Dienstag, 16. April 2024

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Menschenrechtsbeauftragter: Lage in jordanischen Flüchtlingslagern ist erschütternd

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, hat die Situation in den jordanischen Flüchtlingslagern an der syrischen Grenze als erschütternd bezeichnet. Die Menschen würden zwar mit dem Nötigsten wie Wasser und Lebensmitteln versorgt, sagte der FDP-Politiker. Dennoch mangele es an vielem. Jordanien habe bereits rund 150.000 Flüchtlinge aufgenommen.

Markus Löning im Gespräch mit Jürgen Liminski | 02.08.2012
    Jürgen Liminski: Krieg ist immer eine Niederlage der Menschheit, meinte der 2005 verstorbene Papst Johannes Paul der Zweite mit Blick auf den Irakkrieg. Wie viel mehr gilt das Wort in Bruder- oder Bürgerkriegen wie jetzt in Syrien? Die Niederlage ist besonders deutlich zu sehen in Flüchtlingslagern an der syrisch-türkischen Grenze, aber auch im Grenzgebiet zu Libanon und Jordanien. Dort, genauer in Beirut, ist jetzt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, FDP. Und bevor er wieder in ein Lager aufbricht, wollen wir über seine Eindrücke mit ihm sprechen. Zunächst mal guten Morgen, Herr Löning!

    Markus Löning: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Löning, wie sieht es in den Lagern aus?

    Löning: Ich bin in den letzten zwei Tagen in Jordanien gewesen und habe mir dort verschiedene Lager angeschaut und ein Krankenhaus angeschaut, wo Verletzte versorgt werden. Das ist immer erschütternd, solche Flüchtlingslager zu besuchen, weil die Leute natürlich erstens eine teilweise lange Reise hinter sich haben, eine erschöpfende Reise, illegal über die Grenze gegangen sind. Manche sind auch beschossen worden, die syrischen Grenztruppen beschießen offensichtlich Flüchtlinge ab und zu. Die haben alles verloren und sitzen dann in der Wüste. Es ist sandig, es ist sehr heiß, sie sitzen dort in Zelten. Sie sind versorgt mit dem Nötigsten. Also Wasser gibt es, es gibt was zu essen, es gibt Decken und Matratzen, aber eben sonst nichts. Und es ist schon erschütternd zu sehen, wie die Leute dort sind. Es sind vor allem Frauen und Kinder, die dort sitzen und weinen, wenn Sie mit ihnen sprechen und sie fragen, wie es ihnen geht und was mit ihrer Familie ist.

    Liminski: Wer kümmert sich um die Flüchtlinge?

    Löning: Das ist das UN-Flüchtlingshilfswerk, das ist das UN-Kinderhilfswerk, das ist das UN-Welternährungsprogramm im Wesentlichen, die das machen. Es gibt eine große jordanische Nichtregierungsorganisation, die den Aufbau des Lagers leitet, aber es sind im Wesentlichen die großen UN-Organisationen, die das können, die das auch sehr gut machen, aber die eben innerhalb von wenigen Tagen jetzt dieses Lager aus dem Sand stampfen mussten. Sehr hilfreich dabei ist im Übrigen das Technische Hilfswerk, unverzichtbar, das sagen immer wieder die UN-Organisationen, wie es die Ingenieure des Technischen Hilfswerkes schaffen, in wenigen Tagen wirklich eine Wasserversorgung auf die Beine zu stellen.

    Liminski: Können auch NGOs, private Hilfswerke ungehindert arbeiten dort?

    Löning: In den Lagern, die ich gesehen habe, sind das vor allem eben die großen UN-Hilfswerke gewesen. Bis jetzt habe ich kaum NGOs, andere NGOs gesehen. Ich habe eine medizinische NGO gesehen, das war eine, die sich um verletzte Flüchtlinge kümmerte, eine große weltweite NGO, die dort arbeitete, wo vor allem syrische Ärzte und syrische Krankenschwestern, die eben freiwillig dann sich dort nach ihrer Flucht eingefunden haben und gesagt haben, wir kümmern uns um die Leute, die eben Schusswunden haben im Wesentlichen, die Brüche haben und Ähnliches. Aber ansonsten habe ich bis jetzt dort wenig NGOs gesehen.

    Liminski: Wollen die Menschen wieder zurück? Oft entwickeln sich solche Lager ja zu Dauereinrichtungen, gerade im Nahen Osten.

    Löning: Nun, dieses Lager steht ja erst seit ein paar Tagen. Selbstverständlich, jeder möchte zurück. Mir hat eine alte Frau sehr herzzerreißend geschildert, wie sie eben ihr Haus hinter sich lassen musste, wie sie ihren Garten hinter sich lassen musste. Sie sagte, meine Tomaten und meine Gurken musste ich dort lassen, und jetzt sitze ich hier in der Wüste und habe nichts. Also ich glaube, zurück will jeder, das ist ein ganz selbstverständlicher menschlicher Impuls, aber ob sie zurück können, das muss man eben sehen. Es sieht im Moment nicht danach aus, und die jordanische Seite befürchtet eben auch sehr stark, dass in dem Moment, wo Assad weg ist, wo er fällt, dass dann ein echter interner Bruderkrieg losgeht, und das wäre ein wahrer Albtraum.

    Liminski: Sie haben auch mit Regierungsstellen gesprochen - wie schätzt man denn in Amman die Lage auch gerade für die Flüchtlinge im Nachbarland Syrien ein?

    Löning: Die Jordanier haben in der Größenordnung 150.000 Flüchtlinge aufgenommen, und die meisten von denen sind eben in Familien untergekommen, in den Häusern untergekommen. Das muss man sich einfach mal vorstellen. Das wäre, als würde Deutschland ungefähr anderthalb Millionen Flüchtlinge aufnehmen, wenn man die Größen mal ins Verhältnis setzt, also eine enorme Leistung der Jordanier, die sie dort vollbracht haben in den letzten Monaten. Sie haben sehr, sehr große Sorgen, insbesondere dass die Situation eben weiter eskaliert. Sie haben sehr große Angst davor, dass in dem Moment, wo Assad dann weg ist, dann die Gruppen untereinander anfangen, es Verteilungskämpfe oder dass es Racheaktionen gibt und dass dann noch mal eine richtig große Flüchtlingswelle kommt. Also man merkt, dass sie mit großer, großer Sorge in ihr Nachbarland schauen.

    Liminski: Wird Deutschland sich stärker humanitär engagieren?

    Löning: Nun, wir machen zwei Dinge, zum einen natürlich ein sehr starkes politisches Engagement, um zu versuchen, den Konflikt zu beenden, zu begrenzen. Er darf auf keinen Fall auf die Nachbarländer übergreifen, aber er muss natürlich auch in Syrien so schnell wie möglich beendet werden. Das ist also das politische Element, was wir machen auf UN-Ebene, aber auch mit den Nachbarstaaten. Und ansonsten haben wir seit Monaten schon ein deutliches humanitäres Engagement. Wir haben dem internationalen Roten Kreuz, dem syrischen Roten Halbmond Geld gegeben zur Unterstützung seiner Arbeit in Syrien. Aber wir unterstützen natürlich auch die Arbeit mit Flüchtlingen, Versorgung der Flüchtlinge im Libanon und in Jordanien. Es ist sehr wichtig, dass wir diesen doch kleinen und nicht besonders reichen Ländern helfen, damit sie nicht instabil werden, damit nicht hier der Konflikt auch übergreift auf diese Länder. Und es ist natürlich auch eine Frage der Menschlichkeit, dass wir dort helfen. Bisher hat die Bundesregierung in einer Größenordnung von elf Millionen Euro dafür gegeben.

    Liminski: Gibt es unter den Flüchtlingen besondere Erwartungen an Deutschland, an Europa, oder sind die Menschen völlig apathisch?

    Löning: Von den Flüchtlingen direkt kommt wenig. Das richtet sich nicht spezifisch an Europa oder an Deutschland. Allerdings kam von den Jordaniern schon sehr deutlich das Signal: Wir brauchen jetzt die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, das schaffen wir nicht mehr alleine. Neben der Angst vor der Situation beim Nachbarn ist es einfach so, dass die auch wirtschaftlich überfordert sind inzwischen mit der großen Anzahl an Flüchtlingen, die sie dort versorgen müssen.

    Liminski: Die Lage der Flüchtlinge an der syrisch-jordanischen Grenze ist dramatisch und könnte noch schlimmer werden. Das war hier im Deutschlandfunk der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, FDP. Besten Dank für das Gespräch, Herr Löning!

    Löning: Vielen Dank auch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.