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Merkel

Detjen: Frau Merkel, die politische Sommerpause ist definitiv vorbei. Sie haben in der zurückliegenden Woche – am Mittwochabend in Frankfurt – bei einem Treffen der Parteispitze mit den Unions-Ministerpräsidenten versucht, das Profil der Opposition vor den anstehenden Auseinandersetzungen mit der Koalition noch einmal zu schärfen. Sind Sie danach mit dem Erscheinungsbild Ihrer Partei – mit dem Erscheinungsbild der Union – zufrieden?

Stephan Detjen |
    Merkel: Im Großen und Ganzen ja. Ich bin nicht zufrieden mit der Tatsache, wie die Regierung mit den Ergebnissen umgegangen ist, weil – die Ergebnisse dieses Frankfurter Treffens sind aus meiner Sicht außerordentlich konstruktiv. Sie sagen nämlich: Wir wollen Ergebnisse für die anstehenden Veränderungen in Deutschland, aber wir wollen natürlich den Beitrag unsererseits so leisten, dass nach unserer Meinung auch wirklich etwas herauskommt, das heißt, dass in Deutschland wieder Wachstum stattfindet, dass in Deutschland wieder Beschäftigung entsteht. Und das geht unserer Meinung nach vor allen Dingen nur dann, wenn wir die aller oberste Priorität der Frage des Arbeitsmarktes, des ersten Arbeitsmarktes, zuwenden. Und da haben wir eine klare Alternative auf dem Tisch: Unser Arbeitsmarkreformgesetz, was weitaus weitergeht als die Vorschläge von Herrn Clement. Ich nenne nur das Stichwort ‚betriebliche Bündnisse für Arbeit’, ‚stärkere Änderungen im Kündigungsschutz’ und vieles mehr. Wir werden dann auch zu all den anderen Projekten mit unseren Gesetzesalternativen in die Debatte gehen, und deshalb halte ich auch die parlamentarischen Wege – Bundestag, Bundesrat – für die schnellsten und effizientesten, denn es geht jetzt ja darum, Ergebnisse zu erzielen.

    Detjen: Sind das die Wege? Sie sagen ‚konstruktive Zusammenarbeit’, aber das ist ja auch nach dem Treffen nicht ganz klar gewesen, wie das aussehen soll. Die Koalition wirft Ihnen Gesprächsverweigerung vor, weil Sie die Einladung des Kanzlers zu einem sogenannten ‚Reformgipfel’ abgelehnt haben. Gleichzeitig gibt es da immer noch Ministerpräsidenten der Union – Herrn Böhmer in Sachsen-Anhalt, Herrn Althaus in Thüringen –, die sagen: Wenn der Kanzler einlädt, würden wir kommen. Das ist ja weder klar, noch ist es wahrscheinlich die Geschlossenheit, die Sie sich von Ihrer Partei erwünscht hätten.

    Merkel: Wir haben ja lange über das Thema gesprochen, und wir sind uns vollkommen einig: Die Ministerpräsidenten sind halt höfliche Menschen, die sagen: ‚Wenn uns einer einlädt, kommen wir’. Das ist ja zu unterscheiden von der Frage: Was halten wir für den geeignetsten Weg? . . .

    Detjen: . . . aber Herr Althaus sagte, es wäre ‚töricht’, die Gesprächseinladung abzulehnen. Das konnte man ja kaum anders als auf das beziehen, was Herr Stoiber und Sie vorher gesagt haben . . .

    Merkel: . . . ja, es geht also um etwas anderes. Es geht um die Frage: Ist man höflich oder nicht. Aber wir sind uns einig, und das hat Herr Althaus gleich hinzugefügt, dass der Weg, den wir jetzt für den besten halten, der ist, dass man nicht Sonderrunden macht, sondern dass man dem parlamentarischen Weg geht – Bundestag, Bundesrat, Vermittlungsausschuss. Und ich will nur noch mal darauf hinweisen, weil das manchmal jetzt auch im Gegensatz zu den Gesundheitsgesprächen gestellt wird: Bei der Gesundheit haben die Fachleute zum Teil 14 Tage und länger viele, viele Stunden hinter verschlossenen Türen gesessen, haben keinerlei Medienarbeit gemacht, sondern sich nur um die Sache gekümmert. Und die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die Frage: wie organisiere ich die Bundesanstalt, die Frage dann auch der Gemeindefinanzreform, die sind ähnlich kompliziert. Und uns nützen keine Schauveranstaltungen, tolle Fernsehbilder, sondern wir brauchen Ergebnisse.

    Detjen: Aber worauf bezieht sich die Ablehnung von dem, was Sie ‚Sonderrunden’ nennen? Beim Beispiel Gesundheit hat sich die Union ja auch selber mit darauf eingelassen, eine neue Form von Konsenssuche in außerparlamentarischen Hinterzimmern zu finden. Das kann man auch ‚Kungelrunde’ nennen.

    Merkel: Ja, dort haben wir uns ganz entschieden und auch mit Bedacht dafür ausgesprochen. Ich muss doch von Fall für Fall entscheiden, was die beste Form der Kooperation ist. Ich will auch nur darauf hinweisen: Es gibt übrigens alle sechs Monate Gespräche der Ministerpräsidenten mit dem Kanzler, es hat gerade im Juni eins gegeben. Aber bei der Gesundheit haben wir gesagt: Wir gehen diesen Sonderweg, weil die vorgelegte Gesetzesinitiative von Frau Schmidt zustimmungsfreie und zustimmungsbedürftige Elemente so verquickt hatte, dass ein Verfahren im Bundesrat, wo sie das alles auseinander gezerrt hätte in einen zustimmungsfreien Teil und in einen zustimmungspflichtigen, uns erhebliche Schwierigkeiten gemacht hatte, wichtige Anliegen der Union durchzubringen. Bei der Gemeindefinanzreform, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen sind die Gremien, so wie wir sie haben, am allerbesten geeignet, dann auch wirklich die Debatten zu führen. Und als Oppositionsführerin muss ich noch hinzufügen: Mit dem, was die Bundesregierung vorgelegt hat, werden die Probleme nicht gelöst werden, es wird kein ausreichendes Wachstum entstehen. Wir werden weiter wie das Kaninchen auf die Schlange nach Amerika starren und warten, ob von dort Impulse kommen.

    Detjen: Lassen Sie mich noch einmal zurückkommen auf die Gesundheitsgespräche. Es hat da jetzt am Ende der hinter uns liegenden Woche eine Einigung gegeben, nachdem es vorher eine ganze zeitlang unklar war, wie groß der Konsens da wirklich ist, wie bestandkräftig er sein wird. Sind Sie denn jetzt mit dem Ergebnis zufrieden?

    Merkel: Im Rahmen dessen, was man in einem so großen Kompromiss erwarten kann, ja. Die Irritationen zwischendurch kamen ja daraus, dass die Ministerin aus dem Gesundheitsbereich den Eckpunkteentwurf nicht ausreichend umgesetzt hatte – nach meiner Überzeugung. Das konnte bereinigt werden in den noch stundenlangen Verhandlungen. Ich glaube, wir haben doch seitens der CDU und der CSU vieles von dem verhindert, was uns extrem beschwert hätte in der Neuordnung des Gesundheitswesens. Und insofern bin ich unter dem Strich dafür, dass wir diesen Kompromiss dann auch zustimmen.

    Detjen: Jetzt stehen die Verhandlungen im Parlament – sagen Sie – zu den anderen wichtigen Themen an. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder, der ja dann eine wichtige Rolle auf dem Verhandlungsforum spielen wird, hat gesagt, die Union werde eine schärfere Gangart im Umgang mit der Bundesregierung einlegen. Was heißt das?

    Merkel: Wir sind empört, das muss man schon sagen, über den zum Teil doch sehr lottrigen Zustand, in dem uns Gesetze übergeben werden, oder aber – und das gilt insbesondere für den Bundesfinanzminister – den wirklich nicht seriös finanzierten Haushalt. Und wir werden ja Anfang September eine Haushaltsdebatte haben, und in dieser Haushaltsdebatte werden wir mit aller Klarheit und Schärfe sagen, dass in diesem Bundeshaushalt 20 Milliarden Euro Risiken angesiedelt sind. Wir haben in diesem Jahr eine Neuverschuldung der Bundesrepublik Deutschland allein durch den Bundeshaushalt von 40 Milliarden Euro, wir werden im nächsten Jahr noch mehr dazu bekommen. Und wir müssen einfach mal überlegen, wohin dieses Land steuert, wenn es einfach immer und immer wieder auf Kosten der Kinder, der Zukunft, lebt. Und der Bundesfinanzminister geht wieder in den Bundeshaushalt mit Prognosen – siehe Wirtschaftswachstum –, die nicht real sind, sondern die immer geschönt sind. Und deshalb werden wir diese Risiken sehr, sehr hart benennen.

    Detjen: Da steht dann auch und wirft die Frage auf, wie Sie sich zu den Plänen zum Vorziehen der Steuerreformentlastungsstufe stellen. Da wird Ihnen ja nach wie vor vorgeworfen, Sie bleiben eine klare Antwort drauf schuldig.

    Merkel: Ja, das ist auch richtig. Wir bleiben die Antwort schuldig, weil der Bundeskanzler uns die Antwort schuldig bleibt, wie er es machen will. Die Bundesregierung hat etwas vorgelegt, was ich nicht mit dem Namen ‚Finanzierungskonzept’ bezeichnen würde. Der Bundesfinanzminister hat keinen verfassungsgemäßen Haushalt, er kümmert sich überhaupt gar nicht darum. Und ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn der Bundeskanzler wirklich möchte, dass diese Steuerreform vorgezogen wird, dass er in der Lage sein muss, ein besseres und ein klares Finanzierungskonzept vorzulegen. Und wir haben schon in diesem Lande noch ein paar Regeln einzuhalten. Wir sagen zum Beispiel: Wir brauchen eine Gesundheitsreform – also haben wir unsere Vorstellungen auf den Tisch gelegt. Wir sagen: Wir brauchen eine Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe – wir haben unsere Vorstellungen auf den Tisch gelegt, genau so zur Arbeitsmarktreform. Aber wenn der Bundeskanzler einen Vorschlag macht und er ist nicht in der Lage, den zu untermauern und zu unterfüttern, dann kann ich nur sagen, dann kann er sein Amt als Bundeskanzler in diesem Lande nicht weiter ausführen.

    Detjen: Bei Ihren Vorschlägen überlassen Sie aber die Vermittlung von den wirklichen schmerzhaften Härten weitgehend der Bundesregierung. Überall da, wo es konkret um den Abbau von Subventionen, von Steuervergünstigungen geht, haben Sie sich bisher dagegen gestellt – was die Einbeziehung von Freiberuflern in die künftige Gemeindewirtschaftssteuer angeht, was die Kürzung von Subventionen für Eigenheimbauer, von Berufspendlern angeht.

    Merkel: Also, das ist natürlich überhaupt nicht wahr. Wenn Sie sich einmal den Gesundheitskompromiss angucken, dann haben wir uns sehr klar daran beteiligt, auch Zumutungen an die Menschen auszusprechen und ihnen zu sagen: Wenn wir unsere Arbeitsmarktsituation verbessern wollen, wenn wir in Zukunft auch sicherstellen wollen, dass jeder – egal welchen Alters – die medizinischen Leistungen bekommt, dann müssen wir auch bestimmte Leistungen dem Einzelnen zumuten. Und ich persönlich bin ja nun dadurch, dass ich gesagt habe, wir müssen den Zahnersatz ausgliedern und anders pflichtversichern, da auch nicht besonders auf einem populären Feld hervorgetreten. Wir haben uns bereiterklärt, im Rahmen der Arbeiten am Steuervergünstigungsabbaugesetz uns mit dem Subventionsabbau zu beschäftigen. Dazu ist eine Arbeitsgruppe von Roland Koch und Peer Steinbrück, den beiden Ministerpräsidenten von Hessen und Nordrhein-Westfalen, eingesetzt. Und die arbeiten daran und werden Ende September ihre Vorschläge vorlegen. Aber wenn Herr Eichel glaubt, er kann ein Gesetz, was wir Ostern abgelehnt haben, uns über seinen eigenen Bundeshaushalt und die dafür notwendigen Beratungen wieder hintenrum aufzwingen, dann kann er doch nicht erwarten, dass er die Antwort bekommt: Jetzt gerne, was im April für uns unmöglich war.

    Detjen: Lassen Sie uns da noch mal bleiben, konkret da, wo Subventionsabbau nicht eine abstrakte Masse von Unternehmen, sondern wirklich konkret die Masse der Bürger betrifft, Stichwort Pendlersubvention. Warum, um es ganz konkret zu fragen, soll der Staat das fördern, wenn jemand aus privaten Gründen seinen Wohnsitz aus den teuren Städten in die billigen Umlandgegenden verlagert?

    Merkel: Also, da gibt es nun ja eine Vielzahl von Argumenten. Man kann sagen: Ich muss an allen Subventionen eine Überprüfung vornehmen, und in diesem Duktus gehen ja auch Koch und Steinbrück an die Sache heran und sagen: Wenn dieses Land sparen muss, dann muss ich überall auch einen Beitrag dazu leisten. Und ich bin ganz sicher, dass sie dazu einen Vorschlag machen werden. Im übrigen hat Jürgen Rüttgers, der ja nun in Nordrhein-Westfalen wirklich den Steinkohlebergbau auch vor der Haustür hat, sehr mutige Vorschläge auch gerade in dem Bereich gemacht, und das muss man ja auch erst mal schaffen, wenn man dort vor Ort auch sich auseinandersetzen muss um die Frage. Und nun kann man sagen: Wer soll in diesem Land überhaupt unterstützt werden? Ich kann nur sagen, ich finde das Konzept des Herrn Eichel vollkommen unsinnig. Gerade die, die einen Arbeitsweg von 20 Kilometern haben oder von unter 20 Kilometern, die sich vielleicht also entscheiden, doch in der Nähe des Arbeitsortes zu wohnen, um auch flexibel zu sein, die sollen gar nichts mehr bekommen. Und je weiter ich aber weg wohne, umso besser stehe ich mich. Das ist auch eine kritische Anfrage, ob das sinnvoll ist. Und besonders sinnlos ist natürlich, wenn ich nun auch noch anfange, zwischen den Verkehrsmitteln zu unterscheiden, wie es ja wohl im Finanzministerium auch gedacht war. Und das deutet nun wieder auf rot-grüne Gängelung von Autofahrern hin. Das hilft uns auch nicht weiter.

    Detjen: Frau Merkel, Sie hatten die Gespräche – die Verhandlungen –, die der hessische Ministerpräsident Roland Koch mit seinem Kollegen in Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück, derzeit führt, angesprochen. Es sind in der Tat durch die anstehenden Reformen ganz besonders die finanziellen Interessen der Länder und Kommunen betroffen. Was können Sie als Partei- und Fraktionsvorsitzende der CDU im Bund diesen mächtigen Eigeninteressen Ihrer Unions-Ministerpräsidenten eigentlich entgegensetzen?

    Merkel: Es geht nicht um etwas entgegensetzen, sondern ich muss als Parteivorsitzende insbesondere natürlich die unterschiedliche Interessenlage berücksichtigen, zum Teil auch die unterschiedliche Interessenlage zwischen Ost und West und Nord und Süd. Aber wir sind ja nun auch alle Mitglieder einer Partei, das heißt, uns einen natürlich auch ein gemeinsames Verständnis der Grundwerte. Und wir haben das jetzt gemerkt, als wir über die Alternative zum Zusammenlegen der Arbeitslosen- und Sozialhilfe gegenüber dem rot-grünen Entwurf gesprochen haben. Dort haben wir nämlich ganz deutlich gemacht: Für uns ist Subsidiarität – das heißt also die Frage, wer kann am besten vor Ort die Dinge erledigen – der entscheidende Maßstab. Und deshalb haben wir auch gesagt: Die Arbeitslosen- und Sozialhilfe sollte vor allen Dingen auf der kommunalen Ebene zusammengelegt werden und dann eine Einbindung der Bundesanstalt für Arbeit versucht werden, und nicht umgekehrt dem Monstrum Bundesanstalt für Arbeit, das schon jetzt mit seinen Aufgaben schwer klarkommt, auch noch zusätzliche Aufgaben geben . . .

    Detjen: . . . da haben sich die Kommunen aber bereits gewehrt und haben gesagt, da werde ihnen wieder zusätzliche Arbeit aufgebürdet . . .

    Merkel: . . . richtig, die Kommunen haben sich deshalb gewehrt, und wir werden deshalb auch mit ihnen das Gespräch suchen und haben es schon angesprochen, weil sie Sorge haben – und leider hat auch die CDU manchmal in der Vergangenheit dazu beigetragen –, dass sie für zusätzliche Aufgaben nicht die entsprechenden Finanzierungen bekommen. Und deshalb enthält unser Gesetzentwurf, den wir zur Grundlage machen wollen, auch eine Grundgesetzänderung, bei der festgeschrieben wird, dass die Kommunen dann auch die dafür notwendigen Mittel wirklich bekommen. Ich kann die Angst der Kommunen verstehen, und dennoch darf die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe nicht zu einer völligen Entmachtung der Kommunen führen, denn viele Dinge von Fördern und Fördern von Schicksalen, von Einzelschicksalen, können auf der kommunalen Ebene sehr viel besser gelöst werden, als das auf der zentralen Ebene der Fall ist.

    Detjen: Frau Merkel, Sie haben eben gesagt mit Blick auf die Ministerpräsidenten der Union, sie eint die Tatsache, dass sie einer Partei angehören. Gerade das schafft aber auch, namentlich mit Blick auf Roland Koch, Rivalitäten in der Partei. Wie gehen Sie gerade mit dieser Rivalität zu Roland Koch, mit der offenen Machtfrage in der Union um?

    Merkel: Ich sehe überhaupt nicht, dass es in irgendeiner Weise offene Machtfragen gibt, aber ich sehe, dass es, wie in jeder Partei, politischen Wettbewerb gibt. Und ich wäre auch ganz unglücklich als Parteivorsitzende, wenn wir nicht auch ehrgeizige Ministerpräsidenten hätten, die miteinander und auch innerhalb der Partei natürlich um die besten Lösungen konkurrieren. Und insofern halte ich das für einen ganz normalen Zustand. Und wenn Sie mal zurückschauen – vier, fünf Jahre –, was die CDU jetzt ja auch vollbracht hat, dass wir einen wirklichen Generationenwechsel hinter uns haben, dass wir heute eine Riege von Ministerpräsidenten haben, die doch auch zum Teil noch gar nicht so lange politische Erfahrung haben, dann kann ich nur sagen, dass wir dies so geschafft haben, trotzdem gute Umfragewerte haben, Wahlen gewinnen. Darauf kann man – und darauf kann auch ich – ein Stück stolz sein. Und da gehört für eine Parteivorsitzende immer ein rechtes Maß von Toleranz und ein rechtes Maß von fester Führung dazu. Und dieses Maß muss von Fall zu Fall austariert werden. Und dann noch eine Bemerkung: Oppositionsarbeit hat sich im 21. Jahrhundert und angesichts der Probleme, die wir heute haben, mit Sicherheit gegenüber der Zeit der 70er Jahre verändert. Sie können nicht sagen: Ich mache nur den harten Kurs oder ich mache nur Kooperation, sondern sie müssen von Fall zu Fall wirklich auch entscheiden. Das ist aus meiner Sicht moderne Oppositionsarbeit, und das werden wir auch weiter so tun.

    Detjen: Das Stichwort ‚offene Machtfragen’ bezog sich ja darauf, dass nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in Ihrer Partei schon jetzt wieder die Sachdiskussionen überlagert von der Frage: Wer wird eigentlich unser nächster Kanzlerkandidat? Da gibt es ja noch eine Personalfrage in der Union, die geklärt werden muss, nämlich die Frage: Wen nominiert die Union als Bundespräsidenten im nächsten Jahr? Wie lange können Sie solche Personalentscheidungen offen halten?

    Merkel: Personalentscheidungen gehören zu dem, was natürlich immer am interessantesten ist, was auch sehr einfach zu vermitteln ist. Aber auch kluge Personalentscheidungen müssen zum richtigen Zeitpunkt getroffen werden. Die des Bundespräsidenten wird, so denke ich, natürlich bis Ende dieses Jahres zu klären sein, aber sie ist jetzt noch nicht auf der Tagesordnung. Wir wissen noch nicht einmal, was der Amtsinhaber macht. Wir haben eine Landtagswahl in Bayern vor uns, und in dem dann verbleibenden Zeitraum bis zum Jahresende können Sie ganz sicher sein, dass die Union einen geeigneten Vorschlag machen wird. Ich muss darauf verweisen, dass die Union aus eigener Kraft keine Mehrheit hat in der Bundesversammlung, sondern nur, wenn es gelingt, auch ein gemeinsames Abstimmungsverhalten mit der FDP hinzubekommen, so dass die Tatsache, dass wir vielleicht eine Mehrheit haben, eine ist, die uns nicht aus eigener Kraft in die Lage versetzt, schon einen Bundespräsidenten zu bestimmen.

    Detjen: Mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse – mit Blick auf die FDP – hat der Chef der CSU-Landesgruppe in Berlin, Michael Glos, gesagt, die Union müsse auf jeden Fall einen eigenen Kandidaten oder eine eigene Kandidatin nominieren. Besteht da insoweit Einigkeit zwischen den Unionsparteien?

    Merkel: Wir sind zwei große Parteien – CDU und CSU –, und ich denke, dass natürlich der Wunsch besteht, einen eigenen Kandidaten zu haben. Man kann jetzt eine semantische Exegese darüber machen, ob der eigene Kandidat der von der Partei unterstützte oder der aus der Partei kommende ist. Jede Spekulation zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht richtig. Aber es gibt in der CDU und in der CSU das Bedürfnis, natürlich bei so vielen Mitgliedern auch geeignete Persönlichkeiten aus den eigenen Reihen zu nominieren.

    Detjen: Frau Merkel, ich würde gern noch mal das Thema wechseln und auf den Irak und auf den Nahen Osten blicken. Es ist in der zurückliegenden Woche spätestens seit dem Anschlag auf das UN-Gebäude deutlich geworden, wie groß die Schwierigkeiten der Besatzungsmächte sind, das Land nach dem gewonnenen Krieg jetzt in den Griff zu bekommen. Welche Konsequenzen müssen da gezogen werden?

    Merkel: Es ist vor allen Dingen sichtbar geworden, welche Art von destruktiven Kräften dort tätig ist, die sich nicht nur an den Amerikanern und Engländern dort reiben, sondern die vor allen Dingen eben auch, ohne nach links und rechts zu gucken, jedwede internationale Organisation vernichten wollen. Und ich glaube, das hat die Verantwortung der Weltgemeinschaft insgesamt noch mal deutlich gemacht. Und ich bin der Meinung, dass daraus Bewegung in zwei Richtungen entstehen wird und schon entstanden ist: Auf der einen Seite sehen die Amerikaner, dass natürlich eine Kooperation der demokratischen westlichen Welt das Allerbeste ist und dass auch die UNO eine zentrale Rolle haben solle und muss. Und zweitens sehen die Europäer inzwischen auch, dass eine Spaltung innerhalb Europas oder zwischen Europa und Amerika uns allen nichts nutzt, weil wir letztlich alle gemeinsam für den Erfolg auch unserer demokratischen Gesellschaften verantwortlich sind. Und wenn das die Lehre auch aus den sehr misslichen Streitereien im Vorfeld des Irak-Konflikts gewesen sein sollte, dann bin ich schon zufrieden. Ich habe auch bei meinem Amerikabesuch immer gesagt: Eine Supermacht, egal wie kräftig und stark sie ist, kann die Probleme nicht alleine lösen. Und ich habe in Deutschland immer wieder gesagt: Ein gespaltenes, zerstrittenes Europa wird seinen Beitrag zum Weltfrieden nicht leisten. Ich finde, wir sind da Schritt für Schritt auf einem recht guten Weg.

    Detjen: Sie standen in der Diskussion in Deutschland immer auf der Seite der Vereinigten Staaten. Inwieweit macht es Sie nachdenklich, wenn Sie jetzt sehen, wie brüchig viele der Argumente der USA und der Briten für den Krieg geworden sind, wenn einige der Argumente manipuliert worden sind?

    Merkel: Meine Argumentationen waren damals sehr klar. Ich habe mich für die Durchsetzung der UN-Resolutionen eingesetzt. Und es war ganz offensichtlich, dass nicht nur die 17., sondern viele andere UN-Resolutionen von Saddam Hussein in den Wind geschlagen wurden. Und es ging für mich auch ein ganzes Stück weit um die Autorität einer Organisation wie der UNO. Und deshalb habe ich befürwortet, dass man mit Ultimaten, mit festen Zeiträumen arbeitet. Und ich hätte mir gewünscht, dass der Druck der westlichen Welt gemeinschaftlich gewesen wäre, dann hätte vielleicht sogar eine kriegerische Auseinandersetzung vermieden werden können. Aber das ist jetzt eine theoretische Debatte von gestern, und . . .

    Detjen: . . . trotzdem, es bleibt ja: Die Diskussion steht jetzt in einem anderen Licht, nachdem was wir erfahren haben, wie sie auch von den Briten und Amerikanern geführt und tatsächlich teilweise manipuliert worden ist . . .

    Merkel: . . . Entschuldigung, für mich steht sie in keinem anderen Licht. Saddam Hussein hat die 17. Resolution nicht erfüllt, er hat einen gelogenen Bericht abgegeben, wie wir an den Al-Samud-Raketen dann ja auch gesehen haben. Er hätte es in der Hand gehabt, die Informationen auf den Tisch zu legen. Und vom Waffeninspekteur bis hin zu den verschiedenen Geheimdiensten konnte nicht ausgeschlossen werden, dass er Massenvernichtungswaffen hat. Also, Durchsetzung der UN-Resolutionen war meine Argumentationsbasis, daran ist auch nichts zurückzunehmen. Und wer einmal gesehen hat, unter welch schrecklichen Bedingungen die Iraker zum Teil gelebt haben, der wird auch sehen, dass es nun wirklich sich um eine Diktatur handelte. Heute steht ein kompliziertes Kapitel auf der Tagesordnung, das heißt: Wie kann ich den Irakern auch wieder eine freiheitliche Zukunft geben, bei der sie nicht den Eindruck haben, sie werden von anderen Mächten drangsaliert oder gepeinigt oder in irgendeinen Weg gezwungen. Und offensichtlich ist das Selbstwertgefühl und die Sorge der Iraker an dieser Stelle sehr groß, und deshalb ist ein möglichst breites internationales Engagement außerordentlich notwendig, und da sind die Amerikaner und die Engländer weiter notwendig im Irak. Aber da ist eine Verbreiterung der Grundlage, auf der die Aufbauarbeit erfolgt, mit Sicherheit wünschenswert. Und es sind Polen heute dort, es sind Türken heute dort, und ich glaube, dass über UN-Resolutionen eben auch geprüft werden sollte, wer noch einen Beitrag leisten kann.

    Detjen: Die Deutschen?

    Merkel: Ich glaube, dass der Weg doch nur sein kann, dass die UNO eventuell die NATO fragt. Und dann muss man nach den Kapazitäten entscheiden. Man kann nicht grundsätzlich sagen: Alle, aber die Deutschen nicht. Nur, wenn ich mir unser faktisches Engagement in Afghanistan angucke, was jetzt vielleicht noch ausgeweitet werden soll, und das Gesamtvermögen, was die Bundeswehr auf die Waagschale bringt, dann bin ich zweifelnd, dass Deutschland dort einen sehr relevanten Beitrag leisten kann. Nur von vornherein zu sagen, ‚überall auf der Welt, nur nicht im Irak’ – hielte ich für falsch, wenn UNO und NATO gefragt werden.

    Detjen: Frau Merkel, zum Schluss unseres Interviews noch ein persönlicher Blick zurück auf die hinter uns liegende Sommerpause. Sie haben in Ihren Ferien, glaube ich, Opern gehört und gesehen – in Bayreuth und in Salzburg – das haben Sie mal erzählt. Sind Sie auch zum Lesen gekommen?

    Merkel: Ja, ich bin auch zum Lesen gekommen.

    Detjen: Was ist denn das letzte Buch, das Sie als Politikerin inspiriert hat?

    Merkel: Als Politikerin? Also, ich habe jetzt ein sehr interessantes Buch über die Wirkung von den sogenannten Kondratjeff im Wirtschaftswachstum gelesen. Und das hat mich noch mal darin bestärkt, dass alle Anstrengungen, die Deutschland unternimmt, nicht sich beschränken dürfen auf die Kürzung von Dingen, sondern dass wir vor allen Dingen in die Zukunft investieren müssen – in die Forschung und in die Bildung, in Erfindungen, und dass Deutschland wieder ein Land sein muss, wo die neuesten Erfindungen und Entwicklungen herkommen, weil genau diese Länder vom Wohlstand dann am meisten abbekommen, weil sie Geld verdienen mit dem, was ihre Menschen produzieren. Und da, finde ich, ist Deutschland weit entfernt. Und als Politikerin inspirieren tun mich manchmal auch Bücher, die nichts mit Politik zu tun haben. Und da habe ich ein sehr interessantes Buch gelesen von dem Herrn Büscher, der von Berlin nach Moskau gewandert ist und durch viele Gebiete auch gewandert ist, die ich selber schon bereist habe – in Polen, in Weißrussland, in der russischen Republik. Und das hat mir auch sehr gut gefallen, wenngleich ich nicht vorhabe, eine ähnliche Strapaze in nächster Zeit auf mich zu nehmen.

    Detjen: Frau Merkel, wegen des Endes unserer Sendezeit können wir das Thema der Kondratjeff-Wellen nicht mehr vertiefen. Deshalb vielen Dank für das Gespräch.