Mittwoch, 08. Mai 2024

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Meret Becker
Den "Tatort schaue ich nicht regelmäßig"

Meret Becker ist bald in der Rolle der Berliner Tatort-Kommissarin zu sehen. Dabei schaue sie den Tatort gar nicht regelmäßig, sagte Becker im Deutschlandfunk. Vor 20 Jahren habe sie ein solches Angebot noch abgelehnt. Warum sie sich nun doch dafür entschieden hat und welche Wege sie musikalisch geht, verrät sie im DLF-Interview.

Meret Becker im Corso-Gespräch mit Ulrich Biermann | 08.09.2014
    Sie ist Schauspielerin, Sängerin, Musikerin und mehr: Meret Becker, Jahrgang 1969, ausgezeichnet mit dem Grimme-Preis und dem deutschen Filmpreis, ebenso mit der Goldenen Kamera oder dem Max-Ophüls-Preis. Nach längerer Abwesenheit ist sie plötzlich wieder mit all ihren Fähigkeiten sehr präsent: Nun kommt mit ihr in einer Hauptrolle "Lügen und andere Wahrheiten" ins Kino, Regisseurin Vanessa Jopp ließ die Dialoge von den sechs Protagonisten größtenteils improvisieren.
    Fein ausgearbeitete Improvisationen prägen auch Beckers sechstes Album "Deins & Done", das nächste Woche erscheint.
    Und wie viel Platz für Improvisation Meret Becker als neue Berliner Tatort Kommissarin bleibt, erzählt sie im Corso-Gespräch.

    Ulrich Biermann: Willkommen zum "Corso"-Gespräch, Meret Becker! Wie viel Raum nimmt Improvisation in Ihrem Leben ein?
    Meret Becker: Oh Gott, das ist ja eine komplizierte Frage! Eigentlich, glaube ich, sehr viel! Ich muss halt andauernd ... Na ja, es ist schon sehr organisiert. Es ist organisiertes Chaos, würde ich sagen, und das hat mit Improvisation zu tun. Also, ich muss schon immer gucken, wie es weitergeht! Also, es gibt ja wahnsinnig viele Dinge, die gleichzeitig laufen und die man tun muss, und dann muss man das sozusagen jonglieren, und das ist vielleicht so ein bisschen ...
    Biermann: Aber der Plan geht ja nicht immer auf! "Ja, mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht" ...
    Becker: Genau, deswegen mache keinen Plan! Da gibt es noch so einen Satz, Moment, Plan ist die Abwesenheit von ... Ach, ich habe es vergessen, egal, es gibt so einen ganz klugen Spruch dazu, der mir sehr gut gefällt eigentlich! Dass man eigentlich, wenn man Pläne macht, eigentlich quasi ... Ach, genau: den Zufall durch denn Irrtum ersetzt. Ist gut, oder?
    Biermann: Da muss ich jetzt drüber nachdenken!
    Becker: Ja, muss man einen Moment drüber nachdenken, kann man auch. Wir können ja trotzdem erst mal weiterquatschen, ich wollte ...
    "Das kommt erst mal nur so aus mir"
    Biermann: 13 Songs, sechs Instrumentalstücke, laute Miniaturen zwischen 50 Sekunden und über fünf Minuten. Wie lange hat das gebraucht für dieses Album "Deins & Done", das so klingt wie aus einem Guss, mal eben so entstanden?
    Becker: Ja, das hat zwölf Jahre gebraucht. Wobei man jetzt zwölf Jahre, muss ich gestehen, nicht sagen kann, ich habe nicht zwölf Jahre daran gesessen und gearbeitet, sondern das sind tatsächlich Lieder, die sind so einfach entstanden. Der Buddy Sacher hat mir irgendwann eine Gitarre da gelassen, mein Gitarrist, mit dem ich diese Platte zusammen gemacht habe in der Hauptsache, der hat mir die Gitarre da gelassen. Und wie das dann so ist, dann zupft man halt drauf rum, ich kann das eigentlich nicht, und irgendwann entsteht halt irgendwas. Und da ich Country sehr liebe, entstand dann so eine Art country-ähnlicher Song, oder Bluegrass würde ich es eher nennen, das ist eine bestimmte Country-Richtung, die so Singer-Songwriter-mäßig ist. Ja, und das sammelte sich so nach und nach an und hatte ein Thema, war einem Cowboy gewidmet, ist einem Cowboy gewidmet. Und als die ganzen Songs dann beieinander waren - also "Snowflakes for Breakfast" war der letzte Titel, den ich geschrieben habe, wo ich dachte, so, jetzt ist full. Und dann wollten wir daraus ein Album machen und haben eigentlich gedacht, wir nehmen das so auf, wie wir es sonst live gespielt haben. Also, wir haben das in Kneipen teilweise gespielt und so, also, dadurch kommt dieses etwas schon Gelebte, was da drin ist, weil man das einfach vorher warmgespielt hat. Und dann haben wir aber gemerkt, dass das doch sehr unterschiedlich klingt, obwohl es ein Thema hat, und das war dann irgendwie schade. Und dann haben wir gesagt, okay, dann machen wir es doch noch mal richtig!
    Biermann: Es klingt sehr viel nach unterwegs sein, unterwegs sein im Leben, aber eben nicht immer - Sie haben gerade den Cowboy erwähnt - auf dem Pferd, sondern auf einem Esel?
    Becker: Ja, ein Esel kommt auch darin vor!
    Biermann: Manchmal störrisch, manchmal geht es nicht dahin, wo man will ... Aber es gibt immer eine große Freiheit, so klingt es für mich, bei viel Melancholie!
    Becker: Ja, es sind halt lauter traurige Liebeslieder, kann man so sagen, die beleuchten quasi verschiedene Sichten auf das Thema, wenn Liebe kaputtgeht, verschiedene Gefühle, die man dabei haben kann oder so. Und dabei bin ich tatsächlich wahrscheinlich relativ frei, weil ich das einfach mache. Also, das, was kommt, kommt. Und da gibt es niemanden, der sagt, so sollte es klingen oder so muss das sein oder ... Ich nehme mir auch nicht vor, was denken andere darüber oder so, sondern das kommt erst mal nur so aus mir und dann schaut man mal.
    Biermann: Aber es ist kein leidvolles Trauern, es ist ein Reflektieren!
    Becker: Es ist ein Reflektieren und das ist eigentlich ... Also, Trauer hat durchaus was Positives, finde ich. Trauer ist ja eine Art von Arbeit, um etwas zu bewältigen auch, und Trauer ist ein Teil des Lebens, genauso wie der Tod zum Leben gehört. Das ist etwas, was man gerne aussparen möchte, man kann es nicht aussparen, man sollte es nicht aussparen, glaube ich.
    Biermann: Ich meinte es im Sinne von nicht klagende, sondern eine annehmende Trauer.
    Becker: Ja.
    Biermann: Nicht larmoyant. Wie lang braucht es, um da hinzukommen?
    Becker: Lang. Also, ich ...
    Biermann: Zwölf Jahre?
    Becker: Trauer ist halt was Hartes, da muss man erst mal ein Stück durch. Aber es ist machbar, schaffbar, so. Vielleicht entsteht ein Musikstück auch erst nach dem Heulen. Erst kommt das Heulen, dann kommt die Musik!
    "Dann müssen die Ohren die Optik machen"
    Biermann: Es hat eine kleine Tour gegeben vorab schon, Sie waren unterwegs mit Buddy Sacher. Sie beide oder ... Weil, die Orchestrierung ... Manchmal frage ich mich, was hat sie denn da noch, ist das ein Orchestrion, ist das ein Harmonium oder womit haben Sie denn da experimentiert?
    Becker: Also, es ist natürlich ein Unterschied, ob man live spielt oder ob man eine Platte macht, das ist klar. Weil, die Sparsamkeit, die Buddy und ich zu zweit haben, wir haben das erst zu zweit gespielt tatsächlich, die kann man auf Platte bringen, aber es ist schon schön, wenn man das Bild so anreichert, wie man das gerne - weil bestimmte Dinge auf der Bühne zum Beispiel anders rüberkommen, einfach weil man die Optik noch dazu hat. Die hat man auf einer Platte nicht. Also müssen die Ohren halt die Optik machen sozusagen. Und deswegen wird die Platte etwas anders als die Livemusik. Jetzt touren wir aber inzwischen mit einem kleinen Orchester. Also, wir sind dabei, Buddy und ich, und dann habe ich den kleinstmöglichen Chor, nämlich zwei Sänger, und einen Percussionisten. Und damit kriegen wir das Ding auch ganz schön groß, obwohl das ganz, ganz sparsam ist!
    Biermann: Wobei, so groß klingt es gar nicht!
    Becker: Nee.
    Biermann: Sie haben ja dafür kämpfen müssen, habe ich gelesen, dass es so bleibt, so roh, so Demo-artig, heißt es im Pressetext. Das klingt für mich gar nicht so demo-mäßig!
    Becker: Es ist weder demo-mäßig, noch ist es ... Ich würde es nicht klein nennen, tatsächlich nicht, ich finde es aber auch nicht ... Es bleibt, glaube ich, sehr ehrlich mit dem, was es ist. Es soll eigentlich so klingen, als würde man in meinem Wohnzimmer sitzen und mit mir Musik hören sozusagen, die ich mache. So eine Atmosphäre hat das. Es kommt sehr ehrlich und unaufgeregt daher, und sehr langsam. Und diesen Klang hinzukriegen, da waren alle dran interessiert. Wenn da jetzt steht, ich habe da sehr für gekämpft, klingt es so, als wären alle dagegen gewesen, das war gar nicht so. Aber dieses Gleichgewicht zu halten, wer kriegt jetzt einen Hall drauf und wer nicht zum Beispiel. Bei meiner Stimme bin ich sehr streng, ich bin nicht zum Beispiel so, dass ich sage, kein Hall oder ganz, ganz wenig!
    Biermann: Nicht schön?
    Becker: Nicht schön, doch schön, aber nicht ... Keine Bar ...
    Biermann: Nicht schönen, meine ich.
    Becker: Ach, nicht schönen! Nee, nicht schönen, genau. Nicht schönen, aber trotzdem schön!
    "Bin kein regelmäßiger Gucker - auch nicht vom Tatort"
    Biermann: Apropos Aufregung, unaufgeregt: Wie ist das mit der "Tatort"-Kommissarin? Im November fangen die Dreharbeiten an, und wenn man so die Liste liest, wer in Berlin ermittelt hat als "Tatort"-Ermittler, dann gibt es da Hans-Peter Korff, Volker Brandt, Günter Lamprecht, Winfried Glatzeder, Hanns Zischler, Dominic Raacke, Boris Aljinovic. Gibt es da so was wie Respekt, Manschetten, in die Fußstapfen zu treten?
    Becker: Habe ich mich, ehrlich gesagt, gar nicht so sehr mit beschäftigt. Also, ganz blöd! Also, wenn ich jetzt an einer Kneipe vorbeikomme und da steht: Sonntags, 20 Uhr, "Tatort", dann zucke ich zusammen tatsächlich, weil, dann wird mir doch für einen Moment klar, da treffen sich ganz viele Menschen und gucken das und so. Ich gucke auch nicht nach den Kollegen, ich bin eh kein regelmäßiger Gucker von irgendwas, auch nicht vom "Tatort", und ich gucke auch nicht den Kollegen sozusagen auf die Finger und sage, was mache ich anders ... Oder ich nehme mir nicht so viel vor. Ich nehme mir nur vor, einen guten Film zu machen, das ist das, was ich machen möchte. Ich kriege ein Drehbuch, ich versuche, das so gut zu machen, wie ich das kann, und mehr kann ich nicht tun.
    Biermann: Aber man muss ja grundsätzlich erst mal sagen, okay, ich gehe das ein! Was hat den Ausschlag gegeben zu sagen, ich mache das?
    Becker: Also, "ich gehe das ein" ist ja eigentlich nur die Überlegung, mag ich das machen, mag ich eine Fernsehkarriere haben, mag ich regelmäßig mit einer gleichen Rolle bestückt sein, kann man das so sagen?
    Biermann: Besetzt sein?
    Becker: Besetzt sein, ja. Und das ist eher was, was ich verneinen würde. Aber ich mache das jetzt, weil das gerade in mein Leben passt, weil es natürlich eine große Ehre ist, gefragt zu werden. Ich wurde tatsächlich schon mal gefragt vor über 20 Jahren, da habe ich das verneint. Das hat aber auch damit zu tun, dass es der Berliner "Tatort" ist, das finde ich sehr schön, ich kann meine Sprache sprechen, so wie ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist, das darf ich dann. Und ich werde versuchen, diese Stadt gut zu vertreten, hehe ...
    Biermann: Hö hö ...
    Becker: Das sehe ich wirklich tatsächlich - ist ja ein bisschen, als würde man ein Fußballspieler werden, und so sehe ick dat 'n bisschen, ick spiele denn für Berlin! Un ick hoffe, Berlin spielt mit! Wehe, die Berliner spielen nicht mit!
    Biermann: Also, wir müssen nicht damit rechnen, dass Sie irgendwann mal nach München wechseln?
    Becker: Nein, würde ich nicht tun, würde ich tatsächlich nicht tun!
    Biermann: Für keine Transfersumme der Welt!
    Becker: In München war ich als Gast und da gehörte ich eher in die Gegenmannschaft von der Bullerei, also, ich war eher die Täterfraktion!
    Biermann: Vorab aber erst mal kleine Tournee, sie geht weiter mit "Deins & Done", dem neuen Album, das nächste Woche erscheint. Am 17.09. Auftritt in Berlin, am 9. Oktober in Rüsselsheim und am 10. Oktober in Ulm. Und jetzt ein Auszug aus dem neuen Album, dem mittlerweile sechsten von Meret Becker, "Deins & Done", hier ist "Snowflakes for Breakfast". Danke fürs "Corso"-Gespräch!
    Becker: Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.