Kapérn: Bischof Huber, was bedeuten die Nachrichten aus den USA über das erstmalige Klonen von Embryonen für die Diskussion, die Sie heute zu führen haben?
Huber: Zunächst muss man erschrecken darüber, dass Forscher auch im Blick auf das menschliche Leben alle Möglichkeiten, über die sie technisch verfügen, auszuloten und auszunutzen versuchen, wobei man ja sagen muss, in diesem amerikanischen Fall ist der Versuch gescheitert. Entwicklungsfähig war das Leben nicht. Aber wenn es entwicklungsfähig gewesen wäre, dann geben diese Forscher selber zu, dass sie damit reproduktives Klonen genauso hätten einleiten können wie therapeutisches Klonen, denn vom technischen Ablauf her ist das identisch. Das unterstreicht, wie notwendig es ist, sowohl durch eine öffentliche Diskussion als auch durch die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen wirklich Grenzen zu setzen. Und es ist nicht forschungsfeindlich, wenn man sich um solche Grenzen bemüht. Das ist nicht ein neuer Fall Galilei, wenn man sagt, im Umgang mit menschlichem Leben muss auch die Forschung die Grenzen respektieren, die mit der Würde des menschlichen Lebens und der menschlichen Person zusammenhängen. Das ist das, was man lernen kann. Man darf nicht nach meiner Überzeugung den Forschern in Deutschland dasselbe unterstellen, was jetzt in Amerika stattgefunden hat. Da würde man übers Ziel hinausschießen. So schwierig die Frage der Forschung mit embryonalen Stammzellen ist, sie ist nicht identisch mit dem amerikanischen Vorgang, der diese Woche bekannt geworden ist, übrigens nicht ganz überraschend.
Kapérn: Aber zeigen denn nicht die Nachrichten aus den USA auch, dass, um es salopp zu formulieren, der Zug, über den Sie diskutieren, jedenfalls über bestimmte Bestandteile dieses Zuges, eigentlich längst abgefahren ist?
Huber: Das ist nur dann richtig, wenn man überhaupt bestreitet, dass es möglich sei, dass Menschen zwischen dem unterscheiden was sie tun können und was sie tun dürfen. Wenn man einen solchen Fatalismus hat, dann ist dieses Bild vom Zug richtig. Wenn man dagegen ein Bild von Menschen hat, die verantwortlich handeln auch im Bereich der Wissenschaft, wenn man eine Vorstellung davon hat, dass das Recht wirklich Grenzen setzen kann, dann unterstreichen diese Vorgänge die Dringlichkeit des Handelns und belegen nicht einen Fatalismus der sagt, ist eh alles Wurst.
Kapérn: Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft - und damit zu dem Thema, das Sie heute besonders beschäftigen wird -, Hubert Markl, hat gesagt, der Import von embryonalen Stammzellen verletzt keine rechtliche und keine ethische Norm. Sehen Sie das auch so?
Huber: Nein, das sehe ich nicht so. Dann wäre ja unverständlich, dass wir mit solcher Leidenschaft darüber streiten, wenn das eindeutig wäre. Ich respektiere die Meinung von Hubert Markl, wenn ich auch manche seiner Begründungen eigenwillig finde, aber er ist ein wichtiger Gesprächspartner in diesem Thema. Er repräsentiert aber nur eine Stimme, eine Stimme, die ganz und gar von den Interessen und den Perspektiven der Forscher und ihrer Forschungsfreiheit ausgeht. Genauso wichtig aber muss man nehmen, dass dem menschlichen Leben von allem Anfang an Schutz gebührt. Dabei gilt: dort wo wir menschliche Embryonen in-vitro, im Labor erzeugen, haben wir auch entsprechend weitergespannte Schutzpflichten, weil wir dieses Leben von allem Anfang an in der Hand haben. Da gilt auch von allem Anfang an, dass menschliches Leben niemals nur als Mittel zum Zweck verwendet werden darf, sondern immer zugleich ein Zweck in sich selbst ist, weil es von allem Anfang an an der Würde teil hat, die dem Menschen zukommt. Das ist eine Position, die in der gegenwärtigen Debatte genauso respektiert werden muss wie die von der Forschungsfreiheit ausgehende Position.
Kapérn: Selbst Peter Hintze, der ehemalige Generalsekretär der CDU, sieht das anders. Er hat gesagt, die Heilungschancen für die Menschheit müssen Vorrang haben vor dem Schutz für eine im Reagenzglas befruchtete Eizelle.
Huber: Wir wissen im Augenblick überhaupt nicht, welche Heilungschancen sich daraus ergeben. Wir wissen nicht, ob diese Heilungschancen größer sind als diejenigen, die sich aus weiteren Forschungen mit adulten, also mit erwachsenen Stammzellen oder mit Stammzellen aus der Nabelschnur ergeben. Insofern kann aus den Heilungschancen jetzt keine ethische Folgerung abgeleitet werden. Man muss sich auch klar machen, wenn man die Möglichkeit künftiger Entwicklungen zum Maßstab solcher Entscheidungen machen würde, dann könnte man im Prinzip alles legitimieren, indem man sagt, es ergeben sich doch Heilungschancen daraus. So ernst ich die Hoffnung auf Heilung nehme, so unumgänglich bleibt es, auf dem Weg zu solchen Heilungschancen auszuwählen zwischen Verfahren, die ethisch unproblematischer sind - und das sind die adulten Stammzellen, das sind die Stammzellen aus der Nabelschnur - und Verfahren, die ethisch höchst problematisch sind und das ist nun mal die Forschung mit embryonalen Stammzellen.
Kapérn: Wie wird sich denn nun heute der Nationale Ethikrat entscheiden? Was wird er raten?
Huber: Herr Kapérn, Sie werden gut verstehen, dass ich der Entscheidung und der Beratung des Ethikrates nicht vorgreife und dass ich es dem Vorsitzenden überlasse, das Ergebnis öffentlich bekannt zu machen, sobald es so weit ist. Vorneweg sage ich nur, die Ernsthaftigkeit und Intensität, mit der der Ethikrat dieses Thema behandelt, beeindrucken mich sehr und wenn von dieser Art der Beratung etwas ausstrahlt in die öffentliche Debatte, auch in die politische Meinungsbildung, dann ist damit schon sehr viel gewonnen.
Kapérn: Halten Sie es denn für wahrscheinlich, Herr Huber, dass der Ethikrat lediglich die unterschiedlichen Positionen begründet, auflistet und damit dann ein offenes Votum dem Bundestag an die Hand gibt?
Huber: Ich will nur so viel sagen: Es wäre ja merkwürdig, wenn der Ethikrat die unterschiedlichen Positionen nicht beschreiben würde, denn das würde ja voraussetzen, dass es im Ethikrat nur eine Position gibt und dann wäre er ja vielleicht falsch zusammengesetzt. Das kann ja nicht sein, dass wir in der Öffentlichkeit, auch in der Wissenschaft zwei tiefgreifend unterschiedene Positionen haben, die in dieser Frage miteinander ringen. Sie haben vorhin selber darauf hingewiesen, dass wir das auch schon bei der Enquete-Kommission beobachten konnten. Es wäre ganz merkwürdig, sage ich, wenn das im Ethikrat nicht auch so wäre, und dann wäre es auch sonderbar, wenn sich das nicht in seinem Votum niederschlagen würde.
Kapérn: Aber was nutzt denn ein Nationaler Ethikrat, wenn er den Menschen, die seinen Rat verlangen, letzten Endes doch nichts rät, jedenfalls nichts Konkretes?
Huber: Es nutzt schon dann etwas, wenn in einer Frage, die so tiefgreifend mit unserem Menschenbild zusammenhängt, eine Kultur der Achtung und des Respekts gegenüber den unterschiedlichen Positionen deutlich gemacht wird und wenn dann nach Wegen gesucht wird, in denen diese so tief unterschiedenen Positionen gleichzeitig nicht in einer unerträglichen Weise belastet werden durch den Weg, der dann beschritten wird. Insofern muss man ja im Ergebnis fragen, was ist eigentlich der Weg der Entscheidung, der beiden Positionen gegenüber vertretbar und erträglich ist. Das aber ist eine Frage der politischen Abwägung. Das ist dann nicht mehr unmittelbar eine Frage des ethischen Rats. Insofern glaube ich nicht, dass ein Ethikrat seiner Aufgabe gegenüber versagen würde, wenn er die Eckpunkte markieren würde, von denen her eine Lösung gefunden werden muss.
Kapérn: Der Vizechef der Bundestags-Enquete-Kommission, der CDU-Politiker Hubert Hüppe, ist in einem Interview ruppig umgesprungen mit dem Nationalen Ethikrat. Er hat ihn als Feigenblatt bezeichnet, als ein Gremium, das lediglich ins Leben gerufen worden sei, um "abzunicken was die Pharmaindustrie will". Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen in den bisherigen Beratungen?
Huber: Das deckt sich nur mit Berichten, die ich auch sonst darüber bekommen habe, wie ruppig Herr Hüppe argumentieren kann. Mit der Wirklichkeit des Ethikrats hat das nichts zu tun.
Kapérn: Das war bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der evangelische Bischof von Berlin und Brandenburg, Wolfgang Huber. Ich bedanke mich vielmals für das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Huber: Ihnen auch einen schönen Tag, Herr Kapérn.
Link: Interview als RealAudio