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Menschenrechtsexperte: Nicht nur Exzesse Einzelner

Birke: Wir sind nun verbunden mit Heiner Bielefeld, er ist der Leiter des deutschen Instituts für Menschenrechte. Schönen guten Morgen.

Moderation: Burkhard Birke |
    Bielefeld: Guten Morgen, Herr Birke.

    Birke: Herr Bielefeld, Ihr Institut hat sich ja intensiv mit Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Antiterrorkampf befasst. Ist denn der Respekt vor den Menschenrechten, der Würde des Menschen buchstäblich unter die Räder des Antiterrorkampfes geraten oder steckt dahinter Systematik?

    Bielefeld: Es wäre sicher viel zu kurz gegriffen, wollte man behaupten, dass es sich hier lediglich um Exzesse Einzelner handelt. Das ist ja die Rhetorik der Bush-Administration, zu sagen, vor Ort sind einige frustrierte Soldaten dann über das Ziel hinausgeschossen und haben Taten begangen, für die letzten Endes politisch keine Verantwortung übernommen wird. Das ist zu kurz. Selbst die Berichte, die vom amerikanischen Militär selbst direkt durchgeführt worden sind, zeigen, dass es strukturelle Probleme gibt, zum Beispiel völlig fehlerhafte Ausbildung, denn das Outsourcing von Verhörpraktiken an Private, sozusagen an Söldner, die überhaupt nicht eingebunden sind in die Strukturen der Befehlshierarchie, dann schließlich natürlich, und das ist sozusagen die politische Dimension, ein Klima der Verachtung des Rechts, der Verachtung des humanitären Völkerrechtes und der Menschenrechte. Das ist geschürt worden von ganz oben, von Rumsfeld, aber auch von George Bush direkt. Es wird sozusagen deutlich in einigen Memoranden, die auch bekannt sind, in denen Juristen meinen oder die Meinung zum Ausdruck bringen, dass der US-amerikanische Präsident selbst von dem internationalen Folterverbot in Notstandsfällen dispensieren könnte. Das ist so eindeutig gegen jedes internationale Recht, dass man sich wirklich nur noch wundern kann. Hier sind also von ganz oben auch bestimmte Signale gegeben worden und insofern besteht ein politischer Zusammenhang über die Einzelfälle weit hinaus.

    Birke: Signale, aber wohl keine direkten Befehle, jedenfalls ist das das Ergebnis des früheren US-Verteidigungsminister James Schlesingers in seinem Bericht. Herr Bielefeld, also James Schlesinger geht ja auch hart ins Gericht und sagt, dass auch in den oberen Kommandostrukturen hier Versäumnisse vorliegen. Wie weit würden Sie gehen, sollte Donald Rumsfeld zurücktreten?

    Bielefeld: Wie weit jetzt sozusagen über die politische Verantwortung hinaus auch strafrechtliche Verantwortung besteht, das wird ja noch zu klären sein. Bislang gibt es Prozesse nur gegen einzelne Soldaten, nicht gegen Offiziere, die sind zwar disziplinarrechtlich belangt worden, nicht aber strafrechtlich. Die politische Verantwortung ist ja noch nicht wirklich übernommen worden, durch ganz halbherzige Entschuldigungen, ein kleines "sorry, sorry, sorry" hinaus. Ich denke schon, dass es eigentlich ein Ausdruck der politischen Kultur wäre, wenn auch von ganz oben, sprich von Rumsfeld die Verantwortung in Gestalt eines Rücktritts übernommen werden würde.

    Birke: Herr Bielefeld, James Schlesinger spricht von 300 Fällen, welche Informationen haben Sie und woher bekommen Sie Ihre Informationen?

    Bielefeld: Wir als deutsches Institut für Menschenrechte, wir sind ein kleines Institut, können nicht selber vor Ort Recherche durchführen, aber wir können natürlich die Quellen nutzen, die mittlerweile auch allgemein verfügbar sind. Das sind die Quellen von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch, Amnesty International, die bereits vor weit über einem Jahr, bereits im Frühjahr 2003 erste Indizien gefunden haben, auch Anfragen gestellt haben an die Bush-Administration, das sind öffentlich zugängliche Quellen, mittlerweile gibt es eben auch Berichte des Militärs selber, wo solche Defizite aufgeführt werden. Die quantitative Dimension ist ja nicht wirklich erfassbar bislang, aber man kann natürlich ganz fest davon ausgehen, dass die einzelnen Fälle, die bislang intensiv berichtet worden sind, nur die winzig kleine Spitze eines riesen großen Eisbergs sind.

    Birke: Wie lässt sich denn ein einfach nur hartes Verhör von Folter unterscheiden?

    Bielefeld: Es gibt Definitionen, und zwar erst einmal die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen enthält eine Definition dessen, was Folter ist und der Ausschuss, der beauftragt worden ist von den Vereinten Nationen, diese Konvention mit Leben zu füllen, Berichte zu prüfen, hat das weiter spezifiziert, weiter interpretiert. Demnach würden viele der Praktiken, die wir beobachtet haben, eindeutig unter den Begriff der Folter fallen, etwa die Einschüchterung von Menschen durch Hunde ohne Maulkorb direkt. Das sind ganz klar Fälle von Folter, auch das Anketten, wenn Menschen gezwungen werden, stundenlang in unbequemen, schmerzhaften Stellungen auszuharren, wenn sie Tag und Nacht beschallt werden, gedemütigt werden ganz systematisch, das sind zweifellos Folterpraktiken.

    Birke: Herr Bielefeld, eine letzte Frage mit Bitte um eine ganz kurze Antwort. Nun existiert ja die Genfer Konvention zum Schutze der Menschenrechte. Welche Handhabe haben wir denn überhaupt, die Durchsetzung dieser Bestimmungen durchzusetzen?

    Bielefeld: Es gibt natürlich immer noch zu wenig Durchsetzungsmechanismen, aber ganz wichtig ist eine interessierte, kritische Öffentlichkeit. Man kann da nur hoffen, dass es gerade in den Vereinigten Staaten immer mehr Menschen gibt, die selber auch landesintern diese Öffentlichkeit herstellen. Ohne öffentlichen Druck, ohne demokratischen Druck können die bestehenden Mechanismen sicher nicht wirklich greifen.

    Birke: Heiner Bielefeld war das, der Leiter des deutschen Instituts für Menschenrechte. Vielen Dank, auf Wiederhören.

    Bielefeld: Danke schön, Herr Birke.