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Menschen werden "zum Spielball von wirtschaftlichen, politischen Interessen"

"Die Lage ist mehr als schwierig", sagt Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Die Entscheidung von General Motors, Opel nicht zu verkaufen, sei ein "wirklicher Tiefschlag". Dennoch will Lieberknecht die Überbrückungshilfe des Bundes investieren - solange es dem Erhalt der Arbeitsplätze dient.

Christine Lieberknecht im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Der Paukenschlag kam um 22:46 Uhr deutscher Zeit per Nachrichtenagentur. Der Verwaltungsrat von General Motors, so war dort zu lesen, habe in Detroit entschieden, die Konzerntochter Opel nun doch nicht zu verkaufen. Der Autozulieferer Magna kommt also nicht zum Zuge mit dem Konzept, Opel als eigenständige Firma mit einer GM-Minderheitsbeteiligung fortzuführen, und das, obwohl die Opel-Mitarbeiter dringend auf diese Lösung gedrängt hatten. Arbeiter am Opel-Werk Rüsselsheim reagierten heute Früh entrüstet:

    "Ich finde das gar nicht gut. Es geht so weiter wie seither wahrscheinlich."

    "Ich denke mir mal, es ist wie gesagt überraschend und wir warten mal ab, was da kommt, und die Kollegen, denke ich, fassen es nicht so auf, dass man sagt, man ist glücklich über die Entscheidung. Aber ob das letztendlich die Entscheidung ist, die Bestand hat? Für den Moment ja. Das nächste wird man sehen."

    "Die Wahl ist herum und das wird dann wahrscheinlich auch das Ergebnis sein, mit dem man vor der Wahl gespielt hat, dass man uns als politischen Spielball genommen hat."

    "Ich bin natürlich unheimlich enttäuscht, weil das war eine einmalige Gelegenheit, Opel global aufzustellen und Arbeitsplätze zu sichern."

    "Ich kann da nur sagen, dass in Amerika, in der Vorstandsetage von GM die größten Lügner sitzen, die bis jetzt überhaupt auf der Welt aufgekommen sind. Aber ich glaube, das hängt zusammen mit der Mentalität des amerikanischen Kapitalismus. Die haben damals schon mit den Indianern Verträge geschlossen und kurz danach haben sie sie gebrochen. Mehr sage ich dazu nicht."

    "Na ja, man bleibt in der Familie. Ist doch gut, oder?"

    "Sicher, ist natürlich bitter. Da kann man nur hoffen, dass GM genug Geld hat, Opel zu retten. Der Kredit muss auch zurückgezahlt werden. Jetzt wird es noch mehr Einsparungen geben. Gut finde ich das nicht. Da können wir nur hoffen."

    "Da wird das Frühstücksbrötchen nicht schmecken heute."

    Engels: Stimmen der Opel-Mitarbeiter im Werk Rüsselsheim. Nicht nur dort arbeiten viele Menschen bei Opel, die sich nicht die Sanierung im Rahmen von GM gewünscht hatten, sondern einen Neustart mit Magna. Auch in Eisenach in Thüringen steht ein Opel-Werk. 1.800 Mitarbeiter sind dort beschäftigt. Am Telefon ist die Ministerpräsidentin des Landes, Christine Lieberknecht von der CDU. Guten Morgen, Frau Lieberknecht.

    Christine Lieberknecht: Schönen guten Morgen!

    Engels: 1.800 Mitarbeiter in Eisenach. Wie sehen Sie die Entscheidung in der Nacht von GM, Opel nun doch in Eigenregie sanieren zu wollen?

    Lieberknecht: Ich sehe diese Entscheidung sehr, sehr kritisch und wir haben ja ein monatelanges Hoffen und Bangen der Beschäftigten von Opel in Eisenach, aber auch der ganzen politischen Akteure in Thüringen hinter uns und das war jetzt doch noch mal ein wirklicher Tiefschlag, mit dem wir so nicht mehr gerechnet hatten. Von daher gilt es jetzt, alles zu tun, um zunächst einmal auch unter den beteiligten Ländern sich erneut abzustimmen. Wir werden um acht Uhr eine Schaltkonferenz der beteiligten Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister haben und dann müssen wir gucken, was wir in dieser Situation noch tun können. Fest steht: es ist mehr als bitter und vor allen Dingen die Menschen, die sich eigentlich nur zum Spielball von wirtschaftlichen, politischen Interessen weit entfernter Konzernzentralen sehen, das ist schon ein Problem.

    Engels: Welche Vorschläge wollen Sie dann auf den Tisch legen, wenn Sie sich mit den Ländern nun ab acht Uhr abstimmen?

    Lieberknecht: Ich bitte da um Verständnis, dass ich neu im Amt bin, unserem Wirtschaftsminister beziehungsweise dem bisher im Amt befindlichen noch einmal das Wort gebe und mich vor allen Dingen auch bei den Kollegen einhöre und dann vor allen Dingen konzertiert mit den anderen vorgehen möchte.

    Engels: Wir haben es ja gerade auch in den Stimmen der Belegschaft in Rüsselsheim gehört, dass man dort auch fürchtet, vielleicht zum Opfer eines politischen Spielballs zu werden. Kann es sein, dass dieser Nichtverkauf doch schon absehbar war, man wollte es nur vor den anstehenden Wahlen nicht äußern?

    Lieberknecht: Da kann ich nur sagen, dass wir mit aller Überzeugung und aller Ehrlichkeit von Thüringen aus und auch was die anderen Länder betrifft uns da eingebracht haben, und ich finde auch, wir müssen alles tun, um wirklich Seite an Seite mit der Belegschaft, mit den Betriebsräten vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, und das haben wir von unserer Seite zu jedem Zeitpunkt getan und das ist auch wichtig, dass wir in einer solchen Situation auf jeden Fall auch mit Ehrlichkeit miteinander umgehen. Die Lage ist mehr als schwierig.

    Engels: Eisenach ist eines der modernsten Opel-Werke. Dennoch haben die Belegschaften dort auch Sorge vor der Schließung. Können Sie irgendetwas tun, um diese Sorge zu zerstreuen?

    Lieberknecht: Wir können nur wie bisher auch uns mit ganzem Einsatz dafür verwenden, dass wir Lösungen finden, um den Bestand zu garantieren. Das ist ja klar, dass es unsere Absicht ist und unser Streben auch im Interesse des Landes natürlich sein muss, aber wir haben es - ich sage es noch einmal - mit entfernten Konzernzentralen zu tun und sind da auch nur bedingt handlungsfähig.

    Engels: Wie steht es mit Geld? Der Bund will ja nun die Überbrückungshilfen beziehungsweise die Hilfen, die eigentlich Magna in Aussicht gestellt worden waren, zurückführen, zurück bekommen. Wollen Sie dieses Geld auch für Thüringen beziehungsweise für das Eisenacher Werk wieder investiert wissen?

    Lieberknecht: Dass dieses Geld zunächst zurückgezogen wird, das war ja auch verabredet, das war klar. Aber man muss natürlich sehen, wie wir auch mit Möglichkeiten, die wir als Land haben, die die Bundesregierung hat, gegebenenfalls in einer anderen Konstruktion, wenn es dem Erhalt des Werkes dient, wenn es dem Erhalt der Arbeitsplätze dient, entsprechend investieren. Das ist ja klar!

    Engels: Frau Lieberknecht, Sie wurden vergangene Woche zur Ministerpräsidentin gewählt. Dazu waren drei Wahlgänge nötig. Es waren nicht alle Stimmen des Regierungslagers in den ersten beiden Wahlgängen auf Ihrer Seite. Haben Sie sich mittlerweile von dem Schock erholt?

    Lieberknecht: Ich muss sagen, ich war ja sehr gefasst und habe auch zu meiner Antrittsrede bemerkt, nichts ist selbstverständlich. Es ist auch nicht so, dass ich da ganz ohne Ahnung gewesen wäre. Ich habe von Anfang an gesagt, nehmt diesen Freitag, diesen 30. Oktober, nur für die Wahl ins Amt der Ministerpräsidentin, das ist keine Formalie, das sind Wahlen und Wahlen können so oder so ausgehen. Man muss nur auf jede Situation vorbereitet sein und da sage ich, das war ich.

    Engels: Sie haben nun gestern Ihr Kabinett vorgestellt. Heute soll es vereidigt werden. Da waren ja einige Überraschungen dabei, einige Quereinsteiger, einige junge Kräfte. War das eine Entscheidung, die Sie auch getroffen haben, nachdem die Wahl nicht so glatt verlief?

    Lieberknecht: Ich denke, gerade diese schwierige Wahl am Freitag war ein zusätzlicher Ansporn, wirklich ein Kabinett zu präsentieren, das deutlich macht, wir erheben einen Anspruch, in Thüringen eine gute, eine interessante, eine professionelle Regierungsarbeit zu leisten, aber dass auch Deutschland ein wenig auf uns guckt, und ich denke, auch da haben wir Namen, um es einmal so zu sagen, die durchaus in Kernfeldern unserer Politik auch auf der nationalen Ebene agieren können.

    Engels: Der Juraprofessor Peter Huber wird Innenminister, der 33-jährige Christian Carius ist als Bauminister dabei. Ist das auch eine bewusste personelle Abgrenzung von der Ära Althaus?

    Lieberknecht: Ich habe gesagt, wir müssen eine gute Balance finden zwischen Kontinuität und Erneuerung, und es ist, denke ich, sehr gut, der jungen Generation eine Chance zu geben. Christian Carius, 33 Jahre alt, im besten Jugendalter, in einem Ressort, was unglaublich viel Zukunftschancen eröffnet, mit Demografie, mit Landesentwicklung, Bau, Verkehr, Infrastruktur. Ich denke, da kann sich die junge Generation beweisen. Peter Huber ist einer der einschlägigsten Staatswissenschaftler, Staatsrechtler, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, und von daher erhoffe ich mir gerade im Feld der Innenkompetenz, die ja eine der ganz wenigen materiell-rechtlichen Länderkompetenzen noch ist, die uns verblieben sind, auch im Rahmen der Innenministerkonferenz, auch bei den großen innenpolitischen Themen auf Bundesebene durchaus einen Thüringer Mitspieler.

    Engels: Wie kommen Sie denn mit Ihrem Vorgänger Dieter Althaus zurecht, der ja nach wie vor im Landtag sitzt?

    Lieberknecht: Ich bin sehr dankbar, dass Dieter Althaus nach wie vor im Landtag sitzt, dass er sein Mandat wahrnimmt. Auch gerade jetzt im Blick auf diese äußerst schwierige Situation bei Opel gab es heute Nacht - und da bin ich sehr dankbar - auch den Kontakt noch einmal von Dieter Althaus zur Bundeskanzlerin und dann wieder zu mir über den Wirtschaftsminister, so dass wir gemeinsam konzertiert mit Dieter Althaus, mit seinem Erfahrungswissen gerade versuchen, diese schwierige Situation zu meistern.

    Engels: Opel wird Ihre Regierungsarbeit in Thüringen prägen. Das scheint jetzt schon klar zu sein. Welches sind die anderen wichtigen Vorhaben?

    Lieberknecht: Wir müssen natürlich zunächst einmal den Landeshaushalt für das Jahr 2010 aufstellen und dann auch in intensiven Debatten parlamentarisch beraten. Das wird mehr als schwierig in einer Situation, die von Wirtschafts- und Finanzkrise geprägt ist, auch für den Freistaat Thüringen, obwohl wir noch vergleichsweise gut aufgestellt sind. Wir haben in der Koalition verabredet, dass wir einem jetzt wieder in Gang zu setzenden Volksbegehren parlamentarisch, denke ich, den Weg so öffnen, dass wir es umsetzen. Das betrifft die Betreuungssituation in den Kindergärten. Da wollen wir einiges tun, darüber sind wir uns aber auch einig. Wir müssen die Bereiche in der Innenpolitik und gerade mit einem Staatsrechtler wie Peter Huber anpacken, das ist der kommunale Finanzausgleich, das sind die Gebühren- und Abgabenordnungen in der Thüringer Kommunalordnung und anderes mehr.

    Engels: Bleiben wir noch kurz beim Stichwort Finanzen. Sie haben ja im Vorfeld bereits die Steuersenkungspläne der Bundesregierung kritisiert. Haben Sie irgendein Verständnis für den Kurs der Union auf Bundesebene?

    Lieberknecht: Ich habe natürlich Verständnis auf der einen Seite, das ist klar, und es ist auch gut, wenn wir zu vereinfachteren Steuersystemen in Deutschland kommen, auch zur Entlastung der Bürger. Wir wissen allerdings überhaupt noch nicht, wie die konkreten Pläne in Berlin aussehen werden. Wir haben aber auch - und da bitte ich um Verständnis - das, was in Berlin geschieht, zu prüfen an den Maßstäben unseres Landes, den Interessen auch des Thüringer Landeshaushaltes und dem, was Thüringen insgesamt im Saldo mehr oder weniger am Ende haben wird, und dass es da natürliche Bund-Länder-Konflikte gibt, da ist ja Thüringen keine Ausnahme. Es ist jedenfalls klar, dass wir uns im Zweifelsfalle für die Interessen des Landes auch als Landesregierung Thüringen entscheiden.

    Engels: Die Ministerpräsidentin des Landes Thüringen, Christine Lieberknecht (CDU). Vielen Dank für das Gespräch.

    Lieberknecht: Ja, bitte sehr.