Archiv


Menschenrechtler fordert höheren Stellenwert der Menschenrechte in der Politik

Remme: Herr Bielefeldt, man könnte jetzt sagen, Nepal, das ist weit weg, was geht uns das an? Holen Sie uns diesen Tag der Menschenrechte mal etwas näher.

    Bielefeldt: Ich finde eben nicht, dass Nepal weit weg ist. Wir haben es gerade gehört, deutsche Entwicklungspolitik ist auch in Nepal aktiv. Menschenrechtsverletzungen sind insofern also auch in einem Land wie Nepal ganz unmittelbar relevant für deutsches Handeln in der Entwicklungspolitik, in der Außenpolitik. Aber das ist ja nur ein Aspekt. Menschenrechte sind genauso wichtig in der Innenpolitik. Was in der deutschen Öffentlichkeit bislang wenig eine Rolle spielt, ist, dass die Menschenrechte, wie sie in der allgemeinen Erklärung am 10. Dezember 1948 verkündet worden sind, nicht nur die bürgerlichen und politischen, sondern auch wirtschaftliche und soziale Rechte enthalten. Das ist alles bislang in der Diskussion noch etwas unterbelichtet, und das sind Fragen, die uns ganz alltäglich angehen, die auch in Deutschland zum Beispiel in den Altenheimen, in Abschiebehaft, in der Polizei aber eben auch in der Außenpolitik, Sicherheitspolitik und Entwicklungspolitik relevant sind.

    Remme: Der internationale Tag der Menschenrechte, er wird jedes Jahr am 10. Dezember in Erinnerung gerufen. Was ist für Sie die wichtigste Botschaft im Jahr 2003?

    Bielefeldt: Wir müssen dranbleiben. Die Gefahr besteht, dass angesichts des derzeitigen Antiterrorkampfes, angesichts einer Dominanz von Sicherheitspolitik, und zwar einer etwas eng verstandenen Sicherheitspolitik, Menschenrechte ins Hintertreffen geraten. Wir reden zu wenig von Tschetschenien beispielsweise. Russland ist in den Headlines, natürlich jetzt die Wahlen, auch Kritik an den Wahlen, aber dass nach wie vor Krieg stattfindet, massive Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, ist viel zu wenig Thema. Wir müssen sozusagen dranbleiben. Wir müssen eine neue Offensive finden in der Menschenrechtspolitik, auch in der Menschenrechtsbildung, damit Menschenrechte eben ihren Stellenwert haben und behalten.

    Remme: Aber an Prominenz kann sich eigentlich das Thema nicht beklagen. Schließlich war ja das Stichwort Menschenrechte geradezu ein Grund für den Krieg im Irak.

    Bielefeldt: Na ja, das ist eine höchstproblematische Situation. Wir haben eigentlich im Grunde ein Paradox. Auf der einen Seite erleben wir aktuell, dass Menschenrechte durch die Dominanz der Sicherheitspolitik etwas in den Hintergrund zu geraten drohen. Auf der anderen Seite erleben wir, dass Menschenrechte relativ frei als Legitimationsgründe beschworen werden, auch für Interventionen wie im Irak, und da muss man sagen, da werden Menschenrechte in massiver Weise missbraucht, wenn sie sozusagen als Ersatzlegitimation herhalten müssen für einen Krieg, dessen Gründe niemand mehr ganz verstehen will. Dann werden sozusagen Menschenrechte als letztes Register auch noch herangezogen. Das ist ein schwerer Missbrauch der Menschenrechte, kein Beispiel für eine Menschenrechtspolitik.

    Remme: Gerade in den vergangenen Tagen wurde die deutsche Politik in Sachen Menschenrechte, die rot-grüne Regierungspolitik beklagt. Vom Rekordtief war da die Rede. Würden Sie sich diesem Vorwurf anschließen, sagen wir, im Vergleich zur Kohl-Regierung?

    Bielefeldt: Na ja, ich glaube nicht, dass solche Vergleiche sonderlich sinnvoll sind. Anlass für die scharfe Kritik waren ja bekanntlich die Äußerungen des Kanzlers in China, Aufhebung eines Waffenembargos, das verhängt worden ist von der EU anlässlich des Massakers auf dem Platz des himmlischen Friedens. Schröder hat sich dafür ausgesprochen, dass er sich einsetzen wird, dass dieses von der EU verhängte Waffenembargo aufgehoben wird. Das ist ja alles nicht ganz nachvollziehbar und steht in schreiendem Gegensatz zu den Menschenrechtsverletzungen, die in China tagtäglich stattfinden. Man denke nur an Massenhinrichtungen, zum Teil für Bagatelldelikte, an massive Repressionen gegen Menschen im Internet etwa, die für Meinungsfreiheit und Demokratie eintreten. Das passt alles nicht zusammen.

    Remme: Ist das die Rollenverteilung, die wir erleben? Gerade in China hatten wir ja eine wunderbare Parallele. Wenige Wochen zuvor war der Bundespräsident dort, hat eine viel gelobte Rede in Sachen Menschenrechte gehalten. Ist er für die "Sonntagsreden" zuständig, wenn es ums Geschäft geht, wird das schnell vergessen?

    Bielefeldt: Ich hoffe nicht, dass es vergessen wird. Ich fand die Rede des Bundespräsidenten klar und mutig und andrerseits auch sensibel. Er hat ja darauf verzichtet, den Zeigefinger zu erheben und westliche Überlegenheit zu demonstrieren, was der Sache auch gar nichts nützen würde. Es war eine gute Rede, und ich hoffe, dass sie eben nicht nur für am Tag der Rede selber dort wahrgenommen worden ist, sondern dass es auch ein Stück Glaubwürdigkeit verkörpert im Einsatz für Menschenrechte.

    Remme: Ein Aspekt klang eben in Ihrer Antwort schon an, es ist gestern eine neue Studie vorgestellt worden, der zu Folge das Wissen der Bundesbürger um die Menschenrechte, sagen wir, gering ausgebildet ist. Welche Auswirkungen hat das und wie sollte das verbessert werden?

    Bielefeldt: Die Studie hat ja sozusagen mehrere Ergebnisse. Auf der einen Seite werden Menschenrechte in Deutschland offenbar von der Bevölkerung für wichtig gehalten. Das ist ja positiv. Das muss man sozusagen aufgreifen. Das geht einher mit erstaunlich geringen Kenntnis bezogen auf Menschenrechte, und fast völlig raus fallen die wirtschaftlichen und die sozialen Menschenrechte. Auch das praktische Engagement der Menschen ist, na ja, nicht so gering, dass es sozusagen Schritt halten würde mit dem, was man eigentlich als wichtig erklärt, nämlich dass Menschenrechte weltweit durchgesetzt werden müssen. Also die Auswirkungen sind, das positive Bild, das Menschenrechte eigentlich haben, die Bereitschaft, Menschenrechte für wichtig zu erachten, zu nutzen, zu zeigen, dass man auch tatsächlich etwas leisten kann, und das setzt natürlich bessere Kenntnisse von Menschenrechten voraus. Das gehört nicht nur in die Schulen, sondern das gehört auch in Programme der beruflichen Weiterbildung, und da haben wir im Deutschen Institut für Menschenrechte sozusagen einiges in der Planung, auch sozusagen derzeit schon in aktuellen Projekten.

    Remme: Kommen wir zum Schluss noch auf einen positiven Aspekt, und ich hoffe, es gibt welche. Wo gibt es Beispiele, wo Sie sagen, ja, da hat sich in den letzten Jahren etwas verbessert getan?

    Bielefeldt: Na ja, so paradox es klingen mag, ich persönlich interessiere mich sehr stark schon seit längerem für Iran. Iran ist nun ein Land, das ganz gewiss nicht als Vorzeigemodell herhalten kann für eine Demokratisierung, aber es kann eins deutlich machen: Es gibt eine starke Sehnsucht in der Bevölkerung selber nach Menschenrechten, nach Freiheit, auch nach mehr kulturellen Ausdrucksmöglichkeiten, Gleichberechtigung der Frauen, auch Rechte von Kindern. Es ist eine starke Sehnsucht in der Bevölkerung, und zwar in einer Bevölkerung, die dieser Sehnsucht auch Ausdruck verleiht, zum Teil in Akten des alltäglichen zivilen Ungehorsams dadurch, dass Frauen Plätze besetzen, Fußballstadien etwa, zu denen nach Maßgabe der religiösen Führer nicht hineingehören. Das zeigt, Menschenrechte sind nicht nur ein akademisches Thema, sondern ein Thema, das in der Bevölkerung selber verankert sein muss. Im Iran ist das im hohen Maße der Fall. Man kann nur hoffen, dass der Reformbewegung, die sehr breit in der Bevölkerung verankert ist, auch endlich der wirkliche Durchbruch gelingt.

    Remme: Und noch kurz: Er wird heute ja prominent vertreten sein durch die Verleihung des Friedensnobelpreises an Frau Ebadi. Mehr als eine Geste?


    Bielefeldt: Das ist wunderbar. Ich habe mich sehr gefreut, als das bekannt geworden ist. Frau Ebadi steht eben genau für diese Reformbewegung, der im Augenblick der Wind ja ins Gesicht bläst. Dass sie jetzt öffentlich gewürdigt wird, eine Menschenrechtsverteidigerin, die in einem so schwierigen Land wie Iran Leib und Leben riskiert, um politische Verbrechen auch des Geheimdienstes aufzudecken, ist einfach eine wunderbare Entscheidung, die, glaube ich, neue Impulse geben wird für dringend notwendige Reformen. Die Bereitschaft ist ja da. Es gilt die Blockaden aufzubrechen.

    Remme: Vielen Dank für das Gespräch.
    Schirin Ebadi, iranische Menschenrechtsaktivistin
    Schirin Ebadi, iranische Menschenrechtsaktivistin (AP)