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Menschliche Hörbücher

80.000 Vorleser sind heute in ganz Deutschland unterwegs: Politiker, Prominente und Menschen, denen Bücher am Herzen liegen. Sogar im ICE liest ein Münchener Zugbegleiter vor. So sollen mehr Eltern zum Vorlesen animiert werden.

Von Axel Schröder | 15.11.2013
    Dreißig Kindergartenkinder scharen sich um Klaus Farr. Sitzen in der Leseecke der Bücherhalle am Osdorfer Born. Ein Hochhausviertel am Hamburger Stadtrand. Die Hamburger Bücherhallen nehmen – natürlich – teil am bundesweiten Vorlesetag. Und Mitarbeiter Klaus Farr hat sich seine Lieblingskindergeschichte ausgesucht: "Baby Dronte" von Peter Schlössow. Ein Hamburger Bilderbuch:

    "Der Fluss, auf dem diese Schiffe dort fahren, ist die Elbe. Kennt ihr die Elbe? – Jaaa! – Wart ihr schon mal an der Elbe? – Jaaa! – Das ist toll!"

    Die Kinder sind gebannt. Vielleicht auch deshalb, weil Farr sie genau da abholt, wo sie gerade sind. Die jüngsten Zuhörer sind gerade mal drei, die ältesten sechs Jahre alt. Farr liest den Text nicht Wort für Wort, sondern erzählt sie, erklärt nebenbei, was denn überhaupt eine Werft ist, wie riesige Schiffe von kleinen Schleppern zum Liegeplatz gebracht werden. Ein Diaprojektor wirft die Bilder aus dem Buch auf eine Leinwand.

    "Zum Glück schaffen die drei es gerade noch so ans Ufer und sie sind gerettet!"

    80.000 Vorleser sind heute in ganz Deutschland unterwegs. Politiker und Prominente und Menschen, denen Bücher am Herzen liegen. Gregor Gysi, Anne Will, Jette Joop oder Volker Bouffier sind dabei. Und sogar auf der Schiene, im ICE wird vorgelesen, von einem Münchner Zugbegleiter. Der bundesweite Aktionstag will noch mehr Eltern für das Vorlesen gewinnen als in der Vergangenheit. Die jüngste Vorlesestudie vom Oktober 2013 konstatiert zwar, dass heute sechs Prozent mehr Eltern als noch 2007 mit ihren Kindern in Büchern schmökern. 30 Prozent gaben aber auch an, dies selten oder nie zu tun. Der Anteil gering qualifizierter Eltern ist in dieser Gruppe besonders groß. Und ihr Anteil an der Wohnbevölkerung in Hamburg-Osdorf ist hoch, weiß Klaus Farr, der das letzte Dia vorführt, das gute Ende der Geschichte vom kleinen Vogel-Baby verkündet:

    "Und nun wissen sie: Alles ist gut. Und Baby ist zuhause angekommen. Und damit ist die Geschichte zu Ende."

    Den bundesweiten Vorlesetag hält Farr für eine gelungene Veranstaltung. Und nicht nur für einen Tropfen auf dem heißen Stein:

    "Wenn man alle Veranstaltungen zusammennimmt, dann ist es schon rein bisschen mehr als ein Tropfen. Es kann natürlich immer noch mehr gemacht werden, das ist keine Frage. Aber die Kapazitäten sind natürlich auch begrenzt."

    Trotzdem ist er froh, dass die Bücherhalle am Osdorfer Born nicht den Sparplänen der letzen Jahre zum Opfer gefallen ist. Von einst über 50 sind heute nur noch 30 Standorte erhalten. Kinder und Jugendliche an Gedrucktes heranzuführen, sei, so Farr, gerade in den ärmeren Vierteln dringend notwendig. In vielen Haushalten gibt es nicht ein einziges Buch, erzählt er.

    Deshalb bietet die Bücherhalle auch mehr als nur einen einzigen Vorlesetag. Dazu kommen Kurse für die Leseförderung oder kleine Runden, in denen bei Kaffee und Kuchen Englisch gelernt und gesprochen wird. Denn ein Lesetag allein hilft am Osdorfer Born nicht weiter.