Pavian zum Geschenk machte.
Ich war so glücklich! Und ja, der kleine Affe wurde mein bester Freund in der Stadt. Aber dann, als der Affe größer wurde, fing er an aggressiv zu werden. Er griff jeden an, auch mich. Es war eine sehr kleine Stadt, in der wir lebten. Einen Zoo oder so etwas gab es nicht. Die einzige Lösung die den Leuten einfiel, war, den Pavian zu töten. Ich war so traurig, ich konnte drei Tage nichts essen."    
Jahre später besucht er während seines Biologiestudiums die Vorlesung eines bekannten Affenforschers.
"Und als ich in dem Vortrag Affen in freier Wildbahn sah… Ich war voller Emotionen. Wir haben nicht verstanden, was ein Affe braucht, was gut ist für einen nicht-humanen Primaten ist. Ich habe mich schuldig gefühlt, einen Affen meinen besten Freund genannt zu haben. In der Stadt, in meinem Zuhause. Er gehörte da einfach nicht hin. Und da habe ich beschlossen, mich für den Schutz der Affen einzusetzen." 
Heute ist Inza Koné einer der führenden Primatologen Afrikas. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit kleineren Affenarten, die nur noch an der Elfenbeinküste vorkommen - und mit dem Verhalten des einzigen Menschenaffen, der nicht vom Aussterben bedroht ist: dem Homo sapiens.
Das Cover des abgebildeten Buches zeigt das Portrait eines Affen und das eines Menschen. (Illustration)
Das Cover des abgebildeten Buches zeigt das Portrait eines Affen und das eines Menschen. (Illustration)
"Unter Mitprimaten – Ansichten eines Affenforschers"
Biologisch betrachtet, gehören wir Menschen gemeinsam mit Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang-Utans zu den Menschenaffen. Wir sollten sie deshalb nicht einsperren oder für Experimente missbrauchen, findet der Primatologe Volker Sommer.

Legenden und Traditionen

"Ich versuche zu verstehen, wie eine Dorfgemeinschaft ihre Umwelt wahrnimmt, insbesondere Affen und Menschenaffen."  
Unsere nächsten Verwandten sind an der Elfenbeinküste genau wie in vielen anderen Ländern in West-Afrika, Südamerika und Asien, Fleisch. Aber es gibt auch zahlreiche lokale Legenden und Traditionen, die einzelnen Affenarten einen besonderen Stellenwert geben.
"Das gilt zum Beispiel für den Geoffroy-Stummelaffen. Das Zehnte Kind einer Frau gilt in einer Gegend ganz im Osten der Elfenbeinküste als verflucht. Das bedeutet, es wird niemals eine wichtige Funktion im Dorf übernehmen können. Bei Treffen und Abstimmungen zählt seine Meinung nicht. Der Fluch kann nur aufgehoben werden durch eine Zeremonie, für die man den Kot dieses bestimmten, stark bedrohten Affen braucht."  
In vielen Dörfern gibt es Geschichten über Schimpansen, die einer Frau bei der Geburt geholfen haben; einen Verwundeten beschützt oder das ganze Dorf vor einem Angriff gerettet haben. Oft wird den Schimpansen für ihren Dienst der Status eines heiligen Tiers eingeräumt.
"Und dann gibt es auch Leute, die glauben, Affen wären Vorfahren des Menschen, die eines Tages von einem Zauberer verwandelt wurden. Und der Zauberer getötet, bevor er die Ahnen wieder zurückverwandeln konnte."
Das Wissen um lokale Traditionen versucht Inza Koné zu nutzen um die Bevölkerung für den Schutz bedrohter Arten zu gewinnen. Manchmal funktioniert das. Ein Patentrezept für den Artenschutz sind die kulturellen Verbindungen zu unseren nächsten Verwandten aber nicht.
"Es ist durchaus möglich, dass bei einem Stamm Campell-Meerkatzen als Abgesandte der Ahnen gesehen werden. Die heiligen Meerkatzen dürfen sie nicht jagen, Schimpansen aber schon. Bei einem anderen Stamm kann es genau umgekehrt sein. Wenn man kulturelle Bezüge für den Artenschutz nutzen möchte, muss man das verstehen. Wenn man alle Primate pauschal als "unsere nächsten Verwandten" schützen will, darf man die Jahrhunderte alte Kultur nicht vergessen. Das macht es sehr schwierig."

Buschfleisch

Jäger sind in vielen Dörfern und Kulturen hoch angesehen. Sie repräsentieren eine Tradition, die seit Generationen das Überleben gesichert hat. Und sie verdienen damit Geld.
"Buschfleisch ist die wichtigste Quelle für Proteine in den ländlichen Gebieten West-Afrikas. Und wenn man Modelle berechnet, die auf den derzeitigen Mengen gejagter Tiere basieren, dann sieht man sofort: Wenn nichts getan wird, um den Jagddruck zu verringern, dann werden einige Arten, auch Menschenaffen, in weniger als 10 Jahren ausgestorben sein. Und das ist eine Tatsache."
518 Primaten-Arten gibt es laut Weltnaturschutzunion (IUCN). Fast die Hälfte ist vom Aussterben bedroht. Schimpansen, Bonobos, Gorillas, Orang-Utans stehen ganz oben auf der Liste.
Die Bevölkerung ist in vielen Entwicklungsländern sprunghaft angestiegen. Der Lebensraum der Tiere wird immer kleiner. Die Zahl der Abnehmer für Buschfleisch immer größer. Die zunehmende Entwaldung erlaubt es den Jägern in Gebiete vorzudringen, die früher unerreichbar waren.
"Natürlich wissen die Menschen, dass die Jagd ihre ganze Umwelt verändert. Sie bemerken natürlich, dass man einige Tiere vor 10 Jahren noch ganz leicht finden konnte, jetzt aber kaum mehr zu Gesicht bekommt. Im Vergleich zu früher ist die Jagd viel schwieriger geworden. Aber ja, sie sehen keine Alternative. Weitermachen scheint ihnen die beste Option."
"Die Bedrohung zieht sich quer durch die Tierwelt"
In Deutschland ist die Zahl der Vogelarten und Insekten in den letzten drei Jahrzehnten dramatisch gesunken. Ein Trend, der sich auch weltweit fortsetzt. Einer der Gründe ist unser Konsum von Luxusgütern, berichtet Daniela Freyer, Wildtier-Expertin bei der Organisation Pro Wildlife.

Mensch und Artenschutz

Allein in der Elfenbeinküste wurden seit den 60er Jahren fast 70 Prozent der Waldfläche abgeholzt. Die Schimpansenpopulation ist im Vergleich zu 1970 um 90 Prozent geschrumpft. In anderen Ländern sieht es nicht besser aus.
Christophe Boesch: "Das Syndrom der leeren Wälder in Afrika ist leider bekannt. Es gibt viele Gebiete, die geschützt sind und die Bäume sind da, aber die Tiere sind alle weg, wurden alle raus gejagt. So Wilderei ist ein Problem für Naturschutz und ich meine, jetzt würde ich eigentlich direkt sagen: auch für die Menschen."
Wolfgang Dreßen: "Es geht nicht nur darum, dass ich sage, ich stelle ein gewisses Gebiet unter Schutz und da muss es ja schon funktionieren. Da müssen sich die Menschen, die dort leben, irgendwie anpassen. Entscheidend ist, den Menschen vor Ort, die heimische Bevölkerung mit einzubeziehen."
Inza Koné: "Sie wollen miteinbezogen werden. Sie wollen beim Erhalt ihrer Umwelt eine wichtige Rolle spielen. Aber sie wissen auch, dass sie dafür Hilfe brauchen. Ich denke, der Schlüssel liegt im Empowerment lokaler Gemeinschaften."
Ein Mensch und ein Orang-Utan Hand in Hand
Geht es auch zusammen? (dpa / picture alliance / MCT_/Landov / Tom Knudson)

Koexistenz

"Wenn das nicht passiert, wenn die lokale Bevölkerung nicht mitbedacht wird, dann wird es immer Konflikte zwischen Menschen und Tieren geben und das wird den großen Menschenaffen nicht dabei helfen zu überleben."
Gladys Kalema-Zikusoka ist die Gründerin der Nicht-Regierungsorganisation Conservation Through Public Health, die sich für den Schutz von Berggorillas einsetzt.
"Alles fing an, als ich die erste Freiland-Tierärztin der Naturschutz-Behörde Ugandas wurde…"
Zwei Jahre früher, 1992, haben erste Versuche begonnen, Geld durch Öko-Tourismus zu verdienen. Die Gorillas sind die Magneten für den Publikumsverkehr.
"Die Idee eine Tierärztin einzustellen kam damals daher, dass man sich Sorgen gemacht hat, die Gorillas könnten sich bei Touristen mit Krankheiten anstecken. Und dann wurden tatsächlich Tiere krank."
Die genetische Verwandtschaft bringt auch mit sich, dass Mensch und Menschenaffe anfällig für dieselben Krankheiten sind. Allerdings sind manche davon für die eine Art lediglich unangenehm, für die andere aber tödlich. Krätze zum Beispiel, ein Parasit der sich in die Hornschicht der Haut eingräbt
"Ein Babygorilla starb. Die anderen haben sich erst erholt, nachdem wir sie mit Ivermectin behandelt haben."
Gladys Kalema-Zikusoka hat zu dem Zeitpunkt ihr Amt gerade erst angetreten. Es ist 1994 und es gibt noch rund 600 Berggorillas. Die Hälfte davon lebt in dem Gebiet, für das sie verantwortlich ist. Das Überleben jedes einzelnen Tieres zählt. Dr. Gladys und ihre Helfer machen sich auf die Suche nach der Krankheitsursache und finden sie: Eine Vogelscheuche aus Kleidern von Dorfkindern. Die Gorillas hatten von dem Feld Früchte geklaut.
"Und da wurde mir klar, dass wir die Gorillas nicht schützen konnten, ohne uns um die Gesundheit der Menschen zu kümmern, mit denen die Gorillas sich einen Lebensraum teilen."
Der Gorilla-Tourismus schafft Einnahmequellen für viele der Landbewohner rund um das Schutzgebiet. Die Gesundheitsvorsorge hilft dabei, dass auch diejenigen, die nicht im Tourismus arbeiten, von den Gorillas profitieren.
"Am Anfang hielten die Leute Gorillas für gefährliche Bestien, denn wenn man einen Gorilla trifft, der keine Menschen gewöhnt ist, wird er angreifen. Aber dann haben sie gemerkt, dass Gorillas tatsächlich sehr sanfte Riesen sind. Die Menschen haben begonnen, die Tiere zu tolerieren. Und als sie dann feststellten, dass der Gorilla-Tourismus ihr Leben verbessert, haben sie sich auch nicht mehr darüber aufgeregt, dass sie den Wald nicht mehr betreten durften, um Bäume zu schlagen oder Feuerholz zu sammeln."
Ein Gorilla sitzt im Urwald zwischen grünen Pflanzen.
Ein Gorilla im Bwindi-Wald in Uganda, einem von zwei Lebensräumen, die den Berggorillas geblieben sind (imago / Westend61)

Die letzte Ehre

Berg-Gorillas sind die einzigen Menschenaffen, deren Bestände in den letzten Jahren nicht geschrumpft, sondern gewachsen sind. Von 600 Tieren auf über Tausend. Trotz der Nähe zum Menschen.
"Ruhondeza war der erste Silberrücken, dessen Trupp für den Tourismus in Uganda an Menschen gewöhnt wurde. Er wurde alt und wenn Gorillas alt werden und mit der Gruppe nicht mehr schritthalten können, werden sie zu Einzelgängern." 
Stabil ist die Population noch lange nicht. Aber weiter wachsen wird sie bald auch nicht mehr können. Wie fast überall ist das Land rund um ihre Schutzgebiete dicht besiedelt.
"Ruhondeza hat sich entschieden, auf dem Land der Gemeinde zu bleiben. Nach den vielen Jahren fühlte er sich dort offenbar sicher, und er konnte so vermeiden, im Wald mit den jüngeren Gorillas in Konflikt zu geraten. Es hatte keinen Sinn ihn zurück zu scheuchen. Er wäre sowieso immer wieder gekommen. Stattdessen haben wir die Leute in den Dörfern gebeten ihn in Ruhe zu lassen und es gelassen zu nehmen, wenn er gelegentlich aus ihren Gärten oder Feldern fressen würde."   
Wo keine Häuser stehen, liegen Felder, die den globalen Norden mit Kakao und Palmöl versorgen. Platz, der für unsere nächsten Verwandten nicht mehr da ist. 
"Und sie haben gesagt, wenn unsere Leute alt werden, dann sorgen wir für sie. Das gleiche wollten sie für Ruhondeza tun. Und als seine Zeit gekommen war und er starb, sind die Menschen aus den Dörfern gekommen, haben ihm die letzte Ehre erwiesen und sein Grab besucht."