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Menschen haben "auch das Recht auf Nichtwissen"

Hubert Hüppe, zuständig für Medizin und Ethik in der Union, hält das deutsche Gendiagnostik-Gesetz für den richtigen Schritt. Vieles sei strafbar gemacht worden. Diskussionen auf europäischer Ebene, Krankheiten vorgeburtlich "auszumerzen", hält Hüppe unterdessen für "knallharte Eugenik".

Hubert Hüppe im Gespräch mit Jürgen Liminski | 24.04.2009
    Jürgen Liminski: Heute wird im Bundestag über das Gendiagnostik-Gesetz abgestimmt. Es handelt sich um ein Gesetz, das wie kaum ein anderes zuvor in die intimsten Bereiche des Menschen eindringt: in seine Gene. Da ist höchste Vorsicht geboten. Es geht um die Selbstbestimmung jedes einzelnen Menschen. Die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sagte dazu gestern hier im Deutschlandfunk:

    O-Ton Ulla Schmidt: Es ist ein guter Kompromiss, den wir jetzt gefunden haben, und ich glaube, es kommt darauf an, ein Gesetz endlich auf den Weg zu bringen, das den Menschen, den Einzelnen schützt, in seiner Persönlichkeit und auch in dem, was er durch die Eltern über seine Geburt mit an Dispositionen bringt. Ansonsten gehen wir in einen Weg, der Menschen diskriminiert wegen ihrer genetischen Disposition.

    Liminski: So weit die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt auf diesem Sender. – Was kann, was darf der Mensch nun testen? Welche Aussagekraft haben Gentests für die künftige Gesundheit? Welche Risiken sind mit den Tests verbunden? – Zu diesen Fragen begrüße ich den langjährigen Fachmann für Medizin und Ethik in der Unions-Fraktion, Hubert Hüppe. Guten Morgen, Herr Hüppe.

    Hubert Hüppe: Schönen guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Hüppe, in einer Stunde werden Sie im Bundestag sprechen und vermutlich wie die Ministerin für das Gesetz werben. Sind Sie damit so glücklich?

    Hüppe: Zunächst einmal bin ich natürlich glücklich, dass wir ein Gesetz haben, denn wir diskutieren seit Jahren über ein solches Gesetz. Schon 1998 wurde ein solches Gesetz angekündigt. Wir haben jetzt einen Zustand, in dem es keine gesetzlichen Regelungen zu genetischen Daten gibt. Deswegen bin ich damit erst mal zufrieden.
    Aber es ist, wie gerade schon von der Ministerin gesagt wurde, eben auch nur ein Kompromiss. Wir wären in manchen Dingen eben etwas weiter gerne gegangen. Wir hätten die Schutzstandards etwas höher anlegen wollen. Das ist uns nicht gelungen, aber das, was wir haben, ist sicherlich schon mal eine gute Grundlage.

    Liminski: Wenn es solche Lücken im Gesetz gibt, was bringt es dann überhaupt?

    Hüppe: Es bringt eine ganze Menge. Es bringt zum Beispiel den Schutz im Bereich von Versicherungen und auch gegenüber den Arbeitgebern. Wir haben zwar jetzt schon bei - zum Beispiel - den Lebensversicherungen, den privaten Versicherungen ein Übereinkommen gehabt, solche Tests nicht zu verwenden, aber die waren halt freiwillig. Wir haben gesagt, wir wollen, dass die Versicherungen, also zum Beispiel die Lebensversicherungen, aber auch die Arbeitgeber solche Tests nicht benutzen dürfen. Sie dürfen sie noch nicht mal verwenden, also nicht nur, dass sie sie nicht verlangen dürfen, sie dürfen sie auch nicht verwenden, sie dürfen sie noch nicht mal annehmen, weil wir damit auch sicherstellen wollen, dass die Vorzüge genetischer Tests, die es ja auch gibt, wirklich wahrgenommen werden und dass die Menschen nicht Angst haben, dass diese Tests zu ihrem Schaden sein könnten.

    Liminski: Wie kann denn der Bürger sicher sein, dass seine Daten tatsächlich nicht auf dem Tisch seines Arbeitgebers oder seiner Versicherung landen?

    Hüppe: Das haben wir auch strafrechtlich richtig abgesichert. Das ist tatsächlich richtig verboten. Ich glaube nicht, dass es jemand noch machen wird. Es war bisher ja auch ganz selten der Fall. Wir machen ja ein solches Gesetz auch für die Zukunft und ich denke, diese Daten werden immer wichtiger, sie werden auch immer häufiger festgestellt. Deswegen ist es auch wichtig, jetzt schon den Rechtsrahmen zu schaffen, nochmals, um auch Rechtssicherheit für die Menschen zu schaffen, nicht dass man meint, ich lasse mich lieber nicht testen, auch dann, wenn es sinnvoll wäre, weil ich Angst habe, es wird zu meinem Nachteil ausgenutzt.

    Liminski: Die Tests waren sicher selten, weil es auch technisch keine Möglichkeit gab, solche Tests durchzuführen. Das gibt es nun. Wie treffsicher und wie zuverlässig sind denn die Aussagen überhaupt von Gentests?

    Hüppe: Das ist natürlich sehr unterschiedlich. Es gibt natürlich ganz seltene Testergebnisse wie zum Beispiel das Testergebnis auf Chorea Huntington (im Deutschen "Veitstanz"). Das bedeutet, dass man tatsächlich sogar schon vorgeburtlich feststellen könnte, dass man nicht nur die hohe Wahrscheinlichkeit hat, sondern dass man irgendwann an dieser Krankheit erkranken wird, man weiß bloß nicht wann. Im Schnitt erkranken diese Menschen so um 40 Jahre im Erwachsenenalter, es gibt aber auch Fälle, wo es schon im Kindesalter festgestellt wurde, und es gibt auch Fälle, wo es erst in hohem Alter festgestellt wurde und die Krankheit erst dann ausbrach. Man muss sich dann also immer auch fragen: Macht das Sinn?
    Ein zweites ist: Alzheimer-Gentests zum Beispiel werden auch angeboten, aber sie geben nur eine höhere Wahrscheinlichkeit auf die Erkrankung an. Das heißt gar nicht, dass man deswegen erkrankt, und deswegen ist auch die Frage: Macht das überhaupt Sinn, diese vorausschauenden Tests zu machen, und deswegen wollen wir auch, dass die Menschen tatsächlich darüber wirklich auch informiert werden, wie sie mit solchen Tests umgehen sollen und ob sie die überhaupt wollen. Wir wollen also auch durch eine qualifizierte Beratung sicherstellen, dass man auch das Recht auf Nichtwissen hat.

    Liminski: Kann man als Bürger jeden Gentest ablehnen?

    Hüppe: Ja. Man kann im Grunde jeden Gentest ablehnen. Wir haben ganz, ganz wenige Ausnahmen, aber wir verspüren natürlich in einem ganz, ganz großen Bereich auch einen gesellschaftlichen Druck, und das war ein ganz sensibles Thema, wo Union und auch die sozialdemokratische Partei doch auseinander waren. Das ist nämlich der Bereich der pränatalen Diagnostik, also sozusagen der vorgeburtlichen Gentests. Das ist übrigens immer noch der häufigste Gentest, den wir haben. Wir rechnen damit, dass in jedem Jahr ungefähr über 100.000 solcher vorgeburtlicher Gentests gemacht werden, in denen man zum Beispiel das Fruchtwasser untersucht oder die sogenannten Chorionzotten.

    Liminski: Herr Hüppe, Sie sind auch der Behindertenbeauftragte der Unions-Fraktion, und in dieser Funktion plädieren Sie natürlich für das Gesetz. Andere Befürworter glauben, dass dadurch seltene Erbkrankheiten durch Selektion ausgemerzt werden könnten. Früher nannte man das Eugenik. Leistet dieses Gesetz Eugenik nicht Vorschub?

    Hüppe: Das betrifft ja vor allen Dingen eben vorgeburtliche Tests, und deswegen waren wir ja auch dafür, höhere Grenzen zu setzen. Ich persönlich hätte wahrscheinlich noch wesentlich höhere Grenzen gesetzt, weil ich in der Tat die Gefahr sehe, dass Menschen dadurch diskriminiert werden. Es gibt ja auch Urteile, zum Beispiel die sogenannten Kind-auf-Schaden-Urteile, wo ein Arzt deswegen zum Schadensersatz verurteilt wurde, weil er nicht auf alle Möglichkeiten der Pränataldiagnostik hingewiesen hat – nicht weil das Kind hätte behandelt werden können, sondern weil das Kind geboren worden ist. Die Existenz des Kindes war letztendlich die Schadensquelle, und das ist natürlich etwas, was ich so nicht akzeptieren kann, wo ich gerne weitergegangen wäre. Aber es ist uns in zähen Verhandlungen zumindest gelungen, dass Tests verboten werden oder zumindest für rechtswidrig erklärt werden, wo Erkrankungen festgestellt werden, die erst im Erwachsenenalter ausbrechen können, oder wo sogar nur eine Wahrscheinlichkeit da ist. Es wurde zwar argumentiert, das würde in der Praxis kaum eine Rolle spielen, aber Tatsache ist, dass diese Tests in Deutschland angeboten werden und was angeboten wird, wird sicherlich auch von irgendjemand in Anspruch genommen werden.

    Liminski: Hier ergeben sich nun zwei Fragen. Die erste ist: Sie sagen "als verboten erklärt". Wenn nun jemand trotzdem gegen das Gesetz verstößt, was passiert dann? Gibt es Sanktionen?

    Hüppe: Ja. Es gibt einige Regelungen, mit denen wir sehr strenge Sanktionen haben, auch strafrechtliche Sanktionen, zum Beispiel die Geschlechtsmitteilung, oder wenn man Haarfarbe vorgeburtlich zum Beispiel mitteilen würde. Das ist auch ein strafrechtliches Verbot. Und wir haben andere Dinge, die eben zwar verboten sind, aber nicht mit einer Sanktion sofort, also zumindest nicht im Gesetz, verbunden sind. Aber wir hoffen, dass da zum Beispiel auch das ärztliche Standesrecht funktioniert, denn was wir verboten haben, dürfte aus unserer Sicht dann ja auch nicht gemacht werden und auch schon gar nicht finanziert werden (zum Beispiel über die Krankenkassen). Wenn das nicht funktionieren sollte, dann müssen wir dieses Gesetz sicherlich noch mal auf den Prüfstand stellen. Ich möchte zum Beispiel nicht, dass das, was Sie an die Wand gemalt haben, wirklich Realität wird, dass es also zu einer Ausmerz-Politik kommt, wo es dann nicht darum geht, Krankheiten zu verhindern, sondern die Kranken zu verhindern.

    Liminski: Die zweite Frage, die sich daraus ergibt: die hohen Grenzen, die hohen Schranken, die Ihnen zum Teil eben vorschweben. Wenn wir zu viele Schranken aufbauen, kommt es dann nicht zu einem Gentest-Tourismus? Wie wollen Sie das verhindern?

    Hüppe: Dieses Argument kann man in allen bioethischen Fragen natürlich bringen. Dann müsste man danach gehen, wie ist der geringste Standard in der Welt und daran müssten wir uns orientieren. Nein, das kann es nicht sein. Wir müssen erst mal das regeln, was wir in Deutschland regeln können, und wir hoffen, dass natürlich auf europäischer Ebene die anderen Staaten da auch mitmachen. Es gibt natürlich Ausnahmen. Manche Länder machen ja auch schon Selektionen nach Geschlecht.

    Liminski: Aber Herr Hüppe, kommt über Europa nicht doch eine Harmonisierung und damit auch eine Nivellierung der Gen-Diagnostikgesetze?

    Hüppe: Ja. Das ist natürlich schon fatal, wenn jetzt gerade in Europa diskutiert wird, ob man nicht über Präimplantationsdiagnostik bestimmte Krankheiten wörtlich "ausmerzen" soll. Das ist natürlich schon eine harte Sprache und das wird ja gerade in diesen Tagen in Europa diskutiert und da müssen wir auch, denke ich, Widerstand leisten. Da habe ich aber auch zum Beispiel die Behindertenverbände auf meiner Seite. Wir müssen in solchen Dingen immer sehr, sehr wachsam sein, damit so etwas nicht passiert. So was kommt dann unter den Mantel der Fürsorglichkeit und der Gesundheit, ist dann aber wirklich in der Tat knallharte Eugenik. Ich will dies nicht und meine Fraktion will das auch nicht.

    Liminski: Die Chancen der genetischen Diagnostik richtig nutzen. Das war Hubert Hüppe (CDU), Fachmann seiner Fraktion für Medizin und Ethik. Besten Dank für das Gespräch, Herr Hüppe.

    Hüppe: Ich danke.