Die Schimpansin Washoe wird oft als erstes nicht-menschliches Wesen bezeichnet, das mit einer menschlichen Sprache kommunizieren konnte. Berichte über sie sorgten ab den 1960er-Jahren für Aufsehen. Zwar hatte es Versuche, Schimpansen das Sprechen beizubringen, bereits in den Jahrzehnten zuvor in den USA gegeben. Der Erfolg war dabei allerdings sehr begrenzt geblieben, was auch mit anatomischen Unterschieden im Vokaltrakt von Mensch und Menschenaffen begründet wurde. Beim Verhaltensexperiment mit Washoe setzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der University of Nevada in Reno deshalb auf einen anderen Kommunikationskanal: Gebärdensprache.
Washoe, die als Jungtier in Westafrika gefangen und in die USA gebracht worden war, verbrachte die ersten Jahren ihres Lebens wie ein menschliches Kind. Bei allen Tätigkeiten – wickeln, ankleiden, essen, vorlesen oder spielen – verwendeten ihre Betreuer ausschließlich Gebärden. Den damaligen Berichten zufolge lernte Washoe so mit der Zeit Hunderte Zeichen und kombinierte diese auch spontan zu neuen Ausdrücken, zum Beispiel "Wasser, Vogel" für "Schwan" oder "öffnen, essen, trinken" für "Kühlschrank".
Den Kühlschrank nennt Washoe "öffnen, essen, trinken"
Die Hauptbezugsperson der jungen Schimpansin war Doktorand Roger Fouts, der ursprünglich als Psychologe mit Kindern arbeiten wollte. Zwischen ihm und Washoe entwickelte sich ein enges Verhältnis, das Fouts später als geschwisterlich bezeichnete.
In seinem Buch "Unsere nächsten Verwandten. Von Schimpansen lernen, was es heißt, ein Mensch zu sein" beschreibt er seine damaligen Eindrücke: "Ich kam mir vor, als hätte ich mit Washoe den Mond betreten. Jahrtausendelang hatten die Menschen in Mythen und Fabeln davon geträumt, mit Tieren zu sprechen, und jetzt wurde dieser Traum tatsächlich wahr." Später lernte auch Washoes Adoptivsohn Loulis Gebärden, indem er Washoe beobachtete. Deshalb gilt er einigen als erstes nicht-menschliches Wesen, das eine menschliche Sprache von einem anderen nicht-menschlichen Wesen gelernt hat.
Deep Science - Alle Folgen des Wissenschaftspodcasts
- Episode 1: Kommunikation zwischen Mensch und Tier | Mit Schimpansen sprechen
- Episode 2: Hirnforschung | Stierkampf mit Fernsteuerung
- Episode 3: Psychometrie | Dein Gesicht verrät deine politische Überzeugung
- Episode 4: Mischwesen | Kann man Mensch und Affe kreuzen?
- Episode 5: Solar Geoengineering | Verdunkeln wir doch die Sonne!
Der Traum, mit Tieren zu sprechen
Über Washoe wurden wissenschaftliche Studien publiziert und zahlreiche Zeitungsartikel geschrieben. Aber es gab auch Forscher, die die Sprachbegabung der Schimpansin anzweifelten und weitgehend für Imitation und Konditionierung hielten. Wie tief die kommunikativen Fähigkeiten von Washoe tatsächlich reichten, ist bis heute umstritten. Eines aber ist klar: Das Experiment hat den Blick auf die kognitiven Fähigkeiten von Tieren – insbesondere von Menschenaffen – revolutioniert. Laut dem renommierten Verhaltensbiologen Frans de Waal von der Emory University in Atlanta half es auch, den Weg für die moderne Kognitionsforschung zu ebnen. Zuvor seien bei Tieren Instinkte und mechanistische Aspekte des Lernens untersucht worden. Washoe dagegen wurde zur Botschafterin eines neuen Forschungsansatzes, bei dem die komplexen geistigen Fähigkeiten der Tiere im Vordergrund stehen.
"Anthropozentrisch und unethisch": Kritik am Experiment
Die konkrete Motivation hinter dem Washoe-Experiment hält de Waal allerdings für zweifelhaft. "Wir nehmen etwas, in dem wir wirklich gut sind, nämlich Sprache, werfen es den Menschenaffen hin und schauen, wie weit sie kommen." Laut dem Biologen verstellt dieser anthropozentrische Ansatz den Blick auf die artspezifischen Fähigkeiten, die für die Tiere in ihrem jeweiligen Umfeld sinnvoll sind. Dazu kommt die ethische Problematik: Ist es gerechtfertigt, ein Schimpansenbaby von seiner Mutter zu trennen und artfremd aufzuziehen – gerade vor dem Hintergrund der geistigen Fähigkeiten von Menschenaffen?
Roger Fouts: Vom Wissenschaftler zum Aktivisten
Auch Roger Fouts kommen im Laufe der Zeit Zweifel. Immer komplexer und tiefgründiger erscheint ihm Washoes Gefühlswelt. Gleichzeitig wird die Schimpansin immer älter und kräftiger. Irgendwann ist sie stärker als die Mitglieder ihrer menschlichen Familie. Sie muss in ein neues Gehege an der University of Oklahoma umziehen. Als sie dort erstmals auf andere Schimpansen trifft, bezeichnet sie die als "schmutzige schwarze Käfer". Fouts fühlt sich verantwortlich für Washoes Entfremdung von den eigenen Artgenossen. Über Jahrzehnte kümmert er sich aufopferungsvoll um die Schimpansin, ordnet seine eigene wissenschaftliche Karriere ihrem Wohlergehen unter und setzt sich zunehmend für den Schutz und die Rechte von Menschenaffen ein.
Der Podcast
Roger Fouts ist heute fast 80 Jahre alt. Im Podcast erzählen wir die Geschichte von Washoe mit Hilfe seines Sohnes Joshua. Er zeichnet das bewegte Leben seines Vaters und seiner "Tante" Washoe mit allen Höhen und Tiefen anhand persönlicher Erinnerungen nach. Der Verhaltensforscher Frans de Waal beschreibt, was passiert, wenn Tiere vermenschlicht werden, und warum es noch lange dauern wird, deren geistige Fähigkeiten tatsächlich in aller Fülle zu begreifen.